Klimawandel

Produkte für die Autoindustrie: EU will Abholzung der Wälder für Leder und Gummi weiter erlauben

Die EU präsentiert sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz: Produkte, für die Wälder abgeholzt werden, sollen künftig nicht mehr in der EU auf den Markt kommen. Das soll ein neues Gesetz sicherstellen. Doch laut einem geleakten Entwurf, der CORRECTIV vorliegt, sind Produkte ausgenommen, die für die Autoindustrie wichtig sind. Hat sich die Kommission dem Druck der Lobbyisten gebeugt?

von Gabriela Keller

Environment
Der Anbau von landwirtschaftlichen Produkten sowie Rinderhaltung sind die Hauptursachen für die Vernichtung des Regenwaldes im brasilianischen Amazonasgebiet. Allein 2020 sollen in der Region mehr als 11.000 Quadratkilometer gerodet worden sein. (Foto: Werner Rudhart/VW Pics/ZUMA Wire)

Die EU-Kommission hat die Tragweite ihres Vorstoßes zum globalen Schutz der Wälder erheblich reduziert: Von der Liste der Produkte, die ein geplantes Gesetz zur Bekämpfung der Abholzung von Wäldern regulieren soll, sind einige besonders heikle Materialien verschwunden: Leder und Kautschuk fehlen in einem Entwurf, der CORRECTIV vorliegt.

Das Europaparlament zählt beide Produkte zu den größten Verursachern der weltweiten Entwaldung. Eine Resolution von Oktober 2020, mit der das Parlament das Gesetz angeregt hat, definiert eine Reihe von Waren, die das geplante Gesetz „mindestens“ erfassen müsse; Leder und Kautschuk sind enthalten, ebenso  Mais. In dem Entwurf der Kommission aber stehen jetzt nur Palmöl, Soja, Holz, Kakao, Kaffee und Rindfleisch.

Laut Einschätzungen der EU sind in den vergangenen Jahren 1,78 Millionen Quadratkilometer Regenwald weltweit verloren gegangen, das entspricht in etwa der Größe von Libyen. Die rasant voranschreitende Vernichtung alarmiert zunehmend die internationale Gemeinschaft. Gerade haben sich in auf der Weltklimakonferenz in Glasgow mehr als 100 Staaten verpflichtet, die weltweite Entwaldung bis 2030 zu beenden.

Die EU präsentiert sich als Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel. In einer Mitteilung an das Europaparlament schrieb die Kommission im Juli 2019, die EU sei bei dem Thema „globaler Wegbereiter“ und müsse ihre „Maßnahmen verstärken und eine noch stärkere Führungsrolle beim Schutz und der Wiederherstellung der Wälder in der Welt einnehmen.“

EU nimmt Produkte der Autoindustrie aus Gesetzesentwurf gegen Abholzung

Zugleich haben Industrieverbände den Druck erhöht und offenbar Einfluss geltend gemacht. „Der Bericht des Europaparlaments war ein großer Wurf, die Variante der Kommission ist nun deutlich ausgehöhlt und hat einige große Lücken”, sagt Tina Lutz von der Deutschen Umwelthilfe. „Das wirft die Frage auf, warum ausgerechnet die Rohstoffe, die in die Autoindustrie fließen, von der Regelung ausgenommen worden sind.“

Der global geerntete Kautschuk wird zu 70 Prozent zu Autoreifen verarbeitet, Leder zu einem großen Teil als Bezug für Sitzbezüge importiert. Auffällig ist, dass die Kommission  beide Produkte noch in ihrer Mitteilung Ende 2019 zu den Risikoprodukten gezählt hat. Auf welcher Grundlage sie nun von der Liste gestrichen wurden, lässt sich schwer sagen.

CORRECTIV hat bereits vor fast drei Monaten bei der EU-Kommission einen Antrag auf Einsicht in deren Termine und Kommunikation mit Verbänden und Lobbyorganisationen gestellt, der von der Kommission noch bearbeitet wird. Auch eine aktuelle Presseanfrage bleibt unbeantwortet: Die Kommission kommentiere keine Leaks, teilt eine Sprecherin mit.

Ziel des geplanten Gesetzes ist zu verhindern, dass der Konsum in Europa den Verlust von Wäldern in anderen Teilen der Welt befördert. Die EU ist nach eigener Einschätzung für bis zu zehn Prozent des weltweiten Verbrauchs der Produkte, die mit Abholzung von Wäldern verknüpft sind, verantwortlich.

Lobbyismus eines Reifen- und Kautschukverbands womöglich erfolgreich

Trotz der Schwächen werten Umweltschutzorganisationen die geplante Verordnung grundsätzlich als Meilenstein. Erstmals würden damit Unternehmen zur Verantwortung gezogen, die  bestimmte Risikoprodukte in die EU einführen wollen.

Aber weite Teile der Wirtschaft wehren sich massiv gegen die geplante Regulierung: Eine besonders offensive Lobbying-Strategie verfolgte zum Beispiel der Europäische Reifen- und Kautschukverband ETRMA, zu dessen Mitgliedern Konzerne wie Continental, Goodyear und Michelin zählen, aber auch der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie (WdK).

