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Die Windmacher

Ein Skandal um den Wuppertaler „Flügelhügel“ weitet sich aus. Die Staatsanwaltschaft Arnsberg ermittelt gegen den Vorstand einer Windkraftfirma wegen Betrugs. Unsere Recherchen zeigen: Die Windkraftanlagen wurden mit falschen Sicherheitszertifikaten verkauft und hätten nie in Betrieb genommen werden dürfen.

von Martin Wosnitza , Anna-Lena Sichelschmidt , Hares Sarwary , Christina Schultes , Anja Lukas

Die Windkraftanlage am Wuppertaler Flügelhügel musste direkt wieder abgebaut werden.© Martin Wosnitza

Diese Geschichte beginnt schlicht. Neben dem Rektoratsgebäude der Uni Wuppertal werden einige Windräder auf einem Hügel installiert. Normalerweise chillen hier Studenten. Die Windkraftanlage auf dem so genannten „Flügelhügel“ sollen die Lichtkunstinstallation MetaLicht der Bergischen Universität Wuppertal mit Strom versorgen. Soweit der Plan. Doch er ging nicht auf. Die Windräder funktionierten nicht. Über 180.000 Euro wurden versenkt. Wir haben nachgeforscht, warum das passieren konnte und sind dabei auf Schlampereien gestoßen, die weit über eine Fehlinvestition hinausgehen.

Standschrott aus dem Sauerland

Die Windkraftanlage auf dem „Flügelhügel“ hatte die Sternberg AG geliefert. Eine Firma aus Schmallenberg im Sauerland.

Edgar Boes aus Fröndenberg war einer der Kunden und Geschäftspartner der Firma. In seinem Garten liegt noch der Mast einer nie fertiggestellten Anlage. Er kann von den Sternberg-Windrädern nur eines berichten: „Sie funktionieren einfach nicht.“ Von einer „kompletten Fehlkonstruktion und Fehlinvestition“ spricht auch Ulrich Johann, Geschäftsführer der Johann Elektrik GmbH aus Darscheid. Seine 2012 aufgestellte und mittlerweile abgebaute Anlage habe nicht funktioniert, geschweige denn Strom produziert. Klaus Heidrich aus Kusel wollte im gleichen Jahr seine bestehende Photovoltaikanlage in der Nähe seines Betriebes um ein Windrad ergänzen – seine Erfahrung: „Gedreht hat es sich, aber es hat nie Strom produziert.“ Hartmut Bock, SPD-Stadtverordneter in Weilburg im hessischen Landkreis Limburg-Weilburg, brachte das Windrad mehrfach auf die politische Agenda: „Mit Hilfe der Sternberg AG wurde 2012 eine Anlage am Stadtausgang in Richtung Usingen aufgestellt. Sie hat sich nie gedreht und auch keinen Strom geliefert. Die Kosten von 67.000 Euro wurden von den Stadtwerken Weilburg bereits abgeschrieben, die Anlage steht auch nicht mehr, sie wurde verschrottet.“

Warum wurde der Standschrott trotzdem verkauft? Eine Frage, die sich auch Max Walter* stellt. Er hat  die Windräder für die  Sternberg AG  entwickelt. Wir haben mit ihm gesprochen. Bis zum Ende der Zusammenarbeit 2010 habe er gegenüber der Firmenleitung mehrfach betont, „dass die Windkraftanlagen das Stadium eines Prototypen haben und weder aus Sicherheitsgründen auf den Markt gebracht werden dürfen noch aus Funktionalitätsgründen auf den Markt gebracht werden sollten“, sagt Walter. Statt diese Mahnungen ernst zu nehmen, hätten sich die Sternberg-Verantwortlichen „die Anlage widerrechtlich angeeignet, indem die Zusammenarbeit aufgekündigt wurde, um die Anlage dann im damaligen Zustand zu verkaufen.“ Walter betont dabei „dass die Steuerung der Leistungsaufnahme des Rotors noch nicht abgeschlossen war und damit böenartige Windverhältnisse nicht genutzt werden konnten.“ Ob die seit seinem Weggang aufgestellten Windräder die aufgezählten Schwächen weiterhin enthielten, kann Walter nicht sagen. Seiner Meinung nach hätten die Anlagen aber nie verkauft werden dürfen. Und die Firmenleitung der Sternberg AG habe dies gewusst.
 
