Greenwashing? Agrarkonzern plant Solaranlage – und will dafür Wald roden

Die Sonne, der Wald
und das große Geld

So sieht Greenwashing aus: Die Lindhorst-Gruppe hat mit intensiver Landwirtschaft und Massentierhandel ein Vermögen gemacht. Recherchen von CORRECTIV und RBB zeigen auf, wie sie nun versucht, mit Solarparks Rendite und Image aufzupolieren. Aber dabei droht der Verlust von mehreren Hundert Hektar Wald.

Von Gabriela Keller und Isabel Knippel | 04.05.2022

Wer die Sonne einfangen will, braucht Platz. Und kaum einer hat mehr Platz als der Agrarkonzern Lindhorst. Die Frage ist nur, was dafür verschwindet.

Da ist dieser Wald, rund 80 Kilometer nordöstlich von Berlin, kurz vor der polnischen Grenze. Er breitet sich hinter rostigem Maschen- und Stacheldraht aus. Auf der anderen Seite, neben der Straße, hat Martin Krüger sein Auto geparkt. Krüger, Vorsitzender des Bundes deutscher Forstleute Brandenburg, deutet ins Astwerk der Bäume: „Da, unter den Kiefern, sieht man wie Ahorn und Buchen einwandern, man sieht mehrere Generationen Bäume“, sagt er. „Wir haben hier Altbäume dabei, die über 100 Jahre alt sind.“

Zwar ist das Gebiet dominiert von Kiefern. Aber wenn Krüger durch den Zaun schaut, sieht er ein Potenzial, das selten geworden ist: Ein zusammenhängender Wald, etwa 680 Hektar groß und so weit entwickelt, dass er sich in einen hochwertigen Mischwald umwandeln ließe. Schon jetzt biete das Areal einen Rückzugsraum für Schwarzstörche und Uhus, ein Biotop, wo die Natur lange weitgehend sich selbst überlassen war.

Der Wald liegt nahe dem Örtchen Hohensaaten. „Betreten verboten“ steht auf Schildern am Zaun, auf dem Areal dahinter soll es gefährlich sein: Im Dritten Reich wurde auf dem Gelände Sprengstoff hergestellt, zu DDR-Zeiten nutzte die NVA es als Tanklager. Seither betreten nicht viele Menschen den Wald – eben deshalb zog er viele geschützte Tiere an, sagt Förster Krüger: „Für den Naturschutz ist das Gebiet sehr wertvoll.“

 Solaranlagen mit „Öko“-Industriepark statt Wald

 

Aber nun haben nach Recherchen von CORRECTIV und RBB Investoren das Gebiet für sich entdeckt. Die Lindhorst-Gruppe, ein Agrarkonzern mit Sitz in Niedersachsen, plant ein gewaltiges Projekt: Eine Solaranlage soll entstehen, rund 250 Hektar groß, dazu ein Gewerbe- und Industriepark für Firmen, die, so heißt es in den Planungsunterlagen, einen „hohen Bedarf an Elektroenergie haben“. Zum Beispiel ein Rechenzentrum und Betriebe, die sich mit „Energieumwandlung“ oder der Gewinnung von „Alternativ- oder Synthesekraftstoffe“ wie Wasserstoff befassen.

Als Planungsbüro agiert die Gicon Grossmann Ingenieur Consult GmbH. Inhaber der Firma ist Jochen Großmann. Der ehemalige Technikchef des Hauptstadtflughafens BER wurde 2014 wegen Bestechlichkeit und Betrugs rechtskräftig verurteilt.

Auch in Hohensaaten geht es um ein Großvorhaben. Nach derzeitigen Planungen soll es mehr als 350 Hektar umfassen – das ist größer als die Tesla Gigafactory in Grünheide.

Damit steht das Projekt für ein heikles Dilemma der Energiewende: Solaranlagen verwandeln Sonnenlicht in Strom, sauber, günstig und effizient. Aber der Solar-Boom hat eine wenig beachtete Kehrseite: Die Anlagen brauchen Platz, je größer, desto mehr. Der große Bedarf an Flächen führt zu neuen Konflikten und einer immer rabiateren Konkurrenz um Boden. Die Zeit drängt: Fachleute gehen davon aus, dass Deutschland seine Solarenergie-Leistung um das Fünf- bis Sechsfache steigern muss. Und je stärker der Druck, umso mehr politischen Rückhalt haben Großinvestoren wie Lindhorst, die über Geld, Planungsbüros und Flächen verfügen. 

