Gravierende Mängel bei Corona-Informationen in anderen Sprachen
Lückenhaft, veraltet, schlecht auffindbar - eine Recherche von CORRECTIV und dem SWR zeigt, dass die Corona-Kommunikation für Menschen ohne Deutschkenntnisse in den meisten Bundesländern große Defizite aufweist. Das betrifft hunderttausende Menschen in Deutschland, die dadurch schlechter vor dem Covid19-Virus geschützt sind.
Fast täglich ändern sich zurzeit die Corona-Regeln. Aber viele bekommen von den Details, auf die es gerade ankommt, nichts mit. Vor allem Menschen, die nicht oder nur wenig Deutsch verstehen, bleiben wichtige Informationen oft vorenthalten. Wie eine Recherche von CORRECTIV und dem SWR zeigt, gibt es in fast allen Bundesländern Defizite bei der mehrsprachigen Corona-Kommunikation der Verwaltungen. „Es ist auf jeden Fall ein Problem“, sagt Mona el Achkar vom Verein Al Dar, der in Berlin Familien arabischer Herkunft betreut. „Manche Menschen kommen alleine zurecht, aber für die meisten gilt das nicht. Wie sollen sie sich Informationen holen, wenn sie nicht wissen woher?“
Eine Pandemie lässt sich ohne eine gute Krisenkommunikation nicht bewältigen. Denn der Erfolg der Regelungen von Bund und Ländern hängt auch davon ab, ob möglichst viele Menschen mitziehen. CORRECTIV und der SWR haben in allen 16 Bundesländern angefragt, was die zuständigen Ministerien tun, um Zugewanderte in deren Sprachen über das Virus, den Infektionsschutz und aktuelle Regelungen, etwa zu Quarantäne an Schulen, zu informieren. Obwohl sich das Angebot je nach Land stark unterscheidet, gibt es in allen Fällen ein Problem: Kein Bundesland hat eine klare Strategie, um sicherzustellen, dass mehrsprachige Informationen zu wichtigen Aspekten der Pandemie bei denen ankommen, die darauf angewiesen sind.
Die Recherche weist außerdem gravierende Mängel in den mehrsprachigen Angeboten nach: Oft lassen sich die Angaben auf den Websites schwer finden, vielfach sind sie lückenhaft oder sogar erheblich veraltet. Zu dem jüngst beschlossenen Lockdown stellte noch knapp eine Woche später fast kein Land im Internet Übersetzungen zur Verfügung. Nur wenige Verwaltungen schalten Anzeigen in fremdsprachigen Medien.
Berlin gehört zu den Ländern, die mehr tun. Aber auch dort kommen die Informationen oft nicht an. Mona el Achkar sagt, dass die meisten Menschen, die sie und ihre Kolleginnen und Kollegen beim Verein al Dar betreuen, nichts von den durchaus vielfältigen arabischsprachigen Angeboten auf den Websites des Landes wissen. Deswegen rufen sie bei Al Dar an, wenn sie Fragen haben. Das Interesse an Fakten und Wissen sei groß: „Meist stellen sie sehr grundlegende Fragen, zum Beispiel: Stimmt es, dass es das Virus gibt?“ Da oft es an Aufklärung mangelt, fehle es an Bewusstsein: „Es gibt viele Fragen zur Quarantäne. Einige wenden sich an uns, weil sie in Quarantäne geschickt wurden und nicht verstehen warum.“
Corona-Informationen in anderen Sprachen sind oft veraltet
Die meisten Länder geben sich zwar Mühe, zumindest Grundwissen zu Themen wie Maskenpflicht und Infektionsschutz in anderen Sprachen zu vermitteln. Häufig weisen die Angebote aber erhebliche Schwächen auf: In Hamburg stehen auf der Landeswebsite Corona-FAQ in sechs Fremdsprachen zu Themen wie Tests, Freizeit oder Kinderbetreuung bereit, aber die Angaben sind teilweise nicht mehr gültig. Dort steht bis heute: „Weil das Niveau der Infektionen niedrig bleibt, werden die Kinderbetreuungseinrichtungen und Tagesstätten vom 6. August 2020 an wieder den normalen Betrieb aufnehmen.“
Auf der Website des Landes Bremen lassen sich zwar die Corona-Verordnungen in zwölf Sprachen in vereinfachter Fassung einsehen, allerdings: Nutzerinnen und Nutzer, die türkisch oder englisch sprechen, erfahren den bereits überholten Stand von Anfang Dezember – alle anderen noch ältere Regelungen von August. In Hessen verweist eine Sprecherin des Ministeriums für Soziales auf Übersetzungen zu „aktuellen Coronaregeln“ auf der Website. Tatsächlich findet man dort recht anschauliche Informationen – aber auch hier sind sie veraltet, etwa: „Die Einzelhandelsgeschäfte bleiben generell geöffnet.“
In Thüringen bleiben Menschen ohne Deutschkenntnisse weitgehend auf sich gestellt: Die Landesregierung verzichtet auf ihren Websites auf mehrsprachige Informationen. Das Gesundheitsministerium des Landes teilt mit, es sei Aufgabe der Gesundheitsämter, zum Beispiel positive Testergebnisse zu kommunizieren: „Inwiefern dort Informationsmaterialien oder Beratungsangebote in unterschiedlichen Sprachen zur Verfügung stehen, entzieht sich unserer Kenntnis.“ Das Landesministerium für Migration und Justiz verweist auf mehrsprachige Materialien, die den Flüchtlingsunterkünften übergeben worden seien und den vom Land finanzierten Flyer eines privaten Trägers.
