Faktencheck

Meldung über tote Kinder nach Covid-19-Impfung führt in die Irre

Im Netz kursiert ein Artikel, in dem unter anderem behauptet wird, dass Kinder durch Covid-19-Impfstoffe gestorben seien. Die Einträge über Todesfälle in einer Datenbank der EMA waren nach Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck jedoch fehlerhaft und bezogen sich nicht auf Kinder.

von Matthias Bau

Virus Outbreak Netherlands Johnson
Die Europäischen Arzneimittelbehörde betreibt eine Datenbank über unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten. (Quelle: Picture Alliance / Associated Press / Peter Dejong)
Behauptung
Daten der EMA zeigten, dass es zahlreiche Nebenwirkungen und mehrere Todesfälle durch Covid-19-Impfungen bei Kindern gebe.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Bei den zwei Todesfällen in der Datenbank war laut EMA das Alter falsch eingetragen worden. Sie bezogen sich nicht auf Kinder, sondern auf ältere Menschen und wurden inzwischen korrigiert. In der EMA-Datenbank werden lediglich Verdachtsfälle gemeldet, ein Zusammenhang zur Impfung ist nicht belegt.

Gibt es mehrere Todesfälle bei Kindern nach Impfungen gegen Covid-19? Das wird in einem Artikel der Seite Report24 behauptet, der sich aktuell in Sozialen Netzwerken verbreitet und laut dem Analysetool Crowdtangle bereits mehr als 7.000 Mal auf Facebook geteilt wurde. Darin heißt es, eine Datenbank der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) enthalte Hinweise auf schwere Nebenwirkungen bis hin zu Todesfällen bei Kindern im Alter ab einem Jahr. Außerdem lasse sich aus Einträgen in der Datenbank ableiten, dass Covid-19-Impfstoffe „über die Muttermilch an den Säugling weitergegeben“ werden könnten und bei dem Kind Nebenwirkungen verursachen könnten. 

Unsere Recherche zeigt: Die Einträge in der EMA-Datenbank, auf die sich der Artikel von Report24 beruft, gab es zwar. Eine Sprecherin der EMA teilte uns jedoch mit, bei den beiden angeblichen Todesfällen sei ein falsches Alter eingetragen worden, sie hätten sich auf ältere Menschen und nicht auf Kinder bezogen. Eine Meldung über den Verdacht auf Nebenwirkungen bei einem Säugling ist kein Beleg für eine Verbindung zur Impfung – denn generell handelt es sich bei Einträgen in der EMA-Datenbank um Verdachtsfälle, nicht um bestätigte Nebenwirkungen. 

Ein Covid-19-Impfstoff für Kinder ist in der EU bisher nicht zugelassen

Aktuell sind in der EU vier Impfstoffe bedingt zugelassen, drei weitere werden geprüft. Von diesen drei Impfstoffen ist aktuell lediglich der Impfstoff von Biontech/Pfizer für Jugendliche ab 16 Jahren zugelassen. 

Keiner der Impfstoffe ist bisher für Kinder oder Jugendliche unter 16 Jahren zugelassen worden. So steht es auch im Artikel von Report24. Eine Sprecherin der Europäischen Arzneimittelbehörde bestätigte uns dies ebenfalls per E-Mail. 

Alle vier Impfstoffhersteller haben Medienberichten zufolge angekündigt oder sind bereits dabei, ihre Impfstoffe an Minderjährigen oder Kindern zu testen. 

Wie kommt es zu Einträgen in der EMA-Datenbank, die sich auf Kinder beziehen?

Trotzdem finden sich, wie auch Report24 schreibt, Einträge zu Nebenwirkungen der Covid-19-Impfungen in der EMA-Datenbank, die sich auf Kinder beziehen. Wie kommt das?

Die Datenbank der EMA heißt EudraVigilance und ist ein System, um Verdachtsfallmeldungen über Nebenwirkungen in zeitlichem Zusammenhang mit Impfungen zentral zu sammeln. (Wie sie im Detail funktioniert, haben wir hier erklärt.) Sie umfasst Meldungen von nationalen Arzneimittelbehörden (wie dem Paul-Ehrlich-Institut) und pharmazeutischen Unternehmen. Die Meldungen können aber auch von Privatpersonen stammen. Bei den Meldungen in der Datenbank handelt es sich um gemeldete Verdachtsfälle und keine nachgewiesenen Nebenwirkungen. 

