Faktencheck

Nein, das RKI verstößt mit seiner Zählweise von Fällen aufgrund von PCR-Tests nicht gegen das Infektionsschutzgesetz

Mit einem PCR-Test kann das Virus SARS-CoV-2 nachgewiesen werden. Der Test sagt nicht zwingend aus, dass ein Mensch ansteckend ist. Auf mehreren Internetseiten wird nun behauptet, der Test weise keine Infektionen nach und die Corona-Maßnahmen der Regierung seien deswegen rechtswidrig. Begründet wird dies mit dem Infektionsschutzgesetz, das jedoch falsch interpretiert wird.

von Sarah Thust

Infektionsschutzzentrum PCR-Test
Die Durchführung eines PCR-Tests in einem Infektionsschutzzentrum in Köln. In Sozialen Netzwerken wird fälschlicherweise behauptet, dass PCR-Tests das Virus SARS-CoV-2 nicht im Sinne des Infektionsschutzgesetzes nachweisen würden. (Quelle: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)
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Größtenteils falsch. PCR-Tests weisen zwar keine Infektiosität nach, aber Infektionen. Laut einer Rechtsexpertin besteht in der Fall-Zählweise des RKI kein Widerspruch zum Infektionsschutzgesetz.

In mehreren Blogs und Beiträgen auf Facebook wird Stimmung gegen die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus in Deutschland gemacht. Sie seien „rechtswidrig“ und würden „auf Betrug beruhen“. Das Argument: Bei der Mehrzahl der laborbestätigten Fälle handele es sich gar nicht um Infektionen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). PCR-Tests könnten Infektionen angeblich gar nicht nachweisen. Die Corona-Maßnahmen auf Grundlage des Gesetzes seien demzufolge unzulässig. Das RKI fälsche vorsätzlich Statistiken und verstoße mit seiner Zählweise der Fälle gegen das Infektionsschutzgesetz.

Laut dem Analysetool Crowdtangle sowie den Angaben bei Facebook wurden die Beiträge zusammengefasst mehr als 6.000 Mal auf Facebook geteilt.

Unsere Recherchen ergaben: Die Behauptungen sind größtenteils falsch. PCR-Tests weisen zwar nicht nach, ob jemand ansteckend ist, doch sie zeigen, ob eine Infektion vorliegt. Die Zählweise des RKI verstößt nicht gegen das Infektionsschutzgesetz. PCR-Tests sind zudem nicht die „einzige Grundlage für die Pandemie“ oder die Corona-Maßnahmen. Hier wird wichtiger Kontext ausgelassen.

In mehreren Beiträgen wird behauptet, dass es keine rechtliche Grundlage für die Corona-Maßnahmen gebe, weil der PCR-Test angeblich keine Infektionen nachweise.
In mehreren Beiträgen wird behauptet, dass es keine rechtliche Grundlage für die Corona-Maßnahmen gebe, weil der PCR-Test angeblich keine Infektionen nachweise. (Quelle: Facebook / Screenshot und Collage: CORRECTIV)

Mehrere Internetseiten verbreiten falsche Behauptungen zu PCR-Tests und dem Infektionsschutzgesetz

Auf den Webseiten Anonymous News und Ein Reich wurde am 17. und 18. September ein identischer Text, angeblich von dem Berliner Rechtsanwalt und Steuerberater Ansgar Neuhof, veröffentlicht. Laut einer Mitteilung der anwaltlichen Vertretung von Neuhof an CORRECTIV haben die Webseiten den „Text ohne Einverständnis oder auch nur vorherige Information unseres Mandanten, und damit rechtswidrig, publiziert“.

Neuhof schreibt unter anderem für rechtsgerichtete Blogs wie Tichys Einblick und die Achse des Guten.

Hauptsächlich stellt er in seinem Text zwei Behauptungen auf, die aufeinander aufbauen: Durch PCR-Tests könne nicht festgestellt werden, ob ein Virus „vermehrungsfähig“ sei. Daraus wird geschlussfolgert, dass ein laborbestätigter Corona-Fall keine „Infektion“ im Sinne des Infektionsschutzgesetzes sei. Damit wird dann begründet, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie rechtswidrig seien.

Auf einer ähnlichen Argumentation baut ein Facebook-Beitrag vom 18. September auf, der ein Zitat des Anwalts Reiner Fuellmich zeigen soll („Der PCR-Test ist die einzige Grundlage für diese Pandemie. Dieser Test darf und kann jedoch eine Infektion nicht feststellen […]“). Der Anwalt wirbt auf seinem Youtube-Kanal zwar für eine angeblich geplante Sammelklage in den USA gegen „die Hersteller und Verkäufer“ von PCR-Tests. Ob die Aussage aus dem Facebook-Beitrag aber tatsächlich von ihm stammt, konnten wir nicht verifizieren.

Wir haben einen Virologen, einen Anwalt und eine Juniorprofessorin für Öffentliches Recht zu den Behauptungen befragt. Sie sehen keine Belege für die Argumentation, dass die Corona-Maßnahmen insgesamt unzulässig sein sollen.