Tendenziell sind die mehrsprachigen Angebote in den Ländern am vielfältigsten, in denen auch der Ausländeranteil vergleichsweise hoch ist: In Nordrhein-Westfalen etwa, wo in absoluten Zahlen mit 2,7 Millionen die meisten Migranten leben, hat die Regierung eine umfangreiche Website mit Meldungen in 18 Sprachen mit insgesamt 700 übersetzten Dokumenten eingerichtet. Viel Mühe gibt sich auch das Land Berlin, das mit rund 22 Prozent den höchsten prozentualen Anteil von Menschen aus anderen Nationen hat.
Verwaltungen schalten kaum Anzeigen in fremdsprachigen Medien
In fast allen Bundesländern aber stocken die Zugänge: Social Media-Kanäle werden hierzu nur in etwa jedem zweiten Land genutzt. Und auch dort finden sich nur sporadisch und punktuell Postings, Infografiken oder Clips in anderen Sprachen. Nur zwei Bundesländer setzen nach Recherchen von CORRECTIV überhaupt Mittel ein, um fremdsprachige Informationen in den Medien zu verbreiten: Rheinland-Pfalz hat für insgesamt 15.000 Euro Anzeigen in türkischsprachigen Radiospots und Anzeigen in den Zeitungen Türkiye, Kilim, Sabah und Hürriet geschaltet. Berlin gab rund 20.000 Euro aus, um unter anderem russisch- und türkischsprachige Spots auf Radyo Metropol und Radio Russkij sowie Print-Anzeigen in Englisch, Türkisch und Russisch zu finanzieren.
Insgesamt liegt das Budget in Berlin im bundesweiten Vergleich an der Spitze: Die Senatskanzlei setzte für seine mehrsprachige Kommunikation insgesamt rund 83.500 Euro ein, die Senatsverwaltung für Gesundheit rund 200.000 Euro. Die Angebote umfassen mehrsprachig untertitelte Videoclips und Ansprachen des Regierenden Bürgermeisters, übersetzte Bürgerbriefe und einen in acht Sprachen kommunizierenden Chatbot.
Migrantenverbände und Integrations-Experten fordern ein Umdenken. „Es braucht einen Paradigmenwechsel in staatlichen Institutionen. Es geht darum, diese Gesellschaft wirklich als Migrationsgesellschaft zu begreifen“, sagt die Berliner Integrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial. Dazu gehörten umfassende mehrsprachige Informationen seitens der Behörden. „In diesem Punkt ist auch im Land Berlin noch reichlich Luft nach oben.“ Erforderlich sei etwa eine mehrsprachige Corona-Hotline in allen Gesundheitsämtern. „In einer Pandemie kommt es auf jeden Einzelnen an“, sagt Niewiedzial, „da kann man nicht am Dogma ,Amtssprache ist Deutsch’ festhalten“.
Neben den Landesbehörden gibt es vereinzelt Beispiele, dass öffentlich-rechtliche Medien versuchen, fremdsprachig zu informieren. Beim WDR gibt es das Programm Cosmo, wo in täglichen und wöchentlichen Sendungen in mehreren Sprachen über das Thema Corona informiert wird. Hinzu kommt WDRforyou, ein Projekt das speziell neu Zugewanderte über die Sozialen Medien auf arabisch, deutsch und persisch informiert. Die Nachfrage zeigt, wie groß der Bedarf ist: Bei Facebook folgen WDRforyou fast 750.000 Accounts, bei YouTube 118.000 und bei Instagram 53.400. Im Hauptprogramm gibt es allerdings keine fremdsprachigen Angebote.
