Serbien geht gegen deutsche Vermittler von Pflegekräften wegen illegaler Anwerbung vor
Deutsche Krankenhäuser arbeiten auf der Suche nach qualifizierten Pflegekräften auch mit unseriösen Vermittlern zusammen. Eine Recherche von CORRECTIV zeigt nun, dass serbische Behörden Geldstrafen gegen Vermittler verhängt haben, die dort Pflegepersonal ohne Genehmigung anwarben. Auch das Universitätsklinikum Bonn ist involviert.
Osteuropäische Länder wie Serbien sind schon seit Langem ein Reservoir für den deutschen Arbeitsmarkt, um Pflegepersonal anzuwerben. Doch auch viele dieser Länder kämpfen inzwischen selbst mit der Überalterung ihrer Gesellschaften. Deswegen haben sie begonnen, die Abwanderung von Fachkräften zu beschränken. Im Juni kündigte die serbische Regierung die Teilnahme an „Triple Win“, einem seit 2013 bestehenden Programm der Bundesregierung zur Gewinnung ausländischer Pflegekräfte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitierte schon im Frühjahr den serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vučić, der den deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn in einem Interview gewarnt habe, noch mehr Fachkräfte aus Serbien abzuwerben: „Ich habe ihm ins Gesicht gesagt, ich möchte nicht, dass du nach Serbien kommst und meine Schwestern abholst“.
Serbische Behörden setzen diesen Wunsch schon länger in die Tat um, wie Unterlagen zeigen, die CORRECTIV vorliegen. Sie gehen gegen private deutsche Vermittler und Krankenhäuser vor, die ohne Genehmigung in dem Land versuchen, Pflegekräfte abzuwerben.
Das Vermittlungsgeschäft von Pflegepersonal für den deutschen Markt boomt – geschätzt werden mehr als 100 Millionen Euro werden pro Jahr umgesetzt – und es wächst trotz der aktuellen Corona-Beschränkungen weiter. Laut Experten werden im Jahr 2035 270.000 Pflegerinnen und Pfleger in Deutschland fehlen. Allein 2018 blieben 40.000 Stellen unbesetzt. Aus diesem Grund sind deutsche Krankenhäuser bereit, Beträge zwischen 10.000 und 15.000 Euro pro Pflegekraft zu zahlen, wie die CORRECTIV-Recherche „Nurses for Sale“ zeigt, an der Medien aus fünf Ländern beteiligt sind.
Das zieht seriöse Unternehmen an – aber auch solche, die schnelles Geld machen wollen. Serbische Behörden haben laut Unterlagen mehrere deutsche Unternehmen bestraft, weil sie versuchten, in Serbien Pflegerinnen und Pfleger ohne staatliche Genehmigung und damit auf illegale Weise zu rekrutieren. Das zuständige Handelsministerium verhängte seit 2015 gegen mindestens fünf in Deutschland ansässige Unternehmen Geldbußen.
Mittlerweile laufen viele Geschäfte online. Die Gewinnung von ausländischen Pflegekräften ist keine Ausnahme: Die in Serbien bestraften Firmen warben vor allem über Social Media-Kanäle. Dies zeigen fünf Fälle, die CORRECTIV recherchiert hat.
Komm nach Frankfurt!
Eine der Bestraften ist D. G.. 2017 kündigt sie auf ihrer Facebook-Seite einen Termin für serbische Pflegefachkräfte an, die sie für ein Intensivpflegezentrum in Frankfurt anwerben will. Sie selbst ist dort stellvertretende Geschäftsführerin. Am 26. Dezember findet um 10 Uhr im „City Hotel“ in Belgrad ein Treffen statt: „Vitalis Zentrum Pflegedienst! Komm in unser Team! Ein offener Aufruf an alle Pfleger, die Berufserfahrung auf der Intensivstation haben“, lautet der Beitrag. Die Mindestvoraussetzungen für die Teilnahme: Eine Ausbildung als Pflegekraft und gute Deutschkenntnisse – B1 heisst das Sprachniveau offiziell. Auch wenn man nicht alle diese Bedingungen erfülle, sei das kein Problem: „Jeder, der nicht über alle erforderlichen Unterlagen verfügt, kann auch an einem Interview teilnehmen“, schreibt G. in ihrem Facebook-Beitrag.
