Gefährliche Keime

Wie man ein Klo putzt

Bis zu 40.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland, weil sie sich im Krankenhaus mit gefährlichen Keimen infizieren. Einer der Gründe: Es wird falsch geputzt. Doch es geht auch anders. Zum Beispiel in Münster.

von Xenia Balzereit

Schema von Vision Clean: In dieser Reihenfolge soll das Bad geputzt werden© Vision Clean

„Früher hatte ich nur 30 Putzlappen pro Station“, sagt Abderrahim Aboutissa. „Brauchte ich mehr, musste ich darum betteln.“ Früher, das war vor 2004. Schon damals putzte Aboutissa in der Uniklinik Münster. Aber er war angestellt bei einer externen Firma. Da zählte vor allem Effizienz, alles musste schnell gehen, sogar an Putzlappen wurde gespart. „Da war ich weniger Reinigungskraft“, sagt Aboutissa, „sondern eher ein Keimverteiler“.  

Die meisten deutschen Krankenhäuser haben ihre Putzkräfte an Servicegesellschaften ausgelagert. Die putzen dann mal auf dieser Station, mal auf jener, Firmen wechseln, Leiharbeiter werden ausgetauscht, ein einziges Kommen und Gehen. „Dementsprechend wenig wissen sie Bescheid und fühlen sich auch wenig verantwortlich“, sagt Walter Popp, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH). Das sei einer der Gründe dafür, dass es gefährliche Keime hierzulande so leicht hätten.

Schlechte Hygiene ist tödlich: Rund eine halbe Million Patienten infizieren sich pro Jahr in deutschen Krankenhäusern. Mindestens 30.000 sterben.

Die Uniklinik Münster hat rechtzeitig umgesteuert. Nach 2004 putzte Abderrahim Aboutissa die gleichen Zimmer, war aber nun angestellt bei der UKM Gebäudemanagement, einer hundertprozentigen Tochter der Uniklinik. Vieles wurde anders: Die Mitarbeiter wurden möglichst langfristig beschäftigt. Sie bekamen nun so viele Lappen wie sie brauchten, genau wie Handschuhe und Cremes gegen rissige Haut, ein Problem, wenn man ständig mit Wasser und Reinigungsmitteln zu tun hat.

Und 2011 kam „Vision Clean“ hinzu, ein Putzsystem, das mit Hilfe von Bildern erklärt, welcher Bereich im Krankenhaus exakt wie geputzt werden muss.

Zum Beispiel ein Klo. Bei Vision Clean gibt es dafür das Foto einer Toilette, darauf die Nummern von 1 bis 13. In rot. Also: Man verwende hierfür einen roten Lappen. Und putze dann zuerst den Spülknopf und danach Haltestange, Klopapierhalter und Klobürstengriff. Ehe man die Brille und den Rand des Klos reinigt. Letzter Schritt: Den Klobürstenbehälter putzen. Und zwar von innen. Und danach wirft man den Lappen weg. 

Andreas Rütz, einer der Geschäftsführer der UKM Gebäudemanagement, hat Vision Clean in Münster eingeführt. Er kannte das Konzept aus München, wo es ein Bekannter von ihm entwickelt hatte, der Unternehmensberater Peter Hennig.

Geschäftsführer Rütz, ein Anzugträger mit halblangem, zurückgekämmtem Haar, brauchte nicht lange, um die Verantwortlichen von Vision Clean zu überzeugen. „Der Vorstand der Uniklinik hat schnell kapiert, dass ein Hygieneskandal viel mehr kostet als sorgfältige Reinigung“, sagt Rütz.

Das Gelände der Uniklinik Münster ist weitläufig, eine Stadt in der Stadt. An die 10.000 Menschen arbeiten hier und versorgen pro Jahr mehr als eine halbe Million Patienten. Es gibt Betontürme und alte Backsteinhäuser mit Sprossenfenstern und dazwischen viel Grün. Fußgänger, Radfahrer und Versorgungswagen sind auf den Wegen unterwegs, und immer wieder Patienten, mit dicken Verbänden um Augen, Hände oder Nase. Mittendrin, in einem der Backsteinhäuser: die Zentrale des Gebäudemanagements, das die Reinigung der insgesamt 1.457 Betten koordiniert.

Vision Clean sieht vor, dass neue Mitarbeiter sorgfältig eingearbeitet werden. Zuerst erklärt Aboutissa – inzwischen Teamleiter – den Anfängern mittels der Bilder, wie man welches Zimmer wie putzt. Und macht es ihnen vor. Danach werden die Neuen von erfahrenen Mitarbeitern begleitet, mal eine Woche lang, mal zwei, manchmal auch vier. Aboutissa kontrolliert auch, ob die erfahrenen Mitarbeiter alles richtig erklären. „Sonst werden ja Fehler weitergegeben“, sagt er. Und wenn den Neuen dann immer noch Fehler unterlaufen? „Dann gibt es eine Nachschulung“, sagt Aboutissa. 