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine soll es plötzlich ganz schnell gehen: Deutschland muss einen Weg finden, sich mit Energie zu versorgen, unabhängig, sauber und am besten sofort. Aber wo sollen die Anlagen hin?

Mit der Energiewende öffnet sich ein Geschäftsfeld für Agrarkonzerne

 

Der Bau von Solarfarmen auf Ackerland ist heftig umstritten, weil die Flächen vor allem für den Anbau von Lebensmitteln verloren gehen. Gleichzeitig stockt der Ausbau auf den Dächern. Dabei gäbe es dort noch viel Platz: Studien zufolge sind fast 90 Prozent aller geeigneten Dachflächen ungenutzt. Aber die Umsetzung ist kompliziert, auch dezentrale Projekte wie Mieterstrommodelle erschöpfen sich an bürokratischen Hürden. 

Damit öffnet sich ein Geschäftsfeld für Konzerne, die renditegetriebene Megaprojekte auf freier Fläche planen. Solaranlagen auf Ackerland versprechen inzwischen lukrative Erträge, sehr viel lukrativer jedenfalls als der Anbau von Gerste oder Winterroggen.

Der Agrargigant Lindhorst bewirtschaftet in Ostdeutschland riesige Flächen mit minimalem Personal. Der Konzern sprach 2019 von 22.000 Hektar insgesamt. Ob das noch stimmt, lässt sich nicht prüfen. Auf die Fragen von CORRECTIV und RBB hat Lindhorst trotz mehrere Versuche nicht reagiert. Der Ausverkauf der ostdeutschen Landwirtschaft wird längst als Problem wahrgenommen; der Begriff „Landgrabbing“ macht die Runde.

In den Augen vieler Menschen steht die Lindhorst-Gruppe für eine Landwirtschaft, die auf Kosten von Natur und Umwelt geht; Anwohner, Kommunalpolitikerinnen und Fachleute sprechen von großflächigem Mais-Anbau, Glyphosat und Bodenerosion. 

Seit einiger Zeit steuert die Gruppe um und präsentiert sich als Öko-Konzern. „Wir denken grün“, heißt es auf der Webseite. Aber wer den Strängen des Firmennetzwerks folgt, bekommt einen anderen Eindruck. Die Recherche führt an Orte, an denen Moorböden absacken, Bäume verschwinden und Schafe neben Solaranlagen verenden.

Die Lindhorst-Gruppe nimmt gegenüber CORRECTIV und RBB zu keinem der Vorwürfe Stellung. Auf ihrer Webseite steht, sie setze sich für „gesunde Böden, intakte Wälder und Insektenvielfalt“ ein; als nachhaltige Maßnahmen sind Blüh- und Brachstreifen, Nisthilfen, Baumpflanzungen und die Bereitstellung von Flächen für Photovoltaik genannt. 

Der Solarausbau trifft auf eine heikle Gemengelage  

 

Zurück nach Hohensaaten, ins Untere Odertal. Förster Martin Krüger läuft entlang des Zaunes um das Lindhorst-Areal. „Ich verstehe die Welt nicht mehr“, sagt er. „Eigentlich müssten wir Biosysteme aufbauen, die Kohlenstoff binden. Jetzt roden wir Wälder, um Industrieanlagen zu bauen.“ 

Die Pläne sehen vor, neben dem Gewerbegebiet einen Randstreifen Wald stehen zu lassen. Aber das, meint Krüger, werde die Umweltschäden nicht auffangen: „Die angrenzenden Bestände werden leiden, man würde die Wanderwege mancher Tierarten zerschneiden“, sagt er, „es wäre wirklich verheerend.“

Recherchen per Mail

Die Dynamik des Solar-Ausbaus entfaltet in Ostdeutschland eine besondere Wucht. Seit der Wende konzentriert sich das Land dort immer stärker in den Händen weniger Großinvestoren, der Lindhorst-Gruppe, der Aldi-Erben, des Rückversicherers Munich Re. 

Die Energiewende trifft auf eine Gemengelage aus Bodenspekulation und rapide steigenden Flächenpreisen. Die jährlichen Pachtpreise für Photovoltaik-Anlagen liegen mit 2.000 bis 3.000 Euro pro Hektar im Jahr gut zehn Mal höher als für die Landwirtschaft. Gemeinden in Brandenburg sprechen von einem regelrechten Wettlauf um geeignete Flächen für zum Teil mehr als 200 Hektar große Solarparks. Zum Vergleich: In Westdeutschland ist ein Agrarbetrieb im Schnitt 50 Hektar groß.

