Eine TV-Dokumentation zeigt, wie prächtig sich multiresistente Erreger im Abwasser von Pharmafabriken vermehren
Journalisten des NDR sind gemeinsam mit Infektionsforschern nach Indien gefahren, um das Abwasser bei Pharmafabriken zu untersuchen. In der Stadt Hyderabad fanden sie hohe Konzentrationen von Antibiotika ebenso wie antibiotikaresistente Bakterien. Die Auswertung der Wasserproben wurde auch in einer wissenschaftlichen Studie in der Fachzeitschrift „Infection“ veröffentlicht
Das Team aus Wissenschaftlern und Journalisten hatte im November 2016 an insgesamt 28 Standorten in Hyderabat Wasserproben entnommen und anschließend untersucht, ob darin Bakterien vorkommen, gegen die viele Antibiotika wirkungslos sind. Die Proben wurden unter anderem aus Leitungswasser, Bohrlöchern, Seen, Flüssen und Reisfeldern entnommen. Nur eine einzige Probe aus einem Vier-Sterne-Hotel enthielt keine resistenten Bakterien.
Gleichzeitig testete das Team 16 der Proben auf Rückstände von Arzneimitteln. Alle Umweltproben enthielten Antibiotika oder Pilzmittel. Negativer Rekordhalter war das Wasser aus einem Abflusskanal, das eine extrem hohe Konzentration des Pilzmittels Flucanazol enthielt. Die Konzentration war etwa eine Million mal höher als ein vorgeschlagener Grenzwert und das zwanzigfache dessen, was sich im Blut eines Patienten vorfindet, der das Medikament bekommt.
Schon aufgrund dieser hohen Konzentrationen folgern die Wissenschaftler, dass die Arzneistoffe höchstwahrscheinlich aus Abfällen von Pharmawerken stammen. Hyderabad ist als ein zentraler Produktionsstandort für Antibiotika weltweit bekannt. Mehr als 40 Fabriken haben die Autoren in der Umgebung der Stadt entdeckt.
Die Wissenschaftler können nicht nachweisen, dass die gefundenen Antibiotika-Reste in den untersuchten Gewässern die Resistenzen verursacht haben. Die äußerst widerstandfähigen und deshalb gefährlichen Bakterien könnten etwa auch von Menschen oder Tieren stammen, die zuvor mit Antibiotika behandelt wurden. Es sei aber zumindest klar, dass diese hohen Konzentrationen in der Umwelt „nicht helfen“, sagte Christoph Lübbert, Infektionsmediziner am Uniklinikum Leipzig, der die wissenschaftliche Untersuchung verantwortete.
Die Arbeit bestätigt ältere Studien, die in Indien sowohl hohe Konzentrationen von Antibiotika, als auch resistente Erreger nachgewiesen haben. CORRECTIV hatte darüber im Oktober 2016 berichtet. Christian Baars vom NDR, einer der TV-Autoren, sagt, das Neue ihrer Untersuchung sei insbesondere das gefundene Pilzmittel.
Von großer Relevanz sind die Befunde auch für Deutschland, denn Antibiotikaresistenzen, die in Indien entstehen, breiten sich global aus und werden etwa von Touristen auch nach Deutschland gebracht. Nach Schätzungen von Wissenschaftlern kehren 90 Prozent aller Indien-Reisenden als Träger resistenter Bakterien zurück, in den meisten Fällen aber ohne daran zu erkranken. Zudem wird mittlerweile ein Großteil der Antibiotika weltweit in Indien und China hergestellt. Auch viele Medikamente, die in Deutschland in der Apotheke verkauft werden, stammen aus einem der beiden Länder.
Kritiker fordern daher strengere Umweltstantards für importierte Arzneimittel. Tim Eckmanns, Leiter des Fachbereichs Nosokomiale Infektionen am Robert-Koch-Institut in Berlin, sieht mittlerweile genug Gründe, bessere Umweltstandards zu fordern. Würden die Pharmawerken weniger Abfälle produzieren, würden das Problem der Antibiotikaresistenzen zwar nicht verschwinden, allerdings könnte man damit die Probleme zumindest auf einfache Weise reduzieren, sagte Eckmanns. Dass es aber immer mehr Bakterien gibt, die sich unbeeindruckt von Antibiotika zeigen, liegt auch daran, dass viele Ärzte zu leichtfertig Antibiotika verordnen und auch Bauern die Medikamente zu häufig bei ihren Tieren einsetzen. Dazu kommen Hygienemängel in Kliniken und Tierställen.
In einer ersten Reaktion auf den Film erklärte der Bundesverband des Pharmazeutischen Industrie (BPI), dass man den Bericht zum Anlass nehmen werde „auf die Einhaltung vereinbarter Umweltrichtlinien stärker einzuwirken“. Allerdings habe die Industrie, so BPI-Geschäftsführer Norbert Gerbsch, „keinen Einfluss auf die von den jeweiligen Ländern gesetzten Umweltstandards.“
Gegenwärtig gibt es auf EU-Ebene Vorschriften zur „Guten Herstellungspraxis“ von importierten Medikamenten, die aber nur die Qualität der Arzneistoffe regeln und keine Umweltaspekte umfassen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte gegenüber der ARD, das solle auch weiterhin so bleiben. „Mit einem erhobenen Zeigefinger“ und der Androhung, die Hersteller vom europäischen Markt auszuschließen, werde man das Problem nicht lösen. Indien und China müssten „ein eigenes Interesse bekommen, die Wirksamkeit der medizinischen Versorgung ihrer großen Bevölkerung nicht zu gefährden“, sagte Gröhe.
Hier geht es zur Dokumentation „Der unsichtbare Feind“ nach einer Recherche des NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung.