Die Seucheninsel
Drei Jahre lang haben die Seuchenforscher im Trockenen geübt, doch in einer Woche soll es endlich losgehen: Das neue Hochrisikolabor auf der Insel Riems wird seinen Betrieb aufnehmen. Werden Kühe, Schweine, Fledermäuse mit gefährlichsten Erregern wie Ebola angesteckt. Zum Wohle von Mensch und Tier. In Europa einmalig.
Diese Reportage erscheint auch auf „Zeit online“.
Ein letzter Probelauf. Anne Balkema-Buschmann mistet den hell erleuchteten, kahlen Stall aus, füttert die Kühe. Mit einer Pipette tropft sie Proben auf eine durchsichtige Platte, legt sie unter ein Mikroskop und schaut sie sich an. So, wie es Tierforscher auf der ganzen Welt machen. Doch Balkema-Buschmann steckt in einem ballonartigen, gelben Anzug, ein unförmiges Michelin-Männchen, durch blaue Schläuche mit Luft versorgt.
Über ein Headset spricht sie mit ihren Mitarbeitern, die draußen vor einer Scheibe hocken und jeden ihrer Schritte verfolgen. Alles, was sie anfasst, muss Balkema-Buschmann desinfizieren. Und noch etwas ist anders: Die vier verdutzten Kühe sind in engen Käfigen fixiert, um der Forscherin ja nicht zu nahe zu kommen. Um sie vielleicht zu beißen und so den Anzug zu beschädigen. Das könnte lebensgefährlich sein. Im Ernstfall.
Balkema-Buschmann ist Laborleiterin am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Ostsee-Insel Riems. Nur 1300 Meter ist die Insel lang und fast vollständig von den Gebäuden der Forschungsanlage eingenommen. Wissenschaftler arbeiten hier an 10.000 Tieren. Untersuchen Mücken, Zecken, Bienen, Fische, Hühner, Enten, Hamster, Frettchen, Stinktiere, Fledermäuse, Schafe, Ziegen, Rinder.
Denn: Bei den tödlichsten Keimen spielt der Mensch nur eine Nebenrolle. Die Viren siedeln auf Tieren. Schweine- und Vogelgrippe tragen ihren Ursprung im Namen. SARS, das Anfang des Jahrtausends mehr als 1000 Menschen vor allem in China tötete, schwappte wohl von Schleichkatzen auf den Menschen über. Das verwandte MERS siedelt auf Kamelen. Ebola vermehrt sich in Fledermäusen, ZIKA in Affen.
Das macht die Erreger besonders tückisch: Erstens verändern sie sich in den Tieren, werden aggressiver, ansteckender, gegen Medikamente resistent. Zweitens ist es äußerst schwierig, die Krankheiten auszurotten, weil sie sich immer wieder in die Leiber der Tiere zurückziehen. Drittens wandern die Erreger mit den Tieren – und mit wärmerem Klima aus dem Süden auch nach Europa ein.
Im Tierseucheninstitut wollen Balkema-Buschmann und ihre Kollegen daher ergründen: Warum ist Ebola für Menschen tödlich, für Fledermäuse aber harmlos? Wo kommen in Deutschland tropische Mücken vor? Wie kann man Impfstoffe für Tierseuchen entwickeln? Käme es zu einem neuen Ausbruch einer Tierseuche, würden die Forscher in die Labors eilen, den Erreger untersuchen, Politiker bei der Abwehr beraten.
Boulevardzeitungen haben Riems die „gefährlichste Insel Deutschlands“ genannt. Doch dafür ist die Anfahrt überaus malerisch. Die Morgensonne blendet, auf einer Landstraße geht es vorbei an Ferienhäusern, Apfelbäumen, Segelbooten und schließlich über einen Damm, der die Insel mit dem Greifswalder Festland verbindet. Nur AfD-Wahlplakate links und rechts stören das Idyll.
Das Institut ist so gut gesichert wie ein Gefängnis. Es gibt drei Möglichkeiten, hinein oder hinaus zu kommen. Durch eine Sicherheitsschleuse mit zwei Drehtüren, unter den Augen zweier Wachleute. Oder über den Hubschrauber-Landeplatz. Die dritte Schnittstelle mit der Außenwelt dient nur als Ausgang: Die Kadaver der infizierten Tiere werden in Riems in einem Laugenbad aufgelöst. Das erinnert an die Serie „Breaking Bad“. Nur Knochen bleiben dann übrig, der Rest, eine zähflüssige Masse, wird ins Meer gekippt. Alle Viren sind vernichtet.
Es gibt nur drei Labors auf der Welt, in denen man Großtiere wie Kühe mit gefährlichsten Erreger anstecken kann. Eines ist im kanadischen Winnipeg, 6700 Kilometer entfernt. Ein anderes in Australien. Das dritte Labor steht jetzt auf Riems.
Seit 2013 ist es fertig und wird seitdem immer und immer wieder penibel erprobt. Eine der größten Herausforderungen: das Druckgefälle. In der ganzen Anlage herrscht Unterdruck. Am niedrigsten, an der Grenze des technisch Möglichen, ist der Luftdruck im Sezierraum, im Kern der Anlage. Dort werden Forscher schon bald Tierkadaver zerschneiden. Die Luft könnte voller Ebola-Erreger sein.
Sollte es irgendwo ein Leck geben, ein Fenster brechen, dann strömt die Luft ausschließlich nach innen und nicht nach außen. Die Erreger können nicht nach draußen dringen. Der Theorie nach zumindest. Damit das auch in der Praxis funktioniert, muss man alles genau testen, immer und immer wieder. „Wir haben hier jede Steckdose abgezogen, um zu sehen, was passiert“, sagt Institutsleiter Martin Groschup. Ein stämmiger Mann mit militärischem Auftritt, mit blauen Augen und klarer Stimme. „Mir fällt keine Fragestellung ein, die wir hier nicht beantworten können“, sagt er.