Walter berichtet: „Ein Problem war die fehlende Sicherheitszertifizierung des Windrads. Diese war der ehemaligen Sternberg-Firmenleitung zu langwierig und zu teuer, sodass sie meiner Meinung nach bewusst einen möglichen Personenschaden in Kauf genommen hat. Ich selbst habe erlebt, wie lebensgefährlich ein drehender Rotor werden kann, wenn er z. B. durch Resonanzanregung zerstört wird.“ So soll eine von Walter betreute Versuchsanlage während eines Tests auseinandergeflogen sein: „Ein Flügel der Anlage verfehlte mich dabei nur knapp.“

Wuppertal Flügelhügel MetaLicht

Die Installation MetaLicht an der Wuppertaler Uni sollte mit Ökostrom aus der Windkraftanlage betrieben werden (die hellen Striche im Bild). Klappte aber nicht.

Martin Wosnitza

Andreas Furmanek, Elektromeister aus Wimbach, kann der Windkraftanlage ebenfalls keine Sicherheit bescheinigen: „Im April 2012 hat sich meine Windmühle bei Starkwind zerlegt.“ Strom habe sie bis dahin nicht produziert und bis zuletzt soll laut Furmanek ein Sternberg-Techniker vergeblich versucht haben, seine Anlage funktionstüchtig zu machen.

Auch die Windkraftanlage auf dem Wuppertaler „Flügelhügel“ ist nicht sicher. Es gab bereits einen Schaden. Und das auf einer Fläche, die im Sommer gerne von Studierenden als Liegewiese genutzt wird – direkt neben dem Rektoratsgebäude auf dem Hauptcampus Grifflenberg. Im Mai 2015 musste die mittlere Windkraftanlage von den WSW abgebaut werden. „Ende März [2015 — Anm. d. Red.] hatte Sturm Niklas das Windrad leicht beschädigt“, begründet die Uni-Pressestelle diese Maßnahme. Nach Angaben der WSW-Verantwortlichen soll zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr bestanden haben. Sie räumten jedoch im Gesprächmit blickfeld Mitte letzten Jahres ein, dass die etwa drei Jahre alten Anlagen bereits erste Korrosionsschäden aufweisen würden. Schäden, die bei extremer Belastung zur Zerstörung der Anlage führen können.

Falsche Angaben

Uns liegen Dokumente der Sternberg AG vor, die offenbar für den Verkauf genutzt wurden. Sie behaupten, dass die Kleinwindenergieanlage AeroviS T7 – die auch an der Uni Wuppertal steht – zahlreichen Sicherheitsnormen und Richtlinien entsprechen soll. Unter der Erklärung befinden sich Logos, wie etwa das des Deutschen Akkreditierungsrates (DAR) oder des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Sie erwecken den Eindruck, als sei die Anlage durch jene Institutionen geprüft und die Angaben auf den Dokumenten bestätigt worden. Nachfragen bei den genannten Stellen ergaben, dass weder die Sternberg-Anlagen geprüft noch ein Abdruck ihres Logos autorisiert wurden.
 
Wir haben den ehemaligen Sternberg-Vorstand Meinolf Hegener und Thomas Grimm mit den Erkenntnissen konfrontiert. Beide ließen unsere Anfragen unbeantwortet. Gegen sie läuft seit Anfang 2013 ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges bei der Staatsanwaltschaft Arnsberg (AZ 213 Js 38/12). Eine Gruppe von Geschädigten hatte Anzeige erstattet.

Zivilrechtlich mussten die ehemaligen Verantwortlichen der Sternberg AG bereits eine Niederlage hinnehmen. Anfang Februar 2013, zum Zeitpunkt, als die Wuppertaler Anlagen gerade aufgestellt wurden, verurteilte das Amtsgericht Schmallenberg (AZ 3 C 61/12) den Hersteller zur Rücknahme und Kaufpreiserstattung einer Windkraftanlage. Geladene Zeugen erklärten auch hier, dass es sich lediglich um eine „Versuchsanlage“ gehandelt hätte – die Anlage sei nicht marktreif gewesen. Es habe Mängel bei der versprochenen Leistung und der Sicherheit der Windräder gegeben.

