„Weißes Gold“: Verscharrt statt recycelt
Krumme Geschäfte mit Abfall sind so lukrativ wie Drogendeals – nur leichter zu verschleiern. Eine Recherche von CORRECTIV.Europe zeigt, wie zwei Firmen aus Deutschland und Tschechien offenbar seit Jahren hunderttausende Tonnen Bauschutt kurz hinter der Grenze verschwinden lassen.
Am Ende dieser Recherche, in der es um tausende Tonnen weißen Stoff geht, der seit Jahren über die deutsch-tschechische Grenze geliefert wird, rufen wir einen der Dealer an. Wir geben vor, an gemeinsamen Geschäften interessiert zu sein. Petr D., der seit Langem im Visier tschechischer Behörden steht, beißt an. Nach wenigen Minuten fragt er: „Suchen Sie eine billige Lösung?“ D. spricht Deutsch, häufig sei er geschäftlich in Deutschland unterwegs, erzählt er. In Bayern habe er einen „Partner“, der die Ware über die Grenze vermittle. „Wir nehmen das von der Firma M., das ist unser Hauptlieferant.“
In dieser Geschichte geht es nicht um Koks, sondern um Gips. Genauer: Um Gipsabfall und anderen Bauschutt.
Krumme Geschäfte mit Müll sind laut Europol ähnlich lukrativ wie der organisierte Drogenhandel. Die EU-Kommission schätzt, dass Kriminelle in Europa mit der illegalen Entsorgung von Abfällen jedes Jahr bis zu 15 Milliarden Euro Gewinn machen.
In Deutschland „verwertet“, im Nachbarland illegal entsorgt?
Nirgends fällt so viel Müll an wie auf Baustellen und beim Abriss von Gebäuden. Zuletzt waren es in Deutschland laut Umweltbundesamt über 200 Millionen Tonnen – das ist mehr als die Hälfte des gesamten jährlichen Müllaufkommens.

Laut Kreislaufwirtschaftsgesetz müssen Abfälle möglichst hochwertig verwertet werden, im besten Fall recycelt. Bei vielen Bauabfällen klappe das bereits sehr gut – so erzählen es zumindest Baubranche und Abfallwirtschaft. Doch die offiziellen Zahlen sind löchrig. Werden Abfälle, die in Deutschland offiziell als verwertet gelten, tatsächlich illegal im Nachbarland entsorgt?
Schlupflöcher im Abfallrecht
Recherchen von CORRECTIV.Europe zeigen: Abfallhändler lassen offenbar seit Jahren im großen Stil Bauschutt aus Deutschland in Tschechien verschwinden. Sie nutzen die teils widersprüchliche Gesetzeslage in Europa offenbar bewusst aus. In dieser Grauzone ist nicht immer eindeutig klar, wer Täter ist und wer Opfer. Selbst die zuständigen Behörden tun sich deshalb trotz eindeutiger Hinweise in einigen Fällen schwer, die Verantwortlichen zu benennen und geltendes Recht durchzusetzen. Doch während die Behörden in Tschechien einen der mutmaßlichen Hintermänner der dubiosen Abfallgeschäfte seit Jahren im Visier haben, scheinen die deutschen Behörden ahnungslos.
Den Schaden hat nicht nur die Umwelt. Während einige Unternehmer mit krummen Müllgeschäften Profite machen, haben jene Firmen das Nachsehen, die tatsächlich eine saubere Verwertung betreiben. Ein deutscher Abfallhändler, der anonym bleiben will, sagt im Gespräch mit CORRECTIV.Europe: „Diese Billig-Entsorgung macht das Geschäft für ehrliche Firmen und für die Recyclingbranche in Deutschland kaputt.“

„Gips trägt eine entscheidende Rolle für unser zukünftiges Bauen“
Besonders paradox ist diese fragwürdige Entsorgung im Fall von Gips. Das meist weißlich schimmernde Mineral aus der Klasse der Sulfate steckt in fast jedem Haus: vor allem in Gipskartonplatten, mit denen in Leichtbauweise Wände und Decken gebaut werden, aber auch als Zuschlagstoff in Putz, Mörtel, Estrich und Klebern, in Porenbetonsteinen oder im Stuck unter der Decke. Gips trage „eine entscheidende Rolle für unser zukünftiges Bauen“, hieß es in einem Bericht von 2020, den die Umweltministerkonferenz in Auftrag gab.
Gipsabfälle machen mit rund 640.000 Tonnen zwar nur einen Bruchteil des jährlich anfallenden Bauschutts aus. Doch anders als die meisten mineralischen Abfälle gilt Gipsmüll als vergleichsweise problematisch. Wenn Gips mit organischen Stoffen vermischt wird, kann Schwefelwasserstoff entstehen – ein Gas, so warnt das Umweltbundesamt, das „in geringen Konzentrationen zu Geruchsbeeinträchtigungen führt, in hohen Konzentrationen allerdings tödlich ist.“ Außerdem können die im Gips enthaltenen Sulfate ausgewaschen werden und das Grundwasser belasten.
Um herauszufinden, mit welchen Tricks die Abfallhändler das Material in Tschechien verschwinden lassen, haben wir etliche Anfragen an Behörden in Deutschland und Tschechien gestellt. Online haben wir außerdem fragwürdige Mülltransporte auf einer Transportplattform aufgespürt und Satellitenaufnahmen ausgewertet. Zuletzt haben wir undercover Kontakt zu einigen der Akteure aufgenommen, die in diesem schmutzigen Geschäft mutmaßlich eine Rolle spielen.
Das trickreiche System der Abfallhändler
So ergab sich nach und nach das Bild von zwei Firmen, die sich offenbar seit Jahren Bauabfälle aus Deutschland zuschieben: die Exportfirma M. mit Sitz in Bayern – und auf der anderen Seite der Grenze der tschechische Abfallhändler Petr D., der wegen mutmaßlich illegaler Entsorgung schon lange im Fokus der tschechischen Behörden steht.
Auf Anfrage von CORRECTIV.Europe bestätigt die tschechische Umweltinspektion, dass beide Firmen aktenkundig sind.
Ihr System funktioniert demnach so: Die Firma M. aus Bayern akquiriert bundesweit Müll, den der Abfallhändler Petr D. über eine seiner Firmen nach Tschechien importiert und anschließend an verschiedene Abnehmer weitervermittelt – bis nicht mehr nachvollziehbar ist, dass es sich um Müll aus Deutschland handelt, der in Tschechien gar nicht beseitigt werden dürfte. Beide Firmen seien in einen Komplex verwickelt, den die tschechischen Behörden bis heute versuchen zu entwirren.

