Viel Lärm um viel
In dieser Woche hat CORRECTIV gemeinsam mit dem ARD-Magazin „Plusminus“ in einer Recherche gezeigt, wie schleppend deutsche Krankenhäuser Hygienepersonal einstellen. Unseren Recherchen zufolge verfehlte im Jahr 2014 mehr als jedes vierte Krankenhaus eine Empfehlung, die das Robert-Koch-Institut bereits 2009 herausgegeben hatte. Unsere Recherche entfachte heftige Diskussionen. Um was ging es dabei?
Die Resonanz auf unsere Veröffentlichung war enorm: Klinikleiter rechtfertigten sich in Zeitungen vor Ort, Krankenhausgesellschaften versandten Pressemitteilungen, Hygieniker formulierten Dementis. In der CORRECTIV-Redaktion in Berlin klingelte in einem fort das Telefon. An der Strippe: aufgebrachte Hygieneärzte und Klinik-Pressesprecher, die dagegen protestierten, dass ihr Haus laut unserer Analyse die Hygienepersonal-Empfehlungen nicht erfüllt.
Warum die Aufregung? Was steckt im Einzelnen dahinter? Im Kern ging es um sechs Argumente.
1. Argument: Die Zahlen seien veraltet
In der Tat stammen die Zahlen von 2014 – und sind die neuesten Zahlen, die auf Bundesebene zum Thema veröffentlicht worden sind. Auch wir fragen uns: Wo sind die Zahlen von 2015? Warum braucht es im jetzigen System bis zu zwei Jahre, um die Qualitätsberichte der Krankenhäuser flächendeckend zu veröffentlichen?
Einige Krankenhäuser behaupten nun nachträglich: In ihren Qualitätsberichten habe es Fehler gegeben, tatsächlich erfüllten sie die Empfehlungen. Diese Fehler bedauern wir. Allerdings ist das nicht unsere Verantwortung. Die Zahlen beruhen auf Selbstauskünften der Krankenhäuser – und man kann von Krankenhäusern erwarten, dass sie in der Lage sind, den Behörden korrekte Zahlen zu melden.
2. Argument: Es habe sich vieles verbessert
Etliche Klinikleitungen behaupten: Sie hätten heute mehr Personal. Das können wir nicht beurteilen. Wir haben die aktuellsten Daten genommen, um zum ersten Mal eine systematische, bundesweite Auswertung des Personalstandes in Sachen Hygiene zu machen. Wir begrüßen, dass es offenbar in einzelnen Krankenhäusern Besserung gibt – und sind gespannt auf künftige Qualitätsberichte.
3. Argument: Unser Bericht sei sachlich falsch
Einzelne Berichte übten grundsätzliche Kritik an unserer Recherche und bemängelten Fehler. Etwa: Es gebe doch gar keine Empfehlungen für die Beschäftigung von Vollzeit-Krankenhaushygienikern. Doch, gibt es. Oder: Es lägen längst neuere Zahlen vor. Nein, die gibt es nicht. Oder: Das Robert-Koch-Institut gebe Hygieneempfehlungen nur für große Kliniken heraus. Falsch: Sie betreffen noch das kleinste Provinzkrankenhaus. Diese Missverständnisse überraschen uns – haben wir doch in unserem Bericht auf Originalquellen verlinkt und unser methodisches Vorgehen sorgfältig beschrieben.
4. Argument: Es sei alles in Ordnung
Die Deutsche Krankenhaus Gesellschaft veröffentlichte am Mittwoch eine Pressemitteilung, in der sie behauptete, dass „Deutschland im weltweiten Vergleich keine Auffälligkeiten bei den Infektionen hat“. Wirklich? Nach vorsichtiger Schätzung könnten bei verbesserter Hygiene in den Krankenhäusern jährlich rund 5000 Menschen einer tödlichen Infektion entgehen. Der „weltweite Vergleich“ ist unerheblich. Mit welchen Ländern möchte die Krankenhausgesellschaft sich denn vergleichen?
5. Argument: Auf Landesebene würden die Vorschriften eingehalten
Tatsächlich wurden die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts auf Landesebene – in den jeweiligen Hygieneverordnungen – unterschiedlich umgesetzt. Hygienebeauftragte Pflegekräfte etwa sind nicht in allen Bundesländern Pflicht. Wir haben jedoch entschieden, uns bundesweit an einem Standard zu orientieren – an den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts von 2009. Ansonsten wäre es nicht möglich gewesen, eine einheitliche Datenbasis für Deutschland zu erstellen. Wir finden: Es genügt bei diesem ernsten Thema nicht, das gesetzliche Minimum zu erfüllen. Jedes Haus sollte sich fragen, ob es reicht, sich an den absoluten Mindeststandard in seinem Bundesland zu halten – oder ob es nicht sinnvoller wäre, die Richtlinien der Bundesbehörde Robert-Koch-Institut umzusetzen.
6. Argument: Wir stellen Krankenhäuser an den Pranger
Natürlich gehört zu guter Hygiene weit mehr, als einfach nur genug Fachpersonal einzustellen: Die Klinikleitung muss diesem Thema fortwährend engagiert nachgehen, muss Ärzte für das Problem sensibilisieren, ausreichend Pflegepersonal einstellen und qualifizierte Putzkräfte beschäftigen. Also nicht nur Billig-Leiharbeiter, die kommen und gehen, sondern Reinigungs-Profis, die fest angestellt sind und fortwährend qualifiziert werden.
Es stimmt: Kliniken, die bei uns „rot“ markiert sind, weil sie den Personalschlüssel nicht erfüllen, können in Sachen Hygiene einen guten Job machen. Und umgekehrt.
Darum ist unsere Analyse nur ein erster Schritt, um die Krankenhausqualität in Deutschland transparent zu machen. Es gibt viel zu wenig öffentlich zugängliche Daten darüber, wie es auf den Stationen zugeht – auch, weil Kliniklobby und Politiker das nicht wünschen.
Unsere Auswertung sorgt hoffentlich dafür, schon bald für mehr Klarheit und Transparenz zu sorgen – und Patienten mehr Informationen an die Hand zu geben, um sich ein qualifiziertes Bild über ihr Krankenhaus zu machen.