Tödliche Keime: Made in Germany
Deutschlands Fleisch wird zu einem gesundheitlichen Problem für viele Europäer. Mit den exportierten Hühnern und Schweinen überschreiten auch multiresistente Bakterien die Ländergrenzen.
[von unserer Frankreich-Korrespondentin Annika Joeres]
Der französische Keim-Experte Thierry Fosse ist eigentlich ein großer Fleischesser. Er liebt gegrillte Hähnchen und Schweinefilet in Weißweinsauce. Aber seitdem er beruflich Menschen therapieren muss, die unter multiresistenten Bakterien leiden, kauft er sein Fleisch nur noch einmal in der Woche bei einem lokalen Händler – in einer Nebenstraße seines Krankenhauses in Südfrankreich. „Ich habe Angst davor, Tiere zu essen, die mit den multiresistenten Bakterien kontaminiert sind. Deutsches Fleisch kommt mir nicht mehr auf den Teller.“
Fosse ist Leiter der Hygieneabteilungen von drei Universitätskrankenhäusern im französischen Nizza. Er kümmert sich um Patienten, die von Bakterien infiziert wurden, gegen die keine Antibiotika mehr helfen. MRSA heißen sie häufig, oder auch Escheria Coli und VRE. Viele davon übertragen sich im Krankenhaus von Patient zu Patient – aber manche stecken sich auch an besiedeltem Fleisch an.
Kein EU-Land verkauft so viel Huhn und Schwein wie Deutschland
Selbst für den 1000 Kilometer von der deutsch-französischen Grenze entfernten Arzt Fosse werden deshalb deutsche Keime zum Problem. Viele Koteletts und gegrillte Hähnchen, die Franzosen, Spanier, Holländer und Engländer verspeisen, stammen aus großen Mastbetrieben in Deutschland. Kein Land in der Europäischen Union verkauft so viel Schweine- und Hühnerfleisch an seine Nachbarländer wie Deutschland – Tiere, die häufig mit den multiresistenten Bakterien besiedelt sind.
Gesamteuropäische Vergleiche über infizierte Fleischwaren fehlen bislang – allerdings beweisen immer wieder einzelne Studiem, wie stark die Waren aus dem Kühlregal ansteckend sein können. Die Tierschutzorganisation PETA fand kürzlich in 86 Prozent von 30 deutschen Hühner- und Putenfleischproben aus deutschen Supermärkten ESBL und/oder MRSA. In einer Studie des Robert-Koch-Instituts wurde in 15 Prozent aller Fleischprodukte im Supermarkt MRSA nachgewiesen – besonders betroffen waren aber mit jeweils 37,5 Prozent „Fleischzubereitungen mit Pute“ und „frisches Schweinefleisch“. Tiere aus biologisch geführten Betrieben von „Neuland“ waren laut derselben Publikation nicht betroffen.
Bakterien vom Geflügel auf den Menschen
Und die Bakterien schaffen es vom „toten Fleisch“ offenbar in den Kreislauf des Menschen: Niederländische Forscher entdeckten in knapp 80 Prozent der untersuchten Hühnerfleisch-Produkte ESBL-Gene. Eine Analyse dieser Proben ergab: Die Bakterien auf dem Fleisch stimmten mit den Bakterien von Patienten überein, die wegen eines multiresistenten Bakteriums in einem Krankenhaus behandelt wurden. Die Autoren der Studie gehen daher davon aus, dass sich die Menschen die antibiotika-resistenten Bakterien vom Geflügelfleisch eingefangen haben.
Bislang gibt es keine Kontrollen an den Grenzen, ob das exportierte Fleisch kontaminiert ist. Verbraucher wissen nicht einmal, ob und woher Fleisch und Wurst importiert wurden: Nur für Rindfleisch besteht bislang die Pflicht, die Herkunft auszuweisen. Ein Grillhühnchen, gekauft in der Pommesbude an der Ecke oder in einem edlen Restaurant, kann genauso gut aus Brasilien stammen wie von einem niedersächsischen Hof.
Jedes Jahr sterben in Deutschland tausende Menschen an Infektionen mit multiresistenten Keimen. Viele Opfer infizieren sich im Krankenhaus. Aber inzwischen ist eben auch das Fleisch eine Keim-Quelle. Humanmediziner und Landwirte setzen die identischen Wirkstoffklassen der Antibiotika ein: die einen beim Kranken, die anderen beim Schlachtvieh. Die Bakterien in den Mastanlagen werden gegen die einst lebensrettenden Arzneien resistent und breiten sich auf der Haut und im Blutkreislauf der Tiere aus.
