Irreführung bei nachhaltigen Fonds: 150 Milliarden Euro unter falschem Etikett
Fondsanbieter in Deutschland mussten bei Hunderten vermeintlich „grünen“ Fonds und ETFs Begriffe wie „Klima“ oder „nachhaltig“ aus dem Namen streichen – weil die Geldanlagen oft nicht hielten, was die Titel versprachen. Insgesamt sind mindestens 150 Milliarden Euro betroffen, wie eine gemeinsame Recherche von CORRECTIV und Finanztip zeigt.

Fondsanbieter in Deutschland haben mindestens 150 Milliarden Euro in „nachhaltige“ Fonds und ETFs investiert, die jetzt Begriffe wie „Klima“ oder „grün“ aus ihren Namen streichen müssen – weil deren Nachhaltigkeitsversprechen nach einer neuen Leitlinie der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) entweder irreführend oder nicht eindeutig genug sind. Das zeigt eine gemeinsame Recherche von CORRECTIV und Finanztip.
Wie genau das aussieht, verdeutlichen diese drei Beispiele:

Grundlage der Auswertung sind Abfragen zu aktiven Fonds bei zehn der größten Fondsgesellschaften in Deutschland, die das meiste Geld für private Anleger verwalten und eine Auswertung von Börsendaten zu ETFs. Insgesamt liegen CORRECTIV und Finanztip 281 Fonds und ETFs vor, die Nachhaltigkeitsbegriffe entweder komplett gestrichen oder abgeschwächt haben.
Für Anleger, die ihr Geld bereits nachhaltig anlegen, heißt das: Sie erhalten nun mehr Klarheit darüber, ob ihr Fonds oder ETF tatsächlich so „grün“ ist, wie es der Name suggeriert – oder nicht.
Hintergrund der Umbenennungen sind neue EU-Leitlinien, die im vergangenen Jahr in Kraft getreten sind und für bereits bestehende Fonds und ETFs bis zum 21. Mai umgesetzt werden müssen. Die Kommission sieht nun strengere Auflagen für Fonds und ETFs vor, die sich als nachhaltig bezeichnen wollen. Gerade wenn diese Begriffe wie „Nachhaltigkeit“ oder „Klima“ im Namen tragen.
Methodik der Auswertung
Grundlage der Auswertung sind Abfragen zur Umsetzung der neuen Leitlinien bei der Allianz, Deka, Union Investment, Hansainvest, Black Rock, DWS, Universal Investment, Amundi, Flossbach von Storch und Franklin Templeton. Bis Redaktionsschluss lagen nur Fonds-Daten der Allianz, Deka, Union Investment und Black Rock vor. Die Berechnung der Fondsvolumen bezieht sich auf Daten von Urgewald und Facing Finance (Stand August 2024).
Für die Auswertung der ETFs wurden die ETFs berücksichtigt, die am 30. November 2024 an der Börse Xetra gelistet waren und Nachhaltigkeitsbegriffe im Namen trugen – so wie es die ESMA-Verordnung beschreibt. Am 7. Mai wurde geprüft, welche dieser ETFs umbenannt wurden. Die Berechnung der Fondsvolumen bezieht sich auf Daten von Xetra (Stand März 2025).
EU will Anleger vor übertriebenen Nachhaltigkeitsaussagen schützen
So müssen nachhaltige Fonds und ETFs künftig mindestens 80 Prozent ihres Kapitals in Wertpapiere investieren, die ökologische oder soziale Kriterien berücksichtigen oder nachhaltige Ziele – zum Beispiel die Reduktion von CO2 Emissionen – verfolgen. Investitionen in fossile Energieunternehmen wie Shell oder Total, die einen Großteil ihrer Umsätze mit Öl, Gas oder Kohle machen, werden erschwert oder komplett verboten. „Ziel der Leitlinien ist es, sicherzustellen, dass Anleger vor unbegründeten oder übertriebenen Nachhaltigkeitsaussagen in Fondsnamen geschützt werden“, so die ESMA in einer Erklärung dazu.
Konkret heißt das: Um die neuen Auflagen zu erfüllen, müssen Fondsanbieter entweder ihre Investitionen anpassen – und fossile Kapitalanlagen verkaufen – oder sie streichen die Umweltbegriffe aus den Fondstiteln. Europaweit könnten laut der US-amerikanischen Ratingagentur Morningstar etwa 1.600 Fonds und ETF sowie Investitionen im Wert von 40 Milliarden Dollar von den neuen Richtlinien betroffen sein.
Für Anleger bedeutet das: Sie können jetzt besser erkennen, wie ernst es ein Fondsanbieter mit dem Thema Nachhaltigkeit meint – ob er tatsächlich problematische Anlagen verkauft oder nur den Fondsnamen ändert. Bei ETFs wird nun deutlicher, welche Nachhaltigkeitskriterien der zugrunde liegende Index erfüllt.