Behauptung 1: Durch PCR-Tests werde nicht festgestellt, ob ein Virus „vermehrungsfähig“ sei, daher weisen sie keine Infektionen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes nach

In den Artikeln wird behauptet, der PCR-Test weise nicht nach, ob ein Virus „vermehrungsfähig“ sei, deshalb weise er keine Infektion im Sinne des Infektionsschutzgesetzes nach. Ersteres ist richtig, letztere Schlussfolgerung ist falsch. 

PCR steht für Polymerase-Ketten-Reaktion. Mit diesem Verfahren werden im Labor ganz bestimmte Sequenzen des Erbguts (RNA) von SARS-CoV-2 vervielfältigt, um sie nachweisen zu können. Die Proben dafür werden mit einem Abstrich (meist durch die Nase im Rachen eines Menschen) entnommen und untersucht. 

CORRECTIV hat bereits darüber berichtet, dass ein PCR-Testergebnis der Nachweis einer Infektion ist – es bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Person zum Zeitpunkt des Tests ansteckend oder krank ist. Es kann sein, dass jemand erst später infektiös wird, oder das Virus zum Zeitpunkt des Tests bereits nicht mehr vermehrungsfähig ist.

Virologe bestätigt, dass PCR-Tests Infektionen mit SARS-CoV-2 zuverlässig nachweisen 

Dass PCR-Tests Infektionen nachweisen, bestätigte uns auch der Virologe Friedemann Weber, Direktor am Institut für Virologie der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Er schrieb uns am 29. September, dass ein solcher Test das Erbgut des Erregers zum Zeitpunkt der Probenentnahme nachweise. „Dies wiederum kann sehr wohl als Nachweis der erfolgten Infektion gelten. Wo soll [das Virus] auch sonst herkommen?“

Wie definiert das IfSG eine Infektion?

Im IfSG (Infektionsschutzgesetz) ist eine Infektion definiert als „die Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus“. Ein Krankheitserreger ist wiederum definiert als „ein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) oder ein sonstiges biologisches transmissibles Agens, das bei Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheit verursachen kann“.

Daraus wird in den Blog-Texten geschlossen, dass Labornachweise nur dann Covid-19-Infektionsfälle im Sinne des Infektionsschutzgesetzes seien, wenn „vermehrungsfähiges“ Virusmaterial vorhanden sei. 

Virologe Weber: „Ein Test auf echte Infektiosität ist viel zu aufwändig“

Weber entgegnet: „Das ist nicht wahr. Wenn die PCR anschlägt, dann hat sich der Erreger vermehrt. Ob er das im Moment der Probenentnahme noch tut, ist irrelevant. Ein Test auf echte Infektiosität ist viel zu aufwändig und nicht sehr sensitiv und für Massentestungen auch nicht notwendig.“ 

Es stimme, dass ein PCR-Test keine Infektiosität nachweise. „Darum geht es aber gar nicht, sondern um die zuvor erfolgte Infektion des Probanden.“ Wer positiv getestet werde, sei mit ausreichender Wahrscheinlichkeit aber auch infektiös, oder werde es noch.

Der PCR-Test weise genau das nach, was im Infektionsschutzgesetz als Infektion definiert sei, sagt Weber. „Die RT-PCR [Anm. d. Red.: Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion] ist eigentlich nur positiv, wenn sich der Erreger auch tatsächlich vermehrt oder vermehrt hat. PCR ist der Goldstandard zum Nachweis einer erfolgten produktiven Infektion.“ Als „Goldstandard“ hatte auch die Virologin Sandra Ciesek den PCR-Test in einem NDR-Podcast bezeichnet. 

E-Mail von Virologe Friedemann Weber von der Justus-Liebig-Universität in Gießen.
E-Mail von Virologe Friedemann Weber von der Justus-Liebig-Universität in Gießen. (Quelle: E-Mail / Screenshot: CORRECTIV)

Behauptung 2: Die Zählweise des RKI entspreche nicht dem Infektionsschutzgesetz und es setze Fälle mit Erkrankungen gleich

CORRECTIV hat außerdem die Behauptung von Anwalt Ansgar Neuhof überprüft, dass die Zählweise des RKI nicht dem Infektionsschutzgesetz entspreche und dass das Institut alle SARS-CoV2-positiven Testergebnisse mit Infektionen und Erkrankungen gleichsetze. Beides stimmt nicht. 

Wir haben dazu bei Anika Klafki, Juniorprofessorin für Öffentliches Recht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, nachgefragt. Sie beschäftigt sich mit dem rechtlichen Umgang mit Pandemien und hat auf unsere Nachfrage hin die wichtigen Punkte im IfSG zusammengefasst. Zweck des Gesetzes ist es unter anderem, Infektionen frühzeitig zu erkennen und die Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten zu verhindern (Seite 4).

