Gedopt. Gesperrt. Verheimlicht.
Fast 30 Dopingfälle hat es im deutschen Fußball gegeben. Der DFB verspricht Transparenz im Anti-Doping-Kampf. Doch ein bislang nicht veröffentlichter Fall aus der Regionalliga zeigt nach Recherchen von CORRECT!V, wie einfach der Fußball eine positive Dopingprobe verschwinden lassen kann.
Rehden heißt der Ort, an den sich wohl selbst Pep Guardiola zurückerinnert. Hier steht Guardiola zum ersten Mal als Trainer des FC Bayern bei einem Pflichtspiel an der Seitenlinie. Es ist die erste Runde des DFB-Pokals 2013, der Gegner ist der BSV Schwarz-Weiß Rehden, ein Verein aus der Regionalliga Nord. Provinz, 100 Kilometer südlich von Bremen.
Für Rehden ist es das größte Fußballereignis der Vereinsgeschichte. Zwar muss der Verein nach Osnabrück umziehen, weil die eigenen Waldsportstätten den DFB-Auflagen nicht genügen. Doch das ganze Dorf fährt mit. Millionen Zuschauer wollen die Guardiola-Premiere bei ARD und Sky sehen. Es ist ein lauer Sommerabend im August.
Zum ersten Mal blickt Fußball-Deutschland auf Rehden. Was nicht in diese Stimmung passt: Eine positive Dopingprobe. Ein paar Monate zuvor, im Mai 2013, finden die Kontrolleure Methylendioxymethamphetamine im Urin von Rehdens Stürmer Marcus Storey. Ecstasy.
Fast 30 Dopingfälle im deutschen Fußball
Normalerweise veröffentlichen Vereine und Verbände positive Dopingfälle auf ihren Internetseiten. Doch der Fall Storey ist bis heute nicht zu finden. Der DFB schreibt auf seiner Webseite, insgesamt seien seit 1988 „nicht einmal 20 Spieler positiv getestet“ worden. Nach Recherchen von CORRECTIV gibt es in Wahrheit dagegen schon fast 30 Dopingfälle. Wie kann es sein, dass ein Fall wie der von Marcus Storey nicht an die Öffentlichkeit kommt? Und was sagt das über die Doping-Aufklärung im Fußball aus?
Zwei Monate vor dem Pokalspiel gegen Guardiolas Bayern ist der BSV Rehden zu Gast beim VfR Neumünster. Die Regionalliga-Saison ist Mitte Mai 2013 auf der Zielgeraden. Auf der Rehdener Bank sitzt der US-Amerikaner Marcus Storey. Bei der 2:0 Niederlage wird er nicht eingewechselt. Trotzdem muss er nach dem Spiel zur Dopingprobe. Ein Zufall. Alle Spieler, die im Kader stehen, können ausgelost werden.
Das Ergebnis kommt ein paar Wochen später: Storey ist positiv auf Ecstasy. Nichts für große Leistungssprünge, eher um Schmerzen zu lindern oder für Euphorie auf dem Platz. Woher kommt das Ecstasy? Marcus Storey selbst äußert sich auf Anfrage nur einmal, eine Party soll Schuld sein. „Ich bekam etwas ins Getränk und bin am nächsten Morgen woanders aufgewacht. Ich glaube, ich war mit den falschen Leuten unterwegs.“ Das ist alles. Auf weitere Anfragen reagiert Storey nicht mehr.
Marcus Storey arbeitet während seiner Zeit in Rheden bei einer Logistikfirma, muss nachts anfangen, eine Umstellung. Storeys damalige Mitspieler erzählen, der Amerikaner sei an den Wochenenden gerne in Clubs feiern gewesen. Die meisten Spieler wären da anders gewesen, sagt Josip Tomic, ein ehemalige Mitspieler und Mitbewohner von Storey. „Arbeiten, Training, Arbeiten, Training, so lief das bei den meisten.“
2007 kommt Storey aus den USA nach Deutschland, will Profi werden. Storey probiert es beim SV Wilhelmshaven. Als er dort auf sich aufmerksam macht, gibt es Angebote aus Essen und Babelsberg. „Mit mehr Wille hätte er es locker zum Profi geschafft“, sagt Bernd Floris Flor, sein damaliger Berater.