Die Energiewende in Gielsdorf umsetzen

 

Die Lindhorst-Gruppe hat einen großen Vorteil: Sie verfügt bereits über weite Ländereien. Um die Solar-Projekte kümmert sich meist die Unternehmenstochter Visiolar GmbH. Mit dem österreichischen Stromanbieter Verbund treibt Visiolar derzeit Solaranlagen auf 2.000 Hektar voran – die Firma wäre damit einer der großen Solarentwickler in Deutschland. Von der Leistung her entspräche diese Fläche in etwa einem Atomkraftwerk.

CORRECTIV hat auch Visiolar frühzeitig um ein Gespräch gebeten. Die Firma teilte mit, sie danke für die „interessante Anfrage“, lehne jedoch ab. Auf weitere E-Mails mit konkreten Fragen reagierte sie nicht.

Wo Lindhorst-Betriebe ansässig sind, stellt sich Visiolar derzeit neuen Solar-Projekten vor, meist auf Agrarland. Nicht überall sind sie willkommen. In Gielsdorf, nordwestlich von Berlin, protestieren die Menschen gegen ein Vorhaben auf Ackerflächen. Ortsvorsteher Günter Sparchholz ist als einziger im Ortsvorstand dafür.  Auf Fragen reagiert er gereizt. „Unser Problem ist doch: Woher nehmen wir die Energie?“, ruft er ins Telefon. „Photovoltaik auf den Dachflächen ist kompliziert. Da wird nur geredet und gepennt und jetzt wundern wir uns, dass da nichts getan wurde. Aber ich will die Energiewende hier in Gielsdorf umsetzen.“

Visiolar hat in Gielsdorf viel versprochen: Arbeitsplätze, vielleicht Bürgerstrom, Blühstreifen, Bienen, Schafe. Sparchholz sieht nicht, was dagegen spräche: Die Ackerflächen seien ohnehin nicht mehr nutzbar: „Da wurde ja eh nur Energiemais produziert, das lohnt sich nicht mehr.“ 

Keine Chance gegen die Solar-Investoren

Immer mehr Solarleistung bahnt sich ihren Weg auf Agrarflächen. Umweltschützerinnen und Landwirte warnen, dass damit der Spielraum für eine kleinteiligere, regionale Landwirtschaft schmilzt. Jan Sommer ist Demeter-Bauer und grünes Kreistagsmitglied im Landkreis Märkisch Oderland. Sein Hof liegt in einer Region, wo Lindhorst weite Flächen bewirtschaftet. „Wenn es keine Leitplanken gibt, keine Grenzen des Ausbaus, dann haben wir mit normaler Erzeugung von Lebensmitteln dagegen keine Chance“, sagt er. „Da ist man in einer Zwickmühle.“ 

Eine übergeordnete Planung sei wichtig, um Fehlentwicklungen zu verhindern.  „Ich frage mich, ob wir jetzt die Erfahrung wiederholen, die wir mit dem Biogas gemacht haben“, sagt Sommer. Letztlich sei Klimaschutz mehr als erneuerbare Energie. „Die Tragfähigkeit unserer Erde ist begrenzt, daher geht es auch darum, über Verzicht zu reden.“ 

Bemerkenswert ist, dass Lindhorst selbst vor wenigen Jahren beteuerte, keine Äcker für die Photovoltaik nutzen zu wollen: „Landwirtschaftliche Produktionsflächen werden in unseren Betrieben auch in Zukunft nicht für die Gewinnung von Solarstrom genutzt.“ So stand das noch bis 2017 auf der Webseite der Lindhorst-Gruppe. Das gilt nun nicht mehr. 

Vom kleinen Viehhändler zum Agrar-Tycoon

Christian Breyer, Professor für Solarwirtschaft an der Universität Lappeenranta in Finnland, sagt: „Ich würde davon ausgehen, dass man mit keiner reversiblen Aktivität auf Agrarland mehr verdient als mit Solarenergie.“ Das weckt Begehrlichkeiten.

Die Lindhorst-Gruppe gilt als Unternehmen, bei dem Renditemaximierung klar im Fokus steht. Zu dem Verbund gehört auch eine Investmentfirma, an der die Hamburger Beteiligungsgesellschaft AgroEnergy beteiligt ist. Dahinter stehen mehrere private Investoren sowie der Sauerländer Agrarinvestor Matthias Graf von Westphalen. 