Gummihandschuhe beim Filet zubereiten
Wolfgang Witte, 69, ist Mikrobiologe und war lange Jahre Leiter des Nationalen Staphylokokken-Referenzzentrums des Robert Koch-Instituts. Er gilt als einer der führenden MRSA-Experten des Landes. Für Witte ist es selbstverständlich, bei der Zubereitung von Hühnchenfilets aus dem Supermarkt Gummihandschuhe zu tragen. Denn: „Die darauf häufig anzutreffenden Tier-MRSA-Bakterien könnten durch kleine Wunden in den Körper gelangen.“ Bei der Fleisch-Zubereitung kann tatsächlich schon eine kleine Wunde an der Hand reichen, um sich mit den Bakterien zu infizieren. Dann heilen einzelne Infektionen nicht mehr oder der gesamte Körper erleidet eine Blutvergiftung. Patienten steht ein langer und manchmal tödlicher Leidensweg bevor.
„Die multiresistenten Bakterien überschreiten Grenzen über den Handel und über Reisende. Daher brauchen wir dringend einheitliche Gesetze in den EU-Staaten, um die gefährlichen Resistenzen zu reduzieren“, schreibt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA im italienischen Parma. 35 Prozent aller Schweine werden nach der Schlachtung in andere EU-Länder weiterverkauft, eine seit Jahren steigende Zahl. Bislang aber schützt die EU ihre Bürger nicht vor den importierten Keimen.
2011 verabschiedete die Europäische Kommission einen Aktionsplan. Darin bezeichnet sie multiresistente Bakterien als „globale Bedrohung“ für die öffentliche Gesundheit. Fleischhaltige Lebensmittel und der Kontakt zu Tieren seien ein Vehikel für die Übertragung von Bakterien zwischen Menschen und Tieren. Der Aktionsplan umfasst zwölf Punkte, unter anderen den „sachgemäßen Gebrauch von Antibiotika“ und eine „bessere Überwachung von Medizin an Tier und Mensch“. Doch der Plan ist ein stumpfes Schwert: Seine endgültige Umsetzung obliegt alleine den Mitgliedsstaaten, harte Ziele werden nicht vorgegeben.
Keine Kontrollen an den Grenzen
An den Grenzen gibt es keine Kontrollen, auch keine Stichproben. Das Berliner Verbraucherschutzministerium räumt ein, dass das Fleisch bei der Überführung in andere Länder nicht auf eine mögliche Kontaminierung von multiresisten Bakterien geprüft werde – dazu sei das Risiko für die Verbraucher „zu gering“. Sichergestellt werde lediglich, dass die Waren aus einem zertifizierten Betrieb kommen, der den EU-Normen entspricht.
Die EU-Normen wiederum sind an die großen Mastbetriebe angepasst, die in Deutschland das Fleisch produzieren und alle zertifiziert sind. Zweiundzwanzig Hühner leben hier auf einem Stück Boden so groß wie ein kleines Handtuch. Ein 120 Kilogramm schweres Schwein hat genau einen Quadratmeter Platz. Unter diesen Bedingungen breiten sich die Keime aus. Und die Produzenten wenden Antibiotika an, die wiederum die resistenten Bakterien langfristig stärken. Ein Teufelskreis. Laut Daten der EU erhalten Schweine und Hühner in ihrem kurzen Leben zwischen vier und sieben Mal Antibiotika. Das ist legal. Dieses Fleisch passiert ohne Probleme jede EU-Grenze.
Deutschland: 50 Mal mehr Antibiotika als Norwegen
Dabei gibt es in Europa große Unterschiede in der Fleisch-Herstellung. Die Europäische Medizin-Agentur EMA hat nachgewiesen, wie unterschiedlich hoch der Gebrauch von Antibiotika in europäischen Ställen ausfällt. Deutschland liegt von 26 Staaten an fünfter Stelle – nur Produzenten in Zypern, Spanien, Italien und Ungarn verabreichen ihren Tieren mehr Antibiotika als deutsche. Am wenigsten Antibiotika bekommen Tiere in Norwegen mit 3,8 Milligramm Antibiotika pro tausend Tonnen produzierten Fleischs. In Deutschland sind es mit 204,8 Milligramm pro tausend Tonnen mehr als 50 Mal so viel. Schlusslicht Zypern benutzt 396,5 Milligramm pro tausend Tonnen.
Infektiologen lässt die europäische Export-Anarchie verzweifeln. „Wir versuchen hier mit umfangreichen Kontrollen die Keime in den Krankenhäusern in den Griff zu bekommen. Aber wenn sie an anderer Stelle, im Stall, auf den Farmen, quasi systematisch herangezüchtet werden, sind wir irgendwann machtlos“, sagt Fosse.
Bis die Europäische Union die Produzenten zu einer tier- und menschenfreundlicheren Zucht verpflichtet, kann sich der Verbraucher nur selbst schützen. Indem er Fleisch aus artgerechter Haltung bevorzugt, es gut durchbrät – oder auf Fleisch ganz einfach verzichtet.
Wir können ihre Unterstützung bei der Recherche zu multiresistenten Keimen gebrauchen. Haben Sie selbst Erfahrungen mit multiresistenten Keimen gemacht? Hier können Sie ihre Erlebnisse oder die ihrer Bekannten oder Verwandten in einem von uns entwickelten Fragebogen teilen. Unsere Berichterstattung finden Sie unter mrsa.correctiv.org.