Es war nicht das einzige laufende Zivilverfahren zu diesem Zeitpunkt.

Hätten die Verantwortlichen bei den Wuppertaler Stadtwerken (WSW) von diesen Problemen wissen müssen? Die Kommunikation zwischen beiden war jedenfalls bereits gestört. Wie aus einer internen E-Mail hervorgeht, hatten Verantwortliche bei den WSW offenbar wiederholt  Anlagenpläne, Prüfberichte sowie Unterlagen über „Reaktionen [der Windkraftanlage — Anm. d. Red.] bei bestimmten Windgeschwindigkeiten“ bei der Sternberg AG angemahnt. Aus dem Schreiben geht eine gewisse Unzufriedenheit der Stadtwerke mit den Sternberg-Verantwortlichen hervor, so wird zum Beispiel die versäumte Weiterleitung eines Prüfberichtes kritisiert: „Wieso haben Sie den nicht an uns weitergeleitet?“

Wuppertaler Stadtwerke mauern

Die Stadtwerke sind zögerlich, als wir sie zu ihrer Verantwortung befragen. In puncto Sicherheit wird schriftlich darauf hingewiesen, dass die Windräder fernüberwacht seien und über „eine doppelte Sicherheitsabschaltung bei zu hohen Windgeschwindigkeiten“ verfügen sollen, welche einerseits die Umdrehungsfrequenz der Anlage, andererseits die Windgeschwindigkeit berücksichtigen würden. Ferner hätten „die Mitarbeiter der Uni die Möglichkeit, die Anlagen stillzusetzen.“ Bisher seien „im Betrieb keine Störungen der Sicherheitsmechanismen aufgetreten“ und die Windkraftanlagen „nach den gültigen Vorschriften abgesichert“.

Den bereits erwähnten Sturmschaden im März 2015 vermochten all diese Mechanismen dennoch nicht zu verhindern.

Auf die Frage, ob die drei „Flügelhügel“-Windräder von einer unabhängigen Stelle auf Sicherheit geprüft und zertifiziert wurden, nannten uns die WSW drei Ingenieurbüros, die jeweils für „statische Berechnungen, Standsicherheitsprüfberichte und Bodengutachten“ im Zusammenhang mit den drei Anlagen verantwortlich zeichnen sollen. Von Prüfzertifikaten zu den Anlagen selbst ist keine Rede.

Das ist bemerkenswert: Wie wir während unserer Recherchen erfahren haben, erkundigten sich WSW-Vertreter im Kundenkreis der Sternberg AG, ob der Hersteller Zertifikate zur Anlage herausgegeben hat, aus denen hervorgeht, dass beim Betrieb keine Gefahr für Leib und Leben besteht.

Die Anlagen standen zum Zeitpunkt der Nachfragen bereits auf dem „Flügelhügel“.

Wir wollen wissen, wieviel Strom die Anlagen bis jetzt produziert haben. Die Wuppertaler Stadtwerke mauern: Es werden keine Zahlen genannt. Werte seien „erst nach zwei, drei Perioden seriös“ darstellbar. Während unseres Gespräches mit den WSW-Verantwortlichen im Juli letzten Jahres wurden uns Produktionswerte zur Mitte dieses Jahres in Aussicht gestellt. Doch wird offenbar daraus nichts: Dauerhafte Perioden könnten im Falle der Wuppertaler Anlagen „durch die Reparatur- und Ertüchtigungsmaßnahmen“ nicht abgebildet werden, so dass die WSW über „keine belastbaren Werte“ verfügen, heißt es.

Wir wollen wissen, was die Stadtwerke zum Vergabe- und Ermittlungsverfahren rund um die Sternberg Anlage wissen. Die WSW tauchen ab: „wegen des anhängigen Verfahrens“ bei der Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Sternberg-Vorstand wird keine Auskunft gegeben.

Es heißt lediglich, dass sich eine Beteiligung der Stadtwerke am bereits seit etwa drei Jahre andauernden Verfahren derzeit „in der Prüfung“ befände.