„Lebe für den Fußball, dann schaffst Du es“
Storey bleibt in der Regionalliga hängen. „Er war stur, genoss lieber die Freizeit. Eine höhere Liga hätte mehr Stress bedeutet und das wollte er nicht“, sagt Spielerberater Flor. Nach Vertragsstreitigkeiten trennen sich Wilhelmshaven und Storey 2012. Er fliegt für einen Kurztrip in die USA, kommt zurück und wechselt nach Rehden. Eine Saison später endet seine Karriere in Deutschland mit der positiven Dopingprobe. Josip Tomic, seinem Rehdener Mitbewohner, sagt er nach einer seiner letzten Trainingseinheiten: „Lebe für Fußball, dann schaffst du es.“ Storey schafft es nicht. Heute kümmert er sich in den USA um Frau und Kind.
Die vermeintliche Dopingaufklärung beginnt danach. Der Vertrag in Rehden endet am 30. Juni 2013. Das ist wichtig zu wissen, denn Rehden fühlt sich danach nicht mehr für den Dopingfall zuständig. Der Spieler ist nicht mehr im Verein, also gibt Rehden keine offizielle Mitteilung raus.
Nicht mal Storeys Mitspieler werden über den Dopingfall informiert. „Es war später mal Thema im Bus auf irgendeiner Auswärtsfahrt, aber alles nur Gerüchte“, sagen einige Mitspieler von damals. In Rehden wird bis heute über Drogen, Dopingfälle und Marcus Storey spekuliert, aber niemand weiß etwas Konkretes.
Rehdens Präsident Friedrich Schilling bekommt bereits Mitte Juni am Telefon Bescheid, dass einer seiner Spieler für zwei Jahre wegen Dopings gesperrt wird. Der Verein müsse sich aber keine Sorgen machen, gibt der zuständige Sportrichter am Telefon Entwarnung, denn Storey wurde ja nicht eingewechselt. „Der Norddeutsche Fußball-Verband hat uns angewiesen, das Urteil nicht zu veröffentlichen“, sagt Schilling heute am Telefon und bestätigt es auf Nachfrage noch einmal per E-Mail. Der Verein sollte die positive Probe diskret behandeln, sagt Schilling.
Niemand veröffentlicht das Urteil
Bis zur offiziellen Sperre dauert es zwei Monate, obwohl der Verein darauf verzichtet, die B-Probe zu öffnen. Das wären für den Verein unnötige Kosten gewesen, sagt Präsident Schilling. Es sei ja klar gewesen, dass sein Verein nicht bestraft wird. Am 10. Juli 2013 spricht der Norddeutsche Fußballverbund sein Urteil: Zwei Jahre lang darf Storey weltweit kein Spiel mehr machen. Das Urteil veröffentlichen weder der BSV Rehden, noch der Norddeutsche Fußballverband oder der Deutsche Fußball Bund.
Der DFB lässt sich selbst die Wahl, ob er Dopingfälle veröffentlicht. Der DFB und die Nationale Anti Doping Agentur dürfen „soweit erforderlich und angemessen“ Informationen über Spieler offenlegen, heißt es in den Durchführungsbestimmungen für Dopingkontrollen. Unterhalb des Profifußballs, also Regionalliga und abwärts, wird erstmal nur der Landesverband benachrichtigt, der die Spielklasse organisiert. Je regionaler die Struktur, desto enger liegen die Interessen der Akteure beieinander, desto größer die Gefahr einer internen Lösung – ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt.
Der Norddeutsche Fußballverband schreibt auf Nachfrage, sowohl er als auch der DFB hätten damals den Fall veröffentlichen können, aber nicht müssen. Der NFV verzichtete darauf. Storey habe zu dem Zeitpunkt seine Karriere ja ohnehin bereits beendet gehabt – und weil „es sich nicht um systematisches, leistungssteigerndes Doping handelte“.
Der Fall Storey zeigt, wie einfach es für den Fußball ist, eine positive Probe geheim zu halten. Nirgendwo findet sich ein Hinweis auf den Fall Storey, auch nicht auf der DFB-Webseite. Nur auf konkrete Nachfrage schickt der DFB eine aktuelle Liste aller Dopingfälle, auf der auch Marcus Storey auftaucht.