Erste Hinweise auf das schmutzige Geschäft erhielten die tschechischen Behörden bereits 2019. Die Umweltbehörde verkündete damals in einer Meldung, was ihre Inspekteure in einem Steinbruch kurz hinter der Grenze vorgefunden hatten: Die Betreiberfirma habe in ihrer Grube vor allem „unbehandelte Gebäude- und Abbruchabfälle“ versenkt, darunter über 6000 Tonnen Gipsabfälle und fast 9000 Tonnen von einer Mischung aus Beton, Ziegeln, Dachpfannen und Keramikabfällen.
Der Fund in der Grube war allerdings nur der Anfang. Eineinhalb Jahre nach der Kontrolle in dem Steinbruch stellten die Kontrolleure der tschechischen Umweltbehörde fest, woher all der Bauschutt offenbar kam: Der Abfallhändler Petr D. soll den Müll aus Deutschland importiert und ihn anschließend über Jahre „kontinuierlich“ an den Betreiber des Steinbruchs weitergeleitet haben. Die aus Deutschland importierten Abfälle belasteten die Umwelt, da sie statt verwertet „illegal entsorgt“ wurden, erklärt die tschechische Umweltinspektion auf Anfrage von CORRECTIV.Europe.


Die Dimensionen dieses schmutzigen Geschäfts waren allerdings offenbar noch weitaus größer als die Behörden zunächst geahnt hatten: Allein zwischen 2017 und 2020 soll der Abfallhändler Petr D. neben 20.000 Tonnen „unverarbeiteter Schlacke“ vor allem jede Menge Bauabfälle importiert haben, darunter über 30.000 Tonnen Beton und Ziegel. Die mit Abstand größte Menge aber machten „gipsbasierte Baumaterialien“ aus: über 125.000 Tonnen Gipsmüll soll Petr D. damals aus Deutschland importiert haben.
Eine weiße Schicht bedeckt den ehemaligen Steinbruch, in dem laut tschechischer Umweltinspektion massenhaft Bauschutt aus Deutschland illegal versenkt wurde – darunter allein zwischen 2017 und 2020 rund 120.000 Tonnen Gipsabfälle. Credits: Google Earth Pro / Google Earth Engine timelapse
Strafen ohne Abschreckung
Und noch etwas fanden die Beamten beim Kontrollieren der sichergestellten Transportpapiere heraus: Von wem Petr D. diese Müllmassen aus Deutschland erhalten hatte. Auf Anfrage von CORRECTIV.Europe teilt die Behörde mit, die Importfirma von Petr D. habe all den Bauschutt – „insgesamt knapp 200.000 Tonnen“ – von nur einer einzigen Firma vermittelt bekommen: von der Firma M. aus Bayern.
Die Umweltbehörde verhängte Geldbußen: in Höhe von etwa 5000 Euro gegen die Firma, die den Müll in ihrem Steinbruch abgekippt haben soll, und in Höhe von rund 11.000 Euro gegen die Firma von Petr D., die den Abfall herangeschafft hatte. Die Firma M. aus Bayern hingegen, die all den Müll aus Deutschland nach Tschechien vermittelt haben soll, ist nach unseren Recherchen bis heute unbehelligt geblieben.
Fragwürdige Abfallexporte, „organisiert“ von einer bayerischen Firma
Dabei teilt das tschechische Umweltministerium mit, dass „die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen zur Entsorgung in der Tschechischen Republik verboten“ sei. Darüber habe man „die zuständigen Behörden in Deutschland wiederholt informiert“. Im Fall der Grube kurz hinter der Grenze handelte es sich laut der tschechischen Umweltbehörde womöglich „lediglich um eine vorgetäuschte Verwertung“ der Abfälle, die dann allerdings „tatsächlich durch Verfüllung (Lagerung) im Steinbruch beseitigt werden.“
Die bayerische Firma allerdings, die all den Müll aus Deutschland akquiriert haben soll, ließ sich von ihren Exporten offenbar nicht abbringen. Noch im vergangenen Jahr habe die bayerische Firma weitere Abfalltransporte an die Firma von Petr D. „organisiert“, teilt die tschechische Umweltinspektion mit – auch diese Abfälle sollen am Ende in der Grube gelandet sein.

Bei einer Kontrolle stoppten die tschechischen Behörden immerhin einen LKW aus Deutschland, bevor er seine schmutzige Fracht abladen konnte: der Gipsabfall war mit Styropor-, Metall- und Dämmstoffresten versetzt. Diese Abfälle hätten nach Ansicht der tschechischen Behörden als „gemischte Bau- und Abbruchabfälle“ deklariert und der Export zuvor genehmigt werden müssen.
Die Transporte rollen bis heute
Auf einer Frachtenbörse im Internet entdecken wir etliche fragwürdige Abfallexporte, die ganz aktuell nach Tschechien vermittelt werden. Auf dieser Börse schreiben Speditionen Transportaufträge aus. Sie geben ein, wo die Fracht abgeholt und wo sie entladen werden soll. Allein zwischen Ende Oktober und Mitte November haben wir auf der Transportbörse über fünfzig Inserate dokumentiert, die von verschiedenen Orten vor allem in Süddeutschland abgeholt werden sollen. Die Ladung ist meist als „Gipskarton / Abfall aus dem Gebäudeabbruch“ oder schlicht als „Gips“ ausgewiesen. Bei einigen der Transportaufträge ist als Ladung „Schlacke“ angegeben – ein Abfallprodukt, das als Baustoff verwendet werden kann, jedoch häufig mit giftigen Schwermetallen belastet ist.
Um herauszufinden, wo genau der Müll herkommt und an wen er geliefert wird, geben wir uns als Spediteur aus Deutschland aus. Undercover rufen wir bei der tschechischen Spedition an, die all die Transporte inseriert hat. Wir geben vor, uns für eine Fuhre Gipsmüll zu interessieren, die laut Anzeige in Nürnberg abgeholt werden soll. Die Mitarbeiterin der Spedition nennt uns die genaue Adresse: Es ist eine Megabaustelle am Stadtrand von Nürnberg.
Einst residierte hier, in einem gewaltigen Gebäudekomplex, der Versandhandel Quelle. Eine Gruppe von Immobilieninvestoren will das teils denkmalgeschützte Gelände in ein Wohn- und Gewerbequartier verwandeln, genannt „The Q“. Das Vorhaben gilt als eines der größten Umbauprojekte Europas. Weil der Hauptinvestor pleite ging, standen die Baukräne zwischenzeitlich still. Doch seit Ende 2023 wird wieder saniert und gebaut – und dabei fallen offenbar auch Gipsabfälle an. Gerne hätten wir von den Bauherren erfahren, wer die Entsorgung der Gipsabfälle veranlasst hat. Doch unsere Anfrage blieb unbeantwortet.

