Frauen in der Kommunalpolitik

Chats und Bilder: Sexismusvorwürfe gegen Kommunalpolitiker in NRW

Ein SPD-Politiker fragte mehrmals nach anzüglichen Fotos, ein anderer schrieb unangemessene Nachrichten an eine jugendliche Parteifreundin. Beide treten bei den Kommunalwahlen in NRW an. Auch andere Lokalpolitikerinnen berichten CORRECTIV von sexistischen Übergriffen – kaum eine weiß, an wen sie sich in ihrer Partei wenden könnte.

von Jolinde Hüchtker

Chatnachricht eines NRW-Kommunalpolitikers
Chat-Nahricht eines NRW-Kommunalpolitikers an eine junge Politikerin / Ivo Mayr/ CORRECTIV

Am 27. Dezember 2012 öffnet Lea ihren Facebook-Account. Ihr wird eine neue Nachricht angezeigt.

du machst jetzt ein Foto von dir wo du ganz drauf bist und bauchfrei. Ok?
nein gammel hier in
joggingsachen un so, tut
mir leid das möchte ich
nich, will auch nicht so
halbnackte fotos von mir
im inet o mein gesicht mit
dabei ist sorry
dann mach nur eins vom bauch

 

Lea ist gerade erst 17 Jahre als die Nachrichten anfangen. Eigentlich heißt Lea anders, sie möchte ihren Namen nicht veröffentlicht sehen, da sie Konsequenzen für ihre Karriere fürchtet. Damals war sie Mitglied der SPD-Jugendorganisation.

Der Mann, von dem die Nachrichten kommen, ist zu diesem Zeitpunkt Ende 20 und Kreisvorsitzender eines anderen Juso-Kreisverbandes. Immer wieder schreibt er Lea an. Knapp ein halbes Jahr später schreibt er:

wenn ich schon kein Foto von dir bekomme wenigstens eins von strings
du willst den string abfotografiert haben ?
deine Top 3

 

NRW-Kommunalpolitiker fragte Genossinnen nach anzüglichen Fotos

Über ein Jahr fragt er sie mehrfach nach anzüglichen Fotos, dann bricht der Kontakt ab. Das damalige Mitglied des Juso-Kreisvorstandes sitzt heute in einem Kreistag in NRW und kandidiert bei der Kommunalwahl am 13. September erneut für Stadt- und Kreisebene. 

Lea ist heute nicht mehr politisch aktiv. Sie ist nicht die Einzige, die solche Nachrichten bekommen hat. Eine Freundin von ihr, nennen wir sie Katharina, soll damals von demselben Mann ebenfalls nach anzüglichen Bildern gefragt worden sein. Als CORRECTIV ihn mit den Chats konfrontiert, spricht er vom eigenen „Fehlverhalten“, seine genauen Aussagen seien ihm aber nicht mehr präsent.

Auch ein zweiter SPD-Politiker hat Katharina unangemessene Nachrichten geschickt. Der Mann schreibt uns, dass er keine konkreten Erinnerungen mehr an seine Äußerungen habe.

Warum wir keine Namen nennen

Katharina, die heute Ratsmitglied einer Stadt ist, wäre bereit, ihre Geschichte mit ihrem echten Namen zu erzählen und ihr Gesicht zu zeigen. Wir haben uns jedoch dagegen entschieden, sie kenntlich zu machen. 

Obwohl wir die Fälle genau geprüft haben, über Zweit- und Drittquellen und Einblicke in die Original-Chatverläufe, können wir aus juristischen Gründen die Namen der beschuldigten Männer nicht preisgeben – wir sind somit gezwungen, die beiden Politiker zu schützen. Aus Fairnessgründen möchten wir deswegen auch die Betroffene vor der Öffentlichkeit schützen und haben ihren Namen geändert.

Sexismus ist für viele Kommunalpolitikerinnen Alltag

Neben den  Geschichten von Lea und Katharina wurden CORRECTIV weitere #MeToo-Fälle von Politikerinnen und Politikern aus NRW geschildert, die bis heute nicht aufgearbeitet wurden. Das Verhalten einiger dieser Politiker war nicht strafbar, aber die Fälle illustrieren, wie alltäglich Sexismus in der Kommunalpolitik ist und wie subtil Übergriffe stattfinden können. Dies ist womöglich ein Grund, warum so wenige Frauen politische Ämter innehaben.