Groschup ist Experte für das Krim-Kongo-Fieber: Eine tödliche Viruserkrankung, die von Zecken übertragen wird und bereits in Europa grassiert, vor allem im Südosten. Im letzten Monat hat das Virus aber auch erstmals einen Mann in Spanien getötet. Die Erreger vermehren sich in Rindern, ohne dass die Krankheit ausbricht. Niemand weiß bislang warum. Martin Groschup will zusammen mit seinem Team dieser Frage nachgehen – und eines Tages hoffentlich ein Impfserum entwickeln.
Geschichte des Seucheninstituts
Begründet wurde das Institut von Friedrich Loeffler. Ende des 19. Jahrhunderts gehörte er als Schüler von Robert Koch zu jenen Forschern, die Viren endeckten. Das war vor der Zeit, in der man die Erreger mit Mikroskopen tatsächlich sehen konnte. Nur ihre tödliche Wirkung war sichtbar: die Maul- und Klauenseuche bei Schweinen etwa, die bis heute weltweit verbreitet ist.
Anfangs führte Löffler seine blutigen Versuche mit der Krankheit in einem offenen Stall mitten in Greifswald durch. Immer wieder kam es drumherum zu Ausbrüchen. Die Anwohner beschwerten sich, die Behörden verboten Löffler die Versuche.
Er wich aus nach Riems, damals ohne Fähre nicht zu erreichen. Das Wasser darum war zu tief und zu weit, als dass es die Schweine hätten durchschwimmen können. Das erste Virenforschungsinstitut der Welt war 1910 geboren.
In der Nazi-Zeit forschte man hier an biologischer Kriegsführung. Später beschlagnahmten die Sowjets einen Großteil der Ausrüstung. Zu DDR-Zeiten wurde das Institut neu eingerichtet, samt Gemälden im Stil des sozialistischen Realismus. Sie zeigen die Mitarbeiter bei ihren Tätigkeiten: Ein Schwein wird zerlegt, Blut wird analysiert, Forscher diskutieren in der Bibliothek.
Bis zur Wende war das Bundesinstitut für Tierseuchen in Tübingen; 2007 wurde es nach Riems zurückverlegt und modernisiert. Mittlerweile sei die Anlage so sicher, dass man nicht mehr auf die Insellage angewiesen sei, sagt Thomas Mettenleiter, der heutige Institutsleiter. „Ich schlafe trotzdem ruhiger“, sagt er. Die Insellage schützt auch davor, dass Tierschützer vor dem Eingangstor demonstrieren – oder sie die Zäune sogar überklettern.
Einige Stunden später treffen wir Anne Balkema-Buschmann in der Bibliothek des Instituts. Große Fenster, Meerblick, es duftet nach altem Holz und Büchern, an der Decke zwei riesige Kronleuchter. Balkema-Buschmann hat den Michelin-Anzug abgelegt, trägt ein buntgestreiftes Hemd. In ihr braunes Haar mischen sich graue Strähnen.
Viele Jahre lang hat sie BSE erforscht, den „Rinderwahnsinn“. Künftig wird sie sich vor allem dem Hendra-Erreger widmen, 1995 erstmals in Australien entdeckt. Auch dieses Virus ist tödlich für Menschen – und für Pferde. Zunächst wird Balkema-Buschmann nur mit Zellen arbeiten. Aber eines Tages wird sie wohl auch Pferde infizieren müssen.
Freuen würde sie sich darüber aber nicht, sagt sie. Kühe seien ruhige Nutztiere, sie machten keine Anstalten, wenn man sie fixiere. Pferde aber seien Fluchttiere. Sie könnten austicken, treten, beißen. Auch die emotionale Bindung sei eine andere. Nutztiere würden täglich millionenfach für Essen getötet. Aber Pferde anzustecken mit tödlichen Krankheiten?
„Wir wollen einfach vernünftige Forschung machen“, sagt Thomas Mettenleiter, der Präsident des Instituts. An der Wand seines Büros hängt ein Foto, auf dem er hinter Kanzlerin Merkel steht, als sie am 16. August 2013 das neue Institutsgelände eröffnete. Mettenleiter, blauer Blazer, Jeanshose, ist 59. Der jugendliche Look passt zu seinem lebendigen Auftreten.
Noch immer kann sich Mettenleiter für seine Forschung begeistern. Er sieht in Viren nicht nur Feinde. Er schwärmt, dass auf der Erde mehr davon lebten, als es Sterne am Himmel gibt. Und dass ohne sie Leben überhaupt nicht möglich sei. Dass sie zu den ältesten Lebewesen gehörten. „Ich kann mich über Viren endlos auslassen“, sagt er.
Sein „Lieblingserreger“ ist ein Herpesvirus, an dem er seit mehr als 30 Jahren forscht. Mit zu viel Erfolg, wie er sagt. Das Virus ist in Deutschland ausgerottet. „Wir haben den Ast abgesägt, auf dem wir sitzen.“ Also müssen mit dem neuen Labor neue Äste her.
Die Glasvitrine vor dem Hauptgebäude hängt voller offener Stellenanzeigen. Gesucht werden ein Biologielaborant, eine Immunologin, eine wissenschaftliche Referentin. Ganz einfach hat man es hier nicht, wissenschaftlichen Nachwuchs zu finden. Das hat auch mit den Wahlplakaten auf dem Festland zu tun. Die Insellage, sie kann nicht vor allem schützen.