Auch Personen von außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums (EWR) können in der Datenbank Einträge verfassen. Beim EWR handelt es sich um einen Zusammenschluss der 28 EU-Staaten sowie Norwegen, Liechtenstein und Island. Die Fälle können sich zudem auf einen Einsatz der Impfstoffe beziehen, der nicht den Zulassungsbedingungen entspricht, erklärt uns eine Pressesprecherin der EMA per E-Mail: „Die mutmaßlichen Arzneimittelnebenwirkungen beziehen sich auf jedwede Anwendung der medizinischen Produkte, nicht nur auf eine Anwendung, die den Zulassungsbedingungen in Europa entspricht.“ 

Weiter weist die Sprecherin darauf hin, dass es in diesem Zusammenhang auch möglich sei, „dass Patienten oder medizinisches Personal Fälle melden, die durch eine Off-Label Nutzung [Anm. d. Red.: Einsatz eines Medikamentes, welcher nicht dem zugelassenen Anwendungsbereich entspricht] von Medikamenten bei Kindern zustande gekommen sind, obwohl die entsprechenden Impfstoffe im europäischen Wirtschaftsraum erst ab 18 beziehungsweise ab 16 Jahren zugelassen sind.“  

Auszug aus einer E-Mail der Pressesprecherin der EMA
Auszug aus einer E-Mail der Pressesprecherin der EMA (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Angebliche Todesfälle bei Kindern sind in der Datenbank nicht mehr zu finden

Im Artikel von Report24 werden zehn Meldungen aus der EMA-Datenbank als Beispiele dafür angeführt, dass es angeblich zu schwerwiegenden Nebenwirkungen und Todesfällen durch Covid-19-Impfstoffe bei Kindern gekommen sei. 

CORRECTIV.Faktencheck hat sich die beiden Todesfälle und den Fall eines Kleinkindes, das über die Muttermilch einen Impfstoff erhalten haben soll, näher angeschaut. 

Der Artikel von Report24 ist vom 20. April und stellt PDFs zu den Fällen als Download bereit, die mutmaßlich aus der EMA-Datenbank stammen. Wir haben jedoch Anfang Mai vergeblich versucht, sie in der Datenbank zu finden. Auf unsere Nachfrage antwortet Report24, dass die Fälle „selbstverständlich“ aus der Datenbank der EMA seien. 

Der erste Fall trägt laut Report24 die Kennzeichnung „EU-EC-10008321943“. Ein siebenjähriges Kind soll acht Tage nach der Gabe des Impfstoffs von Pfizer/Biontech gestorben sein. Gemeldet wurde der Fall angeblich aus dem europäischen Wirtschaftsraum. 

Wir wählen bei unserer Suche also „Europäischer Wirtschaftsraum“, „Alter 3-11 Jahre“ und als Zeitraum „2021″ aus. Die Suche führt zu keinem Ergebnis. Auch für das Jahr 2020 ist kein Eintrag mit einer entsprechenden Kennung vorhanden.

Der zweite Fall soll unter der Kennzeichnung „EU-EC-10008125245“ zu finden sein. Er soll von außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums gemeldet worden sein und ein sechsjähriges Kind betreffen, das zwei Tagen nach der Gabe des Impfstoffes von Moderna gestorben sein soll. 

Wir wählen bei unserer Suche „Nicht Europäischer Wirtschaftsraum“, „Alter 3-11 Jahre“ und als Zeitraum „2021“ aus. Auch die Suche danach führt weder für das Jahr 2021 noch das Jahr 2020 zu einem Ergebnis.

EMA: Alter der Todesfälle wurde falsch eingetragen, Meldungen in der Datenbank wurden korrigiert

Die EMA teilte auf unsere Presseanfrage per E-Mail mit, dass in beiden Fällen ein Fehler vorgelegen habe. Die absendende Person habe „Monate“ statt „Jahre“ ausgewählt. Der Fehler sei korrigiert und die Fälle neu eingereicht worden. In beiden Fällen sei es um ältere Menschen gegangen. 

Telefonisch sagte man uns, dass das korrekte Alter in den Fällen 72 beziehungsweise 84 Jahre sei. Es habe sich also nicht um Kinder gehandelt. 

Auszug aus einer E-Mail einer Pressesprecherin der EMA
Auszug aus einer E-Mail einer Pressesprecherin der EMA (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Nebenwirkungen wegen Übertragung auf einen Säugling durch Muttermilch?

Der dritte Fall mit der Kennung „EU-EC-10007781698“ soll ebenfalls aus dem nicht-europäischen Wirtschaftsraum gemeldet worden sein. Ein einjähriges Kind habe den Impfstoff von Biontech/Pfizer „über Muttermilch“ erhalten, wie es in dem Artikel von Report24 heißt. Diesen Fall finden wir tatsächlich in der Datenbank. 

