Faktencheck

Vergleich von Todesfällen durch Covid-19 mit Krankenhauskeimen oder Behandlungsfehlern ist irreführend

Angeblich würden im Schnitt mehr Menschen durch Krankenhauskeime, „Ärztepfusch“ und Nebenwirkungen von Medikamenten sterben als durch Covid-19. Die Zahlen, die das belegen sollen, lassen sich jedoch nicht sinnvoll vergleichen.

von Steffen Kutzner

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Der auf Facebook verbreitete Beitrag. (Quelle: Facebook / Screenshot: CORRECTIV)
Behauptung
Im Schnitt würden pro Tag mehr Menschen durch Fehlbehandlungen, Krankenhauskeime und Medikamentennebenwirkungen sterben als an Covid-19.
Bewertung
Unbelegt. Der Vergleich ist nicht sinnvoll. Es ist zudem nicht klar, wie viele Menschen pro Tag wegen Fehlbehandlungen, Krankenhauskeimen und Medikamentennebenwirkungen sterben, da keine verlässlichen Statistiken existieren.

Die Corona-Pandemie sei nicht gefährlich, da pro Tag nur 10 bis 20 Menschen daran sterben würden. Im Gegensatz dazu würden aber 52 Menschen durch „Ärztepfusch“, 54 durch Krankenhauskeime und 158 an den Nebenwirkungen von Medikamenten sterben. Das ist die Argumentation eines Beitrags auf Facebook, der mehr als 1.000 Mal geteilt wurde. 

Der auf Facebook veröffentlichte Beitrag. (Quelle: Facebook, Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV)

Die Zahlen zu Covid-19 waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beitrags richtig, der Rest ist unbelegt. Der Vergleich ist außerdem nicht sinnvoll – die Todesursachen haben keinen Bezug zueinander und es gibt keine Statistiken zu Behandlungsfehlern oder Nebenwirkungen von Medikamenten.

Anfang Oktober starben pro Tag zwischen 10 und 20 Menschen an Covid-19 – inzwischen sind die Zahlen stark gestiegen

Der Beitrag wurde am 9. Oktober 2020 auf Facebook veröffentlicht. An diesem Tag meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem täglichen Situationsbericht elf Todesfälle durch SARS-CoV-2. Laut einer Tabelle des RKI, die man hier herunterladen kann, starben in Kalenderwoche 41 (vom 5. bis 11. Oktober) 111 Personen an Covid-19. Das entspricht im Schnitt 15,86 pro Tag. 

Die Angabe von 10 bis 20 Todesfällen pro Tag war Anfang Oktober also korrekt. Die Zahlen sind seither jedoch stark gestiegen: Im Situationsbericht vom 24. November weist das RKI einen Anstieg von 249 Todesfällen gegenüber dem Vortag aus. Am 25. November berichteten Medien zudem über einen neuen Höchstwert von 410 Todesfällen, die binnen 24 Stunden gemeldet wurden.

Dabei handelt es sich um gemeldete Todesfälle. Wie hoch die Zahl der unentdeckten Todesfälle durch Covid-19 ist, ist unklar, da auch nicht feststeht, wie viele Menschen insgesamt infiziert sind. Wie wir bereits in einem Faktencheck berichtet haben, lassen sich pauschale Aussagen, wie viel Prozent der Infizierten an Covid-19 sterben, bisher nicht treffen.

Wie viele Menschen sterben durch Behandlungsfehler?

In dem Facebook-Beitrag wird zudem behauptet, dass 52 Menschen pro Tag durch Behandlungsfehler sterben würden. Das entspricht 18.980 Menschen pro Jahr. Diese Zahl basiert aber – im Gegensatz zu den Covid-19-Todesfällen – auf einer groben Schätzung zu vermeidbaren Todesfällen in Krankenhäusern. Sie stammt offenbar aus dem Jahr 2018 und wurde im „Weißbuch Patientensicherheit veröffentlicht. 

Das Gesundheitsministerium definiert einen „Behandlungsfehler“ so: „Allgemein lässt sich sagen, dass ein Behandlungsfehler dann vorliegt, wenn die medizinische Maßnahme nicht dem allgemein anerkannten Standard entspricht.“ Jedoch sei es „sehr schwierig“, festzustellen, ob ein Behandlungsfehler vorliege oder der Patient an der ursächlichen Krankheit gestorben sei.

