„Druck im Kessel“: Wie die Wärmewende die Menschen trifft
Baden-Württemberg will klimaneutral heizen – wir haben gemeinsam mit dem SWR monatelang Bürgerinnen und Bürger befragt, Fachleute begleitet und bei Veranstaltungen Stadtvertreter und Entscheider eingeladen. Ein Rückblick.
Im Rahmen des gemeinsamen Projekts „Druck im Kessel – Wie trifft mich die Wärmewende?“ von CORRECTIV und SWR haben insgesamt knapp 2.000 Bürgerinnen und Bürger im Online-Tool CrowdNewsroom berichtet, wie sie zu Hause heizen, ob sie ihre Versorgung umstellen wollen und was ihre Sorgen und Fragen sind. Wie viele Menschen sich an der Umfrage beteiligen, die vom 17. September bis 8. November 2025 geöffnet war, zeigt, wie sie das Thema beschäftigt.
Neben dem Online-CrowdNewsroom ermöglichten PopUp-Studios in Stuttgart (14. bis 22. Oktober), Vaihingen an der Enz (28. bis 31. Oktober) und Lörrach (4. bis 8. November) direkte Begegnungen. Hier konnten Bürgerinnen und Bürger Fachleuten sowie Entscheidern ihre Fragen stellen, Heizsysteme besichtigen und uns Journalistinnen und Journalisten buchstäblich über die Schulter schauen. Die täglichen Veranstaltungen reichten von offenen Heizungskellern über Vorträge und Podiumsdiskussionen bis zu Speed-Datings mit Energieberatern. Spaziergänge mit Wärmeexperten in Altstädten zeigten praxisnah, welche Heiztechnologien in dicht bebauten Siedlungen umsetzbar sind.
Klar wurde: Die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG), umgangssprachlich auch Heizungsgesetz, und die folgende Kampagne 2023 haben viele Menschen verunsichert. Häufig genannte Fragen beschäftigten sich mit Vor- und Nachteilen von Wärmepumpen, Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten sowie Wärmenetzen.
Viele Menschen investieren und stellen ihre Heizung um
Umso bemerkenswerter ist es, dass Hunderte Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichten, dass sie schon längst eine neue, klimafreundliche Heizung eingebaut haben oder gerade in der Planung stecken. Fast ein Zehntel der Zuschriften war ausdrücklich positiv, weil zum Beispiel Rahmenbedingungen, Installation und Kosten des Umstiegs reibungslos geklappt haben.
„Da wir das kleine Haus (inzwischen 60 Quadratmeter) vor vier Jahren gekauft haben, haben wir grundsaniert und die vorherige Elektroheizung beziehungsweise Nachtspeicheröfen durch eine Luft-Luft-Wärmepumpe bzw. Klimaanlage ersetzt“, schreibt eine Frau aus Eberbach. Sie betont die einfache Installation, da keine Rohre verlegt werden mussten. Insgesamt empfand sie den Einbau mit etwa 6.000 Euro als „sehr kostengünstig“.
Jemand aus Elzach fasst es auf die Frage, ob etwas nicht gut funktioniert habe, nur kurz und knapp zusammen: „Lief alles reibungslos. Auch die Beantragung der Förderungen lief problemlos.“
Bürgerinnen und Bürger kritisieren fehlende gesetzliche Klarheit
Natürlich gab es auch ganz unterschiedliche Kritik. Viele beklagen die chaotische Bundespolitik sowohl der Ampelregierung als auch der aktuellen schwarz-roten Koalition.
Zum Beispiel schrieb jemand aus Kämpfelbach:
„Vom Gesetzgeber sollten eindeutige Vorgaben kommen, damit man weiß, was sich ändern soll.“ Dann können auch die Kommunen modernisieren und Angebote für Bürger machen, wie beispielsweise verständliche Alternativen benennen und Fördermittel bereitstellen. Auch sollten Handwerker mit einbezogen werden.
Viele Menschen formulierten Sorgen über die Rückschritte der neuen Regierung. So schreibt eine Familie aus Heilbronn:
„Sehr große Sorge macht uns das erneute (wie 2014) Abwürgen der Energiewende und des Klimaschutzes durch die derzeitige Bundesregierung. Die Kampagne gegen das GEG war ungerechtfertigt, unfair und inhaltlich daneben. Dadurch wurde die Chance einer raschen Wärmewende unter Einbeziehung der Hausbesitzer, Mieter, des Handwerks und der Industrie vertan. Außerdem war diese Kampagne Gift für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Schade.“
Andere gehen mit der Vorgängerregierung hart ins Gericht, zum Beispiel ein Teilnehmer aus Durlangen:
„Die Bürger können nicht verpflichtet werden, sich zu verschulden. Ich will die Heizung, die ich mir mit meiner Rente leisten kann, ohne Bankkredit!“ Das Gebäudeenergiegesetz gehe an der finanziellen Lebenswirklichkeit vorbei.