Am 13. September finden in Nordrhein-Westfalen Kommunalwahlen statt. CORRECTIV.Lokal hat gemeinsam mit mehr als einem Dutzend Lokalredaktionen vor zwei Wochen berichtet, warum in NRW so wenige Frauen in den Kommunalparlamenten sitzen – durchschnittlich nur 24 Prozent. Über 570 Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker aus NRW haben sich in der von CORRECTIV entwickelten Online-Plattform CrowdNewsroom zu den Gründen für den niedrigen Frauenanteil geäußert.

Fast jede zehnte Frau gibt an, unangemessen berührt worden zu sein

Knapp 60 Prozent der Frauen, die sich beteiligt haben, berichteten über Sexismus in ihrer politischen Arbeit. Gut ein Drittel durch Mitglieder anderer Fraktionen, doch 22 Prozent auch durch Parteifreunde. Ob bei Wahlkampfveranstaltungen, in sozialen Medien, in Sitzungen oder bei einem Feierabendbier. 

Grenzüberschreitungen kennen viele der Frauen. Am häufigsten werden Kommentare zum Aussehen als grenzüberschreitend wahrgenommen. Fast jede zehnte Frau gibt im CrowdNewsroom sogar an, unangemessen berührt worden zu sein. Die Befragung von CORRECTIV.Lokal ist nicht repräsentativ (zur kompletten Auswertung), gibt jedoch einen Einblick in die Erfahrungen von Lokalpolitikerinnen.

Auswertung der CrowdNewsroom-Befragung mit den Antworten der Kommunalpolitkerinnen.
Über 570 Kommunalpolitikerinnen und -politiker haben sich im CrowdNewsroom gegenüber CORRECTIV.Lokal zu ihren Erfahrungen geäußert. Mehr als die Hälfte der Frauen erlebte Sexismus und Diskriminierung. / CORRECTIV

Der Politiker sieht sein Fehlverhalten ein

Der ehemalige Juso-Kreisvorsitzende soll neben Katharina und Lea noch mindestens vier weitere junge Frauen nach anzüglichen Bildern gefragt haben. 

Als wir den Politiker mit schriftlichen Fragen konfrontieren, meldet er sich telefonisch zurück. „Ich verstehe, dass ich mich damals daneben und auch in diesem Sinne sexistisch verhalten habe. Das ist mir klar und das ist mir auch schon seit einigen Jahren klar“, sagt er . Er spricht von einem „Fehlverhalten“, möchte seinen Namen nicht veröffentlicht sehen. Auf unsere Fragen antwortet er anschließend schriftlich: „Da der Zeitraum fast 8 Jahre zurückliegt, ist mir der genaue Inhalt einzelner Chatverläufe nicht mehr präsent.“

Ortsvereinsvorsitzender schrieb ihr anzügliche Facebook-Nachrichten

Katharina ist noch Jugendliche, 16 Jahre alt, als neben dem Juso-Kreisvorsitzenden außerdem ein älteres Ortsvereinsmitglied anfängt, ihr Facebook-Nachrichten zu schicken. „Traumfrau“ oder „Kopfkino”, schreibt ihr der damals 30-Jährige in Nachrichten. Dass er ihr nie in die Augen gucken könne, ohne dahinzuschmelzen. Oder über sie und eine Freundin von ihr: „Och da kommen mir gute Ideen… 2 Frauen und ich“. Der Chat geht  über zwei Jahre.

Katharina hilft damals als Juso-Mitglied in einer mittelgroßen Stadt im Rheinland bei der SPD-Ortsvereinsarbeit mit – im Wahlkampf oder als Schriftführerin. Der Mann, von dem die Nachrichten kommen, wird im Laufe der Zeit zum Vorsitzenden des Ortsvereins gewählt. Inzwischen ist Katharina Mitte 20 und sitzt für die SPD im Rat der Stadt.

Er macht ihr viele Komplimente

CORRECTIV konnte mehrere Chatverläufe im Original einsehen, die sich Katharina und der Politiker über zwei Jahre schrieben. Manchmal macht er ihr Komplimente zu ihrem Aussehen – wie im März 2014 vor der Kommunalwahl: „Traumfrau! Deine Plakate sind auch schon da.“ oder „wer hat das tolle Bild gemacht, darin kann man sich ja glatt verlieren“.

Immer wieder sind seine Kommentare mehrdeutig. Als die 17-jährige Katharina  ihre Schulzeugnisse bekommt, schreibt er: „und? Mitarbeit super, allgemeines Verhalten: Viel zu aufreizend gekleidet, unzüchtig?“ und „Also um es wie Brüderle sexistisch zu sagen: Lass mich teilhaben *lach“. Als es um eine Party geht, schreibt er ihr: „ich könnte mit Euch tanzen, wenn ich nicht gefahr laufe böses zu tun“. 