Credits: Florian Peljak / picture alliance / SZ Photo
Umso freimütiger redet die Mitarbeiterin der tschechischen Spedition, die den Transport der Abfälle auf der Frachtenbörse inseriert hat. Als wir sie undercover anrufen, fragen wir explizit, ob all die Abfalltransporte aus Deutschland von der Firma M. organisiert werden. „Ja, genau“, bestätigt die Spediteurin. Und ist die Firma von Petr D., dem tschechischen Abfallhändler, der Importeur der Abfälle? Wieder ist die Antwort eindeutig: „Genau, ja.“
Warum verdeckt recherchieren?
Außerdem verrät uns die Frau am Telefon auch den genauen Zielort, an dem all der Müll aus Deutschland abgeladen werden soll: Es ist das Betriebsgelände einer kleinen tschechischen Firma. Vor Blicken geschützt, in einem Waldstück an einem Nebenarm der Elbe, verfüllt auch diese Firma kurz hinter der Grenze einen alten Steinbruch.
„Das Verfüllen von Gruben ist eine beliebte Variante der illegalen Abfallentsorgung“
Auf Satellitenbildern aus dem September 2025 ist zu erkennen, dass ein Teil des Steinbruchs von einer weißen Schicht bedeckt ist, darauf mehrere LKW. Augenscheinlich wurden auch in dieser Grube erst vor Kurzem massenhaft Gipsabfälle und womöglich auch anderer Bauschutt abgeladen.
Wer in dieser Grube Gipsmüll anliefert, zahlt dafür umgerechnet knapp fünfzig Euro pro Tonne. Das geht aus einer Preisliste hervor, die die Firma auf ihrer Webseite veröffentlicht hat. Das ist deutlich günstiger als die Entsorgung in Deutschland. Zum Vergleich: Auf einer Bauschuttdeponie im Großraum München, von wo aus nach unseren Recherchen auf der Transportbörse aktuell offenbar besonders viel Müll in den Steinbruch geliefert werden soll, kostet die Deponierung von Gipsabfällen 90 Euro pro Tonne. In anderen Teilen Deutschlands ist die Entsorgung auf Deponien teils sogar noch deutlich teurer (siehe Infokasten).
Engpass auf Deponien: „Vor allem die Baubranche fürchtet einen Notstand“
Der Bundesverband der Gipsindustrie spricht sich schon seit längerem gegen die Deponierung von recyclingfähigen Gipsabfällen aus. Doch noch immer landen in Deutschland rund 40 Prozent der Gipsabfälle auf Deponien. Die Preise für die Deponierung von Gipsmüll variieren je nach Region deutlich: von 85 Euro auf einer Deponie im Rheinland, über Thüringen, wo 130 Euro fällig werden, 156 Euro im südlichen Niedersachsen, um die 180 Euro in manchen Regionen von Bayern und bis zu 209 Euro auf einer Deponie in Baden-Württemberg.
Auf Deponien darf Gipsmüll nur unter ganz bestimmten Bedingungen und von anderen Abfällen getrennt lagern. Trotzdem führt das Material dort „regelmäßig zu Problemen“, heißt es in einem Bericht der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA). Bei Kontakt mit Beton kann es zu einer “Schädigung der Bauteile kommen“. Außerdem sei der Gipsmüll „für die Stabilität des Deponiekörpers ungünstig“.
Wenn Gipsabfälle auf Baustellen mit anderem Bauschutt vermischt werden, können selbst diese anderen Abfälle „wegen des Sulfatgehalts des Gipses nur sehr eingeschränkt weiterverwendet werden“, so die Berliner Senatsverwaltung. „Bauabfälle, die mit Gips verunreinigt sind, werden deshalb von den Entsorgungsunternehmen gar nicht oder nur zu deutlich höheren Entsorgungspreisen angenommen.“ Aus diesem Grund dürfen Gipsplatten etwa in Österreich ab 2026 nicht mehr deponiert werden.
In vielen Regionen Deutschlands werden die Deponiekapazitäten ohnehin zunehmend knapp. Laut Statistischem Bundesamt wird fast jede zweite der rund tausend Deponien in Deutschland bis 2032 voll sein. „Vor allem die Baubranche fürchtet einen Notstand“, meldete die Zeitung für kommunale Wirtschaft im August 2024.
Dass es bei der Deponierung von Bauabfällen „seit Jahren einen Engpass“ gibt, bestätigt auch Andreas Pocha, Geschäftsführer des Deutschen Abbruchverbands. „Besonders angespannt ist die Situation in den Bundesländern mit hoher Bautätigkeit und begrenzten Deponiekapazitäten, wie zum Beispiel in Bayern oder auch Hessen.“ Genau aus diesen Bundesländern verschwindet nach unseren Recherchen besonders viel Gipsabfall nach Tschechien.
Die tschechische Umweltinspektion bestätigt auf Anfrage von CORRECTIV.Europe, dass ihr die laufenden Gipsmülltransporte bekannt seien, diese würden aktuell untersucht.
„Das Verfüllen von Gruben ist eine beliebte Variante der illegalen Abfallentsorgung“, sagt Experte Berend Wilkens. Die Gruben mit Müll zu verfüllen, sei mitunter lukrativer als der Abbau der Rohstoffe selbst. Wilkens leitete zuletzt in der Nähe von Rostock die größte Sondermülldeponie Europas, zuvor war er 27 Jahre lang Geschäftsführer der Sonderabfallgesellschaft Brandenburg/Berlin. In seinen vierzig Jahren Berufserfahrung hat Wilkens viele Abfallexporte kontrolliert – auf dem Papier ebenso wie bei Transportkontrollen auf der Straße.
„Dubiose Abfallmakler, die Scheinverwertungen zu Dumpingpreisen anbieten“
Auch das Umweltbundesamt hatte genau vor diesem Szenario bereits vor Jahren gewarnt: „Eine entscheidende Stellschraube“, um das Gipsrecycling in Deutschland voranzubringen, sei „die Unterbindung von preiswerten Scheinverwertungen auf technisch und ökologisch zweifelhaften Wegen“, hieß es bereits 2017 in einem Bericht des UBA.
Um solche „ökologisch schädlichen Praktiken zu unterbinden“, empfahl das UBA besseren Austausch unter den Vollzugsbehörden der Bundesländer. Die Behörden sollten sich gegenseitig „Hinweise“ geben – und zwar „vor allem auf dubiose Abfallmakler, die Scheinverwertungen zu Dumpingpreisen anbieten.“
Saubere Finger trotz schmutziger Deals?
Makler treten in der Abfallbranche als Vermittler auf. Sie handeln also lediglich mit dem Müll anderer Unternehmen, selbst machen sie sich die Hände meist nicht schmutzig. Die Maklerfirma M. hat ihren Sitz in einer Gemeinde in Unterfranken, am Rande einer Fertighaussiedlung in einem strahlend weißen Haus mit großem Garten, Teich und Terasse. Wie viel Müll hat die Firma über all die Jahre nach Tschechien vermittelt? Und vor allem: Weiß die Firma, dass ihr Geschäftspartner in Tschechien zumindest einen Teil der Abfälle illegal entsorgen lässt?
Auf diese und viele weitere Fragen hätten wir gerne von den Verantwortlichen der Firma M. selbst Antworten erhalten. Doch auf unseren umfangreichen Fragenkatalog hat die Geschäftsführung nicht geantwortet. Stattdessen geht an dem Tag, an dem wir unsere Fragen verschickt haben, die Webseite der Firma offline. Kurz darauf erhalten wir ein Schreiben von einer Anwaltskanzlei, die sich eine Berichterstattung über die Firma M. verbittet. Die Kanzlei begründet dies vor allem damit, CORRECTIV habe zu unkonkret gefragt. Das stimmt jedoch nicht: Wir haben einen Fragenkatalog mit zehn sehr konkreten Fragen geschickt, teilweise mit weiteren Unterfragen. So haben wir etwa zu einzelnen Lieferungen an eindeutig benannte Empfängerfirmen nachgefragt.
Werden die Papiere manipuliert?
Also kontaktieren wir stattdessen die tschechische Firma, die ihren Steinbruch mutmaßlich mit dem Müll verfüllt, den Petr D. ihr vermittelt. Dieses Mal geben wir uns als Journalisten aus Deutschland zu erkennen. Auf unsere Frage, was seine Firma mit dem Müll aus Deutschland macht, erhalten wir vom Chef des Steinbruchs per E-Mail eine überraschende Antwort: „Wir erhalten keine Abfälle aus dem Ausland (und verarbeiten diese daher auch nicht). Die Materialien werden uns vertraglich ausschließlich aus der Tschechischen Republik geliefert.“
Weiß die Firma tatsächlich nicht, dass sie in ihrer Grube Abfälle aus Deutschland versenkt? Und falls ja: An welcher Stelle verliert sich die Spur des Mülls?
Fragwürdiger Zwischenstopp
Laut der Inserate auf der Frachtenbörse, die wir in den vergangenen Wochen dokumentiert haben, sollen die LKW auf ihrem Weg aus Deutschland nach Tschechien einen Zwischenstopp einlegen: in einem Industriegebiet der Stadt Svatava – genauer: auf dem Betriebsgelände der Firma des Abfallhändlers Petr D.. Dort würden lediglich „die Papiere bestätigt“, sagte uns die Mitarbeiterin der Spedition am Telefon, „dann fahren weiter.“
Eine Frage drängt sich auf: Werden die Papiere bei dem Zwischenstopp womöglich nicht „bestätigt“, sondern manipuliert, um die Herkunft der Abfälle zu verheimlichen?
Diese Frage sei Gegenstand ihrer aktuellen Untersuchungen, teilt uns die tschechische Umweltinspektion auf Anfrage mit. Allerdings habe der Abfallhändler Petr D. bereits in der Vergangenheit getrickst. So soll er Abfälle, die sein Unternehmen von der Firma M. aus Bayern vermittelt bekam, „ohne Aufbereitung“ an die Empfänger in Tschechien weitergereicht haben, „wodurch ihre Herkunft verschleiert wurde“. Womöglich, so mutmaßt die Behörde, handele es sich auch bei der Entsorgung des Gipsmülls „lediglich um eine vorgetäuschte Verwertung dieser Abfälle“. Stattdessen könnten die Abfälle „tatsächlich durch Verfüllung im Steinbruch beseitigt werden.“
„Wenn der Empfänger nicht weiß, dass er Müll aus dem Ausland annimmt, muss offenbar auf dem Weg eine Papierwäsche erfolgt sein“, meint auch Experte Berend Wilkens, den wir um eine Bewertung unserer Rechercheergebnisse gebeten haben. „Da wird der deutsche Müll offenbar auf dem Papier in tschechischen verwandelt. Anders ist das kaum zu erklären.“
Undercover-Anruf beim Abfallhändler
Zeit für einen Anruf bei Petr D. selbst. Wir geben uns als Abfallhändler aus Deutschland aus. Wir hätten gehört, dass er Gipsabfälle entsorge. Zunächst antwortet D. einsilbig: „Ja, stimmt.“ Auf Nachfrage erzählt er mehr: „Wir machen das inklusive Transport. Da kümmern wir uns drum. Eine tschechische Spedition holt das ab bei den Kunden.“ Er nehme auch anderen Bauschutt, vor allem Asphalt und Beton interessieren ihn. Wir wollen wissen, was mit dem Gipsmüll in Tschechien passiert. Petr D. weicht aus. Stattdessen fragt er: „Suchen Sie eine billige Lösung?“
Konkrete Preise will er auf Anhieb nicht nennen. Wir haken nach, wie seine „billige Lösung“ aussehen könnte, wollen wissen, ob seine Firma den Müll selbst verwertet oder an andere Abnehmer in Tschechien weitergibt. „Wir fahren das weiter“, antwortet er. „Baumaterialien“, behauptet er, versuche seine Firma „stofflich zu verwerten“.
„Wir recyclieren das“, behauptet der Abfallhändler
Wieder haken wir nach: „Stoffliche Verwertung, also wäre das auch Recycling bei Gips in Tschechien?“ Petr D. behauptet: „Ja, wir recyclieren das.“ Offenbar kennt Petr D. die technischen Abläufe beim Recycling von Gipsabfällen, er spricht uns sogar auf die Recyclinganlagen für Gipsabfälle in Deutschland an. Was er nicht erwähnt: Das Recycling ist ein Hightech-Vorgang, entsprechende Anlagen gibt es in Europa nur einige wenige, in Tschechien nicht eine einzige.

