Helfer unter Beschuss
Ein Einsatzschiff von Ärzte ohne Grenzen wurde vor Libyen überfallen. An Bord der Sea-Watch 2 trifft sich die Crew zur Krisensitzung: Was müssen sie ändern? Wie können sie sich vor Piraten schützen? Unser Reporter ist diese Woche vor Ort im Mittelmeer.
Am Mittwoch vergangener Woche, gegen 9 Uhr morgens, nähert sich ein Schnellboot der Bourbon Argos, dem Einsatzschiff von Ärzte ohne Grenzen. Es kreuzt rund 24 Meilen vor der libyschen Küste, auf der Höhe Sabratas, um Flüchtlingsbooten zu Hilfe eilen zu können. Rasch kommt das fremde Boot näher. An Bord stehen bewaffnete Männer. Noch aus weiter Entfernung eröffnen sie das Feuer. Sie treffen Brücke und Rumpf der rund 70 Meter langen Bourbon Argos. Die Besatzung verlässt ihre Positionen und läuft hinunter in die beiden Sicherheitsräume. Flüchtlinge sind keine an Bord.
Drei Männer entern das Schiff, durchsuchen systematisch die Räume, ignorieren Laptops und Wertsachen, versuchen schließlich zur Crew durchzudringen, machen sich an den Sicherheitsräumen zu schaffen. Doch deren solide Stahltüren halten stand. Nach rund einer halben Stunde geben die Männer auf und verlassen das Schiff.
Erste Attacke auf die Retter
Zum ersten Mal wurden die Seenotretter im Mittelmeer attackiert. Die Hilfsorganisationen nehmen den Vorfall sehr ernst. Die Bourbon Argos ist mittlerweile aus dem Gebiet abgezogen worden. Das zweite Schiff von Ärzte ohne Grenzen, die Dignity 1, hat in Zarzis festgemacht, einem tunesischen Hafen.
Auch die Sea-Watch 2 und die Iuventa, das Schiff der Berliner Hilfsorganisation Jugend rettet, kehrten noch am selben Abend aus dem Einsatzgebiet zurück und liefen den Hafen von Malta an, wo bereits die Sea-Eye und die Phoenix 1 liegen, von den Organisation Sea-Eye und Moas. Seither überlegen die Crews, wie sie ihre Schiffe umrüsten können, um sich bei erneuten Überfällen in Sicherheit zu bringen.
Gestern, Dienstag, kurz vor 11 Uhr: Sechs Männer treffen sich auf der Sea-Watch 2 zur Krisenbesprechung. Sie sitzen in der klimatisierten Krankenstation, dem einzig kühlen Ort auf dem Schiff. Der Sommer auf Malta ist drückend heiß.
Krisensitzung
„Für die ist es doch auch das erste Mal“, wirft Julius Rupert in die Runde, Chefmechaniker der Sea-Watch 2. Der 29-Jährige hockt auf einer Krankenliege und streicht sich mürrisch durch den Backenbart. „Schließlich fangen die gerade erst an, Schiffe zu entern.“
„Das würde ich so nicht sagen“, entgegnet Axel Grafsmann, Geschäftsführer von Sea-Watch. „Die waren schon ziemlich professionell. Vom Vorgehen, von der Ausrüstung.“
„Wir müssen uns einfach überlegen, über welche Fälle wir hier reden“, sagt Tillmann Teltemann, technischer Leiter von Sea-Watch. Er lehnt an der Wand der Krankenstation, Rettungswesten und Notfallrucksäcke neben ihm. „Versuchen die uns zu überfallen, zu kidnappen, auszuräuchern oder mit Sprengstoff und einer Bazooka anzugreifen? Offensichtlich ging es denen ja um die Crewmitglieder.“ Drei Jahre hat Teltemann auf Tankern gearbeitet, unter anderem vor der Küste Somalias. Er ist mit Sicherheitsvorkehrungen vertraut.
Ein neuer Rettungsraum
„Wir reden hier auch nicht davon, dass die Stunden Zeit haben sich ein Schweißgerät zu besorgen“, sagt Teltemann. In spätestens einer Stunde nach Senden eines Notrufes kann man mit militärischer Hilfe im Einsatzgebiet rechnen. Die EU-Mission Sophia ist mit rund sieben Schiffen im Einsatz, Frontex mit 12 bis 18. Die italienische Küstenwache kommt nochmal auf etwa sechs.
Am Ende beschließen sie, den Maschinenraum zum Rettungsraum auszubauen. Ein sicherer Ort, schnell zu erreichen. Dazu ein aufgestocktes Alarm- und Kommunikationssystem, zusätzliche Türen und Schlösser.
Am heutigen Mittwoch treffen sich die Vertreter der Rettungsorganisation auf Malta erneut im Hauptquartier von Sea-Watch. Sie wollen über Sicherheitsprotokolle diskutieren, über Trainings für die Crews, Schutzmaßnahmen. Am Wochenende ist ein Treffen mit Anti-Terrorexperten geplant.
Auch die Bundeswehr, mit zwei Schiffen an der EU-Mission Sophia beteiligt, nimmt die Lage ernst. „Die Besatzungen müssen sich stets auf eine Gefährdung einstellen“, sagt Sprecher Bastian Fischborn. Von wem die Attacken kommen, weiß bislang auch er nicht. Es könnten „Piraten oder Schleuser“ sein. Oder „terroristische Kräfte.“
„Seit Anfang der Mission waren wir uns über das Risiko bewusst. Der Angriff war keine Überraschung“, sagt Sandra Hammamy, Leiterin des Sea-Watch-Basis-Camps auf Malta. „Wir sehen vielmehr die Gefahr, dass durch den Vorfall die ganze Mission gefährdet wird.“ Dass die Hilfsorganisationen gezwungen werden, ihre Einsätze abzubrechen. Das wäre fatal, sagt Hammamy. „Das Mittelmeer ist ein humanitäres Krisengebiet. Kein Kriegsgebiet.“
Unser Reporter Bastian Schlange ist diese Woche auf Malta und begleitet die Seenotretter bei Ihrer Arbeit. Weitere Texte, Videos und Fotos findet Ihr in diesen Tagen auf correctiv.org, auf unserer Facebook-Seite und bei Twitter.