Deutschlandreise

Tag 3: „Raise your voice against racism“

von David Ehl

Köln Jennifer

Was hat sich für die Frauen in Köln verändert? Am nächsten Morgen gehe ich zur Domplatte. Der Wind pfeift, über den Himmel jagen Wolken.

„Ich fühle mich relativ sicher, auch nachts“, sagt die 29-jährige Zeljka. „Klar, für die Frauen, die an Silvester belästigt wurden, war es schlimm.“ Aber drumherum, findet Zeljka, wurde viel hochgepusht. Auch der Karneval, dessen unkontrollierbaren Trubel viele mit Bangen erwartet hatten, war für sie wie immer: „Ich war mir sicher, dass die Stadt sich keinen Skandal mehr leistet“. Zeljka fühlt sich wohl im Köln, will heute noch zum Sport. Die Softwareentwicklerin lebt seit sieben Jahren in der Domstadt. Sie stammt aus Bosnien. Ihre Familie floh nach Deutschland, als sie fünf Jahre alt war. Sie weiß, wie es ist, in ein fremdes Land zu kommen.

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Zeljka (29) fühlt sich auf der Domplatte in Köln genau so sicher wie vor Silvester.

David Ehl

Meine nächste Gesprächspartnerin heißt Melanie, sie ist 44 Jahre alt und ist Psychologin. Sie überrascht mich mit einem Punkt, über den ich gar nicht nachgedacht hatte: „Männer, gerade mit Migrationshintergrund, sind jetzt viel vorsichtiger, wenn sie eine Frau ansprechen.“ Sie sagt, sie spüre auf beiden Seiten mehr Verunsicherung. Für Melanie geht es bei Silvester weniger um Migration, sondern vor allem um Alltagssexismus. Sie hätte sich als politische Konsequenz ein neues Sexualstrafrecht gewünscht, erzählt sie mir.

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Melanie (44) wartet vor dem Kölner Dom auf eine Freundin. Für sie schwingt bei Silvester vor allem eine Debatte über Sexismus mit.

David Ehl

Zwischen den vielen Touristen und den Schülergruppen fällt mir eine junge Frau auf. Sie steht still auf der Domplatte, ihre Augen sind mit einem rot-weißen Tuch verbunden. Vor ihr eine Holzkiste, auf der ein handgeschriebenes Schild auffordert: „Share some love with a hug“, und weiter: „Raise your voice against racism and sexism!“ Eine Stunde lang lässt sie sich blind umarmen.

Ich spreche sie an, wir gehen Kaffee trinken. Sie heißt Jennifer, ist 21 und macht das für ein Uni-Projekt. „Ein bisschen Überwindung hat es schon gekostet“, sagt sie, sich von Fremden umarmen zu lassen. „Ich habe meine Wertsachen aus den Taschen genommen, und es hätte mich auch nicht gewundert, wenn mir jemand aus Spaß an den Hintern gefasst hätte.“ Aber das hat niemand. Und so war es eine gute Erfahrung für sie.

Nein, es habe sich für sie nichts verändert seit Silvester, sagt sie. Aber für ihre Mutter. Die macht sich jetzt noch mehr Sorgen. Und hat Jennifer gebeten, einen Selbstverteidigungskurs zu machen. Jennifer hat es gemacht, ihr zuliebe.

Alle Frauen, die ich treffe, messen Silvester keine allzu große Bedeutung mehr bei. Trotzdem hat sich etwas verändert. Wie passend, dass an diesem Tag ein Beobachtungswagen der Polizei auf der Domplatte parkt. Man teste gerade, auf welchen Plätzen er sich am besten bewährt, erklärt mir ein Polizist. Die Ziele: Präsenz zeigen und Sicherheit ausstrahlen.