Nein, Windkraftanlagen werden nicht zwangsläufig abgerissen, nur weil die EEG-Förderung ausläuft
Eine Facebook-Seite behauptet, in Deutschland würden Windkraftanlagen abgerissen, obwohl sie alle noch funktionsfähig wären – nur weil die Förderung durch das EEG ausgelaufen sei. Ganz so einfach ist es nicht.
Die Facebook-Seite „Frieden rockt“ veröffentlichte am 22. Januar ein Bild, auf dem zu lesen ist: „Abriss alter Windräder: Tonnenweise Sondermüll“. Die Behauptungen darin beziehen sich auf einen Artikel des NDR, in dem es um den Rückbau alter Windkraftanlagen geht. Der Beitrag wurde rund 4.000 Mal auf Facebook geteilt.
Das Bild wurde zuerst von „Informiert statt Uninformiert“ auf Facebook veröffentlicht und dort mehr als 21.000 Mal geteilt. Die Seite wurde inzwischen gelöscht, wir haben den Beitrag aber archiviert.
Die zentralen Behauptungen sind:
- Wenn die Subventionen für ältere Windkraftanlagen auslaufen, seien sie nicht mehr rentabel.
- Die Windkraftanlagen seien alle noch funktionsfähig.
- Beim Abriss alter Windräder entstehe tonnenweise Sondermüll.
- Ein Abriss sei kostengünstiger als der weitere Betrieb.
Um die Behauptungen zu überprüfen, hat CORRECTIV mit dem Umweltbundesamt und dem Interessenverband Bundesverband Windenergie gesprochen. Die Aussagen auf dem Facebook-Bild sind teils richtig, teils unbelegt oder teilweise falsch.
Das Bild bezieht sich zwar auf einen NDR-Artikel, die darin genannte Zahl von 6.000 Anlagen ist jedoch laut Umweltbundesamt falsch. Zudem schreibt der NDR nicht, dass alle Anlagen noch funktionstüchtig seien. Vielmehr heißt es dort, die Gründe für den Abriss seien entweder, dass die Anlagen ihr Lebensende erreicht hätten, oder dass die EEG-Förderung auslaufe.
Umweltbundesamt: 4.500 Windkraftanlagen fallen Anfang 2021 aus der EEG-Förderung
Im Jahr 2019 gab es in Deutschland circa 29.000 Windkraftanlagen. Das schreibt eine Sprecherin des Umweltbundesamtes in einer E-Mail an CORRECTIV. Ganz sicher ließe sich das nicht sagen, da es eine gewisse Unsicherheit bei der Anzahl kleinerer Anlagen gebe. Fast alle älteren Anlagen werden mit Hilfe des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) gefördert. Seit der Gesetzesreform von 2017 trifft das nur noch auf einen Teil der neueren Windkraftanlagen zu. Pro Kilowattstunde Strom, die ins Netz eingespeist wird, haben Betreiber von Windkraftanlagen an Land im Jahr 2018 durchschnittlich 5,5 Cent erhalten (PDF, S. 98). Die EEG-Förderung wird für 20 Jahre gezahlt (EEG, Paragraph 25).
Im Schnitt waren Windkraftanlagen 2018 laut Umweltbundesamt für 17 Prozent der Stromversorgung in Deutschland verantwortlich (PDF, S. 5). Und das, obwohl es sich um einen relativ jungen Industriezweig handelt, der erst in den 1990er Jahren entstand (PDF, S. 21). In dem Text des NDR wird behauptet, dass 6.000 Windkraftanlagen vor dem Abriss ständen. Als Quelle wird eine Studie des Umweltbundesamts angegeben.
Diese Zahl kann vom Umweltbundesamt jedoch nicht nachvollzogen werden. „Zu Anfang 2021 fallen ca. 4.500 Windenergieanlagen mit einer Leistung 3.762 MW aus der Förderung“, schreibt Petra Weißhaupt in einer E-Mail an CORRECTIV.
Der Rückbau könnte sich laut Umweltbundesamt tatsächlich zum Problem entwickeln. „Das Umweltbundesamt hat mögliche Schwierigkeiten bei der Ausführung eines Rückbaus erkannt und ein Rückbaukonzept erarbeiten lassen. Dieses umfasst technische und rechtliche Empfehlungen und bietet somit eine Orientierung, wenn ein Rückbau bevorsteht“, schreibt Weißhaupt.
Erste Behauptung: Wenn die Subventionen für ältere Windkraftanlagen auslaufen, seien sie nicht mehr rentabel.
„Ein Weiterbetrieb der Anlagen ist auch ohne EEG-Förderung möglich, wenn die erzielbaren Gewinne durch die direkte Vermarktung am Strommarkt die notwendigen Betriebskosten übersteigen“, schreibt uns Petra Weißhaupt. Wie viele Windkraftanlagen weiter betrieben werden, sei allerdings aktuell schwer abschätzbar. Das Umweltbundesamt befürworte den Weiterbetrieb, da sich so ökologisch verantwortungsvoll Strom erzeugen lasse und man unnötige Abfälle vermeide.
Christoph Zipf vom Interessenverband Bundesverband Windenergie schätzt die Lage etwas anders ein. Es sei fraglich, ob die Betriebskosten durch die Preise, die an der Strombörse erzielt werden können, zu tragen seien. Dafür müsste mindestens ein Preis zwischen 3,5 und 6 Cent pro Kilowattstunde erzielt werden. Der Kurs liege momentan aber bei knapp unter 3,5 Cent pro Kilowattstunde. „Potenziell besteht also die Gefahr, dass zum 1. Januar 2021 4.200 Anlagen zurückgebaut werden. Es ist aber denkbar, dass ein großer Teil dieser Anlagen zumindest bis zur ersten größeren Reparatur weiterbetrieben werden.“
Fazit: Die Behauptung ist unbelegt. Subventionen nach dem EEG laufen zum 31. Dezember 2020 für etwa 4.200 Windkraftanlagen aus. Ob sie dann noch rentabel sind, richtet sich nach dem für die Betreiber zu erzielenden Strompreis.
