Fußballdoping

Müller-Wohlfahrt: Medizin und Werbung

Wenn Bayern- und DFB-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt eine Diagnose spricht, dann glaubt Fußball-Deutschland ihm. Sportler fliegen aus der ganzen Welt zu ihm. Doch von Wissenschaftlern wird seine Arbeitsweise kritisiert, mit intensiver Werbung für Produkte begibt er sich auf dünnes Eis.

von Sebastian Krause , Jonathan Sachse , Daniel Drepper

Germany Training & Press Conference - UEFA EURO 2012

Mario Götze ist nicht rechtzeitig fit geworden, vielleicht hätte Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ihn fit bekommen? Götze wohnte in der vergangenen Woche in München, war aber nicht bei Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt in Behandlung – dies ist dem BVB vor dem Champions League-Finale wichtig. Nähere Fragen beantwortet Borussias Presseprecher Sascha Fligge in diesen Tagen nicht. Interessenkonflikte von Bayern- und Nationalmannschafts-Arzt Müller-Wohlfahrt? Kein Kommentar.

Die Diskussion um Götze ist kein Einzelfall, Müller-Wohlfahrt behandelt regelmäßig Fußballer von konkurrierenden Vereinen. „Du hast Dir ein unglaubliches Vertrauen erworben, der Gestalt, dass andere Vereine ihre Spieler selbst dann zu dir geschickt haben, wenn ein Spiel gegen den FC Bayern bevorstand“, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach auf Müller-Wohlfahrts 70. Geburtstag. Oft entscheidet Müller-Wohlfahrts Diagnose, ob es für die Startelf reicht oder nur für die Tribüne. Eine gigantische Machtposition. Wer ist der Arzt, dem Deutschlands Fußballer blind vertrauen? Und: Hat er dieses Vertrauen verdient?

Seit 1977 Mannschaftsarzt der Bayern

Müller-Wohlfahrt studierte Medizin in Kiel und Innsbruck, ließ sich ab 1971 am Virchow-Klinikum Berlin zum Facharzt für Orthopädie weiterbilden. Hier fand er den Einstieg in die Sportmedizin. Von 1975 bis 1977 arbeitete er als Mannschaftsarzt des damaligen Erstligisten Hertha BSC Berlin. Der Karrieresprung folgte 1977, als ihn der FC Bayern als Mannschaftsarzt nach München holte.

Mittlerweile fliegen Patienten aus der ganzen Welt zu ihm. Müller-Wohlfahrt selbst sagt von sich, er könne mit den Fingern sehen, in den Muskel eintauchen und seine Eindrücke mit 35.000 im Gedächtnis gespeicherten Verletzungen abgleichen. Aufklärung darüber wie diese Art der Heilung funktioniert, liefert Müller-Wohlfahrt kaum. Er publiziert so gut wie gar nicht in wissenschaftlich anerkannten Magazinen. Dem Magazin der Süddeutschen Zeitung sagte Müller-Wohlfahrt im Juni 2012, ihm fehle „für zeitaufwendige wissenschaftliche Arbeiten die Zeit“.

Den meisten Patienten ist das egal, so auch dem österreichischen Skistar Rainer Schönfelder. Der mehrfache Medaillengewinner vertraute Müller-Wohlfahrt seinen Rücken an. In Erinnerung geblieben ist ihm vor allem das Auftreten des Arztes: „Wenn Herr Müller-Wohlfahrt in den Raum kommt, dann geht die Sonne auf. Der hat so eine positive Ausstrahlung. Ich würde sogar sagen, als ich ihn nur gesehen habe, waren die Schmerzen bei mir schon zu 20 Prozent weg.“

Der Placebo-Effekt

Der Sportmediziner Dr. Willi Heepe aus Berlin kennt die Szene, behandelt seit Jahrzehnten Leistungssportler und hat den Berlin-Marathon als medizinischer Direktor aufgebaut. „Persönlichkeiten dieser Art, die von Spitzensportlern angehimmelt werden, können mit ihrem Glauben auch Wunder bewirken“, schildert Heepe den Placebo Effekt, der ein wichtiger Bestandteil einer Behandlung sein könne. „Ein guter Arzt wird mit diesem Placebo dosiert und seriös umgehen. Ob das Müller-Wohlfahrt tut, da habe ich meine Zweifel.“