Der Ortsvereinsvorsitzende weiß, dass die Nachrichten unangemessen sind

Dem Politiker ist bewusst, dass Katharina minderjährig ist, er nennt sie „meine kleine“. Immer wieder schreibt er Dinge wie „ich war erstaunt, dass du ncoh so jung bist“ oder „attraktives junges MÄDCHEN“. Auch dass die Nachrichten unangemessen sind, ist ihm bewusst. „Oh man sowas darf ich doch eig. alles gar nicht schreiben“, heißt es im Chat, „bist doch noch vieeeeeeeel zu jung“. 

Manchmal entschuldigt er sich sogar für seine aufdringlichen Komplimente: „das tut mir voll leid wenn ich sowas immer schreibe… mein offener Mitteilungsdrang“. Immer wieder geht Katharina auf seine Scherze ein oder bedankt sich für die Komplimente, ihre Nachrichten auf seine Anzüglichkeiten sind meist einsilbiger. Sie schreibt mehrmals „Ist doch nicht schlimm“. Von sich aus habe sie ihn kaum angeschrieben.

Mit 16 Jahren fand sie die Nachrichten unangenehm. Heute denkt Katharina darüber nach, warum sie überhaupt darauf eingegangen sei. „Wenn man sich persönlich kennt, ist es schwer, eine harte Grenze zu ziehen. Man will ja auch Konflikte vermeiden“, erklärt sie. „Ich dachte damals, sowas passiert halt. So denken sicherlich viele Frauen.“

„Es ist nicht einfach, sich dagegen zu wehren“

Vor dem Hintergrund, dass der Mann Ortsvereinsvorsitzender war und sie minderjährig, können die Nachrichten als übergriffig interpretiert werden. Zu diesem Ergebnis kommen auch zwei Fachleute für juristische und psychologische Perspektiven auf Sexismus, mit denen sich CORRECTIV über den Kommunikationsverlauf unterhalten hat. 

Der Sozialpsychologe Gerd Bohner von der Universität Bielefeld weiß aus Studien, dass sich nur wenige Frauen gegen sexuelle Belästigung wehren, wenn sie Übergriffigkeit erleben. „Weil es nicht einfach ist!“, sagt Bohner. Gerade wenn es harmlos anfinge, würden minimale Grenzüberschreitungen oft heruntergeschluckt. So würden Interaktionen langsam eskalieren oder in der Menge übergriffig. „Wenn ich mich jetzt beschwere und das schon ein paar Wochen geht, heißt es: Wieso hast du denn nicht gleich was gesagt?“, sagt Bohner. Er nennt das „Täter-Opfer-Umkehr“. 

Sexismus und subtile Übergriffe sind meistens nicht strafbar

„Herabwürdigungen, Sprüche, sexuelle Gerüchte. Solche Dinge machen das politische Ehrenamt für Frauen natürlich extrem unattraktiv“, sagt  Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds. Viele der Taten, von denen Kommunalpolitikerinnen CORRECTIV erzählen, seien nicht strafbar. Im Strafgesetzbuch stünden inzwischen immerhin unerwünschte Berührungen „in sexuell bestimmter Weise“, das ungefragte Verschicken von Penisbildern oder Stalking. 

Ob Katharina vorgeworfen werden könne, dass sie auf die Nachrichten eingegangen sei, sei fraglich. Wersig findet, die junge Politikerin habe nichts falsch gemacht. „Wenn man sich zur Wehr setzen möchte, wird gesagt: Du hast ja mitgespielt – unter Ausblendung des Altersunterschieds, des hierarchischen Verhältnisses, der Minderjährigkeit“, meint sie.

Er schreibt immer wieder „Ein Foto. Bitte“

„Damals dachte man ja, man wäre selber an sowas Schuld“, sagt Lea über ihre eigenen Erfahrungen mit übergriffigen Nachrichten. Von dem älteren Juso-Kreisvorsitzenden erzählt sie: „Er hat mir aus dem Nichts geschrieben und mehrmals nach Fotos gefragt, in Unterwäsche.“ CORRECTIV konnte einige Nachrichten einsehen. Sie beginnen im Januar 2013. 

Nen deal Foto gegen Foto
ich kenn idch dafür nicht gut genug bin mal weg

 

Der Kontakt sei über ein Jahr gegangen. In dem Facebook-Chat fragt der Juso-Kreisvorsitzende immer wieder nach Fotos. Er habe ihr ein „mieses Gefühl“ gegeben, wenn sie nein sagte oder nicht antwortete. 