Zweite Behauptung: Die Anlagen seien alle noch funktionsfähig
„Das muss man im Einzelfall sehen“, schreibt Zipf. „Aus technischer Sicht sind die Anlagen durchaus für mehr als 20 Betriebsjahre ausgelegt. Es ist im Normalfall möglich, 30-35 Jahre zu betreiben.“ Es komme aber darauf an, ob die Windkraftanlagen regelmäßig gewartet werden. Nach 20 Jahren könnten durchaus schon Verschleißeffekte auftreten.
Petra Weißhaupt erklärt darüber hinaus: „Selbstverständlich gibt es in Deutschland defekte Windenergieanlagen. Für gewöhnlich nehmen Betreiber in einem solchen Fall Reparaturen vor und stellen die Funktionstüchtigkeit wieder her.“
Fazit: Es lässt sich nicht belegen, ob die Anlagen „alle noch funktionsfähig“ sind.
Dritte Behauptung: Beim Abriss alter Windräder entstehe „tonnenweise Sondermüll“
„Selbstverständlich entstehen Abfälle, nämlich das Material und die Betriebsmittel, aus welchen die Anlage besteht“, schreibt das Umweltbundesamt per Mail an CORRECTIV.
Christoph Zipf vom Bundesverband Windenergie erklärt ebenfalls per E-Mail: „Es bestehen gerade für das Fundament, den Stahlturm und die Betonelemente etablierte Recyclingkreisläufe. Hier gibt es nichts zu befürchten. Der problematischste Teil sind die Rotorblätter, da sie extrem widerstandsfähig gebaut werden müssen, um 20 Jahre im Wind drehen zu können. Die genutzten Harze und Faserverbindungen sind entsprechend schwer voneinander zu trennen und zu recyceln.“
Diese sogenannten CFK-Abfälle (Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff) müssten nach heutigem Stand mit einem speziellen Verfahren verwertet werden. „Aufgrund der Größe und Beschaffenheit der Rotorblätter kann man durchaus schnell von ‘tonnenweise’ Müll sprechen.“ Je nach Modell liegt der Anteil des problematischen Kunststoffes in den Rotorblättern laut Umweltbundesamt bis zu 20 Prozent (PDF, S. 107). Die Datengrundlage für diese Schätzung sei aber schlecht.
Das Umweltbundesamt weist zudem darauf hin, dass es bislang nur ein Aufbereitungswerk in der Nähe von Bremen gebe, bei dem die Kapazitäten „auch vorerst ausreichend hoch“ seien. „Das Umweltbundesamt hat die Schwierigkeit der Rotorblattaufbereitung erkannt und wird sich der Fragestellung in einem weiteren Forschungsvorhaben widmen.“
Fazit: Die Behauptung ist größtenteils richtig. Durch den Rückbau von Windkraftanlagen entsteht tatsächlich „tonnenweise“ Müll. Allerdings handelt es sich nur bei einem Teil davon um Sondermüll, der mit Hilfe eines speziellen Verfahrens entsorgt werden muss.
Vierte Behauptung: Ein Abriss sei kostengünstiger als der weitere Betrieb
„Der Rückbau einer Anlage ist nicht kostengünstiger als der weitere Betrieb“, schreibt Petra Weißhaupt. Mit dem Rückbau seien gewissen Kosten verbunden, und diese Kosten würden, dem Zeitpunkt des Rückbaus entsprechend, früher oder später unweigerlich auftreten. Die Kosten für den Abriss einer Windkraftanlage richten sich je nach Modell (PDF, ab S. 140). Dafür legen die Betreiber Geld zurück – sogenannte Rückstellungen. Damit solle am Ende der Lebensdauer der Windkraftanlagen der Abriss bezahlt werden, schreibt Weißhaupt.
Die Betriebskosten seien hingegen vergleichsweise gering. „Die Anlagen produzieren Strom und sind eine sichere Einnahmequelle für die Betreiber.“ Weißhaupt schreibt weiter, dass eine möglichst lange Betriebsdauer kosteneffizient sei. Allerdings sei es ähnlich wie bei Fahrzeugen und anderen Gebrauchsgegenständen – gegen Ende der Lebensdauer würden auch Windkraftanlagen zu mehr Defekten neigen und Reparaturen erforderlich machen. „Dann sollte ein Rückbau erfolgen, denn langfristig außer Betrieb genommene Anlagen sollten nicht in der Umwelt verbleiben.“
Dass eine möglichst lange Betriebsdauer effizient sei, gelte aber nur, so lange die Windkraftanlage noch Gewinne erwirtschaftet, schreibt Christoph Zipf. „Kein Betreiber wird die Anlagen weiterlaufen lassen, wenn er damit monatlich Verlust einfährt.“
Fazit: Die Behauptung ist teilweise falsch. Die Kosten für den Abriss sind je nach Modell unterschiedlich hoch, die Betreiber sorgen aber während der Betriebszeit dafür vor und bilden Rückstellungen. Der Weiterbetrieb ist zunächst laut Umweltbundesamt immer günstiger, aber nur, solange die Betreiber damit weiter Geld verdienen und die Anlagen nicht kaputtgehen.