Diese Firma bietet Anlegern an, auf die „Wertsteigerung“ von Agrarland zu setzen – bis vor Kurzem warb sie mit einer Rendite von acht Prozent. Ziel sei es, für Investments in Landwirtschafsbetriebe 120 bis 150 Millionen Euro einzusammeln. Ob das noch gilt, lässt sich nicht feststellen – die Webseite ist derzeit nicht online.  

Bei Lindhorst sind die erneuerbaren Energien längst ein wichtiger Teil des Geschäfts; auf der Webseite steht, man wolle einen „signifikanten Beitrag zum Erreichen der Ziele der Energiewende“ leisten. Aber groß geworden ist der Konzern mit anderen Methoden.   

Jürgen Lindhorst senior fing als kleiner Viehhändler an. Sein sagenhafter Aufstieg begann in der Wendezeit. Die Großbetriebe im Osten mussten ihr Vieh schnell loswerden: Landwirtinnen und Landwirte, die den Umbruch miterlebten, sprechen von Kühen, die zum Schleuderpreis von 100 D-Mark weggingen und im Westen mehr als das Zehnfache brachten. „In wenigen Wochen oder Monaten sind manche Millionäre geworden“, sagt ein Öko-Bauer westlich von Berlin. Auch Lindhorst profitierte offenbar von solchen Deals.

Laut einem Bericht in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung von 2008 zählte Lindhorst in den 1990er Jahren zu den führenden Viehhändlern Europas und transportierte massenhaft Schlachtrinder auf Schiffen in den Nahen Osten.

Heute ist die Lindhorst-Gruppe ein weit verzweigtes Konglomerat aus Dutzenden Firmen, Agrar- und Biogas-Gesellschaften, Altenheimen, Pflegeeinrichtungen, Gesundheitszentren, Immobilienfirmen. 

Die Firmengruppe Lindhorst will eine mehrere hundert Hektare große Solaranlage bauen - wo gerade noch ein Wald steht. Diese Grafik zeigt, wie Lindhorst verstrickt ist.
Fast alle Stränge laufen bei der JLW-Holding AG in Winsen an der Aller zusammen. Das Netzwerk zeigt den Teil der Firmenstrukturen, die mit den Agraraktivitäten in den vergangenen Jahren zusammenhängen. Die Informationen stammen aus Handelsregistern, Geschäftsberichten und öffentlichen Datenbanken. Die Angaben sind nicht vollständig.

Andreas Tietz vom Thünen-Institut für ländliche Räume forscht zu den Auswirkungen der Aktivitäten überregionaler Investoren auf die Landwirtschaft. „Lindhorst hat einen guten Ruf bei Banken“, sagt er. „Er übernimmt Betriebe, wenn sie in Schwierigkeiten stecken, und guckt, was er daraus machen kann.“ Inzwischen habe das Wachstum der Firmengruppe aber nachgelassen: „Die aquirieren anscheinend keine ganzen Betriebe mehr, sondern konsolidieren, und da bietet Photovoltaik momentan glänzende Aussichten.“

Agrar- und Energieriese mit grüner Fassade

 

Im Zentrum der Agrar-Aktivitäten bei Lindhorst steht die JLW Holding AG in Winsen am Südrand der Lüneburger Heide. Auch politisch scheint die Familie gut vernetzt: Im Aufsichtsrat der AG sitzt Jörg Bode, ehemaliger FDP-Wirtschaftsminister von Niedersachsen. Zu einem „politischen Abend“ im Sommer 2018 lud Lindhorst senior den rechtsextremen AfD-Politiker Björn Höcke ein; auch Wolfgang Bosbach (CDU) soll schon bei ihm zu Gast gewesen sein. Aber vor allem ins völkische Milieu wurden Lindhorst senior schon öfter Kontakte nachgesagt, was dieser stets zurückgewiesen hat. 

Öffentliche Zuschüsse sind ein wichtiger Teil des Geschäfts: In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage ordnete die Bundesregierung der Gruppe im Jahr 2019 19 Agrar-Tochterfirmen zu, für die der Konzern rund 3,4 Millionen Euro EU-Subventionen erhielt. Tatsächlich könnten es noch mehr sein; welche Betriebe zu Lindhorst gehören, lässt sich nicht öffentlich einsehen.

Die Geschichte der Lindhorst-Gruppe illustriert einen Wandel, vom aggressiv wachsenden  Landwirtschaftskonzern hin zum Agrar- und Energieriesen mit grüner Fassade. 