Wir fragen, ob Gipsabfälle in Tschechien zur Verfüllung alter Gruben genutzt werden dürfen, zur so genannten Rekultivierung. Seine Antwort überrascht uns: „Rekultivierung mit dem Gips geht nicht mehr.“
Nachfrage: „Geht nicht mehr?“
Petr D.: „Geht nicht mehr, nein.“
Nachfrage: „Das heißt, es kann nur noch stofflich verwertet werden?“
Petr D.: „Ja, ja, stoffliche Verwertung, ja.“
Es ist ein offensichtlicher Widerspruch: Am Telefon bestätigt Petr D., dass Gipsabfälle in Tschechien nicht mehr zu Rekultivierungszwecken abgeladen werden dürfen – dabei passiert nach unseren Recherchen mutmaßlich genau das mit den Abfällen, die seine Firma aus Deutschland importiert. Gerne hätten wir uns diesen Widerspruch von Petr D. selbst erklären lassen. Doch auf unsere Presseanfrage, die wir ihm nach dem Anruf schriftlich zukommen lassen, erhalten wir keine Antworten. Petr D. taucht ab.
Gesprengte Brücken, abgerissene Schwimmbäder – millionenschwere Unternehmen unter den Kunden
Dafür nennt uns die tschechische Umweltbehörde die Namen von zwanzig deutschen Unternehmen, die zu den Kunden der Maklerfirma M. gehört haben sollen. Darunter sind einerseits kleine Wertstoffhöfe, Containerdienste und Sammelstellen, bei denen Baufirmen und Privatpersonen ihren Bauschutt abliefern können. Aber auch Unternehmen mit Millionenumsätzen, die bundesweit Großaufträge ausführen – etwa die Sprengung von Brücken oder den Abriss von Schwimmbädern.
Ein deutscher Unternehmer, der anonym bleiben will, berichtet CORRECTIV.Europe: Das schmutzige Geschäft mit dem Gipsmüll sei in der Branche seit Langem bekannt. Petr D., der tschechische Abfallhändler, sei „der Mann für den Gips“ in Tschechien. Seit Jahren wickele D. das Geschäft zusammen mit der bayerischen Firma M. ab. Dank dieser Zusammenarbeit sei die Firma M. „der dickste Fisch in unserer Branche, wenn es um Gipsentsorgung geht.“
Der Insider erzählt, er habe früher selbst über die beiden Firmen Gipsmüll nach Tschechien exportieren lassen. Rückblickend sieht er das kritisch: „Wir bauen hier Gips ab, schädigen unsere Umwelt, und gleichzeitig kippen wir es drüben in ein Loch – dabei haben wir ja die Recyclinganlagen für Gips in Deutschland.“