Ein einziges Online-Dokument zu Corona-Regeln in mehreren Sprachen: Brandenburg gehört zu den Schlusslichtern
Lückenhafte mehrsprachige Informationen grenzen nicht nur Menschen ohne Deutschkenntnisse aus, sondern sie gefährden auch die Eindämmung der Infektionen, gerade in migrantisch geprägten Gruppen, in denen die Sprachkenntnisse stark variieren. In den kommenden Wochen wird vor allem auch bei den Corona-Impfungen die Frage aufkommen, wie die Gesundheitsbehörden möglichst jeden erreichen. Zwar gibt es in Deutschland keine Erhebungen dazu, ob sich Zugewanderte häufiger anstecken. Das Robert-Koch-Institut (RKI) teilt mit, dass keine Daten in Bezug auf Nationalitäten oder Herkunft erhoben werden. Eine internationale Studie der OECD weist jedoch nach, dass Migranten in manchen Ländern ein doppelt erhöhtes Infektionsrisiko haben. Zu den Gründen zählen geringes Einkommen, enge Wohnverhältnisse und Arbeitstätigkeiten in Branchen, in denen kein Home Office möglich ist.
Auffällig schwach fallen die Angebote auch in Bundesländern wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und dem Saarland aus. Dort sind auf den Websites nur vereinzelte Merkblätter, Hygienetipps oder Verordnungen in anderen Sprachen zu finden. Das gilt auch für Bremen mit einem Ausländeranteil von rund 20 Prozent. In Brandenburg stellt die Landesregierung auf ihren Websites ein einziges Dokument in fünf Sprachen zur Verfügung: Eine Meldung zu neuen Quarantäne-Regelungen von Anfang November. Sonst finden sich auf der multilingualen Seite nur Links zu den Angeboten der Bundesbehörden und von Hilfsorganisationen, etwa dem Flüchtlingsrat Brandenburg. „Wir haben gesagt: Das kann doch nicht sein, dass das Land immer nur auf unsere Website verweist“, sagt Ivana Domazet, Mitarbeiterin beim Flüchtlingsrat Brandenburg. „Es gibt keine weiteren brandenburgspezifischen Infos. Das entspricht nicht der Verantwortung, die das Land hat.“
Zu wenig Information führt zu Angst, Unsicherheit und Frust
Domazet beobachtet seit dem Frühjahr, welche Folgen es hat, wenn die Kommunikation schlecht läuft: „Wir haben gemerkt, dass gerade die Menschen in den Unterkünften nicht gut informiert werden. Viele rufen uns an und fragen nach grundlegenden Informationen, zum Beispiel: Was ist das für ein Virus? Wie kann ich mich schützen?“ Jede Unterkunft gehe unterschiedlich vor, landesweite Regelungen zur mehrsprachigen Kommunikation gebe es nicht.
Brisant wird die undurchsichtige Lage vor allem, wenn Infektionen und Quarantäne dazu kommen. In Stahnsdorf, einem kleinen Ort in der Nähe Berlins, rebellierten die Bewohner eines Flüchtlingsheims im Juli, als die Unterkunft mehr als eine Woche lang unter Quarantäne stand, berichtete die Märkische Allgemeine damals. „Wir sind dort auf absolut besorgte, empörte Menschen getroffen“, sagt Domazet. „Manche wurden getestet und manche nicht – keiner war sich sicher, wer sich angesteckt hatte und wie man sich und andere in einem Mehrbettzimmer überhaupt schützen kann.“
Schulen bekommen kaum Hilfen vom Land für fremdsprachige Informationen an die Eltern
Die Schulen geraten in der Corona-Pandemie ohnehin an ihre Grenzen. Die Frage, wie man nicht-deutschsprachige Eltern auf dem Laufenden hält, komme noch hinzu, sagt Silvia Hahne (Name geändert), Leiterin einer Gemeinschaftsschule in Wittenberg (Sachsen-Anhalt). Sie versucht häufiger, ihren Schülern auf deren Handys zu zeigen, wie sie die Informationen in ihrer eigenen Sprache abrufen können. Zwar gibt es auf der Website des Landes Angaben über die Krankheit und über die Regelungen im Umgang damit, aber auch hier kommen die Informationen nicht an. „Wer sich wirklich dolle kümmert, wird es schon herausbekommen. Aber es ist schwierig, weil die Leute oft nicht wissen, was sie suchen.“ Es kommen andere Hürden dazu. In vielen Familien gebe es keine Computer oder WLAN. Dann kommen die Schülerinnen und Schüler mit dem Mobiltelefon zu ihr, oft ist das Display zersplittert, so dass man kaum etwas erkennt.