Der Umbruch setzte schon vor knapp 20 Jahren ein: Als die Regierung begann, Biogas mit üppigen Zuschüssen zu fördern, schossen überall Gäranlagen aus der Erde. Auf den Äckern breitete sich Silomais aus. Das Ergebnis waren ökologisch tote Monokulturen. 

Die Lindhorst-Gruppe gehörte in der Boom-Phase des Biogases zu den größten Investoren: Laut einer Studie der Umweltorganisation WWF soll die Gruppe 2011 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 20 Megawatt betrieben oder beliefert haben. 

Allein dafür müsste laut der Studie Mais auf etwa 11.000 Hektar angebaut werden. 

Inzwischen wurden die Zuschüsse wieder gedrosselt, viele Anlagen sind nicht mehr in Betrieb. Wie es aussieht, spielt der Bereich heute auch bei Lindhorst eine kleinere Rolle.

Lindhorst ließ offenbar Mais auf früheren Moorböden anbauen

Nördlich von Wusterhausen, Ostprignitz-Ruppin, laufen ein Mann und eine Frau an einem Februartag über einen einsamen Feldweg; die beiden steuern auf einen schmalen Kanal zu. Früher breiteten sich Moorgebiete in den Niederungen der Dosse aus. Heute sind es Maisäcker. Die Stoppeln der Ernte im vergangenen Jahr staksen noch aus der Erde. 

Die beiden verfolgen die Aktivitäten der Lindhorst-Gruppe schon lange: Kirsten Tackmann  war bis 2021 agrarpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. Ihr Mann, Uwe Tackmann, ist Vorsitzender der Linke-Fraktion in Wusterhausen und, wie er sagt, Ortsvorsteher einer „von der Lindhorst AG weitgehend eingekreisten und häufig von ihr belasteten Ortschaft.“

Ein Großteil der Flächen rings um sein Dorf werde von Lindhorst bewirtschaftet, genauer gesagt dem Lindhorst-Betrieb PVA Bantikow. „Vor Jahren wurden unter Verantwortung der Lindhorst AG Dossewiesen auf Niedermoorstandorten umgebrochen und für den Maisanbau genutzt“, sagt er. „Das ist idiotisch, weil jetzt das ganze CO2 aus dem Torf freigesetzt wurde und wird. Auch kommt es dazu, dass die Böden absacken und immer weniger landwirtschaftlich nutzbar sind.“

Das alles sei nicht illegal, tatsächlich haben viele Unternehmen Moor- und Grünlandflächen in Ackerböden umgewandelt. Aber was Lindhorst tut, fällt aufgrund seiner Größe erheblich ins Gewicht und ändert das Gesicht ganzer Landstriche. 

Inzwischen habe Lindhorst angekündigt, die Böden wieder zu vernässen, sagt Tackmann, dafür gibt es jetzt vom Land Zuschüsse. Der Kommunalpolitiker ärgert sich über die Methoden des Konzerns. Seit man damit Geld verdienen kann, lege der Betrieb auch vorbildliche Blühstreifen an: „Das und das Pflanzen von wenigen Bäumen als selbstbestimmte, ökologische Leistung in der Öffentlichkeit zu verkaufen – das ist Greenwashing.“

Naturschutz-Auflagen offenbar ignoriert

Auch in dieser Region sollen die Erträge künftig verstärkt aus der Solarenergie kommen. Auf dem Gelände des Betriebs in Bantikow steht schon seit einigen Jahren eine kleinere Anlage. Lindhorst senior hatte damals in der Gemeinde persönlich Druck gemacht, um das Vorhaben durchzusetzen. Im Bebauungsplan sind Ausgleichsmaßnahmen festgelegt, die sicherstellen sollen, dass die Anlage naturverträglich ist. Bei einem Besuch vor Ort ist von Eidechsen-Biotopen oder neuen Nistgelegenheiten für Vögel aber nichts zu sehen.