Tatsächlich ist der Abbau der natürlichen Gipsvorkommen in Deutschland umstritten, durch den Kohleausstieg ist der Nachschub zusätzlich gefährdet (siehe Infokasten).
Woher kommt das „weiße Gold?“
Bislang wird etwa die Hälfte des Gipsbedarfs in Deutschland mit einem Abfallprodukt aus Kohlekraftwerken gedeckt: mit sogenanntem REA-Gips, der in den Rauchgasentschwefelungsanlagen entsteht. „Mit dem beschlossenen Kohleausstieg wird die verfügbare Menge an REA-Gips sukzessive abnehmen und schließlich in Gänze wegfallen“, heißt es in einer Prognose von 2024, die das Umweltministerium von Schleswig-Holstein in Auftrag gegeben hat. „Dieser verknappenden Rohstoffverfügbarkeit steht ein wachsender Rohstoffbedarf der gipsverarbeitenden Industrie gegenüber.“
Die andere Hälfte des Gipsbedarfs wird mit Naturgips gedeckt. Den gibt es in Deutschland reichlich. Von den rund fünf Millionen Tonnen, die jedes Jahr aus der Erde geholt werden, kommt etwa die Hälfte aus dem Südharz, heißt es beim BUND. In ihrem „Schwarzbuch Gips“ hat die Umweltschutzorganisation dokumentiert, wie sehr der Bergbau die Natur im Mittelgebirge zwischen Thüringen, Sachsen-Anhalt und dem südlichen Niedersachsen schädigt. Der Gipsabbau hat hier eine lange Tradition, das Mineral gilt als „weißes Gold“. Doch er verwandelt die in Mitteleuropa einzigartige Karstlandschaft mit ihren unzähligen Höhlen und Spalten in eine Kraterlandschaft, wodurch laut BUND wertvolle Lebensräume für viele seltene Tier- und Pflanzenarten „unwiederbringlich verloren gegangen“ seien. Erst im Frühjahr stoppte das Oberverwaltungsgericht in Magdeburg weitere Probebohrungen in einem Naturschutzgebiet.
Doch nicht nur Umweltschützer kritisieren den Gipsabbau. Aus Angst vor Staub und Lärm, vor allem aber aus Sorge um ihr Trinkwasser, protestieren auch in anderen Gegenden Deutschlands Bürgerinitiativen gegen den Gipsabbau. In Unterfranken etwa gibt es Kritik an den Plänen des Baustoffriesen Knauf, der dort das größte Gipsbergwerk Deutschlands eröffnen will.

