Pokern um Profite
Die Pharmaindustrie fordert: Die internationale Gemeinschaft solle zahlen für die Entwicklung neuer, hochwirksamer Antibiotika. Es stimmt: Am Markt rechnen sich diese Wirkstoffe kaum. Die Forderung ist berechtigt
Das Thema Antibiotika-Resistenzen ist auf den ganz großen Bühnen angekommen. Kaum ein internationales Politikertreffen vergeht, ohne dass das Problem angesprochen wird. Der Tenor: Wir brauchen mehr, wir brauchen neue Antibiotika.
Jetzt hat die Pharmaindustrie den Ball zurückgespielt. Fast 100 Vertreter der Pharma- und Medizintechnikindustrie haben anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels in Davos eine gemeinsame Resolution veröffentlicht. Schwergewichte wie Pfizer, Merck und Bayer sind dabei genau wie der Verband Forschender Arzneimittelhersteller.
Die Kernaussage: Ja, wir entwickeln gern neue Antibiotika. Aber ihr Politiker zahlt bitte die Rechnung.
In der Resolution steht sehr konkret, was die Interessen der Pharmaindustrie sind: Antibiotika seien erstens zu billig. Zweitens seien die Forschungsanstrengungen gewaltig und damit teuer. Traditionelle Entwicklungsmethoden hätten größtenteils versagt. „Wir rufen die Regierungen auf, die Mittel bereitzustellen, die einen nachhaltigen und vorhersehbaren Markt ermöglichen“, schreiben die Industrievertreter. Verbrauch und Bezahlung von Antibiotika sollten entkoppelt werden. Eine Möglichkeit: Es solle nicht mehr nur pro Packung abgerechnet werden, sondern wie bei einer Flatrate. Zur Zeit sei es so, als würde die Feuerwehr pro Feuer bezahlt, erklärte John Rex, einer der Bosse des Pharmakonzerns AstraZeneca. Das sei nicht nachhaltig.
Die Pharmabranche steht wegen ihrer Gier und Maßlosigkeit bei Bürgern und Politikern in Verruf. Aber in diesem Fall ist die Forderung nach mehr Geld begründet. Es macht Sinn, über alternative Finanzierungswege für neue Arzneien nachzudenken. Wenn Politiker auf neue Medikamente beharren, die sich am Markt nicht rechnen – die neuen Antibiotika sollen ja gerade möglichst wenig eingesetzt werden –, dann müssen sie auch Geld in die Hand nehmen.
Das ist das eine. Andererseits: Wie realistisch sind die von immer mehr Politikern und Forschern gemalten Untergangsszenarien? Wie stichhaltig ist das Geraune von einem postantibiotischem Zeitalter, in dem kein Antibiotikum mehr wirkt und jede Schnittwunde oder Blasenentzündung lebensgefährlich sein kann? Nüchtern betrachtet, sind solche Szenarien nach heutigem Wissen wohl überzogen, die Daten dünn, auf denen sie sich stützen. Vielleicht brauchen wir also in absehbarer Zeit nicht massenweise neue Wundermittel. Was wir auf jeden Fall brauchen, sind eine bessere Erforschung der Resistenzen, Besonnenheit und einen verantwortungsvolleren Umgang mit den Antibiotika, die wir heute haben. In den Ställen, in den Arztpraxen und Krankenhäusern.