Faktencheck

Zytokinsturm nach Covid-Impfungen? Aussagen von Dolores Cahill im Faktencheck

Im Netz kursiert die Behauptung, dass Impfungen gegen SARS-CoV-2 eine tödliche Immunreaktion auslösen könnten. Forschende halten die Behauptung für unbelegt.

von Matthias Bau

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Das Bild zeigt die Kronenzacken (Spikes) des COVID-19-Virus. Links die britische, in der Mitte die brasilianische und rechts die südafrikanische Variante. (Quelle: Picture Alliance / Maximilian Schönherr)
Behauptung
Impfungen gegen Covid-19 würden zu einem Zytokinsturm und Organversagen führen.
Bewertung
Unbelegt. Es gibt derzeit keine Belege dafür, dass Covid-19-Impfungen solche Reaktionen hervorrufen.

Auf Facebook (hier und hier), Whatsapp und verschiedenen Webseiten (hier und hier) kursiert die Behauptung: Impfungen gegen Covid-19 führten angeblich zu einer tödlichen Immunreaktion, einem sogenannten Zytokinsturm. 

Die Aussage wird der irischen Wissenschaftlerin Dolores Cahill zugeschrieben. Die Seite Corona Transition beispielsweise verweist auf ein 12-minütiges Video, in dem Cahill die These „anhand einer Tierstudie“ erklärt. In dem Video spricht Cahill über die Studie „Immunization with SARS Coronavirus Vaccines Leads to Pulmonary Immunopathology on Challenge with the SARS Virus“ und darüber, dass sie glaube, dass Menschen bei einer Reinfektion mit SARS-CoV-2 einen „septischen Schock und Organversagen“ erleiden würden. Das führt sie auf einen sogenannten „Zytokinsturm“ zurück. 

Forschende, denen CORRECTIV.Faktencheck diese Behauptung vorgelegt hat, halten die Aussagen für unbegründet beziehungsweise hypothetisch.

Dolores Cahill ist laut der Webseite des University College Dublin Medizinerin und Expertin für die Entwicklung von Proteomic-Technologie. Das College hat sich laut eines Berichts der Irish Times jedoch bereits 2020 von ihren Aussagen zum Coronavirus distanziert. Cahill kandidierte zudem 2020 für die europakritische Rechtsaußen-Partei „Irish Freedom Party“ und trat in einem Video-Interview der „Stiftung Corona Ausschuss“ mit dem Rechtsanwalt Reiner Fuellmich auf (ab Minute 35:41). Fuellmich verbreitet immer wieder irreführende Behauptungen zur Corona-Pandemie.

Was ist ein Zytokinsturm?

Ein Zytokinsturm ist eine Überreaktion des menschlichen Immunsystems, die so schwer ist, dass sie lebensbedrohlich werden kann. Eine Infektion mit dem Coronavirus, also Covid-19, kann diese Reaktion laut wissenschaftlichen Studien hervorrufen. 

Günther Schönrich, stellvertretender Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, weist in einer E-Mail an CORRECTIV.Faktencheck darauf hin, dass der Begriff Zytokinsturm „nicht sehr scharf definiert“ sei. Eine „einheitliche und allgemeingültige Definition“ gebe es nicht. In der Regel sei mit dem Begriff eine „lebensbedrohliche akut auftretende Entzündungsreaktion“ gemeint, die sich im ganzen Körper abspiele und mehrere Organe erfassen könne. 

Anne Dudeck, Leiterin der Arbeitsgruppe „Immunregulation“ an der Universität Magdeburg, beschreibt das Phänomen uns gegenüber ähnlich wie Schönrich: „Unter einem Zytokinsturm versteht man eine übermäßige und potentiell lebensgefährliche Ausschüttung von Zytokinen ins Blut“, sagt sie. Zytokine, erklärt Dudeck weiter, seien kleine lösliche Proteine des Immunsystems, „die der Kommunikation der Immunzellen nicht nur lokal in einem Gewebe, sondern systemisch im gesamten Körper“ dienten. So könnten weitere Immunzellen an „den Ort einer Infektion oder Verletzung ‚gelockt’“ werden.