Es gibt keine Bundesstatistik für Behandlungsfehler. Das Gesundheitsministerium verweist für Informationen zu dem Thema auf zwei Stellen: den Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) und die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärzteschaft, die Teil der Ärztekammern sind. Wir haben beide Stellen angefragt, ob wirklich knapp 19.000 Menschen pro Jahr durch Behandlungsfehler sterben. 

Daten werden nicht einheitlich erhoben

Michaela Gehms, Pressesprecherin des MDS, schrieb uns: „Diese Zahl stimmt mit wissenschaftlichen Untersuchungen und damit verbundenen Schätzungen weitgehend überein.“ Gehms verweist auf das 2018 erschienene „Weißbuch Patientensicherheit“. „Allein in der Krankenhausversorgung“ gebe es jedes Jahr 20.000 „vermeidbare Todesfälle“, heißt es dort auf Seite 309.

Die Bundesärztekammer verzeichnete dagegen nur 87 Todesfälle durch Fehlbehandlungen im Jahr 2019, erklärt uns ein Pressesprecher via E-Mail. Die Diskrepanz erklärt sich zum Teil dadurch, dass die Bundesärztekammer nur Fälle registriert, in denen sich Patienten mit dem Vorwurf der Fehlbehandlung juristische Hilfe suchen. Im Jahr 2019 waren das laut Statistik der Gutachterkommission 6.412 Fälle. In 1.568 Fällen davon wurde ein Schaden durch einen Behandlungsfehler festgestellt.

Auszug aus der E-Mail des Pressesprechers der Bundesärztekammer. (Screenshot vom 18. November 2020: CORRECTIV)

Wie viele Menschen sterben durch Nebenwirkungen von Medikamenten?

Für die im Facebook-Beitrag aufgestellte Behauptung, täglich würden 158 Menschen durch Nebenwirkungen von Arzneimitteln sterben, wird als Quelle „Prof. Fröhlich [sic], ehem. Leiter Pharmakologie der MHH Hannover“ angegeben. Wann und wo er das gesagt haben soll, wird jedoch nicht erwähnt. 

In einem Medienbericht aus dem Jahr 2003 wird auf die Äußerung von Frölich eingegangen. Damals hatte er von 58.000 Toten pro Jahr gesprochen, was pro Tag zu der Zahl führen würde, die in dem Facebook-Beitrag angegeben ist. Frölichs Zahlen wurden jedoch schon damals infrage gestellt: „Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Frank Ulrich Montgomery, kritisierte, die Zahlen sind nicht seriös und dienen nur dazu, Patienten zu verängstigen‘. Auch die niedersächsische Ärztekammer und das Institut für Klinische Pharmakologie in Bremen hielten die Zahl für zu hoch“, heißt es in dem Beitrag des Handelsblatts.

Wie viele Menschen durch Nebenwirkungen von Medikamenten sterben, haben wir auch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) gefragt, das für die Sicherheit von Impfstoffen und bestimmten Arzneimitteln zuständig ist. Es gibt zwei verschiedene Arten von Medikamenten, erklärt uns Susanne Stöcker, Pressesprecherin des PEI per E-Mail: Einerseits biomedizinische, deren Nebenwirkungen man beim PEI melden kann. Dazu gehören beispielsweise Impfstoffe, Produkte aus Blut oder Allergenpräparate. Andererseits gibt es pharmazeutische Medikamente, die entweder pflanzlich sind oder chemisch oder synthetisch hergestellt werden und beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt sind. 

Es gibt keine Statistik zu Nebenwirkungen von Medikamenten

Das PEI sammelt die Verdachtsfälle für Nebenwirkungen, erhebt aber keine Statistik dazu, wie viele dieser Verdachtsfälle im Todesfall tatsächlich ursächlich auf das Medikament zurückzuführen sind. Susanne Stöcker schrieb uns per E-Mail, das liege daran, dass der Sinn der Verdachtsfallmeldungen ein anderer sei: „Was wir aus den Meldungen und Bewertungen identifizieren wollen, sind mögliche Risikosignale – Reaktionen, die auf eine besonders seltene Nebenwirkung hinweisen oder eine Reaktion, die häufiger auftritt, als sie rein statistisch in einer bestimmten Personengruppe ohnehin zu erwarten wäre.“

Stöcker wies zudem darauf hin, „dass es in vielen Fällen ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen einer Medikamentengabe mit einer schwerwiegenden Reaktion bis hin zum Tod einer Person gibt. In vielen Fällen sterben Menschen an ihrer Vorerkrankung – trotz, nicht wegen der Medikamente, die sie nehmen“.

Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat keine konkreten Zahlen zu tödlichen Medikamentennebenwirkungen vorliegen, heißt es auf einer Informationsseite des Instituts unter dem Punkt „Rückschlüsse aus den Meldungen“. Das hat zwei Gründe: „Zum einen handelt es sich bei den Meldungen um Verdachtsfälle. Der direkte Zusammenhang zwischen der Behandlung mit einem Arzneimittel und dem Auftreten einer unerwünschten Wirkung ist also im Einzelfall nicht sicher belegt. Zum anderen werden dem BfArM nicht alle Nebenwirkungen gemeldet.“

Wie viele Menschen sterben durch Krankenhauskeime?

In dem Facebook-Beitrag heißt es auch, dass 54 Menschen pro Tag durch Krankenhauskeime sterben würden. Das entspräche 19.710 Menschen pro Jahr. Doch auch hierzu gibt es nur Schätzungen, keine Todesfallzahlen wie bei Covid-19.

„Als nosokomiale oder Krankenhausinfektion bezeichnet man Infektionen, die sich Patienten während ihres Aufenthalts in einem Krankenhaus oder bei einer ambulant durchgeführten medizinischen Be­handlung zuziehen“, heißt es auf der Seite des RKI. 10.000 bis 20.000 Todesfälle gebe es jährlich durch Krankenhausinfektionen, heißt es auf der Seite weiter. 

19.710 Tote pro Jahr, von denen der Facebook-Beitrag ausgeht, wäre also eine Angabe, die sich innerhalb dieses Rahmens bewegt. Doch das RKI betont auch, diese Zahl zu berechnen sei eine Herausforderung: „Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass viele der Betroffenen an schweren Grundkrankheiten leiden, die bereits ohne Krankenhausinfektion häufig zum Tod führen.“

Krankenhauskeime lassen sich jedoch im Gegensatz zu Covid-19 oft durch Antibiotika behandeln, weil es sich um verschiedene Bakterien handelt, nicht um Viren. Eine 2016 erschienene Studie des Nationalen Referenzzentrums für Surveillance von nosokomialen Infektionen, die 49 deutsche Krankenhäuser umfasste, kam zu dem Ergebnis, dass bei 2,5 Prozent der Krankenhauspatienten in Deutschland eine nosokomiale Infektion, also ein Krankenhauskeim, nachgewiesen wurde (Seite 2 im Dokument).

Fazit

Ein direkter Vergleich von Covid-19-Todesfällen mit Menschen, die wegen Behandlungsfehlern, Krankenhauskeimen und Nebenwirkungen von Medikamenten sterben, ist nicht sinnvoll. Denn letztere werden lediglich statistisch geschätzt, während es sich bei den Covid-19-Todesfällen um sogenannte laborbestätigte Fälle handelt, die tatsächlich zählbar sind. 

Zudem haben die verschiedenen Todesursachen keinen Bezug zueinander. Covid-19 ist eine übertragbare Krankheit durch ein Virus, mit Krankenhauskeimen sind Bakterien gemeint, und Nebenwirkungen von Medikamenten oder Behandlungsfehler sind nicht ansteckend. 

Redigaturen: Sarah Thust, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck: 

  • Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts vom 9. Oktober 2020 (Link)
  • Weißbuch Patientensicherheit aus dem Jahr 2018 (Link)
  • Statistik der Gutachterkommission der Ärzteschaft zu Fehlbehandlungen für das Jahr 2019 (Link)
  • Informationsseite des Robert-Koch-Instituts zu Krankenhauskeimen (Link)
  • Studie des Nationalen Referenzzentrums für Surveillance von nosokomialen Infektionen für das Jahr 2016 (Link)