Gefährliche Keime

Auf Entzug

Die amerikanische Fleischindustrie setzt Antibiotika flächendeckend als Mastmittel ein: Bislang können Bauern die Arznei sogar selbst ins Futter mischen. Eine erste zaghafte Gesetzesinitiative soll nun den Verbrauch regeln – zehn Jahre, nachdem die EU gehandelt hat

von Christine Coester

© Ivo Mayr

Seit den 1950er Jahren werden in den USA Antibiotika flächendeckend als Mastmittel eingesetzt. Bis heute hat man nicht genau verstanden, warum das Medikament Schlachtvieh schneller fett macht. Eine Theorie lautet, dass Antibiotika die Darmflora der Tiere verändere, was sich auf die Verwertung des Futters auswirkt.

Antibiotika als Mastmittel – das ist hoch umstritten und hoch problematisch. Weil die fortwährende Gabe der Medikamente dazu führt, dass sich schneller Resistenzen bilden können, auch beim Menschen. Doch staatliche Kontrolle darüber gibt es in den USA kaum. Bislang können Stallbesitzer Antibiotika eigenständig ins Futter mischen.

„Bauern mussten nie nachweisen, dass sie fachlich in der Lage sind, über die Gabe von Antibiotika zu entscheiden“, sagt die Epidemiologin Linda Tollefson. Sie hat ihr Berufsleben dem Kampf gegen Antibiotikamissbrauch gewidmet. Lange hat sie bei der amerikanischen Arznei- und Lebensmittelbehörde FDA gearbeitet – wo sie Gelegenheit hatte, mit Vertretern der EU-Kommission zusammen zu arbeiten. Sie sagt: „Die USA können eine Menge von den Europäern lernen.“

Tollefson erzählt, dass die Arzneimittelbehörde FDA im Jahr 1996 ein Überwachungssystem für den Einsatz des hoch wirksamen Antibiotikums Fluoroquinolon bei Masthähnchen einführen wollte. Man befürchtete, dass sich Resistenzen rasch ausbreiten könnten, wenn das Antibiotikum über das Trinkwasser an Zehntausende Hähnchen verbreicht wurde – weil einzelne Tiere im Stall krank waren.

„Raten Sie mal, was passierte?“, fragt Tollefson und gibt selbst die Antwort: Einhundert Prozent der Hähnchen infizierten sich mit resistenten Keimen.

Nun soll endlich ein Gesetz die Verwendung von Antibiotika in der Massentierhaltung regeln. „Guidance 213“ wurde 2013 verabschiedet und tritt Anfang 2017 in Kraft. Das Gesetz verbietet in 50 Staaten die Nutzung von „medizinisch wichtigen“ Antibiotika als Wachstumsmittel in der Tiermast, und in Einzelfällen sogar als Medikament.

Wobei: Billigt ein Veterinär den Einsatz, können Antibiotika immer noch eingesetzt werden.

Experten wie Carmen Cordova, Mikrobiologin bei der Verbraucherschutz-Organisation Natural Resource Defense Council, sind deshalb besorgt, dass „Guidance 213“ nicht ausreiche, um den Verbrauch nachhaltig zu reduzieren. Sie befürchtet, dass der Einsatz von Antibiotika künftig einfach anders deklariert werde. Statt „Wachstumsförderung“ werde einfach von „Krankheitsprävention“ gesprochen. In der Tat ist letztere vom neuen Gesetz ausgenommen.

Cordova bemängelt zudem, dass bei Tierärzten keine Daten über den Einsatz von Antibiotika gesammelt werden. Laut Arzneimittelbehörde FDA sei man kurz davor, diese Daten zu erheben, nennt aber kein genaues Datum. Diese Daten sind extrem wichtig, wenn ein klarer Zusammenhang zwischen Antibiotika-Gabe und Resistenzentwicklung belegt werden soll.

Dimtri Drekonja, Infektiologe an der University of Minnesota, macht die mangelnde Datenlage hauptverantwortlich für den anhaltend hohen Verbrauch. Ärzte bräuchten Beweise, dass Antibiotika-Verbrauch zu Resistenzen führt. Doch die Behörden könnten den Verbrauch oft gar nicht zuverlässig angeben.


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Welche sind wichtigsten resistenten Keime der Welt? Und wo verbreiten sie sich am häufigsten?


 „Guidance 213“ ist ein Gesetz voller Lücken – doch selbst dagegen läuft die Pharmaindustrie Sturm. „Deren Vertreter behaupten, es gebe überhaupt kein Problem“, sagt Linda Tollefson. Und das, obwohl das Thema Antibiotika-Resistenzen weltweit auf der Agenda stehe.

In der EU wurden laut einer Schätzung von 2009 rund 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben, um Infektionen mit resistenten Bakterien zu bekämpfen. In den USA dürfte der Betrag zehn bis 20 mal so hoch sein – wohl auch, weil das dortige Gesundheitssystem kostspieliger ist. 

Weltweit wird ein Großteil von Antibiotika bei Tieren eingesetzt: In den USA geschätzte 15.000 Tonnen pro Jahr bei Mastvieh, unter 4.000 Tonnen beim Menschen. Laut einer neuen Studie ist rund die Hälfte des weltweiten Antibiotikaverbrauchs unnötig oder geschieht unsachgemäß.

In der EU ist seit 2006 der Einsatz von Antibiotika zur Wachstumsförderung verboten. Die Gabe der Medikamente wird überwacht und gemeldet, die EU-Staaten können ihren Verbrauch miteinander vergleichen. Nun ziehen USA mit „Guidance 213“ endlich nach.

Warum so spät? Weil es schwierig sei, das Europäische Modell auf die Landwirtschaft der USA zu übertragen. „Die Massentierhaltung in Europa ist weniger intensiv als in den USA“, sagt Tollefson. Das heißt, bei ihnen ist die Massentierhaltung verbreiteter und dichter. In den USA wurden 2014 rund 11 Milliarden Kilo Rindfleisch produziert, in der EU waren es rund 7 Milliarden Kilo.

Während sich der Gesetzgeber aufgrund der mächtigen Industrielobby schwer mit Reformen tut, geschehen sie nun offenbar auch auf anderen Wegen zu kommen: Die Fastfood-Ketten McDonald’s und Subway haben inzwischen auf Kundensorgen reagiert und angekündigt, dass sie den Einsatz von Antibiotika in ihrer Produktion minimieren wollen.