Bei einem Zytokinsturm seien die Werte des Zytokins im Blutspiegel stark erhöht, sagt Virologe Schönrich. Das sei deswegen auffällig, weil Zytokine „normalerweise nur sehr dosiert und kontrolliert von Immunzellen im Rahmen einer Immunreaktion abgegeben“ würden. 

Laut den Forschenden kann ein solcher Zytokinsturm verschiedene Ursachen haben. Virologe Schönrich nennt als einen möglichen Auslöser Erreger wie die Vogelgrippeviren oder Coronaviren (also zum Beispiel das MERS-Virus oder SAR-CoV-2). Aber auch Stammzelltherapien könnten einen Zytokinsturm auslösen. Immunologin Dudeck nennt außerdem Krebs- oder Autoimmunerkrankungen und sogenannte Antikörper-abhängige Verstärkungen einer Virusinfektion (ADE) als weitere Auslöser (dazu unten mehr). Ein Zytokinsturm kann also unabhängig von einer Impfung auftreten.

Kann eine Impfung gegen Covid-19 einen Zytokinsturm auslösen?

Doch kann auch eine Covid-19-Impfung einen solchen Zytokinsturm auslösen? Laut Günther Schönrich von der Berliner Charité wurde diese Frage in der Wissenschaft von „namhaften und ernstzunehmenden Experten diskutiert“. Auch die Immunologin Anne Dudeck weist darauf hin, dass sich um diese Frage „eine rege, wissenschaftliche Debatte“ entwickelt habe. 

Für den Virologen Schönrich sind Bedenken über eine solche Wirkung der Impfung mit der Veröffentlichung von Ergebnissen aus den Phase-3-Impfstoffstudien allerdings ausgeräumt. In den Studien hätten sich „alle Impfstoffkandidaten als sehr sicher“ erwiesen. Als Beispiele nennt er die im Dezember veröffentlichten Daten aus den klinischen Studien zu den Impfstoffen von Astrazeneca und Biontech/Pfizer. Ein Zytokinsturm sei den „zuständigen Behörden“ auch nach 1,16 Milliarden Impfungen weltweit (Stand 3. Mai 2021) nicht gemeldet worden.

Immunologin sieht weiteren Forschungsbedarf

Dudeck zufolge kann man die in den Phase-1-3-Studien berichteten Nebenwirkung beim Impfstoff von Biontech/Pfizer, wie Fieber oder Schüttelfrost, durchaus als Zytokin-Freisetzungs-Syndrom beschreiben. Ob es allerdings auch schwere Verläufe dieser Syndrome gebe, entziehe sich ihrer Kenntnis. 

Impfreaktionen wie Fieber oder Schüttelfrost treten bei zahlreichen Impfungen auf. „Diese Reaktionen sind Ausdruck der erwünschten Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Impfstoff und klingen in der Regel nach wenigen Tagen komplett ab“, schreibt zum Beispiel das Robert-Koch-Institut auf einer Informationswebseite zum Thema Impfen. 

Um den Körper langfristig gegen eine Virusinfektion zu schützen sei es wichtig, dass dieser mit Hilfe von sogenannten T-Zellen und B-Zellen ein „Immungedächtnis“ auspräge, sodass er bei einer erneuten Infektion mit dem gleichen Virus schnell reagieren könne. Impfungen lösten diesen Prozess ebenso aus wie natürliche Infektionen, sagt Dudeck. „Generell können daher bei einer Impfung die gleichen Mechanismen des Immunsystems hervorgerufen werden wie bei einer realen Infektion, sowohl die protektiven wie auch die potentiell gefährlichen.“ 

Besonders an den neuen mRNA-Impfstoffen sei unter anderem, dass sie in eine sogenannte Lipidhülle eingepackt sind. Wie das Paul-Ehrlich-Institut erklärt, handelt es sich dabei um Fettkügelchen. Sowohl diese Fettkügelchen, als auch die mRNA, die in den Impfstoffen enthalten sei, sagt Dudeck, seien in der Lage, eine starke Reaktion des Immunsystems auszulösen. 