Irgendwann, erinnert sie sich, habe sie ihm ein Bild von ihrem Bauch und eines von ihrer Unterwäsche, nicht angezogen, geschickt, nachdem er sie nach Fotos danach gefragt habe. „Dann machst du das, das ist kleinere Übel“, habe sie damals gedacht. Diesen Teil der Unterhaltung habe sie aber gelöscht. Es sei ihr „so wahnsinnig unangenehm geworden“, sagt Lea. Heute versteht sie sich selbst nicht mehr.

Es gibt viele Grauzonen

Der Sozialpsychologe Bohner sagt dazu, so etwas könne ein Versuch sein, mit übergriffigen Nachrichten umzugehen: „Man denkt, vielleicht gibt er dann Ruhe.“ Beim Täter habe das oft einen gegenteiligen Effekt, er fühle sich bestätigt. 

Minderjährige würden einen besonderen Schutz genießen, auch durch den Paragraphen zu jugendpornografischen Schriften, sagt Maria Wersig. Die Verbreitung dieser ist strafbar. Die Herstellung zum persönlichen Gebrauch zunächst nicht, wenn die abgebildete Person eingewilligt hat. 

Kann man von einer Einwilligung sprechen, wenn eine Jugendliche irgendwann den immer wiederkehrenden Fragen nachgibt? Ab wann ist ein Bild pornografisch? Es gibt viele Grauzonen. „Dann ist oft die Frage, was die Rechtsprechung aus Teilsätzen der Gesetze macht“, weiß Wersig. 

Die beschuldigten Männer kandidieren bei der Kommunalwahl 2020

Im Ortsverein der rheinischen Stadt, so Lea, war es damals ein „offenes Geheimnis“, dass der ältere Juso-Kreisvorsitzende mehrere junge Frauen nach anzüglichen Bildern gefragt haben soll. Auch der damalige Vorsitzende der Jusos der Stadt bekam das mit. In einer Chat-Gruppe mit ihm, Katharina, Lea und anderen schreibt er, dass allein im entsprechenden Kreis der Stadt sechs Frauen betroffen gewesen seien. 

Er berichtet den Frauen im Mai 2013, der Landesvorstand wolle mit dem damaligen Juso-Kreisvorsitzenden ein Gespräch führen, dass sein Verhalten ein schlechtes Licht auf seinen Unterbezirk werfe und er sich künftig zurückhalten solle. 

Nach der internen Juso-Diskussion schrieb der ältere Juso-Kreisvorsitzende Lea nicht mehr wegen Fotos an, suchte aber weiter Kontakt. Noch im Januar 2014 fragte er sie im Chat nach ihrem Beziehungsstatus und einem Treffen. Entschuldigt für sein Verhalten habe sich der Politiker nie bei ihr, sagt Katharina. 

Sowohl der damalige Juso-Kreisvorsitzende als auch der damalige Ortsvereinsvorsitzende sind noch immer bei der SPD aktiv und kandidieren bei den Kommunalwahlen 2020 auf Stadt- und Kreisebene. 

Kommunalpolitiker erinnert sich nicht

Nach einer schriftlichen Konfrontation meldete sich der damalige Ortsvereinsvorsitzende telefonisch. „Ich wollte nur sagen, dass ich mich nicht erinnere“, sagt er. Anschließend versucht er die Namen unserer Quellen erfolglos zu erfragen. Einen Tag später meldet er sich ausführlicher per E-Mail. 

„Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich selbst keine konkreten Erinnerungen mehr an privat geführte Chat-Unterhaltungen aus den Jahren 2012-2014 habe“, schreibt er. Er könne die zitierten Äußerungen aus den Chats nicht bestätigen. Sie scheinen ihm „aus dem Zusammenhang gerissen“. Zudem sei ihm bewusst, dass Sexismus ein Problem auch innerhalb der ehrenamtlichen Partei- und Vereinslandschaft und der gewählten ehrenamtlichen kommunalen Vertretungen sei. 

Übergriffige Männer müssen mit wenigen Konsequenzen rechnen

Die Geschichten von Katharina und Lea zeigen, wie  junge Frauen in der Kommunalpolitik sexualisiert werden. Nicht zuletzt zeigen sie, mit wie wenigen Konsequenzen übergriffige Männer rechnen müssen.

„Ich kenne keine Frau, die keinen Sexismus in der Politik erlebt hat“, berichtet Juristin Wersig. Sie selbst arbeitete von 2006 bis 2008 im Deutschen Bundestag. BuzzFeed News Deutschland berichtete im März 2019, wie der Bundestag Fälle sexueller Belästigung im eigenen Haus ignorierte. 