Was G. nicht ahnte: Neben den 15 Teilnehmerinnen, die auf einen guten Job in Frankfurt hofften, waren auch drei Kontrolleure des serbischen Handelsministeriums anwesend. Die Inspektoren fanden Beweise dafür, dass D. G. Arbeitsvermittlungen für das deutsche „Vitalis Zentrum Pflegedienst“ durchführte, ohne dass sie dafür eine Genehmigung hatte. G. gab sich einsichtig und versicherte dem Belgrader Richter, dass sie nichts von der Pflicht einer Genehmigung gewusst habe. Sie behauptete damals, sie werbe Mitarbeiter im Namen von Vitalis an. Die Vermittlerin wurde schließlich zu einer Geldstrafe von umgerechnet insgesamt rund 1.300 Euro aufgefordert.
Die Firma Vitalis Zentrum Pflegedienst und D. G. ließen eine Anfrage von CORRECTIV unbeantwortet.
Der Wohltäter und seine Frau
Dietmar Bandke war eine anerkannte Person in Düren, der Stadt, in der er sein gesamtes Leben verbrachte. Als er vor zwei Jahren starb, würdigte ihn die Stadt mit einem eigenen Nachruf. Der Bürgermeister hob vor allem Bandkes Unterstützung für die Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina hervor, die nach den Balkan-Kriegen in ihr Land zurückkehren wollten. Bandke hatte sich damals so intensiv engagiert, dass Düren ihn für die Zusammenarbeit mit der bosnischen Stadt Gradacac einsetzte. Die bosnische Stadt erklärte ihn wiederum zum Ehrenbürger.
Nach Angaben der Stadtverwaltung von Düren gab Bandke im August 2011 seine Stelle im Ausländer- und Meldewesen des Rathauses auf. Fünf Jahre später, im Juni 2016, gründete er mit seiner Frau Halida Bandke die Firma „DKVB Deutsches Koordinierung – und Verwaltungsbüro GmbH“. Der Hauptsitz des Unternehmens war die Wohnung des Paares.
Anfang Januar 2018 postete Halida Bandke eine Ankündigung auf ihrem Facebook-Profil: Die Firma DKVB veranstalte ein Treffen für serbische Pflegekräfte, die in Deutschland arbeiten möchten. Der für den „Tag der offenen Tür“ gewählte Ort – so wurde die Veranstaltung beworben – war das Café Negro im Zentrum von Belgrad. Wie in G.s Fall flog auch dieses Treffen auf, weil ein Arbeitsinspektor im Café auftauchte. Bandke konnte nicht nachweisen, dass sie eine Erlaubnis für die Vermittlung der Pflegerinnen hatte und wurde deshalb bestraft. In diesem Fall belief sich die Geldbuße auf insgesamt umgerechnet rund 1.200 Euro. Die Firma DKVB ist seit Anfang diesen Jahres in Liquidation.
Halida Bandke räumte auf eine Anfrage von CORRECTIV ein, zu diesem Zeitpunkt in Serbien gewesen zu sein, weist die Vorwürfe jedoch zurück: In holprigem Deutsch schreibt sie, sie habe dort eine „Vorbildung gehalten“, vermutlich einen Vortrag. Da Vermittlungsagenturen sowohl von den Arbeitgebern als auch von den Pflegekräften Gebühren kassierten, habe sie die Pflegekräfte über die dubiosen Praktiken informieren und sie auf Hilfsangebote aufmerksam machen wollen. Anders als in ihrer Facebook-Einladung angegeben, behauptet sie nun, dass sie keine Pflegerinnen und Pfleger anwerben, sondern sie vor unlauteren Agenturen warnen wollte. Die Behörden in Serbien seien „korrupt“. Sie behauptet, eine mächtige, rivalisierende Agentur habe ihr die Inspektoren auf den Hals geschickt, „weil ich denen im Wege stand“. Sie habe die Geldbuße bezahlt, da sie sonst ins Gefängnis geschickt oder mit einer Einreisesperre belegt worden wäre.
