Flucht & Migration

Schergenjagd auf Facebook

Früher posierten die Gewalttäter des Assad-Regimes mit ihren Kalaschnikows auf Facebook. Heute lichten sie ihre Flüchtlingspässe ab und zeigen der Welt, wie sie durch deutsche Städte flanieren. Syrische Aktivisten enttarnen sie.

von Bassel Alhamdo , Frederik Richter

Erst im Krieg, dann vor dem Kölner Dom: vermeintliche Assad-Schergen stellen freizügig Fotos ins Internet. Aktivisten stellen die Bilder gegenüber.© Facebook-Gruppe „Mörder, nicht Flüchtlinge”

Schreie, Rennen und immer wieder Schläge: Ein verwackeltes Handy-Video zeigt, wie Uniformierte eine Gruppe von Assad-Gegnern in der Aamna-Moschee in Aleppo zusammenschlagen. Auch Männer in zivil stürmen über den Gebetsteppich und schlagen zu: die so genannten Schabiha, Milizen ohne Uniform. Einer von ihnen trägt ein auffällig quergestreiftes Hemd und einen langen Knüppel.

Das soll Anwar S. sein. Ende 2015 wurde er in Deutschland als Flüchtling anerkannt. Auf Facebook postete er ein Foto seines Flüchtlingspasses, ausgestellt in Potsdam.

Anwar S. ist einer von hunderten Fällen dieser Art, die syrische Aktivisten auf Facebook dokumentiert haben. Die Schergen machen es ihnen leicht: Früher veröffentlichten sie Fotos von sich mit ihren Waffen, aufgenommen im Kreis ihrer Miliz. Heute lichten sie sich ab vor europäischen Sehenswürdigkeiten oder fotografieren ihre Flüchtlingspässe. Die Aktivisten stellen die Fotos dann einfach nur nebeneinander. 

„Mörder, nicht Flüchtlinge“

Einer dieser Aktivisten ist Ahmed Abu Hisham (Name geändert), Administrator der Facebook-Gruppe „Mörder, nicht Flüchtlinge“. Abu Hisham hat in Syrien Informatik studiert und gehörte zu den Internetaktivisten des arabischen Frühlings. Ein loses Netzwerk von Aktivisten betreibt die Facebook-Gruppe. Auch ein syrischer Anwalt, der eine unter anderem von den USA finanzierte Datenbank über Kriegsverbrechen aufbaut, nutzt ihre Informationen.

Abu Hisham glaubt, dass das Regime Gewalttäter aus den eigenen Reihen nach Europa geschickt hat, damit sie dort Gegner eliminieren und mit Verbrechen auffallen – um die Flüchtlinge insgesamt in ein schlechtes Licht zu rücken. „Am Ende denkt Europa, dass alle Syrer Kriminelle sind.“ Abu Hisham will aufklären, um den Ruf der syrischen Asylbewerber zu schützen.

Mehr als eine Million Flüchtlinge haben im vergangenen Jahr Europa erreicht. Kriegsverbrecher unter ihnen dürften eine verschwindend geringe Minderheit darstellen.

Ein Milizionär in Niedersachsen

Von seinem Computer aus verfolgt er seit Jahren den Weg von Angehörigen des Assad-Regimes. So beschreibt er den Fall eines hochrangigen Offiziers aus dem Militärgeheimdienst von Assad, der mit seiner Familie nach Schweden geflohen sein soll. Die Aktivisten glauben, dass er von dort aus weiter die kriminellen Geschäfte des Assad-Regimes betrieb. Der Offizier soll versucht haben, Gelder von nach Europa geflüchteten Syrern zu erpressen, deren Angehörige in der Heimat im Gefängnis sitzen.

Ein anderer Fall ist der jenes Irakers, der zusammen mit einer schiitischen Miliz Verbrechen an der syrischen Zivilbevölkerung haben soll. Auf Facebook erkannten ihn die Internetaktivisten, in der Uniform jener Miliz, mal mit einem Maschinen-, mal mit einem Scharfschützengewehr. Heute soll er sich in Niedersachsen aufhalten.

Die Angehörigkeit zu einer Assad-Miliz allein ist noch kein Verbrechen. Deserteure aus diesen Einheiten mögen zu Recht in Europa Schutz gefunden haben. In einem Krieg arbeiten alle Seiten mit Lügen und Propaganda. Die Aktivisten stellen eindrücklich die Fotos gegenüber. Ihre Angaben zu den angeblich begangenen Verbrechen lassen sich aber kaum überprüfen.

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Erst Angriff auf die Opposition in einer syrischen Moschee, dann Asyl in Deutschland. Bildnachweis: Facebook-Gruppe „Mörder, nicht Flüchtlinge“

Warum der Knüppel?

Anwar S. hat am Telefon gegenüber CORRECTIV die Echtheit des Videos bestätigt. Er bestreitet allerdings, in der Moschee in Aleppo jemanden geschlagen zu haben. „Ich weiß selber nicht, warum ich da den Knüppel in der Hand hielt.“

Vor einigen Monaten habe ihn bereits die Polizei in Deutschland dazu befragt. Anwar S. sagte weiter, er habe bereits wenige Monate nach Beginn des Aufstands gegen Baschar Al-Assad im Jahr 2011 das Land verlassen. Seine ehemalige Frau habe das Foto von ihm verbreitet, weil sie Gegnerin von Assad sei.

Abu Hisham, der Internetaktivist, ist in ein anderes Land im Nahen Osten geflohen und lebt jetzt dort mit seiner Familie. Er hat selbst einen Antrag auf Flüchtlingsstatus beim Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen gestellt, aber noch keine Antwort bekommen. Nur der Geheimdienst seines Gastlandes hat ihm schon regelmäßig Besuch abgestattet.

Deutsche Ermittler suchen unter den nach Deutschland geflüchteten Syrern nach Hinweisen und Zeugen von Kriegsverbrechen. Das Bundeskriminalamt (BKA) sagte auf Anfrage von Correctiv.org, dass die ankommenden Flüchtlinge zusammen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge systematisch überprüft würden. Das habe bisher etwa 3000 Hinweise auf Verbrechen nach dem Völkerrecht ergeben. Deutschlandweit hätten sich daraus bisher 13 Ermittlungsverfahren gegen einzelne Personen ergeben.

Für die Internet-Recherchen von Abu Hisham interessieren sich die europäischen Polizeibehörden allerdings bisher kaum. Aus Deutschland antworteten nur einmal Ermittler. Die Beamten fragten nach einem in Moskau ausgebildeten Sprengstoffexperten der syrischen Armee, der nach Deutschland eingereist sein soll.