Somit bleibt offen, wieso die Stadtwerke in eine Anlage investierten konnten, die offenbar in allen Belangen nicht ausgereift war, die offenbar nicht betriebssicher ist und gegen deren Hersteller bereits auf mehreren Ebenen rechtlich vorgegangen wurde und wird.

Wurde das Vergabeverfahren ordentlich durchgeführt? Wurden Referenzanlagen besichtigt? Wurden Erfahrungen anderer Anlagenbetreiber eingeholt? Hat sich überhaupt jemand mit den Anlagen tiefgreifender beschäftigt und sie mit anderen Angeboten verglichen? Welche Zusagen und Versprechungen hat die Sternberg-Spitze gemacht, auf deren Grundlage die WSW den Auftrag an das Unternehmen aus Schmallenberg vergeben hat? Fand eine Überprüfung der Liquidität des mittlerweile insolventen Windradherstellers statt?

All diese Fragen ließen die Stadtwerke unbeantwortet.

Was passiert jetzt?

Nach der Insolvenz der Sternberg AG mussten die WSW bei der Fertigstellung der „Flügelhügel“-Windkraftanlagen improvisieren. Entgegen erster Aussagen der Stadtwerke fehlten Teile im Wert von rund 26.000 Euro, die für die Inbetriebnahme notwendig waren. Das geht aus einer uns anonym zugespielten Insolvenzforderung der WSW an die Sternberg AG hervor. Insgesamt hat die Anlage bis jetzt rund 200.000 Euro gekostet.

Die zum Start des MetaLichtes weit verbreitete Behauptung von Universitätsleitung und Stadtwerken, wonach die Anlagen auf dem „Flügelhügel“ über den Bedarf des MetaLichtes hinaus einen Stromüberschuss produzieren sollen, trifft nicht zu.

Um die Lichtkunstinstallation zu versorgen, wird laut WSW derzeit Ökostrom hinzugekauft.

Der jährliche Strombedarf liegt laut Universitätsleitung bei rund 8.500 kWh. Zum Vergleich: Eine vierköpfige Familie verbraucht im Jahr etwa 4.500 kWh und zahlt dafür im Marktdurchschnitt etwa 1.400 Euro.

Warum wird vom MetaLicht nur so wenig Strom benötigt? Das MetaLicht wird nicht die gesamte Nacht über angeschaltet und zu keinem Zeitpunkt leuchten alle LED-Bahnen an den Silhouetten der Universität. „Der Energiebedarf aus erneuerbaren Energien für MetaLicht wird durch die WSW sichergestellt, die auch gegebenfalls anfallende Kosten übernehmen“, so ein Uni-Sprecher.

Das Fazit

Die Universitätsleitung und die Stadtwerke Wuppertal haben kräftig für den „Flügelhügel“ geworben. Bis heute steht auf der Internetseite des Projektes MetaLicht, dass der Strombedarf „dauerhaft und komplett durch ‘Grünen Strom’ gewährleistet wird“, „der aus eigens hierfür aufgestellten, innovativen Windturbinen“ stammt.

Nur wer sich auf den Weg macht und zum „Flügelhügel“ pilgert, erfährt etwas anderes: Die Angaben auf der Infosäule dort wurden vor Kurzem der Realität angenähert. Dort heißt es jetzt, die Anlage sei „aufgrund technischer Probleme derzeit leider außer Betrieb.“

Nichts davon stimmt, wenn man genau hinschaut. Statt die ganze Wahrheit zu sagen und den Misserfolg einzugestehen, mauern Universitätsleitung und Stadtwerke Wuppertal. Nach unseren Recherchen haben die Windräder auf dem „Flügelhügel“ nie ausreichend Strom produziert und somit das MetaLicht nie mit grünem Strom versorgen können.

Bald wollen die Stadtwerke ein „alternatives Konzept zur regenerativen Erzeugung“ von Strom für das MetaLicht präsentieren. Solarzellen sollen mit Windrädern kombiniert werden.

Vielleicht lassen sich die Werber dann ja auch einen neuen Namen für den „Flügelhügel“ einfallen.