Heepe sieht bei Müller-Wohlfahrt Parallelen zu Armin Klümper, einer der schillerndsten, aber auch umstrittensten Ärzte der deutschen Sportgeschichte. „Der Klümper sagt: Kein Problem, das spritzen wir und holt seine Zaubermittel raus und gibt Injektionen. Dann wird es kriminell, weil ich nicht heile“, sagt Heepe. Klümper hat zahlreichen deutschen Athleten Dopingmittel verabreicht. Und er wird für den Medikamenten-Tod der Siebenkämpferin Birgit Dressel 1987 mitverantwortlich gemacht. In einem Interview mit dem SPIEGEL im Jahr 1991 wird Klümper als Müller-Wohlfahrts Mentor beschrieben. Müller-Wohlfahrt selbst ist nie mit Doping in Verbindung gebracht worden und wollte sich auf Anfrage zu seiner Verbindung zu Klümper nicht äußern.

Actovegin: „tausendfache Anwendung“

Eines von Müller-Wohlfahrts Mittelchen ist seit Jahrzehnten das Mittel Actovegin. Der Promi-Arzt preist die Substanz in Buchveröffentlichungen und Interviews an. Einem amerikanischen Reporter des Sportkanals ESPN sagte er vor gut einem Jahr, er habe in all den Jahren „weit mehr als eine Millionen Injektionen“ mit Actovegin gesetzt, quasi jeder Patient erhalte eine Behandlung damit. In seinem Buch „Muskelverletzungen im Sport“ beschrieb Müller-Wohlfahrt vor drei Jahren seine Verwendung von Actovegin: „unter tausendfacher Anwendung von Actovegin durch die Autoren kam es zu keiner einzigen allergischen Reaktion“. Auf Fragen der WAZ zu seinen Behandlungen mit Actovegin und ob er diese auch heute noch durchführt, hat Müller-Wohlfahrt leider nicht geantwortet, stattdessen drohte dessen Promi-Anwalt Christian Schertz mit sämtlichen presserechtlichen Schritten und weitergehenden Ansprüchen.

Actovegin, das aus Kälberblut extrahiert wird, wird auch von vielen dopenden Sportlern verwendet. In den Ermittlungsakten der amerikanischen Anti-Doping Agentur USADA gegen Lance Armstrong taucht Actovegin mehrmals auf. Ehemalige Teamkollegen wie Tyler Hamilton berichten, dass das Mittel den Fahrern während der Tour de France gespritzt wurde – für einen besseren Sauerstofftransport und eine schnellere Erholung. USADA-Chef Travis Tygart nannte Müller-Wohlfahrts extensiven Actovegin-Einsatz gegenüber ESPN „ein Frankenstein-Experiment“. Auch im Prozess gegen den mutmaßlichen Dopingarzt Eufemiano Fuentes wurde Actovegin thematisiert. Während der Gerichtsverhandlung lobte Fuentes den Effekt, wenn die Substanz in die Blutbahn gespritzt wird. Das beste Actovegin komme aus Deutschland, sagte Fuentes im Prozess.

Mittel eigentlich „nur zur Wundheilung“

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sagt, Actovegin dürfe in Deutschland ausschließlich „zur Unterstützung der Wundheilung“ eingesetzt werden. Die nationale Anti-Doping Agentur NADA unterscheidet zwischen einer intramuskulären und einer intravenösen Anwendung. Wenn das Mittel direkt in den Skelettmuskel gespritzt wird, liegt kein Dopingverstoß vor. Intravenöse Infusionen sind auch erlaubt, aber „nur nach erteilter medizinischer Ausnahmegenehmigung“, teilt die NADA mit. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA und das IOC hatten Actovegin im Jahr 2000 vorübergehend verboten. Heute beobachtet die WADA das Mittel aufmerksam. Müller-Wohlfahrt schreibt in seinem Buch über Muskelverletzungen, dass er sich die Verwendung von Actovegin jährlich von der NADA absegnen lässt.

Nicht weit von Müller-Wohlfahrts Praxis am Alten Hof in München liegt die Adler-Apotheke in der Sendlinger Straße. Der Leiter der Apotheke, Ralph-Eric Koch, bestätigt, dass er das Mittel vor Jahren in großen Mengen verkauft hat – an einen berühmten deutschen Sportarzt, aber auch an andere Vertreter aus dem Spitzensport. Es hieß, „dass es leistungssteigernd sein könnte. Wenn man es im Blut anreichert. Dass man dann seine Ausdauer verbessern könnte“, sagt Apotheker Koch. Müller-Wohlfahrt hat auf Fragen, woher er sein Actovegin bezieht und bezogen hat, nicht geantwortet.

