Nein, Bill Gates hat kein Patent auf das neue Coronavirus oder den Ausbruch mit 65 Millionen Toten vorhergesagt
Über das neuartige Coronavirus kursiert das Gerücht, es sei bereits patentiert. Manche meinen daher, das Virus sei von „Eliten“ kreiert. Oder Bill Gates habe etwas damit zu tun. Es gibt bestehende Patente, allerdings für andere Arten von Coronaviren, nicht für jenes, das gerade in China grassiert.
Am 23. Januar 2020 veröffentlichte die Webseite Connectiv Events einen Text mit dem Titel: „Coronavirus ist ein patentierter Virus – alles über die Patente“. Darunter folgt eine Liste unterschiedlicher Patente, die das Wort Coronavirus enthalten und sich laut Connectiv Events angeblich alle auf das neue Coronavirus beziehen. Mehr als 2.000 Mal wurde der Beitrag auf Facebook geteilt. Ein fast identischer Artikel erschien zuvor am 22. Januar auf der amerikanischen Webseite USA Hitman.
Manche Kommentare, mit denen der Text von Connectiv Events geteilt wird, legen nahe, dass dahinter eine Verschwörung vermutet wird. So schreibt zum Beispiel ein Nutzer in der Facebook-Gruppe „Qanon deutsche Blumberger“: „Der Corona Virus ist im Labor gezüchtet worden: von der selbsternannten Elite.“
Unsere Recherche ergab: Es gibt die genannten Patente, manche sind allerdings nur angemeldet und nicht erteilt. Sie haben außerdem nichts mit dem aktuellen, neuartigen Coronavirus aus China zu tun, sondern mit vorigen Virenarten.
Am 31. Dezember 2019 wurde die Weltgesundheitsorganisation (WHO) über die ersten Verdachtsfälle des neuen Coronavirus benachrichtigt. Das Virus breitet sich seitdem in China aus. Bisher (Stand 28. Januar) sind laut Science Media Center 107 Menschen daran gestorben und mehr als 4.400 Menschen nachweislich infiziert, 65 davon im nicht-chinesischen Ausland.
Was sind Coronaviren und was steckt hinter den Patenten?
Laut der WHO sind Coronaviren „eine große Familie von Viren“. Sie würden Krankheiten hervorrufen, die von einer Erkältung bis hin zu schwereren Erkrankungen wie SARS und MERS reichen könnten.
Die Art, die gerade in China grassiert, nennt die WHO vorübergehend 2019-nCoV oder „novel Coronavirus“, also neues Coronavirus. Dieser Name wird laut WHO für neue Stämme des Virus vergeben, die bisher noch nicht in Menschen identifiziert wurden. Manche Medien nennen es auch „Wuhan Coronavirus“, nach der chinesischen Stadt, in der zuerst auffällige Fälle von Lungenentzündung auftauchten.
Die Patente, die verschiedene Internet-Nutzer nun mit mehr oder weniger expliziten Verschwörungstheorien verbreiten, beziehen sich auf die Virenstämme von MERS (bekannt seit 2012), SARS (bekannt seit 2003), oder auch dem Virus der Infektiösen Bronchitis, das Geflügel befällt. Auf das neue Coronavirus gibt es kein Patent. Es wurde erst Anfang Januar bestätigt, nachdem es keiner bisher identifizierten Arten des Coronavirus zugeordnet werden konnte.
Immer wieder Kontroversen über Patente
„Beispielsweise können abgeschwächte Viren patentrechtlich geschützt werden“, sagt Kaaweh Molawi gegenüber CORRECTIV. Molawi ist Patentanwalt in den Bereichen Biotechnologie und Pharma. Wozu das sinnvoll ist? Zum Beispiel für Lebendimpfstoffe, so Molawi. Darin werde das Virus in abgeschwächter Form benutzt. Es mache dann nicht mehr krank, könne aber Immunität erzeugen. Abgeschwächtes Virus heißt „attenuated virus“ auf Englisch.
Zu beachten sei außerdem, dass manche der in den Behauptungen genannten Patentschriften nur Patentanmeldungen sind, und keine erteilten Patente. Normalerweise sind Patentnummern, die hinten ein A haben, Anmeldungen. Erteilte und eingetragene Patente haben hinten hingegen meist ein B, so der Patentanwalt.