Inzwischen hat sich die Lindhorst-Tochter Visiolar mit Plänen für neue Solaranlagen an die Gemeinde gewandt und stellte mögliche Projektflächen von insgesamt knapp 400 Hektar vor. Ende 2021 schrieb Uwe Tackmann eine wütende E-Mail an die Firma und erinnerte an die Versäumnisse beim ersten Projekt: „Die Anlage steht und produziert, aber die Naturschutzmaßnahmen (u.A. Heckenrandbepflanzung, Eidechsenbiotop, Sitzkrücken für Greifvögel, Einsaat von Wildblumen und -stauden) wurden einfach nicht umgesetzt.“  

„Schade zu hören“

 

In seiner Antwort, die CORRECTIV vorliegt, schrieb der Visiolar-Manager, das sei „schade zu hören“. Er bat um „Vertrauensvorschuss“ und sicherte zu, dass er „bereits aktiv recherchiere, warum manche Dinge nicht passiert sind“. Er werde sich melden. Das ist fünf Monate her. Schlüssige Antworten hat Tackmann bisher nicht erhalten.

Jürgen Lindhorst senior brüstet sich seit einigen Jahren mit seiner Liebe zur Natur: Der Konzern hat in der Thüringer Region Hohe Schrecke ein 1.000 Hektar großes Waldgebiet gekauft, das nach Unternehmensangaben „naturnah“ bewirtschaftet werde. „Gutes für die Natur tun und dabei Geld verdienen“ – so beschreibt Lindhorst sein Geschäft in einem PR-Magazin. 

Solche Aussagen vertragen sich schlecht mit Berichten von massiven Fällungen in dem Gebiet Anfang dieses Jahres. Lindhorst soll bis zu 190 Jahre alte Eichen und Buchen gerodet haben, Forstexpertinnen sprechen von „Raubbau“. Das Unternehmen wies die Kritik gegenüber dem MDR zurück und betonte, sich an alle Vereinbarungen zu halten. 

Verbindungen zu berüchtigten Schweinefabriken

Auch Teile des Unternehmens werfen Zweifel an der Nachhaltigkeits-PR auf.  Wie eine Analyse des Lindhorst-Firmennetzwerks zeigt, führen die Strukturen noch heute zu Massentierhaltungs-Betrieben, die wegen grauenvoller Tierschutzskandale in die Kritik geraten sind: Die LFD-Holding etwa, einer der größten Schweinezuchtbetriebe Europas, weist auffällige personelle Überschneidungen mit dem Konzern auf.  

Die Anlage gehörte bis vor wenigen Jaahren zum Imperium von Adrianus Straathof, einem niederländischen Schweinebaron. Der verlor 2014 in Folge von mehreren Berichten über massive Tierquälerei in seinen Betrieben die Lizenz. Wem gehören sie jetzt?

Das Geflecht firmiert unter dem Namen LFD Holding. Dahinter verbergen sich Kapitalgesellschaften, die Spuren führen in die Schweiz und verlieren sich dort. Ende 2021 kaufte eine Firma namens Evgenis Beteiligungs AG mehrheitlich die LFD, eine Firma mit Sitz im Kanton Oberwalden, über die sich sonst kaum etwas herausfinden lässt. 

Zwei Vorstandsmitglieder der Lindhorst-Holding tauchen in praktisch allen Betrieben der LFD als Prokuristen auf. Einer davon ist Dirk Wenzel, und das ist bemerkenswert: Wenzel ist auch Geschäftsführer und Gesellschafter bei der Solarfirma Visiolar. Das heißt: Er vereinbart seine Entscheiderfunktion in den Schweinefabriken mit einer Position bei der Solarfirma, die mit Schlagworten wie „Naturschutz“ und „Verantwortung“ wirbt.   

Auch in der Schweinezuchtanlage Alt-Tellin hat er Prokura. Dort brach im März 2021 ein Feuer aus. Mehr als 60.000 Schweine verbrannten zum Teil lebendig in ihren Kastenständen.

Tote Schafe neben der Solaranlage

 

In Frankenfelde, einem Ortsteil von Wriezen, Märkische Schweiz, stapft Wilhelm Drewes an einem Bahngleis entlang; er steuert auf eine Photovoltaik-Anlage an der Böschung zu. Auch hier ist Lindhorst-Land; der Acker gehört einem örtlichen Großbetrieb der Gruppe. Tierarzt Drewes wurde im September 2019 von einem Anwohner alarmiert. Er sagt, er sei die Bilder der toten Schafe nicht mehr losgeworden: verdrehte Körper, blanke Knochen, die aus der Wolle ragten. „So etwas vergisst man nicht“, sagt er.

Rund 100 Tiere sollten unter den Solarfeldern grasen. Von außen habe es gewirkt, als hätten sie weder Wasser noch genug Futter gehabt. In den Zäunen sollen Löcher geklafft haben, offenbar mit Netzen verhängt, damit die Schafe nicht ausbrechen: „Darin haben sich die Schafe verfangen und sind verendet.“ Elf Tiere starben. CORRECTIV liegen mehrere Fotos vor, auf denen die toten Schafe und die defekten Zäune zu sehen sind. 