Die Bestandteile der Impfstoffe werden nach einiger Zeit vom Körper wieder komplett abgebaut. Man müsse „auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstands“ davon ausgehen, dass sich die mRNA-Impfstoffe und vermutlich auch die viralen Vektorimpfstoffe im gesamten Körper verteilen könnten und nicht lediglich an der Stelle verblieben, an der ein Mensch geimpft worden sei, sagt Dudeck. Als Belege für ihre These nennt sie verschiedene, teilweise vor Beginn der Corona-Pandemie veröffentlichte Studien (hier, hier, hier, hier und hier).

Bekannte Symptome nach einer Impfung gegen Covid-19 wie Fieber oder Muskelschmerzen seien auch Symptome, die durch Zytokine ausgelöst würden. Das zeige, dass es bei den Impfungen nicht nur zu lokalen Nebenwirkungen wie Schmerzen rund um die Einstichstelle kommen könne, sondern auch zu Reaktionen, die den gesamten Körper betreffen.

Solche Reaktionen sind kein Beleg dafür, dass das Immunsystem auf gefährliche Weise überreagieren und einen Zytokinsturm produzieren könnte. Dudeck sieht hier aber noch Forschungsbedarf. 

Eine Covid-19-Impfung führt nicht zu „multiplem Organversagen“

In den geteilten Beiträgen wird Dolores Cahill weiter die Behauptung zugeschrieben, dass der Körper nach einer Impfung gegen Covid-19 die eigenen Zellen angreife. Das liege daran, dass er das „selbst produzierte Spike-Proteine als Gefahr“ erkenne. Infolgedessen würden Geimpfte angeblich einen „septischen Schock mit multiplem Organversagen“ erleiden und sterben. In dem Video, auf das die Beiträge verweisen, äußert sich Cahill tatsächlich so.

Diese Behauptungen sind laut Günther Schönrich „vollkommen falsch“. Anne Dudeck spricht davon, dass „die verwendeten Begrifflichkeiten“ die Gefahr stark „überzeichnen“. 

Günther Schönrich erklärt, dass die mRNA-Impfstoffe nur kurzfristig vom Körper in Spike-Protein übersetzt würden. Das führe dazu, dass der Körper ein Gedächtnis gegen SARS-CoV-2 aufbaue. Greife dann doch wieder ein Virus an, seien sowohl der Impfstoff als auch das „auf seiner Basis produzierte Spike-Protein schon längst wieder verschwunden“. 

Es könne zwar durch eine Impfung zu Symptomen wie beispielsweise Schmerzen an der Einstichstelle kommen, die darauf hinweisen, dass der Körper Zellen bekämpft, die das Spike-Protein produzieren, erklärt Anne Dudeck. Ein septischer Schock mit multiplem Organversagen, wie er in den verbreiteten Beiträgen beschrieben wird, sei allerdings nicht zu erwarten. 

Kann eine erneute Infektion nach einer Impfung gegen SARS-CoV-2 zu einem Zytokinsturm führen?

Bei manchen Viren kommt es vor, dass die Erkrankung bei einer zweiten Infektion stärker verläuft als bei der ersten. Der Körper hat zwar nach der ersten Infektion Antikörper gebildet, diese sind in einem solchen Fall aber keine Hilfe, sondern verstärken die Krankheit. Als ein Beispiel für Viren, bei denen das vorkommen kann, nennt Anne Dudeck unter anderem das Dengue-Virus. 

Günther Schönrich von der Berliner Charité erklärt, frühere Beobachtungen von Forschenden hätten darauf hingewiesen, dass „nach experimenteller Impfung gegen respiratorische [Anm. d. Red.: = die Atmung betreffende] Erreger wie z.B. SARS-CoV, MERS oder RSV eine verstärkte respiratorische Erkrankung („enhanced respiratory disease“, ERD) auftreten kann“. 

