Wie das Hotelportal HRS seine Kunden manipuliert
Hotelportale sind populär, weil sie es Reisenden einfach machen, Unterkünfte zu vergleichen. Doch die Ranglisten sind manipuliert. Das deutsche Portal HRS listet jene Hotels höher auf, die zusätzliche Provision zahlen – ohne das offenzulegen. Das ist illegal.
Die Recherche erscheint gleichzeitig bei unseren Kooperationspartnern im „Tagesspiegel“, im „Kölner Stadtanzeiger“, im „Mannheimer Morgen“, in der „Mittelbayerischen Presse“, den „Nürnberger Nachrichten“, der „Sächsischen Zeitung“, der „Badischen Zeitung“ und im WDR.
Im August 2016 klingelt das Telefon von Robert Schaller*, Inhaber eines Hotels in Nordrhein-Westfalen. Schaller hebt ab. Am anderen Ende ist – wieder einmal – ein Mitarbeiter der Hotelbuchungsplattform HRS. Schaller kennt den Mann, er sei sein „persönlicher Betreuer“, rund alle zehn Tage melde er sich mittlerweile. Mit dem immer gleichen Vorschlag, den er laut Schaller auch an diesem Tag wieder vorgetragen habe: Schaller solle HRS für ein Wochenende nicht 15, sondern 19 Prozent des Zimmerpreises als Provision überweisen. Dafür stehe sein Hotel dann weiter oben in der Liste seiner Stadt.
Oder, in der Sprache von HRS: Schaller solle das „Ranking“ seines Hotels „boosten“. Ankurbeln. Steigern. In die Höhe treiben.
Bisher hat Schaller den Ranking Booster stets abgelehnt. Er finde es ohnehin unverschämt, was HRS von ihm verlange – 15 Prozent Provision pro Buchung. Sicher, er profitiere auch von der Plattform. Ohne HRS könne er längst nicht so viele Kunden erreichen. Er braucht, wie die meisten Hoteliers, die Buchungswebsite. Längst laufen über HRS und Konkurrent Booking.com die meisten seiner Reservierungen. Ihn ärgert das manipulierte Ranking, sagt Schaller.
Doch dieses Mal willigt Robert Schaller ein. Er ist neugierig, was passiert, wenn er den Booster einsetzt. Während Schaller den Booster bucht, zeigt HRS ihm an, dass sein Hotel dadurch bis zu 49 Prozent mehr Aufrufe bekommen kann (siehe Bild). Und siehe da, der Booster wirkt. Sucht ein Kunde nun auf der Internet-Seite von HRS nach einem Hotel in der Stadt von Robert Schaller, stößt er weit vorn auf die Unterkunft des Hoteliers. Um rund 25 Ranglisten-Plätze ist die nun höher gelistet.
Der Booster ist wie eine Droge, deren Dosis allmählich erhöht werden muss. Wenn er nicht bucht, zeigt das interne HRS-System Schaller, dass seine Marktattraktivität „unterdurchschnittlich“ sei.
Dass er, mit seinem verhältnismäßig kleinen Hotel, erst Mitte 2016 zum Buchen des Boosters gebracht wurde, sei Taktik, vermutet Schaller. Die großen Hotels könnten sich den Booster leisten, sie seien schon vor Jahren daran gewöhnt worden. Nun sollten auch kleinere Hotels schärfer miteinander konkurrieren, vermutet er. Zum Nutzen von HRS, sagt Schaller. Ob das stimmt, weiß niemand.
Gegenüber CORRECTIV bestätigt HRS lediglich, dass es den Booster gibt, und zwar seit der technischen Zusammenführung mit Hotel.de. HRS schluckte den einstigen Konkurrenten im Jahr 2011. Die Firma bestätigt, dass man Hotels höher platziere, die mehr Provision zahlen. Dies sei eine „Marketingstrategie“ und nur eine Funktion von vielen, die in den Ranking-Algorithmus einfließe. Der Booster werde von den Hoteliers „gut angenommen“, sagt HRS-Sprecherin Britta Schumacher. Zahlen will sie nicht nennen. Die seien „Betriebs- und Geschäftsgeheimnis“.
Wer auf hrs.de ein Hotel in – sagen wir: Münster – sucht, landet zunächst auf der Rangliste „HRS empfiehlt“. Dahinter steht erklärend: „Sie bekommen zuerst die Hotels vorgeschlagen, die eine Vielzahl an Kriterien am besten erfüllen. Dazu gehören flexible Buchungsbedingungen, hohe Kundenzufriedenheit und ein sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis.“
Nutzer können den Booster nicht sehen
Von einem Booster, von höheren Provisionen, von einer gekauften Platzierung erfährt der Nutzer nichts. Hinweise auf Werbung in den Fußnoten, in den AGBs? Fehlanzeige. Mit anderen Worten: Der Ranking Booster ist für Internetnutzer des HRS-Portals nicht zu erkennen. Das macht ihn nach Ansicht von Experten illegal.
Im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) heißt es, dass „unlauter handelt, wer den kommerziellen Zweck einer geschäftlichen Handlung nicht kenntlich macht (…) und das Nichtkenntlichmachen geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.“
Unter unlautere Werbung fällt auch: Geld zu nehmen, um ein Produkt in einer Rangliste höher zu platzieren. „Eine bezahlte Platzierung muss demnach deutlich als Werbung gekennzeichnet werden, um nicht gegen das UWG zu verstoßen“, sagt Philip Scholz, Sprecher des Bundesjustizministeriums.
HRS selbst will sich nicht konkret zu der Frage äußern, ob der Booster gegen das Wettbewerbsrecht verstoße. „Selbstverständlich beachten die Produkte und Services von HRS das geltende Recht“, schreibt Firmensprecherin Schumacher in einer Mail. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass HRS darüber hinaus keine rechtliche Stellungnahme abgibt.“
Das Kölner Unternehmen HRS wurde 1972 von Robert Ragge als Drei-Mann-Unternehmen gegründet. Ragge hatte die Idee, einen Hotelkatalog für Messekunden aufzulegen. Seit 2008 führt sein Sohn Tobias Ragge das Unternehmen. Mittlerweile vermittelt HRS Übernachtungen in 300.000 Hotels weltweit. 2012 hat das Unternehmen einen Umsatz von knapp 150 Millionen Euro ausgewiesen, seitdem verschweigt es die Geschäftszahlen.
Inzwischen läuft rund ein Viertel aller Hotelbuchungen in Deutschland über die großen Internetportale, schreibt der Branchenreport Hotelmarkt Deutschland 2016. Marktführer ist das Unternehmen Booking.com, das zum Touristik-Riesen Priceline aus den USA gehört. Nummer zwei in Deutschland ist HRS. Zusammen wickeln die beiden Portale mehr als 80 Prozent der Internet-Buchungen ab. Ein Duopol, an dem schon längst kein Hotelier mehr vorbeikommt.
Branchenreport Hotelmarkt Deutschland 2016 (1,3 MB)
CORRECTIV hat in den zehn größten Städten Deutschlands mit jenen Hotelbetreibern gesprochen, die in einem ausgewählten Zeitraum auf Platz eins im „HRS-empfiehlt“-Ranking ihrer jeweiligen Stadt lagen. Drei von ihnen gaben zu, den Booster zu nutzen. Die anderen wollten sich nicht äußern.
Oben in der Liste zu sein ist wichtig, denn wer schaut schon auf Platz 35 nach einem passenden Hotel? Keiner der Hotelbetreiber wollte sich zum Einsatz des Boosters namentlich zitieren lassen. Einer gab zu: Als Hotelier sei man abhängig von HRS.
Die deutschen Verbraucherzentralen kritisieren die heimliche Werbung. „Provisionen sind ausschließlich legitim für die Vermittlung von Hotels“, schreibt Miika Blinn vom Bundesverband der Verbraucherzentralen, „aber nicht für das Erkaufen von Bestenplätzen in der Ergebnisanzeige“.
Im Mai 2016 hat die EU-Kommission eine Richtlinie veröffentlicht, um die Manipulierung von Ranglisten zu unterbinden. Darin wird gefordert: Es müsse einen Hinweis auf Werbung geben, wenn der Verkäufer eine Bonus-Gebühr zahlt, um weiter oben im Ranking zu erscheinen. Außerdem fordert die EU, dass Ranking-Kriterien offengelegt werden.
Bundesregierung ignoriert EU-Verbesserungen
Die Richtlinie wurde von verschiedenen Interessengruppen entwickelt und anerkannt. Dabei sind Portale wie Yelp und Verivox, aber auch der europäische Hotel- und Gaststättenverband sowie das italienische Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung. Die deutsche Regierung hat nicht unterschrieben. Und auch HRS, genau wie Konkurrent Booking.com, macht nicht mit.
Von HRS wird der Ranking Booster mittlerweile offensiv beworben. Im firmeneigenen Magazin „Check in“, Ausgabe 04/2016, heißt es: „Der Ranking Booster ist ein zusätzliches Tool im Hotel-Serviceportal von HRS, mit dem sich über eine frei wählbare Zusatzkommission die Sichtbarkeit in der Hotelliste auf einen Schlag erhöhen lässt.“ Und weiter: „Mit Hilfe eines Schiebereglers bestimmen die Nutzer selbst, um wie viele Plätze sie ihr Haus pushen möchten. Sie können ihn jederzeit an- oder ausschalten, höher oder niedriger einstellen, für bestimmte Zeiträume oder durchgehend aktivieren.“
Nutzer, die sich betrogen fühlen, können sich an Verbraucherverbände wenden. Hoteliers, die einen Schaden durch das „Boosten“ der Konkurrenz erlitten haben, können zivilrechtlich klagen. „Denn nur mit einem konkreten Fall vor Gericht, kann dagegen vorgegangen werden“, sagt Hans-Frieder Schönheit von der Deutschen Wettbewerbszentrale.
Robert Schaller hat sich an CORRECTIV gewandt, weil er genug hatte von dem fortwährenden Druck der Buchungsportale. Er will das nicht länger hinnehmen, er will, dass HRS die Karten auf den Tisch legt und allen Kunden sagt, nach welchen Kriterien die Platzierungen der Hotels zustande kommen. Dass im Hintergrund ein Ranking Booster am Werk ist.
Hotelportale wurden einst populär, weil sie Transparenz brachten. Weil sie einen bis dahin unübersichtlichen Markt vergleichbar machten. Der Preis, die Lage, die Ausstattung, vor allem aber: die Bewertungen anderer Reisender – plötzlich konnten Kunden ein viel besseres Urteil fällen. Und begannen, immer häufiger über die Hotelportale ihre Unterkünfte zu buchen.
Und nun nutzen diese Portale ihre Macht aus, um eigene Ranglisten zu erstellen. Ranglisten, die auf intransparenten Kriterien beruhen. Ranglisten, die nach der Höhe der gezahlten Provisionen sortieren. Hotelier Schaller will dagegen angehen. Er will den fairen und objektiven Wettbewerb zurück. Bei dem Leistung und Qualität zählen. Und nicht ein Ranking Booster.
* CORRECTIV hat diesen Namen geändert. Robert Schaller wollte nicht mit seinem richtigen Namen genannt werden, weil er befürchtet, in Zukunft von HRS abgestraft zu werden.