Der bayerische Personalberater
Nur einen Monat, nachdem Bandke in dem Belgrader Café auf frischer Tat ertappt worden war, wurde ein Vermittler gefasst, als er in der serbischen Stadt Niš versuchte, ohne Genehmigung medizinisches Personal für Deutschland anzuwerben. Laut den Akten der serbischen Behörde gab er sich dort als Vertreter der DKVB aus. Als die Inspektoren dort im „My Place Hotel“ auftauchten behauptete der deutsche Staatsbürger Jens Wiegrebe, er verstehe die Sprache nicht und erklärte den Beamten, er sei dort als Vertreter der DKVB unterwegs. Zudem betreibe er eine eigene Vermittlungsagentur in Deutschland.
Auch Wiegrebe gab gegenüber den serbischen Beamten an, dass er nicht gewusst habe, dass eine Genehmigung für diese Art von Aktivitäten in Serbien erforderlich sei. Das Gericht glaubte seiner Ausrede nicht und verhängte eine Strafzahlung von etwa 500 Euro.
Auf eine schriftliche Anfrage von CORRECTIV zu dem Fall antwortete Jens Wiegrebe nicht. In einem Telefonat mit CORRECTIV sagte er nur, dass er die Firma DKVB nicht kenne.
Ein kleines Imperium
Als Ilie Paraschiv 2004 in Overath seine Vertriebsfirma für Gummiprodukte gründete, träumte er vielleicht davon, dass seine Söhne das Geschäft ausbauen würden. Was er sich wohl nicht vorgestellt hatte: Die Söhne würden nicht nur mit Rohstoffen, sondern auch mit medizinischem Personal handeln. Ilie starb 2011, seine Firma führten fortan seine Frau Doina Elena und ihre beiden Kinder Christian und Mihnea-Florin.
Im Jahr 2015 verlegten die Erben von Ilie den Hauptsitz des Unternehmens nach Marburg und erweiterten ihr Tätigkeitsfeld um E-Commerce und „die entgeltliche Überlassung von Arbeitnehmern“ sowie „die entgeltliche (provisionsgebundene) Vermittlung von Arbeitnehmern sowie freiberuflich und selbständig tätigen Dienstleistern und Fachkräften“. Drei Jahre später verließ Doina Elena die Geschäftsführung, blieb jedoch Miteigentümerin des Unternehmens. Die Artigum GmbH hat ihren Sitz am Privatwohnsitz des ältesten Sohnes, Mihnea-Florin, in Marburg. Mihnea-Florin ist außerdem Tanzlehrer und erster Vorsitzender eines Akademischen Tanzsportclubs an der Philipps-Universität Marburg; laut der Vereinswebsite ist der Club ebenfalls am Hauptsitz des Familienunternehmens registriert.
Seit einigen Jahren scheint sich das Netzwerk von Artigum weiter international verzweigt zu haben: Im Internet stößt man auf mehrere Artigum-Websites, die zu Adressen in verschiedenen osteuropäischen Ländern führen. Das Ziel: die Anwerbung von Pflegekräften für deutsche Kliniken. In Serbien wirbt das Unternehmen laut der Arbeitsaufsichtsbehörde des Landes im Frühjahr 2019 auf verschiedenen Webseiten. Einige von ihnen sind mittlerweile gelöscht, andere sind noch aktiv.