Das Phänomen, dass für solche schweren Verläufe verantwortlich sein kann, wird als „Antibody-dependent Enhancement“ (ADE) bezeichnet. Der Virologe Christian Drosten erklärte das Phänomen im NDR-Podcast ebenfalls anhand des Dengue-Virus: Es könne passieren, so Drosten, dass der Körper Antikörper bilde, um das Virus zu bekämpfen, bei einer erneuten Infektion aber nicht genau erkenne, dass es sich um das gleiche Virus handele. Das führe dann dazu, dass die Antikörper das Virus attackierten, es aber nicht komplett „inaktivieren“ könnten. So habe das Virus letztendlich die Möglichkeit, doch in die Zellen einzudringen und sich zu vermehren. In einem solchen Fall verstärkten die Antikörper die Vermehrungsfähigkeit des Virus‘ also sogar.

Anne Dudeck erklärt, dass das gleiche Phänomen auch bei dem ersten SARS-Virus, das 2003 entdeckt wurde, beschrieben worden sei. 

Auch eine Impfung führt zur Bildung von Antikörpern und kann daher theoretisch zu ADE führen. Man spricht dann von „Vaccine Associated Enhanced Disease“ (VAED). In der Wissenschaft werde daher intensiv diskutiert, inwiefern ADE auch bei SARS-CoV-2 und vor allem nach einer Impfung möglich sei, so Dudeck. 

Auf seiner Webseite erklärt das Paul-Ehrlich-Institut dazu: „Aus klinischen Prüfungen mit mRNA-Impfstoffen gibt es keinerlei Hinweise auf eine verstärkte Covid-19-Erkrankung bei geimpften Personen. Auch haben Studien an Tieren unterschiedlicher Spezies, die nach Impfung mit SARS-CoV-2 infiziert wurden, keine Anzeichen eines VAED gezeigt.“ Wir haben dazu auch bereits einen Faktencheck veröffentlicht. Anne Dudeck sieht aber auch hier noch Forschungsbedarf. 

Den Herstellern von Corona-Impfungen sei das Risiko bekannt, sagt Dudeck, es werde daher in Studien untersucht. Inwiefern das Problem auftreten könne, lasse sich aber erst nach einer gewissen Zeit sagen, da ADE erst dann auftrete, wenn Menschen nicht mehr so viele Antikörper hätten, wie das kurz nach einer Impfung der Fall sei. „Ein weiteres, enges Monitoring der Antikörpertiter [also der Konzentration der Antikörper im Blut, Anm. d. Red.]  in den Probanden der klinischen Phase I, II und III Studie“ sei „unabdingbar, um das Risiko einer ADE im Vergleich der nicht-geimpften Kontrollgruppen abschätzen zu können“, so die Forscherin.

Fazit

Die Aussagen von Dolores Cahill sind also größtenteils unbelegt. Es gibt bisher keine Anzeichen dafür, dass Covid-19-Impfungen einen tödlichen Zytokinsturm auslösen oder dazu führen könnten, dass Geimpfte bei einer erneuten, späteren Infektion mit SARS-CoV-2 lebensbedrohlich erkranken könnten. 

Dass der Körper sich auf Grund der injizierten mRNA und des von den Körperzellen nachgebildeten Spike-Proteins des Coronavirus‘ selbst angreife, wie von Cahill behauptet, ist laut den Forschenden falsch.

Update, 5. Mai 2021: Wir haben im Text die Aussage korrigiert, dass beide Forschenden erklärt hätten, dass das Spike-Protein nur kurzfristig vom Körper produziert werde. Das ging aus den Aussagen von Anne Dudeck nicht hervor. 

Redigatur: Till Eckert, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck: 

  • FAQ-Seite des Paul-Ehrlich-Instituts zu den Impfstoffen gegen SARS-CoV-II: Link 
  • Skript des NDR Podcasts „Coronavirus-Update“: Link
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