Die neuen Leitlinien für Fondsanbieter seien grundsätzlich begrüßenswert, sagt Anna Martin, die im europäischen Verbraucherverband (BEUC) für Finanz-Dienstleistungen zuständig ist, gegenüber CORRECTIV und Finanztip: „Hier wird die Kluft zwischen dem Nachhaltigkeitsversprechen eines Fonds und der Realität seiner Inhalte zumindest verringert“. Das sei auch dringend nötig: „Wenn Fonds Sustainable heißen, aber weiterhin in Kohle, Gas und Öl investieren oder nur 15 Prozent des Portfolios tatsächlich nachhaltig angelegt sind, dann ist das aktive Verbrauchertäuschung.“
Dass nicht überall Nachhaltigkeit drin steckt, wo es drauf steht, zeigt auch eine Studie der Ratingagentur Morningstar: So legt nur etwa die Hälfte der europäischen Fonds, die das Wort „nachhaltig“ im Titel tragen, mehr als 40 Prozent des Kapitals auch nachhaltig an.
Wie weit Realität und Nachhaltigkeitsversprechen in manchen Fällen auseinandergehen, zeigt auch ein Blick in die Portfolios der Fonds, die CORRECTIV und Finanztip vorliegen. Grundlage der Auswertung sind Daten der Organisationen Urgewald und Facing Finance (Stand August 2024).
Aus diesen Fonds ist das Wort „nachhaltig“ verschwunden
So finden sich im Portfolio des „BlackRock Systematic ESG World Equity“ – ESG steht auf Deutsch für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – einige der größten CO2-Emittenten weltweit: die Energiekonzerne Shell und Exxon Mobil sowie das norwegische Unternehmen Equinor. Weiter finden sich dort Unternehmen, die ihr Geld mit Kohle machen. Insgesamt investiert der Fonds über 75 Millionen Euro in fossile Unternehmen. Trotzdem ist der Fonds nach der EU-Offenlegungsverordnung (SFDR) als „nachhaltig“ klassifiziert. Aufgrund der neuen Leitlinien hat Black Rock das ESG jetzt aus dem Fondsnamen gestrichen.
Was ist die EU-Offenlegungsverordnung (SFDR)?
Die EU-Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation, kurz SFDR) ist eine Verordnung der Europäischen Union, trat 2021 in Kraft und ist Teil der „Sustainable Finance“ Initiative der Europäischen Kommission.
Die Verordnung verpflichtet Finanzmarktteilnehmer wie Fondsanbieter oder Versicherungsunternehmen, nachhaltigkeitsbezogene Informationen offenzulegen. Das Ziel: mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Förderung einer nachhaltigen Wirtschaft.
Nach der SFDR werden Fonds in drei Kategorien eingeteilt:
Artikel 6 Fonds: Fonds ohne Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien
Artikel 8 Fonds: Fonds, die ökologische und soziale Merkmale bewerben, oft als hellgrün bezeichnet
Artikel 9 Fonds: Fonds, die ein explizites Nachhaltigkeitsziel verfolgen, oft als dunkelgrün bezeichnet
Eine große Kritik an der bestehenden SFDR ist die fehlende Definition von nachhaltigen Investitionen und eine große Bandbreite an Auslegungen seitens der Fondsmanager.
Ein weiteres Beispiel: Ein Fonds der Deka Bank, dem Fondsanbieter der Sparkassen. Der „Deka-Nachhaltigkeit Kommunal CF“ investiert zwar nicht in Kohle, dafür aber rund 20 Millionen Euro in Öl und Gas. Über 8 Millionen Euro davon in den Energieriesen Total Energies. Seine Einnahmen generiert der Konzern laut einer Studie der Organisation Urgewald fast ausschließlich aus Aktivitäten mit fossilen Energien und treibt weltweit den Ausbau von Öl- und Gasfeldern voran. Auch aus dem Titel des Deka-Fonds ist das Wort „nachhaltig“ mittlerweile verschwunden.
Klimabewusste Anleger werden in die Irre geführt
Wie massiv als „nachhaltig“ klassifizierte Fonds in Öl, Gas und Kohle investieren, zeigt auch eine umfangreiche Datenrecherche von Urgewald und Facing Finance. Demnach investieren mehr als 4.700 europäische ESG Fonds 123 Milliarden Euro in Wertpapiere von Unternehmen, „die fossile Expansionsprojekte vorantreiben oder aber keinen glaubhaften und Paris-konformen Ausstiegsplan aus Kohle vorgelegt haben.“
Es sei erschreckend, „wie viele Fonds für ihre Performance sogar die Expansionsprojekte großer Öl- und Gaskonzerne in Kauf nehmen“, sagt Julia Dubslaff, Finanz-Analystin bei Urgewald, gegenüber CORRECTIV und Finanztip. Klimabewusste Anleger würden so in die Irre geführt: „Solche fossilen Unternehmen verstoßen massiv gegen den Nachhaltigkeitsgedanken und haben eigentlich in keinem Fonds etwas verloren. Aber schon gar nicht in solchen Fonds, die den Verbrauchern, auf welche Weise auch immer, suggerieren, einen Nachhaltigkeitsanspruch zu haben.“ Bisher war das auch aufgrund der laxen EU-Regeln möglich.