Kontroversen über Patente gab es bereits im Zusammenhang mit MERS. Im Jahr 2013 war die Befürchtung, sie könnten Forschung zu dem Virus verhindern. Darüber schrieb das Science Mag, und auch der Schweizer Rundfunk widmete sich dem Thema in einer Sendung. Fazit beider Medien damals: Es ist theoretisch möglich, dass Patente Forschung blockieren, aber in vergangenen Fällen konnten sich die unterschiedlichen Parteien – Länder, Forschung und Pharma-Firmen – einigen.
Behauptung: Ein von Bill Gates finanziertes Institut besitze ein Patent am aktuellen Coronavirus
Eine andere Behauptung, diesmal von der Webseite Unsere Natur, die laut Crowdtangle mehr als 1.200 Mal auf Facebook geteilt wurde: Das „derzeit um sich greifende Corona-Virus“ sei „keineswegs natürlichen Ursprungs“. Beleg dafür sei ein Patent, welches das britische Pirbright Institut (auf manchen Webseiten auch falsch als Pilbright Institut aus den USA bezeichnet) seit dem Jahr 2018 besitze – ein Patent „für das Corona-Virus“. Zudem sei „verdächtigerweise die Bill & Melinda Gates Stiftung ein ‘Hauptfinanzierer’ des Pirbright-Instituts“.
Die Artikel verlinken auf ein US-Patent, das im Jahr 2015 angemeldet wurde, oder sie verweisen auf das Äquivalent in Europa. Es wurde tatsächlich im Jahr 2018 erteilt und trägt seitdem die Nummer US10130701B2 beziehungsweise EP3172319B1 für Europa.
Die Erfindung, für die das Pirbright Institut ein Patent erhalten hat, ist ein lebendes, abgeschwächtes Coronavirus, das als Impfstoff fungieren soll, um „infectious bronchitis“, also Infektiöse Bronchitis (IBV), zu behandeln oder zu verhindern.
Inzwischen hat das Institut selbst auf seiner Webseite auf die Behauptungen im Netz reagiert. Es forsche nicht an menschlichen Coronaviren.
Das Zertifikat sei für das Virus der Infektiösen Bronchitis, ein Coronavirus für Geflügel.
In einer Broschüre der Landwirtschaftskammer Niedersachsen über Legehennen beschäftigt sich ein ganzes Kapitel mit diesem Virus (PDF, ab S. 63). Im Zusammenhang mit einer Ansteckung von Menschen taucht das Virus der Infektiösen Bronchitis aber nicht auf.
Zudem ist das Zertifikat für ein abgeschwächtes Virus, der, wie oben beschrieben, für eine Lebendimpfung genutzt werden kann – nicht für „den Coronavirus“ an sich. Außerdem, so das Institut, habe die Bill & Melinda Gates Stiftung den Forschungsbereich nicht finanziert, sondern ein anderes Projekt – mit 5,5 Millionen US-Dollar. Nämlich den Livestock Anti-Body Hub (Zentrum für die Abwehrstoffe von Tieren), mit dem erforscht werden soll, wie Tiere besser vor Krankheiten geschützt werden können.
Nein, Bill Gates hat das Coronavirus nicht vorhergesagt
Bill Gates soll zudem bereits im Oktober 2019 vor dem Coronavirus gewarnt beziehungsweise den Ausbruch mit 65 Millionen Toten vorhergesagt haben. Vermischt mit der Patent-Behauptung schwingt der Vorwurf mit, Gates sei für den Virus verantwortlich, oder könnte sich daran bereichern. Beides ist falsch.
Die Behauptung basiert auf einer Übung, die im Oktober des vergangenen Jahres stattfand und an der unter anderem die „Bill & Melinda Gates“-Stiftung teilnahm. Sie hieß Event 201. Tatsächlich übte man dort den Ausbruch einer Pandemie. Inzwischen erschien auch auf dem Veranstaltungsportal eine Meldung, in der es um die Gerüchte geht. Man habe auf der Veranstaltung keine Prognosen für die Zukunft gemacht, heißt es dort. Und obwohl es um ein fiktives neues Coronavirus gegangen sei, hätten die Voraussetzungen in der Übung nicht denen des nCoV-2019 geähnelt, also dem aktuellen in China ausgebrochenen Coronavirus.
Tatsächlich warnt Bill Gates aber schon seit mehreren Jahren vor Pandemien, darüber berichtete etwa die FAZ im Februar 2017.