„Unendlich oft recycelbar“
Wie viel Gips wird recycelt?
Recyclinganlagen für Gipsabfälle können in Deutschland „bisher nur schwer wirtschaftlich betrieben werden“, heißt es in einer Prognose, die das Umweltministerium von Schleswig-Holstein 2024 veröffentlichte.
Aktuell werden in Deutschland laut dem Bundesverband der Gipsindustrie nur rund 13 Prozent der Gipsabfälle recycelt. Andere Länder sind deutlich weiter. Das Umweltbundesamt (UBA) berichtete bereits 2017 über die etablierten Recyclingsysteme für Gipskartonplatten in Großbritanien, Belgien, den Niederlanden, Dänemark und Schweden. Dort hätte unter anderem die Einführung von Deponiesteuern zu höheren Recyclingraten geführt.
Die französische Gipskartonplattenindustrie verkündete 2025, inzwischen bestünden über ein Drittel ihrer Produkte aus Recyclinggips. In Dänemark werden sogar bis zu 80 Prozent der Gipsabfälle recycelt, heißt es in einem vom UBA und dem Bundesumweltministerium geförderten Bericht des Naturschutznetzwerks Grüne Liga von 2022.
In Deutschland gibt es aktuell vier Recyclinganlagen für Gipsabfälle. Eine davon betreibt die Remondis-Gruppe, Marktführer in der deutschen Entsorgungsbranche, im rheinland-pfälzischen Zweibrücken. Dort wird der Gips in großen Siebtrommeln von Störstoffen getrennt: Reste von Fliesen oder Tapeten, die Papierbeschichtung vom Gipskarton.

„Der meiste Gipsabfall, der unsere Anlage erreicht, kommt von Baufirmen und kommunalen Wertstoffhöfen“, sagt Manager Christian Salzmann. Die Annahme in der Recycling-Anlage von Remondis koste bis zu 70 Euro pro Tonne. Unsauber sortierte Lieferungen mit vielen Störstoffen sind teurer.
Gesetzlich ist zwar vorgeschrieben, dass Gipsabfälle bereits auf der Baustelle sauber von anderem Bauschutt getrennt werden sollen. Doch auf vielen Baustellen passiert das Gegenteil: Der Rohstoff Gips wird mit anderem Bauschutt zusammengeschmissen – und geht somit häufig fürs Recycling verloren (s. Infokasten).
Gesetzlose Baustellen? Umsetzung der Vorschriften „mangelhaft“
„Oberstes Ziel der Gewerbeabfallverordnung ist, dass Baustoffe getrennt erfasst und vorrangig einer Wiederverwendung oder einem Recyclingverfahren zugeführt werden“, betont das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag in einem Bericht. Doch die Realität auf vielen Baustellen sieht offenbar anders aus: „Insgesamt scheinen die behördliche Überwachung und der Vollzug von abfallrechtlichen Vorgaben auf der Baustelle unzureichend zu sein.“ Dass sie offenbar selten Kontrollen oder gar Strafen fürchten müssen, sei vielen Firmen bekannt und führe dazu, „dass bei Abbruch- und Entsorgungsdienstleistungen höhere Entsorgungskosten für nicht sortenrein erfasste Bauabfälle in Kauf genommen und durch den geringeren Arbeitsaufwand kompensiert werden.“
Zu einem ähnlich vernichtenden Ergebnis kommt auch ein Bericht der Deutschen Rohstoffagentur und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe: Die Trennung und Erfassung von Bau- und Abbruchabfällen sei „aufgrund fehlender konsequenter Umsetzung“ der gesetzlichen Vorgaben „mangelhaft“, die Vorgaben des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und der Gewerbeabfallverordnung würden „nicht hinreichend befolgt“. Stattdessen würden die Gesetze „aufgeweicht“ – und zwar aus einem einfachen Grund: weil es für Unternehmen häufig günstiger sei. So würden Gipsabfälle vor allem deshalb entsorgt statt recycelt, „da unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit von der Abfallhierarchie abgewichen werden darf, wenn zum Beispiel die Deponierung wesentlich kostengünstiger als Recycling ist“.
Ob sich die saubere Trennung ihrer Bauabfälle für sie rechnet, können Unternehmen ziemlich frei entscheiden: „Wirtschaftlich gilt eine getrennte Erfassung oder die Aufbereitung rechtlich dann als unzumutbar, wenn die entstehenden Mehrkosten unangemessen hoch sind – definiert ist die Höhe jedoch nicht“, heißt es im Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag.

„Unser größter Konkurrent war und ist Tschechien“
Auch Remondis-Manager Salzmann kritisiert, dass seiner Recyclinganlage der Rohstoff abhandenkomme – weil manche Bauunternehmer und Entsorgungsfirmen das Material um Kosten zu sparen lieber wegwerfen ließen, statt es wiederzuverwerten. Vor allem die „billige Entsorgung“ an einem speziellen Ort ärgert Salzmann: „Unser größter Konkurrent war und ist Tschechien.“
Er meint die Entsorgung in den Uranschlammteichen von Mydlovary, über die CORRECTIV.Europe berichtete. Die war zwar höchst umstritten, aber nach tschechischem Recht lange legal. Denn offiziell handelte es sich dabei um eine Rekultivierungsmaßnahme.