Irreführende Nachhaltigkeitsversprechen: Verantwortlich sind nicht nur Fondsanbieter, sondern auch die EU-Politik
Anbieter von Fonds und ETFs konnten ihre Nachhaltigkeitsversprechen so großzügig auslegen, sagt Ulrike Lohr, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene, weil die EU-Offenlegungsverordnung bisher nicht klar genug definiert, was genau eine „nachhaltige Investition“ zu erfüllen habe. „Da haben Fondsanbieter bisher zu viel Spielraum. Es gibt Nachhaltigkeitsfonds, die in Öl- und Gasmultis investieren oder die Unternehmen im Portfolio haben, die grundlegende Arbeitsrechte verletzen oder sogar Kinder- oder Zwangsarbeit bei Zulieferern ignorieren.“
Weiter seien die bestehenden EU-Vorgaben für nachhaltige Investitionen nicht genug aufeinander abgestimmt: „Manche Regulierungen sind sehr streng, andere wie die EU-Offenlegungsverordnung dagegen sehr weit auslegbar – zum Nachteil von Verbrauchern. Für Laien ist mit den derzeitigen EU-Regeln nicht erkennbar, ob ein Fonds „dunkelgrün“ oder „hellgrün“ ist.“
Begriff der Nachhaltigkeit bleibt vermutlich auch künftig vage
Geht es nach der EU-Kommission, soll sich das ändern. Bis zum Jahresende soll die EU-Offenlegungsverordnung reformiert werden. Für mehr Transparenz, Übersicht und bessere Abstimmung zwischen den verschiedenen EU-Regularien.
Ob das klappt, ist allerdings fraglich. Zwar will die EU-Kommission klare Regeln für nachhaltige Fonds aufsetzen, doch der Begriff der Nachhaltigkeit wird vermutlich auch künftig vage und umstritten bleiben: Mehrere Fondsgesellschaften haben bereits angekündigt, ihre nachhaltigen Fonds künftig für bestimmte Rüstungsunternehmen zu öffnen. Darunter Allianz Global Investors und DWS.
Ulrike Lohr begründet diesen Schritt vor allem mit Renditeerwartungen. Nachhaltige Fonds hätten früher meist genauso gut oder sogar besser abgeschnitten als konventionelle – bis zum Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. „Dann sind die Rüstungsunternehmen und Gaskonzerne hochgeschossen. Nachhaltigkeitsfonds, die das ausgeschlossen haben, haben daran nicht mitverdient.“ Inzwischen habe sich das allerdings wieder angeglichen. „Aber die alte Geschichte, dass nachhaltige Fonds im Schnitt schlechter abschneiden, weil sie ihr Universum einschränken, geht wieder um.“
Nachhaltige Fonds, die neben fossilen Unternehmen nun auch Waffen aufnehmen wollen, was sich in Europa langsam entwickelt, spitzt sich in den USA schon seit längerem zu. Dort tobt bereits ein regelrechter Kampf um das Thema Nachhaltigkeit.
„Europa muss sich nun entscheiden“, sagt Ulrike Lohr. Entweder setze man auf Krieg und eine Politik wie in den USA, die Nachhaltigkeit zum Feindbild mache – oder man fördere eine Wirtschaft, die tatsächlich nachhaltig sei.
Ihr Fonds ist weniger nachhaltig als angenommen? Das können Sie jetzt tun:
Wer einen Fonds oder ETF im Depot hat, der aufgrund der neuen Verordnung umbenannt wurde, sollte sich die Anlagebedingungen des Fonds genau anschauen, rät Timo Halbe, Experte für Geldanlage bei Finanztip. Genauso sei ein Blick auf die Nachhaltigkeitskriterien sinnvoll, die für den gestrichenen Begriff eingehalten werden müssten und die der Fonds somit nicht erfüllt.
„Entsprechen die Kriterien des Fonds nicht den eigenen Erwartungen an Nachhaltigkeit, bleibt Anlegern nur die Möglichkeit, die Anteile zu verkaufen. Haben Sie damit Gewinne erzielt, müssen Anleger darauf in der Regel Steuern zahlen“, sagt Halbe. Eine Alternative sei es, in den Fonds investiert zu bleiben und ab sofort Investitionen – zum Beispiel eines Sparplans – in einen passenden Fonds zu stecken. „Damit investiert man wenigstens künftig in eine Anlage, die den eigenen Vorstellungen an Nachhaltigkeit entspricht.“ Zuletzt hat Finanztip im April 2025 über 2.300 ETFs untersucht und sich dabei die genauen Anlagebedingungen für die Verbraucher angeschaut.
Eine weitere Hilfe für Anleger kann die Webseite Faire Fonds sein. Dort kann das gesamte Portfolio eines Fonds abgerufen werden. So können Anleger überprüfen, ob ihre Fonds tatsächlich nachhaltig sind oder möglicherweise in Branchen wie fossile Energien, Rüstung oder Unternehmen mit Menschenrechtsverletzungen investieren.
Redigatur: Elena Kolb und Justus von Daniels
Faktencheck: Elena Kolb
Design: Mohamed Anwar und Ivo Mayr
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