22. November 2022
Was passiert, wenn Wasser für alle immer knapper wird, aber große Industrien noch auf Jahrzehnte so viel davon schöpfen können wie heute? Genau dieser Fall könnte nach Recherchen von CORRECTIV eintreten: Die großen Nutzer von Wasser, etwa Tagebaue, Chemie- und Autofabriken, haben sich häufig für Jahrzehnte Entnahme-Rechte aus Flüssen, Seen und Grundwasser gesichert. Diese Rechte könnten in Zukunft die Versorgung von Bürgerinnen und Bürgern gefährden, denn die Welt 2050 wird anders aussehen als heute: Wasser wird anders verteilt werden und vielerorts auch von schlechterer Qualität sein.
Fachleute fordern daher, rasch einen „Stresstest“ für wasserintensive Industrien durchzuführen. „Die Genehmigungen zur Wasserentnahme und –nutzung müssen jetzt auf den Prüfstand gestellt werden“, sagt Dietrich Borchardt, Experte für Aquatische Ökosystemanalyse und Management an der Technischen Universität Dresden. Der Stresstest müsste einfache Fragen beantworten: Ist diese Genehmigung – für Landwirtschaft, Industrie, Energiewirtschaft und Haushalte – auch mit dem Klimawandel im Jahr 2030 und 2050 noch haltbar?
Diese Recherche zeigt erstmals umfassend, wer die größten Wassernutzer in den einzelnen Bundesländern sind und wo Behörden mauern. CORRECTIV hat alle 16 Bundesländer nach den größten privaten Wasser-Schluckern angefragt; vor einiger Zeit hatten wir schon einige der größten davon öffentlich gemacht. Heute aber können wir ein – fast – vollständiges Bild zeigen.
Doch einige Länder fehlen weiterhin: Rheinland-Pfalz übermittelte nach einer Anfrage nach dem Landestransparenzgesetz nur eine lückenhafte Liste – ohne die Namen der Betriebe, die einer Publikation nicht ausdrücklich zugestimmt hätten. Eine Nennung „verletze Betriebs oder Geschäftsgeheimnisse“, so das Umweltministerium nach monatelanger Prüfung.
Die größten industriellen Wassernutzer nach Bundesländern
Politik kann Rechte auf Wasser widerrufen
Wie gravierend das Grundwasser in vielen Regionen Deutschlands sinkt, hat CORRECTIV im Oktober 2022 mit dem Grundwasser-Atlas sichtbar gemacht. Trotzdem verfügen die meisten industriellen Nutzer über Erlaubnisse zur Wassernutzung über 20 Jahre oder mehr. Aber, so sagt es Borchardt: „Sie stehen unter Vorbehalt. Wenn sich durch die Klimakrise nun wichtige Voraussetzungen ändern, etwa die verfügbare Wassermenge oder die Wasserqualität, sind sie auch widerrufbar.“ Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hatte schon 2021 gefordert, dass die öffentliche Wasserversorgung immer vor allen anderen Nutzergruppen Zugriff auf Wasser haben solle. Die Bundesregierung solle den gesetzlichen Vorrang im Wasserhaushaltsgesetz noch klarer regeln.
Denn die Industrie in Deutschland macht rund die Hälfte des gesamten Wassergebrauchs aus. Natürlich finden sich fossile Industrien wie die Tagebaue der Leag und von RWE in den Top-Ten-Listen, ebenso ist der Chemiegigant BASF aufgeführt. Aber auch einige überraschende Konzerne, die in der Öffentlichkeit nicht unbedingt mit hohem Wasserkonsum assoziiert werden.
Etwa die Wurstprodukte der Firma Böklunder. Die „Zur Mühlen-Gruppe“ ist einer der größten deutschen Anbieter auf dem Wurst- und Fleischmarkt, zu ihren Marken gehören neben Böklunder noch Zimbo, Gutfried, Lechtaler und Schulze. Der Konzern verkauft von Mettwurst bis Rostbratwürstchen alle möglichen tierischen Produkte. Er produziert vor allem im schleswig-holsteinischen Ort Böklund und entnimmt rund eine Million Kubikmeter Wasser pro Jahr, daher ist das Unternehmen auf der Top-Ten-Liste dieses Bundeslandes.