Wie in den anderen Fällen haben die serbischen Behörden im April letzten Jahres ein Verfahren gegen Artigum eröffnet, weil die Vermittlungen ohne Genehmigung angeboten wurden. Im Mai statteten die Inspektoren dem Hauptsitz des Unternehmens in Belgrad, der 2017 von Cristian Paraschiv gegründet wurde, einen Besuch ab. Das Unternehmen behauptete, die Website sei nicht mehr in Betrieb, doch laut offiziellen Angaben machte Artigums Tochtergesellschaft in Serbien weiterhin Werbung, ohne eine Lizenz dafür zu haben. Der Fall ist noch offen.
Cristian Paraschiv schreibt CORRECTIV auf Anfrage, dass Artigum in Serbien als Sprachschule tätig sei. Er räumt zugleich ein, dass die serbischen Behörden ihre Tätigkeiten „als Recruiting einstufen, weil Artigum Serbien auch Bewerbungsunterlagen serbischer Staatsbürger für eine erfolgreiche Bewerbung in Deutschland vorbereitet hat“. Trotzdem bestreitet der Geschäftsführer von Artigum, dass die Firma Pflegekräfte rekrutiert hat. Sie habe dies „niemals“ gemacht und lasse seit dem Hinweis der Behörden ihre Tätigkeit ruhen. Am Ende räumt Paraschiv ein, dass Artigum durchaus Pflegekräfte in Serbien wie auch in anderen Ländern für Deutschland rekrutiert – aber eben nur in Zusammenarbeit mit nicht näher genannten, in Serbien lizenzierten Partner-Vermittlungsagenturen.
Mit Stil
Wie in allem im Leben gibt es auch bei den Vermittlungsgeschäften verschiedene Kategorien. Mladjen Petrovic, ein Mitarbeiter des Universitätsklinikums Bonn, wollte in Belgrad eine Informationsveranstaltung für medizinisches Fachpersonal organisieren. Für das Event mietete er den Raum „Nikola Tesla“ im Metropol Palace an, einem imposanten Fünf-Sterne-Hotel im Zentrum von Belgrad. Das Treffen sollte Ende September 2019 stattfinden.
Aus den Unterlagen der serbischen Behörden, die CORRECTIV vorliegen, geht hervor, dass die Teilnehmer nach der Registrierung auf eine Webseite geführt wurden, auf der der potenzielle Arbeitgeber, das Universitätsklinikum Bonn, ausdrücklich erwähnt wird. Auch die E-Mail-Adressen der Einladungen legen nahe, dass die Organisation des Treffens bei dem Universitätsklinikum Bonn liegt. Die jeweiligen Adressen enden auf @ukbonn.de. Für weitere Informationen wurde außerdem die Adresse der offiziellen Website des Uni-Klinikums Bonn angegeben.
Über eine Website, die eine offizielle Info-Webseite der Bundesregierung für ausländische Studierende und Fachkräfte imitiert, erfuhr ein serbischer Fahnder von der Veranstaltung, die Petrovic im Namen des Uni-Klinikums Bonn organisierte. Daher nahm neben den Interessenten für einen Job am Krankenhaus in Bonn auch ein von der Polizei begleiteter Arbeitsinspektor teil. Gegen Petrovic wurde eine Geldstrafe von umgerechnet 1.360 Euro verhängt.
Eine Pressesprecherin des Uni-Klinikums Bonn gibt zu, dass die Pflegeeinrichtung „eine Informationsveranstaltung zu den Themen der Anpassungsmaßnahmen und der Berufszulassung“ in Belgrad organisiert hat. Jedoch hätten die serbischen Behörden die Angelegenheit als „eine Ordnungswidrigkeit“ eingestuft, die durch die Zahlung einer Geldstrafe gelöst worden sei. Zur Rolle Petrovics erklärt die Klinik, dass der Mitarbeiter die „Administration der Informationsveranstaltung“ aufgrund seiner Kompetenz als Muttersprachler übernommen habe.