Europa

Europäischer Green Deal unter Lobby-Beschuss

Seit Monaten kämpfen Wirtschaftsverbände in Europa unter anderem gegen die EU-Lieferkettenrichtlinie. CORRECTIV liegen Dokumente vor, die zeigen, wie die Konzernlobby gezielt gegen wirkungsvolle Regelungen vorgeht. Nun hat EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen eine „Vereinheitlichung“ der missliebigen Vorschriften angekündigt.

von Gabriela Keller

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Arbeiter in einer Platinmine in Johannesburg. Das Lieferkettengesetz sollte dafür sorgen, dass europäische Unternehmen auch in anderen Ländern auf Arbeitsrecht und Umweltschutz achten müssen. Foto: Picture Alliance

Mit einer neuen, koordinierten Kampagne versuchen deutsche Wirtschaftslobby-Verbände, das europäische Lieferkettengesetz zu entkernen. Auch bei anderen neuen Verordnungen auf EU-Ebene im Bereich Klimaschutz und Nachhaltigkeit pochen die Verbände aktuell auf schwächere oder einfachere Regelungen und ein Aus für zentrale Vorschriften. Experten und Beobachter schlagen Alarm. „Der ganze Green Deal stünde damit auf der Kippe”, sagt Armin Paasch, Lieferketten-Experte von der Organisation Misereor.

Die Lieferketten-Richtlinie soll dafür sorgen, dass europäische Unternehmen auch bei ihren Zulieferern auf Menschenrechte und Umweltschutz achten müssen. Zwar sind die Positionen der Lobbygruppen nicht neu: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordern, dass das EU-Lieferkettengesetz nur noch für Unternehmen ab 5000 Mitarbeitern gelten soll. Auch die zivilrechtliche Haftung soll verschwinden.

Ohne diese Klausel hätten Betroffene aber kaum Chancen, Ansprüche einzuklagen, meinen Kritiker. „Es ist tatsächlich ein Recycling bekannter Forderungen”, sagt Armin Paasch. „Aber jetzt tut sich für sie ein Gelegenheitsfenster auf, genau das durchzusetzen, was sie lange vorhatten.“

 „Zentrale Vorhaben“ im „Herzen des europäischen Green Deal“

Die politische Lage in Brüssel hat sich verändert: Die Europawahlen haben die rechten und konservativen Parteien gestärkt. Die EVP (Europäische Volkspartei)  – und insbesondere die deutsche CDU-CSU – zählen zu den Gegnern der Lieferketten-Richtlinie. Am 26. Februar will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nun einen Vorschlag für eine sogenannte Omnibus-Richtlinie ankündigen: Auf einen Schlag sollen hierbei gleich drei neue Gesetze gebündelt und vereinfacht werden.

Neben der Lieferketten-Richtlinie gilt das für die Verordnung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Taxonomie-Verordnung, bei der es um Berichtspflichten zu nachhaltigen Investitionen und Ausgaben geht. Die Europäischen Grünen reagierten mit Sorge auf von der Leyens Ankündigung: Alle drei Gesetze seien „zentrale Gesetzesvorhaben“, im „Herzen des europäischen Green Deal“, schrieb die Grüne EU-Fraktion in einem Brief an von der Leyen. Das Schreiben liegt CORRECTIV vor.

Hintergrund ist, dass die großen Lobbyorganisationen, darunter vor allem deutsche Wirtschaftsverbände, ihren Kampf gegen das Lieferkettengesetz wieder intensiviert haben: Ein umfangreicher Katalog vereinfachter und gestrichener Regelungen, die die BDA für das Omnibus-Paket ausgearbeitet und bei der Kommission vorgelegt hat, liegt CORRECTIV vor.

Lobbyverbände fordern „Wettbewerbsfähigkeits-Auswertung“

Die Forderungen sind weitgehend deckungsgleich mit den Positionen in einem gemeinsamen Schreiben des BDI, des italienischen Verbandes Confidustria und des Mouvement des Entreprises de France. Darin plädieren die Verbände dafür, die Gesetze vorerst auszusetzen: Sie fordern eine „detaillierte Wettbewerbsfähigkeits-Auswertung der Richtlinien in Beratung mit der Wirtschaft“, bevor die Gesetze umgesetzt werden müssen; als „führende Wirtschaftsorganisationen aus Frankreich, England und Italien begrüßen wir Ihr Engagement, Vereinfachung zu priorisieren und die Belastung zu reduzieren.”

Auch weitere Dokumente zeigen, dass die Wirtschaftslobby sich seit Monaten gezielt vorbereitet: In einer E-Mail vom siebten Januar dieses Jahres, die CORRECTIV vorliegt, fordert eine Industrie- und Handelskammer ihre Mitgliedsunternehmen auf, ihr im Vorfeld der Omnibus-Verordnung „Ihre Vorstellungen, Ideen, Perspektiven und / oder Beispiele von aktuellen Problemen zuzusenden.“ Diese sollten dann an nach Brüssel weitergeleitet werden.  Eine „grundsätzliche Aufhebung des Green Deals“ habe die EU-Kommission zwar abgelehnt, eine „Anpassung“ der „weitreichenden Sorgfaltspflichten“ solle aber eingefordert werden.

Und damit auch die passenden Vorschläge kommen, schickte die IHK gleich eine ganze Liste vor vorformulierten Anregungen mit, etwa: „Streichung der praxisfernen Ausdehnung der Sorgfaltspflichten“ auf Zwischenhändler und „Streichung der zivilrechtlichen Haftung“.

Inwieweit sich die Lobbyverbände durchsetzen können, ist noch offen. Viel wird auch davon abhängen, wer sich bei der Bundestagswahl durchsetzt. Was Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der CDU, von den Vorschriften hält, ist kein Geheimnis. Im CDU-„Sofortprogramm“ steht: „Die Bürokratiemonster wird zurückgestutzt. Überflüssige Regulierungen verschwinden“, das heißt unter anderem: „kein Lieferkettengesetz.“