1.500 Bäume wurden offenbar für die Solaranlage gefällt

Der Vorfall zeigt, wie schwer die Verantwortlichen greifbar sind, wenn es zu Versäumnissen kommt. Zuständig für die Anlagen war nicht Lindhorst selbst, der Konzern arbeitete bei seinen Solar-Vorhaben zu der Zeit mit der Planungsfirma Castus zusammen. Die steckt im Insolvenzverfahren, die Anlage ist an ferne Kapitalfirmen verkauft. 

Nun hat Visiolar in den Gemeinden ringsum fast überall wegen weiterer Solar-Projekten angefragt. Aber das Misstrauen ist groß. Bei den bereits gebauten Anlagen wurden, wie es aussieht, Naturschutz-Auflagen nicht erfüllt. Das Büro Visiolar geht nun zwar behutsamer vor als die früheren Planer. Trotzdem fürchten manche, dass die Versprechen des Investors nicht halten, und dass mit ein paar kleineren Anlagen nicht Schluss ist. „Wir sind ein gebranntes Kind“, sagt Heidi Leppin, Gemeindevertreterin aus dem Nachbarort Prötzel. „Am Ende weiß ich nicht, ob man doch wieder übers Ohr gehauen wird.“

Beim Bau der Solaranlage in Frankenfelde sollen mehr als 1.000 Bäume gefällt worden sein, das haben Anwohner dokumentiert, obwohl es laut Bebauungsplan keine Rodung geben sollte. Fotos, die CORRECTIV vorliegen, zeigen eine kahle Ebene übersäht mit Baumstümpfen. Genau davor hatten Umweltverbände gewarnt. In ihrer Stellungnahme zu dem Vorhaben schrieben sie: „Aus naturschutzfachlicher Sicht ist zu befürchten, dass die bestehenden Wald-Hecken-Windschutzstreifen entlang der Bahn beeinträchtigt oder gar gerodet werden“, es drohe ein „Lebensraumverlust“, der kaum auszugleichen sei. Daneben steht die Antwort der Stadt Wriezen: „Die bestehenden Hecken- und Windschutzstreifen entlang der Bahn bleiben bestehen.“ Davon ist kaum etwas übrig.

Lindhorst will künftig weniger Glyphosat einsetzen

 

In Wriezen hat die Intensivlandwirtschaft das Land geprägt; der zu Lindhorst gehörende Agrarverbund Schulzendorf bewirtschaftet nach eigenen Angaben 6.000 Hektar. Das Unternehmen verspricht, nachhaltiger wirtschaften zu wollen: Weniger Glyphosat, mehr Ackervielfalt. Die Böden aber, sagen Anwohner und Lokalpolitikerinnen, wirken praktisch schon wie eine Steppe, und das Grundwasser ist hoch belastet: Laut Nitratbericht des Umweltbundesamtes lag der Nitratwert an der nahen Messstelle in Reichenow-Möglin über 140 Milligramm. Das ist fast das Dreifache des zulässigen Grenzwerts. 

Bemerkenswert ist, dass die Planer der Anlage in Frankenfelde sogar mit dem ruinierten Zustand der Äcker argumentierten. „Durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung stellen sich die vorhandenen Böden als stark anthropogen überprägt dar“ – so heißt es in einer Anlage des Bebauungsplans.

Über solche Zusammenhänge denkt kaum jemand nach, der in der Stadt sein Handy mit Ökostrom auflädt oder sein E-Auto an einer Zapfsäule einstöpselt. Fachleute sagen, dass die Biodiversität in Solarparks weit höher sein kann als in totgewirtschafteten Maiswüsten. Wie verträglich sie sind, kommt jedoch immer darauf an, an welchen Stellen sie stehen, wie viel Raum sie für die Natur lassen  – und ob Umweltschäden ausgeglichen werden.

Grüner Wasserstoff verschlingt große Mengen Wasser

 

Wriezen, das sind acht Dörfer mit jeweils ein paar Hundert Einwohnern. Hier, in der leeren, weiten Landschaft Solaranlagen aufzustellen, wirkt wie eine einfache, schnelle Lösung. Aber ist sie nachhaltig? Das Budget der Natur ist begrenzt. Boden lässt sich nicht vermehren – auf diesem Grundsatz beruht das Prinzip der Bodeninvestments. „Für uns ist das die sicherste Geldanlage, die es gibt“, sagte Jürgen Lindhorst vor ein paar Jahren im Spiegel.