Actovegin wird nur in relativ wenigen Ländern überhaupt noch verkauft, zum Beispiel in Österreich oder Russland. In einigen Ländern ist die Einfuhr komplett verboten, etwa in den USA. Jean Pierre Paclet, der ehemalige Mannschaftsarzt der französischen Fußball-Nationalmannschaft schildert in einem Telefonat eine Situation vor der Europameisterschaft 2008, in der Müller-Wohlfahrt einen Spieler der Equipe Tricolore mit dem Kälberblutextrat behandeln wollte: „Actovegin ist eine Substanz, die in Frankreich von der Arzneimittelbehörde nicht zugelassen ist. Und deshalb hab ich dem Spieler dann verboten, sich bei Müller-Wohlfahrt behandeln zu lassen, weil ich nicht gegen das Gesetz verstoßen wollte. Er ist dann auch nicht hingegangen.“ Müller-Wohlfahrt wollte sich zu dieser Begebenheit nicht äußern.

Behandlung von Muskelverletzungen „außerhalb der Indikation“

Die Firma Takeda vertrieb unter dem Namen Nycomed bis Ende 2008 Actovegin in Deutschland. Seitdem kann Müller-Wohlfahrt das Mittel nur aus dem Ausland beziehen. „Allgemein ist Actovegin indiziert für die Behandlung neurologischer Störungen nach Schlaganfällen“, erklärt der Pressesprecher von Takeda am Telefon. „Jeder Einsatz zur Leistungssteigerung ist außerhalb der Indikation und damit nicht zugelassen. Dazu zählt auch die Behandlung von Muskelverletzungen.“

Arzneimittel-Experten werden noch deutlicher. „Actovegin beinhaltet mögliche schwerwiegende negative Folgen für die Gesundheit. Es kann zum Beispiel zu allergischen Reaktionen kommen“, sagt Peter Sawicki. Der ehemalige Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftslichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist einer der profiliertesten Pharma-Kenner. „Wenn Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ein solches Mittel als Placebo einsetzt, nimmt er den Schaden seiner Patienten in Kauf.“

Werbung im Shop des FC Bayern

Die Kritik an Müller-Wohlfahrts Behandlungen und dem Mittel Actovegin hat dem Promi-Arzt offenbar nicht geschadet. Seinen Ruf und seine Bekanntheit nutzt Müller-Wohlfahrt zum Beispiel, um Nahrungsergänzungsmittel zu verkaufen. Bis heute darf Müller-Wohlfahrt im FC Bayern Online-Shop in einer eigenen Kategorie Salben und Pillen der formula Müller-Wohlfahrt AG bewerben – der Doc selbst ist Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft.

Angela Clausen von der Verbraucherzentrale NRW beschäftigt sich seit Jahren mit irreführender Werbung für Nahrungsergänzungsmittel. Sie kritisiert die enge Verquickung von Bayern-Shop und Müller-Wohlfahrts Geschäften. Von der Bayern-Webseite wird der Nutzer auf die Schweizer Seite der MW Balance AG geleitet. Dort gelten auf einmal andere Geschäftsbedingungen und angeblich kein Widerrufsrecht, obwohl es sich bei den Nahrungsergänzungsmitteln weder um verderbliche, noch um speziell für den Besteller hergestellte Ware handelt. „Außerdem scheint mir ein Teil der Werbung im Widerspruch zu den von der EU erlaubten gesundheitsbezogenen Werbeaussagen zu stehen“, sagt Clausen in einem Telefonat mit der WAZ. „Und die Produkte enthalten deutlich mehr von einzelnen Nährstoffen als das Bundesinstitut für Risikobewertung mit Blick auf eine mögliche Gefährdung empfiehlt.“

Vertrauen der Bayern-Fans ausgenutzt?