Ergebnisse unserer Suchabfrage in der Detailansicht (Quelle: EMA / Screenshot vom 13. April: CORRECTIV.Faktencheck)
Ergebnisse unserer Suchabfrage in der Detailansicht (Quelle: EMA / Screenshot vom 13. April: CORRECTIV.Faktencheck)

Auf unsere Frage, wie dieser Fall zu bewerten sei, antwortete uns eine Pressesprecherin der EMA per E-Mail, dass ein solcher Eintrag von einer stillenden Mutter stammen könne, die vermute, dass ihre Impfung Einfluss auf ihr Kind gehabt habe. Der Eintrag sei jedoch nicht als Beleg dafür zu verstehen, dass „die Impfung über die Muttermilch an das Kleinkind weitergegeben“ worden sei. Informationen, die über den Eintrag in der Datenbank hinausgingen, habe die Behörde nicht. 

Auszug aus einer E-Mail einer Pressesprecherin der EMA
Auszug aus einer E-Mail einer Pressesprecherin der EMA (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Eine Impfung in der Schwangerschaft wird in Deutschland von der Ständigen Impfkommission (Stiko) derzeit aufgrund fehlender Daten nicht empfohlen (Stand 21. April 2021). Im Einzelfall sei aber eine Impfung Schwangerer mit Vorerkrankungen denkbar. Ähnliches schreibt die Stiko bezüglich stillender Mütter: „Zur Anwendung der Covid-19-Impfstoffe in der Stillzeit liegen aktuell nur wenige Daten vor. Insbesondere gibt es keine Daten zur Sicherheit für das gestillte Kind und für die Wirkung der Impfung auf die Milchproduktion. Die Stiko hält es jedoch für sehr unwahrscheinlich, dass eine Impfung der Mutter während der Stillzeit ein Risiko für den Säugling darstellt.“

In den USA schreibt die Gesundheitsbehörde CDC, Schwangere und stillende Mütter könnten sich impfen lassen. Das Risiko für eine schwere Covid-19-Erkrankungen sei in einer Schwangerschaft erhöht, und die Impfung könne hier schützen. Es gebe keine Anzeichen für ein Risiko für Schwangere oder Babys. Allerdings weist auch das CDC auf die bisher begrenzte Datenlage hin. 

So funktioniert die EMA-Datenbank

Welche Meldungen zu den Covid-19-Impfstoffen derzeit geführt werden, kann jeder selbst überprüfen. Die Meldungen finden sich in der EMA-Datenbank unter „Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen bei Substanzen“. Klickt man dort auf den Buchstaben C, gelangt man zu den vier Covid-19-Impfstoffen von Moderna (CX-024414), Biontech/Pfizer (Tozinameran), Astrazeneca (CHADOX1 NCOV-19) und Janssen (AD26.COV2.S).

Dort wird auf der ersten Registerkarte („Number of Individual Cases“) die Gesamtzahl der gemeldeten Verdachtsfälle angezeigt, also der vermuteten Nebenwirkungen. Klickt man nun im rechten oberen Bildschirmrand auf den Doppelpfeil, ist die Option „Line Listing“ zu sehen.

Über die Option „Line Listing“ kann man sich in der Datenbank der EMA Einzelfälle anzeigen lassen
Über die Option „Line Listing“ kann man sich in der Datenbank der EMA Einzelfälle anzeigen lassen (Quelle: EudraVigilance, Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen von Substanzen, Covid-19 mRNA Vaccine Astrazeneca/ Screenshot vom 13. April: CORRECTIV.Faktencheck)

Über die Option kann man sich nun eine Liste mit allen Verdachtsfällen anzeigen lassen. Dabei kann man die Meldungen nach verschiedenen Kriterien filtern: Zum Beispiel dem Alter der Betroffenen, ihrem Geschlecht oder der geographischen Herkunft der Meldung. 

Die Datenbank bietet verschiedene Optionen, um Meldungen zu Verdachtsfällen zu filtern
Die Datenbank bietet verschiedene Optionen, um Meldungen zu Verdachtsfällen zu filtern (Quelle: EudraVigilance, Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen von Substanzen, Covid-19 mRNA Vaccine Astrazeneca/ Screenshot vom 13. April: CORRECTIV.Faktencheck)

Redigatur: Uschi Jonas, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • EudraVigilance-Datenbank der EMA: Link
  • Anleitung zur Interpretation eines Web-Reports: Link
  • Häufig gestellte Fragen über die Datenbank: Link
  • Über die Datenquellen der EMA-Datenbank: Link 1 und Link 2