Gesundheit

Skandalarzt und Jägermeister-Erbe im Visier der Steuerfahnder

Der Neurologe Henning Mast soll die Steuerbehörden mit einem vorgetäuschten Firmensitz betrogen haben. Bei Razzien in Niedersachsen und Bayern wurden kistenweise Dokumente beschlagnahmt. In der Schweiz soll Masts Firma PMEDA rund 28 Millionen Euro eingenommen haben und geriet wegen teils fehlerhaften Gutachten in Verruf.

von Gabriela Keller

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Die Gutachten für die Schweizer Patienten wurden offenbar nicht in Zürich, sondern in Wolfenbüttel zusammengeschrieben. Das Büro dort soll von einer früheren Sekretärin von „Mister Jägermeister“ Günter Mast geführt worden sein. Quelle: Sebastian Kahnert / picture alliance Collage: Ivo Mayr / CORRECTIV

Ein falscher Firmensitz in Zürich, dubiose Gutachten und ein geheimes Büro voller Patientenakten – gegen den Arzt und Erben der Jägermeister-Dynastie Mast, Henning Mast, richtet sich ein gravierender Verdacht. Nach Recherchen von CORRECTIV ermittelt das Finanzamt Ulm wegen Steuerhinterziehung gegen den Neurologen. Er hatte mit einer medizinischen Gutachtenfirma in der Schweiz rund zehn Jahre lang über die Schicksale von Schwerkranken entschieden und steht dort wegen teils falscher Gutachten in der Kritik.

Damit weitet sich der Skandal um sogenannte deutsche Flugärzte in der Schweiz aus: Die PMEDA zählte zu den großen Anbietern in einem lukrativen Geschäftsfeld: Ob Versicherte in dem Land nach einem Unfall oder einer Krankheit eine Invaliditätsrente erhalten, ist von Gutachten abhängig, die für die Schweizer Sozialversicherung erstellt werden. Laut Medienberichten in der Schweiz nahm die umstrittene Firma damit in knapp zehn Jahren umgerechnet rund 28 Millionen Euro ein. Inzwischen ist die PMEDA insolvent und wird aufgelöst.

Bisher wird gegen Mast nur ermittelt; ob es zu einer Anklage kommt, ist unklar. Schon lange richtet sich gegen Masts Firma PMEDA der Vorwurf, dass sie mit schludrigen oder fehlerhaften Gutachten Versicherte um ihre Renten gebracht haben soll: Nachweislich schwer kranke Menschen erschienen in den PMEDA-Gutachten als arbeitsfähig. Einige von ihnen kämpfen bis heute um ihre Ansprüche.

Die gesamte Firma in Zürich war offenbar Fassade

Die meisten der für die PMEDA tätigen Ärzte waren Deutsche. Im Mai vorigen Jahres deckten CORRECTIV und das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) auffällige Ungereimtheiten, Strafanzeigen und Steuer-Ermittlungen gegen zwölf PMEDA-Ärzte auf: Die deutschen Mediziner sollen mit vorgetäuschten Praxissitzen in Zürich Einnahmen an der Steuer vorbeigeschleust haben. Die Verfahren laufen noch, die Vorwürfe sind also noch nicht nachgewiesen.

Mast selbst stand zunächst nicht im Visier der Fahnder. Das zuständige Finanzamt Ulm ließ die Fragen von CORRECTIV unbeantwortet. Auch Mast reagierte nicht auf mehrfache Anfragen per Post, Telefon und per E-Mail auf die Bitte um Stellungnahme.

Nun zeigen neue Recherchen, dass nicht nur die Praxen der Ärzte  sondern die gesamte Gutachtenfirma in der Schweiz offenbar reine Fassade waren. Auch das SRF berichtet in einem aktuellen Dokumentarfilm ausführlich über den Fall und die jüngsten Erkenntnisse, die Reporter fanden heraus, dass es an der Zürcher Seestraße nur Untersuchungszimmer gab.

Der geschäftliche Betrieb und die Verwaltung der Firma lagen offenbar nicht in der Schweiz – sondern in  Wolfenbüttel. Erhärtet sich der Verdacht, würde das bedeuten, dass die PMEDA steuerrechtlich ein deutsches Unternehmen war.