Der DFB wirbt immer wieder für größtmögliche Transparenz im Anti-Doping-Kampf. Das eigene Kontrollsystem sei das Beste Europas. Warum wird dann ein solcher Fall nicht veröffentlicht?
DFB-Interimspräsident Koch: „Eine Gratwanderung“
DFB-Interimspräsident Koch verweist auf den Norddeutschen Fußballverband, der bei Fällen aus der Regionalliga zuständig sei. „Ohne Ihre Anfrage hätte ich gedacht, dass da alles nach Vorschrift gelaufen ist“, sagt Koch am Telefon. „Für den Rest müssen Sie den NFV fragen.“ Grundsätzlich müsse man abwägen zwischen dem Schutz persönlicher Daten und dem öffentlichen Interesse an Dopingfällen. „Das ist eine Gratwanderung. In diesem Fall hätte ich persönlich wohl auch zum Datenschutz tendiert“, sagt Koch.
Die Pressestelle des DFB beteuert auf Nachfrage, alle Dopingfälle in den obersten Spielklassen der Herren seien in den vergangenen Jahren veröffentlicht worden. Bei Amateur- und Jugendspielern könnte unter Umständen der Datenschutz dagegen sprechen. Daher könne es auch „keine Übersicht aller Dopingfälle im Fußball“ geben.
Bis zur aktuellen Zusammenstellung von CORRECTIV gab es keine vollständige Chronologie der Dopingfälle im Fußball. Eine Liste mit Fällen aller Sportarten veröffentlicht die Nationale Anti-Doping-Agentur in ihrem Jahresbericht, allerdings anonymisiert. Die Agentur arbeitet derzeit daran, eine „Datenbank für Disziplinarverfahren“ zu etablieren. Die soll einen transparenten Überblick geben, „auch wenn zunächst viele der Fälle aus datenschutzrechtlichen Gründen noch anonymisiert veröffentlicht werden“.
Beim Vergleich der vom DFB bekannt gemachten Fälle mit denen aus den Jahresberichten der Nationalen-Anti-Doping-Agentur fällt ein bislang nicht öffentlicher Fall aus dem Mai 2013 auf: Das muss Marcus Storey sein.
Seit dieser Saison führt die Nada alle Dopingkontrollen im Auftrag des DFB durch, sowohl im Wettkampf, als auch im Training. Die Kontrolle über die Kontrollen behält jedoch der DFB. Der Verband finanziert das Programm, die Anti-Doping-Kommission betreut den Ablauf, bestimmt den Informationsfluss und entscheidet auch über die Strafen bei positiven Proben. Vorsitzender dieser Anti-Doping-Kommission ist DFB-Vizepräsident Rainer Koch.
Jeder nicht veröffentlichte Fall schönt die Dopingstatistik des deutschen Fußballs. Die spiegelt ohnehin kaum wieder, wie häufig im Fußball gedopt wird. Das Kontrollsystem im Fußball ist lückenhaft. Die meisten Dopingsubstanzen sind deutlich schwerer nachweisbar als Ecstasy. Dazu werden Fußballer sehr selten kontrolliert. 1700 Dopingkontrollen bezahlte der DFB in der Saison 2013/14 in den ersten drei Bundesligen. Klingt viel, verteilt sich aber auf mehr als 1000 Spieler.
70 Dopingkontrollen für 2000 Spieler
In den fünf Regionalligen ist das Risiko, mit Doping aufzufliegen, noch viel geringer. Nur 70 Kontrollen gibt es bei rund 2000 Spielern in fünf Ligen. Im gesamten Jahr ist weniger als ein Spieler pro Mannschaft überhaupt einmal getestet worden. Marcus Storey erwischte es trotzdem. Er hatte wohl Pech.
Für Rehden war der DFB-Pokal im Sommer 2013 ein großes Fest: Die Bayern trafen bei Guardiolas Premiere fünf Mal. Mit einem „sehr sehr gut“ adelte der neue Bayerntrainer die Leistung der Rehdener nach dem Abpfiff. Es gab ein eigens für diesen Abend komponiertes Lied. Und nach dem Spiel schwappte trotz der Niederlage die Laola durch das ausverkaufte Stadion. Von Doping war keine Rede.
Diesen Artikel veröffentlichen wir in Kooperation mit Zeit-Online.