Rings um Wriezen glauben viele, dass Lindhorst schon weiter denkt, und das macht ihnen Angst: Vor drei Jahren begann die Gruppe, Tiefbrunnen zu bohren, mehr als 100 Meter tief, Probebohrungen, legal. Mitten im Sommer floss Tag und Nacht Grundwasser; riesige Pfützen sammelten sich auf den Feldern, Menschen vor Ort sprechen von fallenden Pegeln in den Seen. Wozu das alles? Lindhorst sagte, er prüfe den Anbau von Bio-Gemüse. Das glaubte fast keiner: „Die Begründung war kurios, uns war klar, dass das nicht hinhaut. Hier ist noch nie Gemüse gewachsen auf dem Sand“, sagt eine Landwirtin. 

Für die Lindhorst-Gruppe könnten Solaranlagen nur der erste Schritt sein. Die Firmengruppe spielt längst mit der Idee von Wasserstoff-Kraftwerken.

Grüner Wasserstoff gilt manchen als Hoffnungsträger für eine klimaneutrale Wirtschaft, aber Fachleute mahnen zur Vorsicht: Wasserstoff verschlingt sehr viel Wasser, etwa neun Liter pro Kilo. Deshalb sei die Frage nach dem Standort wichtig, sagt Johannes Russmann vom Nabu. In manchen Gebieten, wo das Wasser ohnehin knapp ist, seien Probleme absehbar: „Es wird garantiert zu regionalen Konflikten kommen.“  

Der Wasserbedarf des Vorhabens stört offenbar niemanden

 

Zurück in Hohensaaten, rund 40 Kilometer weiter nördlich. Förster Martin Krüger fährt seinen Wagen weiter entlang des Waldes, den es vielleicht bald nicht mehr gibt. Im Süden begrenzt ein Fluss das Gebiet. Hirsche sollen in dem Wald leben, Dachse, Füchse, ein Rudel Wölfe. 

Aus einer Präsentation des Vorhabens geht hervor, wie weit die Ideen der Investoren gehen; die Ansiedlung von Betrieben der Wasserstoffbranche ist ausdrücklich geplant. 

Eine Baugenehmigung liegt noch nicht vor. Aber Anfang des Jahres stieß nach Informationen von CORRECTIV und RBB die Landesförstbehörde auf aus ihrer Sicht unerlaubten Kahlschlag. Offenbar sollen Fakten geschaffen werden. Die Behörde hat Anzeige erstattet. 

Überall in Brandenburg werden jetzt Solaranlagen geplant und gebaut; eine Steuerung gibt es nicht. Umwelt- und Naturschützer plädieren dafür, für Solaranlagen zunächst bereits versiegelte Flächen zu nutzen, erschöpfte Kiesgruben, Industriegebiete, Abraumhalden, Dachflächen. Aber die Politik lässt den Investoren freie Hand.

Welche Folgen das haben kann, lässt sich in Hohensaaten beobachten. Die zuständige Gemeindevertretung in Bad Freienwalde unterstützt das Vorhaben; offenbar verspricht sich so mancher Gewerbesteuer-Einnahmen. Der Bürgermeister will auf Fragen von CORRECTIV und RBB nicht antworten, er verweist auf das Planungsbüro Gicon Großmann Ingenieur Consult – ganz so, als wäre eine Privatfirma zuständig für Fragen, die zum Hoheitsgebiet der Kommune gehören. Auch der Ortsvorsteher von Hohensaaten lehnt ein Interview ab und verweist auf den Vorhabenträger, Jürgen Lindhorst junior.

Weder Lindhorst noch das Planungsbüro reagierten auf Anfrage von CORRECTIV und RBB.

„Wir denken zu kurz“, sagt der Förster. „Und in ein paar Jahren stellen wir fest, dass wir wieder in eine Sackgasse gelaufen sind.“ Aber ihm ist klar, dass ein Widerstand gegen das Projekt jetzt in Zeiten der Ukraine-Krise kaum Chancen hat. Irgendwo im Dickicht hämmert ein Specht. Sonst ist alles still.

Text und Recherche: Gabriela Keller und Isabel Knippel Redaktion: Justus von Daniels, Katarina Huth, Annika Joeres, Frederik Richter Illustration: Mohamed Anwar Design: Benjamin Schubert Kommunikation: Jamie Grenda

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