Der Verband forderte, Kautschuk aus der Gruppe der Risikoprodukte zu streichen. In einem Positionspapier schob der Verband die Schuld an der Vernichtung der Regenwälder vor allem anderen Waren zu: Soja, Rindfleisch und Palmöl seien für einen Großteil der Entwaldung verantwortlich, Kautschuk sei als „Produkt mit niedrigem Risiko“ einzustufen.

In einer früheren Stellungnahme von Oktober warnte der Verband zudem vor angeblichen negativen Folgen einer schärferen Regulierung, darunter Marktverzerrungen, Lieferprobleme und zusätzlicher Wirtschaftsdruck auf Kleinbauern in Asien. ETRMA rate daher von einem verpflichtenden Sorgfaltsprüfungs-System ab, weil „höhere Kosten und Komplexitäten einem möglichen Nutzen unverhältnismäßig gegenüberstehen.“

Hat sich der Verband damit durchgesetzt? Bei Klima- und Umweltschützenden sorgt der abgeschwächte Entwurf der Kommission für Kritik, und auch das EU-Parlament reagiert irritiert. „Im Hinblick auf den Geltungsbereich sind wir überrascht, dass Kautschuk und Mais nicht mehr Teil des Entwurfs sind“, heißt es in einem Brief des liberalen Vorsitzenden des Umweltausschusses Pascal Canfin und der deutschen Abgeordneten Delara Burkhardt (SPD) an die Kommission, der CORRECTIV vorliegt. Der Ansatz, verarbeitete Produkte wie Leder auszulassen, sei „unzureichend“ und könne „Schlupflöcher“ schaffen.

Klimaschutzorganisationen kritisieren den Entwurf der EU-Kommission

Burkhardt nennt den Entwurf gegenüber CORRECTIV zwar einen „guten Schritt in die richtige Richtung.“ Allerdings lasse die Kommission speziell mit Kautschuk, einen „Haupttreiber der Entwaldung“ außen vor und schaffe so Möglichkeiten, das Gesetz zu umgehen.

Aber nicht nur der geschrumpfte Geltungsbereich sei problematisch. Für Kritik sorgt auch, dass die Haftungsregeln aufgeweicht wurden: Das EU-Parlament hatte noch europaweite Haftungsregeln vorgesehen. Davon ist im Entwurf der Kommission keine Rede. Stattdessen sollen die Mitgliedstaaten eigene Regeln setzen, wie Unternehmen bei Verstößen zur Verantwortung gezogen werden sollen: Damit, sagt die EU-Abgeordnete Burkhardt, steige die Gefahr eines „Flickenteppichs“, bei dem sich Importeure von Risikogütern das Land zur Einfuhr aussuchen könnten, wo „die Haftungsregeln besonders schwach sind.“

Der Reifenverband ETRMA ist nicht die einzige Organisation, die sich gegen die Pläne der EU zur Wehr setzte: Vor allem gegen die geplante Einführung von Haftungsregeln liefen auch  andere mächtige Lobbygruppen Sturm.

Der europäische Arbeitgeberverband Businesseurope etwa sprach sich in einem Positionspapier energisch gegen gesetzliche Sorgfaltspflichten aus und warnte vor drohendem „administrativen Ballast“ und „schikanösen Rechtsansprüchen“; zugleich würde eine Haftungspflicht „Entscheidungsprozesse in Europäischen Unternehmen verlangsamen und sie gegenüber Wettbewerbern (von außerhalb der EU) benachteiligen.“

Wie die offizielle Version des Entwurfs aussehen wird, ist noch nicht klar. Die Kommission wird die offizielle Fassung  am 17. November vorstellen. EU-Abgeordnete wie Delara Burkhardt fürchten, dass die Bemühungen der Lobby-Organisationen sich in den kommenden Wochen noch einmal drastisch verstärken. Denn als Nächstes müssen EU-Rat und Parlament über das Gesetz verhandeln.

Auch Umweltschutzorganisationen, etwa die Deutsche Umwelthilfe, hoffen, dass die Verordnung dabei nicht noch weiter verwässert wird. „Wir brauchen auf jeden Fall ein Regelwerk, das verhindert, dass Produkte aus Entwaldung auf den EU-Markt kommen“, sagt Tina Lutz von der DUH. Am Ende stehe und falle das Gesetz mit der Umsetzung und der Kontrolle.

Wie stark der Export von Leder die Vernichtung der Wälder beschleunigt, zeigen auch die neuesten Erhebungen von Deutscher Umwelthilfe und Rainforest Foundation Norway (RFN): Demnach wurden 2020 im Amazonasgebiet Brasiliens über 11.000 Quadratkilometer gerodet – so viel wie seit zwölf Jahren nicht. Aus einer bislang unveröffentlichten Kartierung der Organisationen geht hervor, dass es in der Region in diesem Jahr 170.000 Feueralarme im Umfeld von Gerbereien gab, die Leder nach Europa exportieren. In 30.000 Fällen brachen die Brände an Stellen aus, die vorher gerodet worden waren. Zu den wichtigsten Abnehmern von brasilianischem Leder zählt die europäische Autoindustrie.