Später begleiten die Teamleiter die Kollegen unangemeldet bei ihrer Arbeit, in der Hand einen Tablet-Computer, und setzen Häkchen neben die Kästchen. Etwa bei den Klos, von Nummer 1 bis 13.

An anderen Tagen kriegen die Putzleute ein eigenes Tablet in die Hand, um sich selbst zu bewerten. Dann müssen sie eigenständig ankreuzen, ob sie den Lichtschalter geputzt haben, die Türklinke oder den Schrankgriff. „So erkennen die Mitarbeiter ihre Fehler selbst“, erläutert Abderrahim Aboutissa. „Das ist besser, als wenn ich mich hinstelle und sage: Das hast du alles falsch gemacht“.

Einmal im Jahr müssen die Putzkräfte zu einer Basisschulung. „Und das ist auch gut so“, sagt Maria Trino, eine quirlige Frau mit rotem Pony und schwarzem Haar. Sie erinnert sich an die alten, längst nicht so sauberen Zeiten. Und findet es gut, dass sie, auch nach anderthalb Jahrzehnten Putzdienst in der Klinik, jedes Jahr wieder ins Klassenzimmer muss. „Vor den Schulungen denke ich immer, dass ich schon alles kenne“, sagt sie. „Und dann fallen mir doch wieder Kleinigkeiten auf, an die ich nicht gedacht habe.“ Die Folien aus den Schulungen hängen später an den Putzwagen.

Ist eine Reinigungskraft eingearbeitet, bekommt sie ihr eigenes Revier. So steigt der Ehrgeiz, den eigenen Bereich möglichst sauber zu halten. „Wenn ich mal krank bin und die Vertretung nicht ordentlich geputzt hat, merke ich das schon“, sagt Maria Trino. „Dann versuche ich, schnell alles aufzuholen.“

Sawssan Hanafi, eine Mittzwanzigerin mit langen Locken, die man selten ohne ihr Klemmbrett trifft, ist dafür zuständig, die Abläufe zu optimieren. Schon ihre Bachelorarbeit hat sie darüber geschrieben, wie man die Hygiene in Krankenhäusern verbessern kann. Inzwischen gehört sie zur Führungsriege des Gebäudemanagements. Mit einer Stoppuhr misst sie, wie lange eine gute Reinigungskraft braucht, um ein Zimmer auf der Intensivstation zu putzen. Das ist dann die „Benchmark“, die Zeitvorgabe für alle anderen Kollegen. Wobei es keine Kompromisse bei der Gründlichkeit gibt.

Trino, die auf der Intensivstation arbeitet, sagt: „Ich darf zwar nicht bei der Arbeit einschlafen. Aber wenn ich mich an die Struktur halte, schaffe ich immer, was ich schaffen muss.“

Und siehe da – trotz der Gründlichkeit sind die Putzleute in Münster nicht langsamer als in anderen Krankenhäusern. 146 Quadratmeter müssen sie pro Stunde reinigen, das entspricht ungefähr dem bundesweiten Durchschnitt.

Doch noch etwas ist anders in Münster: Die Abläufe sind präzise geplant. „Eine Heizung muss nicht jeden Tag geputzt werden“, sagt Geschäftsführer Rütz. „Türklinken und Lichtschalter hingegen möglichst mehrmals am Tag.“

Genau diese Stellen werden in vielen Krankenhäusern vernachlässigt. So steht es in einer Langzeitstudie der Beratungsfirma Hysyst: Demnach würden nur 28 Prozent der Oberflächen in Kliniken wirksam gereinigt. Das Magazin „Stern“ kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Von 783 Flächen wurde nur jede vierte einmal pro Tag gereinigt.

Die Putzleute in Münster werden nach bundesweitem Tarif bezahlt, auf Normalstationen erhalten sie 9,80 Euro brutto pro Stunde. Aber: „Wir geben mehr Geld für Materialien und Schulungen aus“, sagt Geschäftsführer Rütz.

Führt die bessere Hygiene in Münster dazu, dass es weniger Krankenhausinfektionen gibt? Das lässt sich nicht exakt messen. Weil es natürlich viele Maßnahmen gibt, sie in Schach zu halten. Doch einen Erfolgsindikator gibt es: Mehrere andere Kliniken haben das Münsteraner Konzept inzwischen übernommen.