Tolle Technik, fehlende Fachkräfte
Auch zur praktischen Umsetzung durch Handwerker zeichnet sich im CrowdNewsroom ein zwiespältiges Bild:
„Die Inbetriebnahme lief problemlos. Die Einweisung in die Bedienung der Anlage per App war gut. Die Installation des extra Stromzählers durch meinen Elektriker lief gut“, schreibt ein Herr aus Ditzingen-Schöckingen.
Andere klagten, keine Installateure finden zu können. Die regionalen Unterschiede sind dabei groß. Der Forscher und sogenannte „Wärmepumpen-Papst“ Marek Miara vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme berichtete im PopUp-Studio in Lörrach davon, dass zumindest deutschlandweit die Zahl der Installateure, die sich für den Umgang mit Wärmepumpen qualifizieren, in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen ist.
Bürgerengagement transformiert Gemeinden
Doch die Wärmewende erfordert nicht nur technisches Wissen, sondern auch die Beteiligung der Menschen vor Ort. Lokale Initiativen wie die Bürgergenossenschaft in Hägelberg am Rande des Schwarzwaldes zeigen, dass gemeinschaftliches Engagement und frühzeitige Planung nachhaltige Lösungen ermöglichen können, wie die besondere Geschichte von Jürgen Rösch.
Rösch hat am CrowdNewsroom teilgenommen und das PopUp-Studio in Lörrach besucht. 2011 hat er mit ein paar anderen ohne Eigenkapital ein „Nahwärmeprojekt Energie aus Bürgerhand“ als Genossenschaft gestartet. Und heute, keine 15 Jahre später, versorgen sich die etwa 800 Bewohnerinnen und Bewohner von Hägelberg selbst mit Nahwärme aus Biogas und -masse, Strom und – weil es so gut lief, erzählt Rösch – viele auch gleich noch mit Glasfaseranschlüssen.
„Die Genossenschaftsanteile haben damals 1.500 Euro gekostet, heute sind sie 25.000 wert“, sagte er gegenüber SWR und CORRECTIV. Außer den Energiekonzernen, die dort keine Kunden mehr finden, profitieren also wirklich alle. Der Aufwand sei dabei durchaus kalkulierbar gewesen, so Rösch. „Fünf Leute, die sich fünf Stunden in der Woche damit beschäftigen – so haben wir das hingekriegt.“
Es ist eines von vielen Positivbeispielen, die in den Wochen des Projektes erzählt worden sind. In Lörrach ist dann auch Zeit für Rückblick und Bilanz: Das Thema treibt viele Menschen um – naturgemäß mehr Eigentümer als Mieter, weil sie auf die Heiztechnologie in ihren Gebäuden Einfluss nehmen können. Dabei spielen letztere gerade in Deutschland eine herausragende Rolle für die Wärmewende: mehr als die Hälfte der Bevölkerung wohnt zur Miete. Damit die großen Wohngesellschaften auf klimafreundliche Heizungstechnologien umsteigen, muss die Politik den richtigen Rahmen setzen. Da hat sie, das haben unsere Recherchen bei „Druck im Kessel“ gezeigt, noch viel zu tun.
Klimaziel des Landes wackelt
So viel, dass das Ziel Baden-Württembergs, bis 2040 klimaneutral zu werden, fraglich erscheint. Auch wegen der gemeinsamen Recherchen von CORRECTIV und SWR hat die Landeshauptstadt Stuttgart zwischenzeitlich eingeräumt, ihr Klimaziel für das Jahr 2035 voraussichtlich nicht halten zu können. Und auf eine groß angelegte Presseanfrage an die Kommunen des Landes meldeten viele zurück, dass sie das Klimaziel bis 2040, das die Landesregierung erst im Sommer noch einmal festgeschrieben hat, für unhaltbar erachten.
Hält die Grün-schwarze Koalition dennoch daran fest? Ja, sagt das Umweltministerium – und listet dann eine ganze Reihe von Bedingungen außerhalb der eigenen Reichweite auf, die dafür allerdings nötig wären: „dass der Bund zu einer ambitionierten Klimapolitik zurückkehrt, europäische Vorgaben nicht geschleift werden und auf Landesebene in ALLEN Sektoren zusätzliche Anstrengungen unternommen werden“, schreibt ein Sprecher. Für wie realistisch man das hält, mag jede und jeder selbst bewerten.
Dieser Artikel ist Teil der gemeinsamen Beteiligungsrecherche „Druck im Kessel – Wie trifft mich die Wärmewende?“ von CORRECTIV und SWR. Die Beteiligten: Recherche: Madlen Buck, Katarina Huth, Jann-Luca Künßberg, Lena Schubert (CORRECTIV) Eberhard Halder-Nötzel, Philipp Pfäfflin, Matthias Zeller (SWR) Recherche und Datenauswertung: Tom Burggraf, Katharina Forstmair, Elisa Harlan (SWR Data Lab) CrowdNewsroom: Marc Engelhardt, Sven Niederhäuser (CORRECTIV) Projektleitung: Justus von Daniels (CORRECTIV), Eberhard Halder-Nötzel (SWR) Redaktion: Justus von Daniels Kommunikation: Esther Ecke, Anna-Maria Wagner, Nadine Winter