Die Genehmigung dafür gilt bis 2042. „Wir sind ein hochmoderner, hoch hygienischer Lebensmittelbetrieb“, so eine Sprecherin. Hygiene und Sauberkeit machten daher den Löwenanteil aus. Wofür der Rest genutzt wurde, benannte sie nicht.
Neben Böklunder finden sich auch Getränkehersteller unter den Top-Ten der Bundesländer – sie brauchen sehr viel mehr als den halben oder ganzen Liter Wasser, der letztendlich in Flaschen zu kaufen ist. Die Gesamtentnahme beziehungsweise -nutzung der Mineralwasserbrunnen beläuft sich auf 19 Millionen Kubikmeter Grundwasser im Jahr. Würden die Deutschen ihren Durst direkt mit Wasser aus ihren Leitungen stillen, würde dies deutlich weniger verbrauchen. „Für ein Liter abgefülltes Produkt nutzen wir 1,5 bis zwei Liter“, räumt der Verband Deutscher Mineralbrunnen ein. Er ist der Dachverband von 150 Mineralbrunnenbetrieben.
Rund drei Liter Wasser für ein Liter Bier
Alkoholische Getränke brauchen sogar rund drei bis vier Mal so viel Wasser wie sie abfüllen, sagt etwa der Bier-Konzern Anheuser Busch, zum dem die Marken Becks, Stella Artois, Franziskaner-Weißbier und Corona gehören. Zurzeit nutzt er nach eigenen Angaben an seinem Standort in Bremen 3,3 Liter Wasser pro verkauftem Liter Bier, vor wenigen Jahren seien es noch 3,7 Liter gewesen. Der größte Teil davon stammt direkt aus dem Bremer Versorgungsnetz – aus demjenigen also, das auch Bürgerinnen und Bürger versorgt. Wie lange Becks die Rechte noch hält und wie viel der Konzern für einen Kubikmeter zahlt, wollte er nicht transparent machen.
Auch ein Konkurrent auf dem Biermarkt, die Radeberger-Gruppe, will nicht verraten, wie lange ihre Entnahmerechte gelten – sie seien aber „langfristig ausgerichtet“. Mit vier Millionen Kubikmeter jährlich ist die Radeberger-Gruppe einer der größten Nutzer überhaupt – sie produziert bekannte Marken wie Berliner Kindl, sächsisches Ur-Krostitzer, Dortmunder Kronen, Guinness, Kilkenny oder auch die PepsiCo Marken.
Allerdings wird es in Zukunft diskutabel sein, ob wir für einen Liter eines produzierten Getränks mehrere Liter Wasser nutzen können. Denn tatsächlich wird es zu langen trockenen Perioden und zu kurzen Perioden mit extrem viel Wasser und Niederschlag kommen. Beispielsweise geht eine Studie in dem Wissenschaftsjournal „Nature“ davon aus, dass sich die Anzahl sommerlicher Dürreperioden in Mitteleuropa in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts (2051 bis 2100) um das Siebenfache steigern wird. Die Wasserrechte wurden und werden aber vergeben, als bliebe Deutschland ein Land mit unbegrenztem Wasser, als wäre dieses Allgemeingut unendlich verfügbar wie Sauerstoff in der Luft.
Viele Industrien wollen ihren hohen Verbrauch auch nicht öffentlich machen. Volkswagen beispielsweise antwortete nicht auf die Anfragen von CORRECTIV, wie der Konzern sein Wasser nutzt, ebenso wenig wie der ostdeutsche Tagebaubetreiber Leag. Und nur die wenigsten wollten angeben, wie viel sie für das Wasser zahlen und wie lange ihre Rechte gelten.
Sehr unterschiedlich antworten die Bundesländer auch auf die Frage, ob sie künftig weniger Entnahme-Rechte vergeben wollen. Einige Länder wollen die Rechte künftig sparsamer vergeben – auch sie sind geprägt von einem Sommer, in dem das Trinkwasser schon in einigen Kommunen rationiert werden musste. Andere warten noch ab und riskieren damit künftige juristische Auseinandersetzungen um die einmal erteilten Rechte. Das schleswig-holsteinische Umweltministerium etwa gibt an, es gebe bislang „keine Überlegungen, erteilte Wasserrechte zu widerrufen oder einzuschränken oder neue Wasserrechte mit kürzeren Fristen zu erteilen“.