Razzia auf Masts Forstgut in Oberbayern

Nach Informationen von CORRECTIV durchsuchten Ermittler vor einigen Monaten mehrere Adressen, darunter: Masts Forstgut im oberbayerischen Luftkurort Lenggries sowie die Büroräume in Wolfenbüttel. Auch soll eine Mitarbeiterin Masts an ihrer Wohnadresse in der niedersächsischen Stadt Besuch von den Steuerfahndern gehabt haben.

Der Kräuterlikör Jägermeister wird in Wolfenbüttel hergestellt. Dort befindet sich der Stammsitz der Mast-Jägermeister SE.

Die geschäftlichen Tätigkeiten der PMEDA  sollen im Laufe der Jahre an mehreren Orten in Wolfenbüttel erledigt worden sein. Zuletzt agierte die Verwaltung offenbar von einem Geschäftsgebäude in einem Gewerbegebiet am Stadtrand aus.

In demselben Haus ist ein Dachdeckerbetrieb ansässig. Die Inhaberin hat die Razzia beobachtet: „Da standen mehr als zehn Autos bestimmt auf dem Hof, alle aus Baden-Württemberg”, sagt sie. „Die haben da oben das Büro ausgeräumt, kamen mit Kisten wieder raus und haben alles in einen LKW verladen.“ Bei den beschlagnahmten Dokumenten handelte es sich, wie es scheint, unter anderem um Akten von Patienten aus der Schweiz.

Die Inhaberin des Dachdeckerbetriebs war auch die Vermieterin der Büros. In den Räumen sollen zeitweise bis zu vier Personen beschäftigt gewesen sein. Dauerhaft tätig war dort aber offenbar vor allem eine Frau, die schon seit vor rund 40 Jahren für den langjährigen Jägermeister-Geschäftsführer Günter Mast gearbeitet haben soll, wie es aus dem Umfeld der Familie heiß.

Auch die frühere Sekratärin von „Mister Jägermeister“ steht unter Verdacht

Günter Mast gilt als Unternehmerlegende, er trug den Beinamen „Mister Jägermeister“, und als er in Rente ging, habe er diese Sekretärin weiter beschäftigt. Sie soll sich unter anderem seine Immobilien gekümmert haben.

Die Bürokraft wurde offenbar von dem Firmenpatriarchen und der Famile als Vertrauensperson gesehen und ihre Arbeit habe sich bis in den privaten Bereich von Günter Mast erstreckt. Nach seinem Tod wurde sie von Günters Sohn Henning Mast übernommen. Auch gegen die Frau wird nun wegen Steuerhinterziehung ermittelt. Die Quelle aus dem Umfeld der Familie sagt, sie habe schon vor einigen Jahren gesehen, wie die Sekretärin auf Grundlage von Masts Aufzeichnungen aus Untersuchungen Gutachten für Patienten in der Schweiz zusammengeschrieben habe.

Auch stand die E-Mailadresse der Sekretärin in Wolfenbüttel stets als Kontakt in zahlreichen PMEDA-Gutachten und anderen Dokumenten der Firma, die CORRECTIV vorliegen. Es gibt keine Anzeichen, dass die Frau jemals am offiziellen Sitz der PMEDA in der Schweiz gesehen wurde. Ob ihr klar war, dass sie womöglich etwas Rechtswidriges tut, ist unklar. Auf mehrere Anfragen von CORRECTIV per Brief und per Mail reagierte sie nicht.

Gravierende Qualitätsmängel der PMEDA-Gutachten

Mast wies in einer Stellungnahme zu einer Anfrage von CORRECTIV im vergangenen Jahr sämtliche Vorwürfe in Bezug auf die Praktiken der Firma zurück: Medizinische Gutachter müssten „im Interesse der Prämienzahler“ objektiv abklären, ob die Voraussetzung für eine IV-Rente erfüllt“ seien, teilte sein Anwalt mit und behauptete, die PMEDA sei Opfer einer „Kampagne“. Zuletzt zog Mast in der Schweizer Weltwoche unter dem Titel „Woke Medizin“ die Diagnose Long Covid öffentlich in Zweifel: Die Krankheit sei oft nicht nach wissenschaftlichen Standards nachweisbar und belaste das Versicherungssystem.

Die PMEDA gibt es nun nicht mehr. Im Oktober 2023 hatte die Eidgenössische Kommission für Qualitätssicherung in der medizinischen Begutachtung EKQMB den Gutachten der Firma „gravierende formale und inhaltliche Mängel“ attestiert. Die Schweizer Sozialversicherungen beendeten danach die Zusammenarbeit. Das Unternehmen ging kurz darauf pleite.