Clausen stößt sich auch daran, dass Müller-Wohlfahrt seinen Arzt-Status und das daraus resultierende Vertrauen der Menschen in die besondere Wirksamkeit der von ihm empfohlenen Produkte ausnutze, um sich selbst zu bereichern. Verstärkt werde das ganze durch die Verbindung mit dem FC Bayern. „Verboten ist das nicht, für mich aber mit ärztlichen Werten nicht vereinbar. Die Entscheidung darüber liegt bei den Bayern-Fans.“

Im Jahr der deutschen Fußball-WM warb der Verein an gleicher Stelle auch für die Produkte der Neosino AG. Der NDR berichtete, Müller-Wohlfahrt sei damals für kurze Zeit als Berater von Neosino tätig gewesen. Recherchen von ARD-Anstalten und dem SPIEGEL belegten 2006, dass die angeworbenen Nahrungsergänzungsmittel mit falschen Angaben verkauft worden sind. Den teuren Produkte konnte keinerlei Wirkung nachgewiesen werden. Ein echter Schwindel, wie es das Landgericht Hamburg später bestätigte.

Werbung in streng reguliertem Bereich

Mit seiner Werbung für Produkte begibt sich Müller-Wohlfahrt als Arzt in einen streng regulierten Bereich, in dem er sich an die Berufsordnung der Bundesärztekammer halten muss. In diesen Richtlinien wird zum Beispiel definiert, dass der Ärztekammer Verträge vorgelegt werden müssen, sobald Müller-Wohlfahrt für den Verkauf von Medizinprodukten vergütet wird.

Bereits 2008 hatte Müller-Wohlfahrt mit dem ärztlichen Kreis- und Bezirksverband München (ÄKBV) Ärger bekommen. Damals bezog sich der Ärzteverband in einem Schreiben auf einen Paragraphen in der Berufsordnung, nach dem Ärzte im Rahmen ihrer ärztlichen Tätigkeit keine „gewerblichen Dienstleistungen erbringen“ dürfen. Genau diesen Grundsatz überprüfte die ÄKBV bei Müller-Wohlfahrt wegen dessen Werbung für die Produkte der formula Müller-Wohlfahrt AG. Müller-Wohlfahrt musste eine schriftliche Stellungnahme abgeben. Zu einem Ausschluss aus der Ärztekammer kam es nicht. Der ärztliche Bezirksverband betont auf Nachfrage, dass eine Geschäftstätigkeit legal sei, solange „die gewerbliche Tätigkeit organisatorisch, wirtschaftlich, rechtlich und auch räumlich getrennt von der ärztlichen Tätigkeit erfolgt“. Zum konkreten Fall wollte sich der Verband trotz mehrfacher Nachfrage nicht äußern.

Warnung der eigenen Anwälte

Drei Jahre nach der Prüfung durch den Bezirksverband begann Müller-Wohlfahrt für ein Rückenprogramm der Johannesbad Unternehmensgruppe Werbung zu machen. Unter dem Label „Premium Rückenschmerz Therapie“ sollen Kunden durch von Müller-Wohlfahrt geschulte Therapeuten fit gemacht werden. Damals warnten ihn seine Anwälte davor, es mit der Werbung bitte nicht zu übertreiben. Die Kanzlei Schmalisch, Lang amp; Partner schrieb damals an Müller-Wohlfahrt: „Die Johannesbad-Kliniken werben bereits im Internet mit Ihrem Namen und Ihrem Bild. Das muss unverzüglich unterbunden werden. (…) Sobald die Ärztekammer von diesem Internet-Auftritt erfahren sollte, wird sie gegen Sie ein gerichtliches Verfahren auf Unterlassung dieser Werbung einleiten.“ Müller-Wohlfahrt wollte sich auf Anfrage weder zu dem Schreiben der Ärzteverbandes, noch zum Schreiben seiner eigenen Anwälte äußern.

Noch heute können Interessenten eine „BACK ON TOP by Müller-Wohlfahrt“-Therapie buchen. Mit Müller-Wohlfahrts Namen veredelt kosten drei Tage fast 1.000 Euro, eine Woche gibt es für knapp 2.000 Euro. Was Müller-Wohlfahrt für seine Zusammenarbeit mit den Johannesbad Kliniken bekommt? Eine Antwort hat die WAZ auf Nachfrage weder von der Klinik, noch von Müller-Wohlfahrt erhalten.

Der Ruf des Heilers – ob er berechtigt ist, bleibt fraglich. Nur eins ist sicher: Für Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt lohnt er sich.

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