Viele Frauen erleben Übergriffigkeit

CORRECTIV hat mit vielen Kommunalpolitikerinnen über ähnliche Erfahrungen gesprochen. Da es sich bei ihnen um allgemeinere Umschreibungen handelt, haben wir ihre Namen genannt, sofern sie zustimmen. 

Marita Köstler-Mathes, die als SPD-Mitglied im Kreistag Coesfeld sitzt, berichtet: „Im Kreistag hat mir vor fünf Jahren ein Mann einer anderen Fraktion über den Hintern getätschelt. Ich habe sachlich gesagt: ‘Das möchte ich nicht.’ Am Schlimmsten fand ich: Es war in der Öffentlichkeit, andere haben es mitbekommen und es gab keine Reaktion, keine Unterstützung.“

Eine Kreistagspolitikerin der Grünen, die anonym bleiben möchte, ist erst seit einem knappen Jahr politisch aktiv. Sie erzählt, ein Mann, den sie aus den Sitzungen kannte, habe ihr nachgestellt. „Er muss meine Nummer im Internet gefunden haben, es kamen immer wieder Anrufe und er wurde explizit, es gab auch unangemessene Nachrichten“, sagt sie. Eine Kollegin habe ihr erzählt, er hätte es auch bei anderen Frauen versucht. 

„Mir kann niemand erzählen, dass es keinen strukturellen Sexismus in den Parteien gibt“

 Eine andere Kommunalpolitikerin der SPD, die nicht namentlich genannt werden will, erzählt: „Ein Ratsmensch der CDU fragte öffentlich einen Genossen mit Blick auf meinen Ausschnitt und den einer Ratskollegin, ob die SPD nun nach Oberweitengröße einstelle.“ 

„Ich habe gar nicht genug Finger an der Hand für die ganzen Gerüchte, mit wem ich alles geschlafen haben soll aus der Partei“, erinnert sich Halice Kreß-Vannahme. Sie ist schon mit 14 Jahren in die SPD eingetreten, jetzt kandidiert sie für den Städteregionstag Aachen. Inzwischen meint sie: „Mir kann niemand erzählen, dass es keinen strukturellen Sexismus in der SPD oder in anderen Parteien gibt.“

Viele wissen nicht, an wen sie sich bei Sexismus wenden können

Kaum eine der Kommunalpolitikerinnen, mit denen wir gesprochen habe, weiß, wohin sie sich innerhalb der Partei bei Sexismus oder Belästigung wenden könnte. Die CDU hat keine kommunale Struktur für solche Fälle. Die Pressestelle der SPD NRW gibt Auskunft, dass es bei den meist ehrenamtlichen Politikerinnen aus datenschutzrechtlichen und juristischen Gründen schwierig sei, Anlaufstellen für Kommunalpolitikerinnen und -politiker zu etablieren. Sie verweisen auf externe Beratungsstellen. 

Häufig wird Sexismus auch parteiintern erlebt und eine Beschwerde gilt als Nestbeschmutzung. Angela Hebeler, Frauenreferentin der Grünen in NRW, sagt, sie selbst sei ansprechbar “bei Grenzverletzungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung im grünen Kontext”. Explizit ist das jedoch nirgendwo festgeschrieben. Bis jetzt habe sich noch niemand wegen solcher Situationen an sie gewandt.

Liliane Pollmann vom Kreisvorstand der Grünen Wuppertal ist teilweise unklar, an wen in der Partei sie sich bei Sexismus auf Kreis- oder Landesebene wenden sollte. Sie kritisiert die Kommunikation der Partei. „Bei manchen ist noch kein Bewusstsein dafür da, dass solche Erlebnisse auch Wege in die Politik versperren können.“ 

Sexismusexperten fordern klar kommunizierte Anlaufstellen für Betroffene

 Die Jugendorganisationen sind zum Teil schon weiter als ihre Mutterparteien. Bei der grünen Jugend und den Jusos zum Beispiel gibt es bei großen Veranstaltungen auf Landes- und Bundesebene sogenannte Awareness-Teams, die ansprechbar sind bei Problemen – von Kummer bis Belästigung. 

Die Kommunikation über Regeln und Beschwerdestellen, da sind sich Sozialpsychologe Bohner und Juristin Wersig einig, sei zentral, wenn man Sexismus unterbinden wolle. Klar benannte Ansprechpartnerinnen oder -partner wünscht sich auch die Betroffene Katharina, am besten direkt vor Ort. 

Haben Sie Hinweise zum Thema Sexismus? Kontaktieren Sie unsere Autorin unter jolinde.huechtker.fm (at) correctiv.org.