Die E-Mail von Rechtsexpertin Anika Klafki an CORRECTIV.
Die E-Mail von Rechtsexpertin Anika Klafki an CORRECTIV. (Quelle: E-Mail / Screenshot: CORRECTIV)

Welche Krankheiten bei Krankheitsverdacht, Erkrankung oder Tod und welche Nachweise von Krankheitserregern meldepflichtig sind, regelt das IfSG. Klafki erklärte uns, wie das IfSG in Paragraf 6 und 7 die Meldepflichten bestimme: Es reiche „hier der direkte oder indirekte Nachweis von Krankheitserregern. Es bedarf keines Nachweises einer akuten Erkrankung“. Laut Paragraf 6 gelte das Infektionsschutzgesetz auch für neuartige, bedrohliche übertragbare Krankheiten für die es noch gar keine Testverfahren gibt. Die Zählweise des RKI sei folglich nicht falsch, so Klafki.

Das RKI macht zudem transparent, dass es sich bei den Fallzahlen nicht nur um Erkrankungen handelt. Auf der Webseite schreibt die Behörde, dass in den Fallzahlen, die den Gesundheitsämtern gemeldet werden, „Covid-19-Verdachtsfälle und -Erkrankungen sowie Nachweise von SARS-CoV-2“ gemäß Infektionsschutzgesetz zusammengefasst werden.

Covid-19: Die WHO und das RKI zählen laborbestätigte Infektionen – ob mit oder ohne Symptome 

Infektionen sind nicht mit schweren Erkrankungen gleichzusetzen, da laut RKI etwa 81 Prozent der diagnostizierten Personen einen milden Krankheitsverlauf zeigen. Nur 14 Prozent würden laut Schätzungen einen schwereren, rund fünf Prozent einen kritischen Krankheitsverlauf zeigen. Das Bundesgesundheitsministerium weist jedoch darauf hin, dass auch „Personen, die infiziert sind, aber keine Krankheitssymptome aufweisen“, andere anstecken könnten.

Es stimmt auch nicht, wie in dem Text von Ansgar Neuhof behauptet, dass sich die Definitionen der Fälle bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem RKI unterscheiden. Neuhof schreibt, die WHO fordere den Nachweis einer Infektion, das RKI dagegen nur den Nachweis des Virus. 

Die WHO definiert einen Covid-19-Fall jedoch als „eine laborbestätigte Covid-19-Infektion, unabhängig von klinischen Anzeichen oder Symptomen“ (Seite 2). Damit übereinstimmend schreibt das RKI: „In Einklang mit den internationalen Standards der WHO wertet das RKI alle labordiagnostischen Nachweise von SARS-CoV-2 unabhängig vom Vorhandensein oder der Ausprägung der klinischen Symptomatik als Covid-19-Fälle. In den folgenden Darstellungen sind unter ‘Covid-19-Fälle’ somit sowohl akute SARS-CoV-2-Infektionen als auch Covid-19-Erkrankungen zusammengefasst.“

Behauptung 3: Der PCR-Test sei die einzige Grundlage für die Pandemie oder die Corona-Maßnahmen

Diese Behauptung, die in dem Beitrag auf Facebook aufgestellt wurde, ist irreführend. Der Deutsche Bundestag hat am 25. März einen Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD angenommen. Der Beschluss des Bundestags lautete: „Der Deutsche Bundestag stellt mit Inkrafttreten des § 5 Absatz 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz aufgrund der derzeitigen Ausbreitung des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) in Deutschland eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest“ (Seite 4).

Martin Stellpflug, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein erklärte uns: Im IfSG sei festgelegt, dass ein solcher Gesetzesbeschluss die Voraussetzung für weitreichende Befugnisse des Gesundheitsministeriums sei. So könne das Ministerium dadurch Einreisende verpflichten, sich ärztlich untersuchen zu lassen oder Auskunft über ihre Kontaktdaten zu geben (Gesetzentwurf, Seite 6). 

„Ein PCR-Test oder seine Aussagekraft bilden keinerlei Grundlage für diesen Beschluss“, schrieb uns Stellpflug. 

E-Mail von Martin Stellpflug, Fachanwalt für Medizinrecht.
E-Mail von Martin Stellpflug, Fachanwalt für Medizinrecht. (Quelle: E-Mail / Screenshot: CORRECTIV)

Im Gesetzentwurf der CDU und SPD und auch in der Ausarbeitung des Bundestags ist zu lesen, dass die Maßnahmen nicht mit PCR-Tests begründet wurden. Von Tests ist dort gar nicht die Rede. Das Ausbruchsgeschehen von Covid-19 zeige, „dass im seuchenrechtlichen Notfall das Funktionieren des Gemeinwesens erheblich gefährdet sein kann“. Die sich grenzüberschreitend ausbreitende Krankheit könne eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit werden, der nur begrenzt auf Landesebene begegnet werden könne (Seite 1). 

Update, 13. Oktober: Wir haben den Text um eine Aussage der anwaltlichen Vertretung vom Autor des Textes ergänzt.

Redigatur: Alice Echtermann, Uschi Jonas