Zur Rekultivierung, also der Wiederherstellung der Landschaft, werden alte Gruben verfüllt, die der Bergbau hinterlassen hat. Die Löcher mit Gipsabfällen zu verfüllen, ist jedoch laut Umweltbundesamt „aus ökologischer Sicht umstritten“ und deshalb in Deutschland inzwischen größtenteils verboten (siehe Infokasten).
Rekultivierung: Gestopfte Löcher und weiße Berge
Mit der Rekultivierung schließt sich gewissermaßen der Kreis aus dem enormen Ressourcenverbrauch und dem hohen Müllaufkommen der Baubranche. Die Löcher, die der Bergbau in die Landschaft gefressen hat, um den Rohstoffhunger der Bauindustrie zu stillen, müssen am Ende wieder verfüllt werden. Dafür werden die Tagebaue, in denen zuvor Kies, Sand und andere Baustoffe abgebaut wurden, mit Erdaushub von Baustellen sowie mit Bauschutt und anderen mineralischen Abfällen zugeschüttet.
Gipsabfälle wurden in Deutschland lange vor allem zur Rekultivierung von Kalihalden eingesetzt. Der Kalibergbau, bei dem Salzgestein vor allem zur Herstellung von Düngemitteln gefördert wird, hat in einigen Regionen Mitteldeutschlands riesige weiße Berge aufgeschüttet, von denen manche im Volksmund „Monte Kali“ und „Kalimandscharo“ genannt werden.

Da der Regen Giftstoffe aus den Salzbergen auszuwaschen droht, müssen die Halden abgedeckt werden – und eben dafür wurden lange Gipsabfälle verwendet.
Das kritisierte der damalige EU-Abgeordnete Dan Jørgensen, heute Kommissar für Energie und Wohnen der EU-Kommission, bereits 2010: Die deutsche Entsorgungspraxis habe zu „Wettbewerbsverzerrungen“ geführt und die damals bereits etablierte Gipsrecyclingindustrie in Dänemark und den Niederlanden bedroht.
Ähnlich kritisch äußerte sich auch das Umweltbundesamt (UBA) in einem Bericht von 2017: „Wegen der hohen Nachfrage durch die – aus ökologischer Sicht umstrittene – sonstige Verwertung im Bergbau ist das hochwertige Recycling von Bauabfällen auf Gipsbasis in den letzten Jahren nicht im erwünschten Maße in Gang gekommen.“
Inzwischen ist die Rekultivierung der Kalihalden in Thüringen und Hessen „nicht mehr zulässig“, so das UBA. Auch in anderen Bundesländern dürfen Gipsabfälle heute nicht mehr zur Rekultivierung im Bergbau verwendet werden. Die Behörden in Bayern etwa teilen mit, Gipsabfall sei dort „grundsätzlich kein zulässiges Verfüllmaterial“. Wegen der „Nichteignung von Gipsabfällen zur Tagebau-Wiederverfüllung“ wird das Material auch in Sachsen seit 2014 nicht mehr zur Rekultivierung verwendet, so das sächsische Oberbergamt.

Inzwischen sieht auch die tschechische Regierung die Entsorgung von Gipsabfällen offenbar kritischer. Durch eine Änderung im Abfallgesetz darf dort kein Gipsmüll mehr zu Rekultivierungszwecken verwendet werden – weder in den Uranschlammteichen von Mydlovary, noch in anderen Gruben. Über diese geänderte Gesetzeslage informierte das tschechische Umweltministerium im Sommer 2023 das Bundesumweltministerium.
Deutsche Behörden waren informiert
In Berlin verstand man offenbar, dass der Kurswechsel im Nachbarland für die deutsche Abfallbranche weitreichende Folgen haben dürfte. Das Bundesumweltministerium jedenfalls leitete die E-Mail mit der Auskunft aus Tschechien an Dutzende Empfänger weiter: darunter die wichtigsten Interessenverbände der Abfallbranche in Berlin und Brüssel, die Deutsche Industrie- und Handelskammer, Rechtskanzleien, der Deutsche Städtetag sowie der Deutsche Landkreistag, die alle Kommunen und Kreise auf Bundesebene vertreten, sowie die Abfallkontrollbehörden mehrerer Bundesländer.
Nur: Wo landet der viele Gipsmüll aus Deutschland, der jahrelang für die Rekultivierung der tschechischen Uranschlammteiche verwendet wurde, heute stattdessen?
Im Recycling – davon geht zumindest das Umweltbundesamt aus. Auf Anfrage teilt Deutschlands zentrale Umweltbehörde mit: Da nun kein Gips mehr in den Uranschlammteichen von Mydlovary landen darf, sei mit einer „nennenswerten Steigerung“ des Gipsrecyclings in Deutschland zu rechnen. „Andere großskalige “Verwertungen” oder Beseitigungspfade in Tschechien“ seien der Behörde nicht bekannt.
Der Trick der Abfallhändler
Doch eben eine solche „Verwertung“ verspricht offenbar auch Petr D. jenen Kunden in Deutschland, deren Abfälle die bayerische Firma M. ihm nach Tschechien vermittelt. In einem Dokument, das CORRECTIV.Europe vorliegt, unterschrieben und gestempelt von Petr D., heißt es: Seine Firma werde „eine 100%ige Verwertung des Abfalls gemäß den geltenden gesetzlichen Vorschriften sicherstellen“.
Als Abnehmer sind unter anderem die beiden Firmen aufgelistet, in deren Steinbrüchen mutmaßlich auch der Müll aus Deutschland gelandet ist. Davon ist in dem Dokument allerdings keine Rede. Stattdessen verspricht Petr D. nochmals, „dass der gesamte aufgenommene Abfall ausschließlich einer Verwertung zugeführt und nicht entsorgt wird.“
Er behauptet sogar, dass „durch ein effizientes Management der Materialströme und die Zusammenarbeit mit spezialisierten Verarbeitungsunternehmen“ der „Anteil recycelter Rohstoffe erhöht und die Kreislaufwirtschaft gefördert werden, indem Nebenprodukte der Verarbeitung als Rohstoffe für neue Produkte genutzt werden können.“ Klingt nach Recycling – ein Freifahrtschein für den Export aus Deutschland?
„Ein ausführlicher Werbeprospekt. Mehr nicht.“
„Genau so läuft illegale Abfallentsorgung“, sagt Abfallexperte Berend Wilkens. „Den Kunden wird suggeriert, ihre Abfälle würden in eine gleichwertige Recyclinganlage wie in Deutschland geliefert. Und in Wirklichkeit landet das Zeug in irgendeiner Grube.“
Über das Dokument des tschechischen Abfallhändlers sagt Wilkens: „Für eine verlässliche Information, ob die Verwertung von Gipsabfällen in den aufgeführten Anlagen tatsächlich genehmigt ist, reichen die Angaben nicht aus. Die Unterlage ist als ausführlicher Werbeprospekt einzustufen. Mehr nicht.“
Ein Werbeprospekt – für die bayerische Firma M., die den Müll aus Deutschland akquiriert, war das dubiose Schreiben ihres tschechischen Partners offenbar genau das. Zusammen mit tschechischen Genehmigungen, die entsprechend der alten Rechtslage eine Verwertung von Gipsabfällen zu Rekultivierungszwecken erlaubt hatten, soll die Firma M. das Schreiben ihren Kunden in Deutschland vorgelegt haben – also jenen Firmen, deren Abfall am Ende mutmaßlich in den Gruben landete.
Experte wirft Kunden „fehlende Sorgfalt“ vor
Das legt zumindest eine E-Mail nahe, die uns der Insider zugespielt hat, der früher selbst Gipsmüll über die Firma M. nach Tschechien exportiert haben will. CORRECTIV.Europe hat weitere Firmen in ganz Deutschland kontaktiert, die ebenfalls zu den Kunden der Firma M. gehören sollen. Doch keine dieser Firmen antwortete auf unsere Fragen.
„Natürlich muss man auch den Kunden zumindest fehlende Sorgfalt vorwerfen“, meint Experte Berend Wilkens. „Der gesetzlich vorgeschriebene Weg wäre: Die Abfallerzeuger überprüfen die Verwertung ihrer Abfälle. Idealerweise müsste dafür jemand nach Tschechien fahren und schauen, wo der Abfall hingeht – und vor allem, ob, und falls ja, wie er tatsächlich verwertet wird.“