Gerade in Schulen gibt es großen Bedarf an Informationen, weil dort oft spezielle Quarantäne-Regeln und Hygienevorschriften gelten. Die Recherche von CORRECTIV und dem SWR zeigt, dass auch die Bildungsministerien wenig mehrsprachiges Material über ihre Websites verbreiten. Und wenn, dann beschränkt sich das Angebot meist auf Merkblätter zum Umgang mit Erkältungssymptomen oder Broschüren zum Distanzlernen. „Grundsätzlich gilt: die Schulen kommunizieren direkt mit den Eltern und finden dafür seit jeher vor Ort auch Lösungen für Eltern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist“, schreibt beispielhaft für viele Länder ein Sprecher aus dem Kultusministerium in Bayern.
An der Schule in Wittenberg gibt es 30 Nationalitäten. Die Lehrerinnen und Lehrer behelfen sich, etwa mit Hilfe von Ehrenamtlichen oder älteren Gymnasiasten, die selbst aus Migrantenfamilien stammen. Aber es bleiben Lücken, sagt Hahne: „Es ist schon eine große Belastung, weil wir uns Sorgen machen. Manchmal sehen wir Schüler, die in Quarantäne sein sollten, draußen herumlaufen – nicht aus bösem Willen, sondern aus Unverständnis. Viele Dinge gehen schief, weil die Informationen fehlen.“
„Viele in unserer Community fühlen sich alleine gelassen“
Es gibt keine Zahlen dazu, wie viele Menschen auf eine mehrsprachige Kommunikation angewiesen wären. Rückschlüsse lassen die Zahlen der Flüchtlinge zu: In diesem Jahr wurden bis November knapp 94.000 Erstanträge auf Asyl gestellt, 2019 waren es 142.000. Die meisten von ihnen dürften noch nicht gut genug Deutsch sprechen, um komplizierte Informationen verstehen zu können. Aber die Neuankömmlinge sind nicht die Einzigen: Eine vom Bundesbildungsministerium geförderte Studie von 2018 stellte fest, dass 6,2 Millionen Erwachsene nicht richtig lesen und schreiben können, und die Hälfte von ihnen eine andere Muttersprache als Deutsch habe. Demnach gehörten zur Zielgruppe rund drei Millionen von insgesamt etwa 69,5 Millionen Erwachsenen – also mehr als vier Prozent.
Auf den Websites der Landesregierungen und -ministerien ist es zum Teil schon für deutsche Muttersprachler schwer, mehrsprachige Informationen aufzuspüren: Mitunter muss man sich durch vier oder fünf deutsche Untermenüs klicken und auf den Seiten ganz nach unten scrollen. Auf der Seite des Bayerischen Gesundheitsministeriums zum Beispiel muss man darauf kommen, auf das Wort „Rechtsgrundlagen“ zu klicken, und danach auf „In verschiedenen Sprachfassungen“, ehe man bei den Übersetzungen von Quarantäneregelungen für Einreisende landet. Es gibt auf der Startseite noch ein paar Links zu den Angeboten der Bundesbehörden, zum Teil sind sie nicht mehr aktiv. Ähnlich unübersichtlich ist die Lage in Baden-Württemberg. In beiden Ländern liegt die Zahl der ausländischen Bürgerinnen und Bürger mit je knapp zwei Millionen mehr als doppelt so hoch wie in Berlin. Gewiss kann man in den jeweiligen Sprachen googlen. Aber dabei kommen ganz unterschiedliche Angebote hoch, nicht nur die offiziellen Seiten.
„Es gibt Schwierigkeiten“, sagt Aliou Sangaré, Vorsitzender vom Afrikarat Nord in Hannover. „Gerade die Frankophonen googlen auf Französisch und landen dann auf den Seiten in Frankreich, aber dort haben sie ganz andere Regelungen als in Deutschland.“ Auch der Afrikarat Nord versucht aufzuklären und schickt zum Beispiel Übersetzungen aktueller Informationen über Whatsapp herum. Aber der Verein erreicht längst nicht jeden, sagt Aliou Sangare. Sie würden sich von den Ländern mehr Informationen wünschen und dass man sie stärker involviert. „Viele in unserer Community fühlen sich alleine gelassen.“
Dieser Beitrag ist eine Kooperation von CORRECTIV mit dem Südwestrundfunk (SWR).