Wurde den Kunden bloß vorgetäuscht, dass ihr Müll in Deutschland verwertet würde? „Ja“, so die Antwort hessischer Behörden. Dort weiß man von Firmen, die ihre Gipsabfälle zwischen 2021 und 2023 laut „Lieferscheinen und Rechnungen“ angeblich in Deutschland verwerten ließen – allerdings wurde die „Verbindung zu einer Maklerfirma und einem Entsorger in Tschechien erst im Jahr 2024 aktenkundig.“
Den Namen der Exportfirma will uns das zuständige Regierungspräsidium Kassel „aus Datenschutzgründen“ nicht verraten. Doch die Behörde bestätigt uns: Die Abfälle gingen damals an die Adresse eben jener tschechischen Firma, an die Petr D. schon zuvor massenhaft Müll aus Deutschland geliefert haben soll. „Dort war auf Bildern im Internet ein kleiner Tagebau erkennbar“, so das Regierungspräsidium Kassel. Und: „Im Rahmen der Überwachung wurde der Behörde ein Schreiben des tschechischen Entsorgers vorgelegt, welches die ordnungsgemäße stoffliche Verwertung der Gipsabfälle darlegen soll.“ Die hessischen Beamten überzeugte das Schreiben offenbar nicht: „Den betroffenen Erzeugern wurde von weiteren Entsorgungen zur besagten Firma abgeraten.“
Behörde sieht „keinen Anlass, an der Genehmigungslage zu zweifeln“
Doch ausgerechnet jene Behörde, die die Abfallgeschäfte der Firma M. überwachen soll, ließ sich von dem fragwürdigen Schreiben offenbar blenden. Die Regierung von Unterfranken teilt auf Anfrage von CORRECTIV.Europe mit: Die Firma habe sich im Mai dieses Jahres per E-Mail mit einer „Bitte“ an die bayerischen Beamten gewandt. Demnach fragte die Firma, „ob die Verbringung von Gipskartonabfällen sowie Betonbruchsteinen unter Berücksichtigung der der E-Mail beiliegenden Tschechischen Anlagengenehmigungen rechtskonform erfolgen könne.“
Im Anhang der E-Mail, so bestätigt die Regierung von Unterfranken auf Nachfrage, schickte die Maklerfirma wiederum unter anderem eben jenes Dokument, in dem der Abfallhändler Petr D. eine „100%ige Verwertung“ der Abfälle verspricht. Der Behörde genügte dieses Versprechen offenbar: Man habe „keinen Anlass, an der Genehmigungslage zu zweifeln“.
Fehlende Kontrolle?
Allerdings gibt die Behörde auf Nachfrage zu, dass ihr das tschechische Verbot zur Rekultivierung mit Gipsabfällen nicht bekannt sei. „Ob sich eine Rechtswidrigkeit ggf. aus der aktuellen tschechischen Rechtslage ergeben könnte, kann von hier aus nicht beurteilt werden. Die Firma M. wurde daher von der Regierung von Unterfranken hinsichtlich der Frage der Rechtmäßigkeit an die tschechische Behörde verwiesen.“
Abfallexperte Wilkens kritisiert das: „Normalerweise sollte sich die Behörde bei den Kollegen im Empfängerland informieren. Es kann doch nicht sein, dass eine Behörde diese Aufgabe ausgerechnet an die Firma delegiert, die sie eigentlich kontrollieren soll.“
So läuft das Exportgeschäft nach unseren Recherchen nach wie vor – der Müll wird offenbar weiterhin versenkt.
Credits
Text & Recherche: Marius Münstermann
Redaktion: Frida Thurm
Faktencheck: Frida Thurm
Datenvisualisierung: Luc Martinon
Design: Anwar Mohammed
Kommunikation: Katharina RocheDie Recherche wurde gefördert von JournalismFund Europe
