Korruption

Bestechungsvorwürfe in Südafrika: Wie die Deutsche Telekom half, Staatskonzerne zu plündern

Die Deutsche Telekom soll in Südafrika jahrelang Schmiergeld gezahlt haben, um Aufträge zu erhalten. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt jetzt. Deutsche Konzerne zählten zu den größten Profiteuren der Korruption unter dem ANC-Präsidenten Jacob Zuma. Eine gemeinsame Recherche mit Welt am Sonntag.

von Frederik Richter

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Ein mafiöses Netzwerk rund um die Gupta-Brüder und dem ANC-Politiker Jacob Zuma plünderte südafrikanische Staatskonzerne aus. Zu den wichtigsten Helfern zählte die Deutsche Telekom. (Illustration: Anwar/CORRECTIV)

Makano Mosidi bekommt die unmissverständliche Botschaft in einem Hotel in Johannesburg überreicht. Es ist Oktober 2016 und Mosidi ist die IT-Chefin von Transnet, der staatlichen Eisenbahn Südafrikas.

Transnet sucht gerade einen Anbieter für die Lieferung von Computern und Mosidi möchte ein sauberes Verfahren. Doch der Chef der Frachtsparte von Transnet droht ihr. Das Beschaffungswesen könne „eine lebensgefährliche Angelegenheit“ sein. Er fragt Mosidi, so stellt sie ihr Verständnis des Treffens später vor einer Untersuchungskommission dar, ob sie wisse, was es bedeute, sich gegen die Flut zu stellen.

Die Flut, gegen die sich Mosidi stellen wollte, ist die Korruption in Südafrika und ihre internationalen Helfer. Zum Beispiel T-Systems, ein IT-Dienstleister im Besitz der Deutschen Telekom mit Sitz in Frankfurt am Main. T-Systems beliefert die südafrikanische Eisenbahn schon seit 2010 mit Computern und IT-Ausrüstung. Ende 2015 soll der Auftrag anlässlich einer turnusmäßigen Verlängerung des Rahmenvertrags zum ersten Mal ausgeschrieben werden.

Deutsche Telekom zahlte jahrelang an kriminelles Netzwerk

Für Mosidi ist der Fall klar: Eine südafrikanische Firma hat das Bieterverfahren gewonnen und sollte den Auftrag erhalten. Doch immer wieder soll der Konzern aus dem fernen Deutschland auf unerklärliche Weise bevorzugt werden. Mosidi wird unter Druck gesetzt und soll Vermerke zugunsten von T-Systems unterschreiben. Notgedrungen notiert sie ihre abweichende Meinung am Rande der Papiere. Am Ende erhält T-Systems den Auftrag.

Und zwar mutmaßlich nicht, weil der Konzern mit Leistung punktete. Was Mosidi damals nicht wusste: Der deutsche Konzern hatte offenbar jahrelang Gelder an ein mafiöses Netzwerk gezahlt, das während der Präsidentschaft des ANC-Politikers Jacob Zuma Einfluss auf südafrikanische Staatsunternehmen hatte und an den offiziellen Wegen vorbei Aufträge vergab. Es saugte südafrikanische Staatskonzerne aus – jene Firmen, die eigentlich die südafrikanische Bevölkerung mit Strom, Wasser und sicherem Transport versorgen sollen.

Im Mittelpunkt des Netzwerks standen die Gupta-Brüder, drei aus Indien stammende Geschäftsleute. In Südafrika arbeitete bereits seit 2018 eine Untersuchungskommission, die sogenannte Zondo-Kommission, den Skandal auf. Ende 2021 beendete sie ihre Anhörungen, im Juni legte sie ihren Abschlussbericht vor. Ein Ergebnis der Aufklärungsarbeit: Kaum jemand profitierte derart von der Korruption wie deutsche Firmen.

Die verborgenen Zahlungsströme der Telekom

Zum Beispiel T-Systems. Laut einer bisher unbekannten Auswertung von Zahlungsströmen, die für die Zondo-Kommission erstellt wurde, zahlte der Konzern zwischen 2012 und 2015 in monatlichen Raten insgesamt über drei Millionen Rand (etwa 180.000 Euro) an eine südafrikanische Firma, die der Ehefrau des wichtigsten Strippenziehers der Gupta-Brüder gehörte. Die USA setzten ihn gemeinsam mit den Gupta-Brüdern im Oktober 2019 auf eine Sanktionsliste.

Auch an eine den Guptas nahestehende Firma namens Sechaba zahlte T-Systems laut den Unterlagen Gelder. Demnach flossen allein zwischen Februar 2015 und Dezember 2017 etwa 18 Millionen Euro an die Firma, die wiederum regelmäßig Gelder überwies an Briefkastenfirmen, die für die Guptas gestohlenes Geld wuschen.

Und es ist auffällig, dass der Konzern bei seinen Geschäften mit südafrikanischen Staatskonzernen immer wieder leichtes Spiel hatte. Fast zehn Jahre lang wurde der Vertrag immer wieder verlängert. Die Zahlungen an T-Systems stiegen dabei ständig an, obwohl sich am Umfang der Leistungen offenbar nichts änderte. 2015 fielen dann regelrechte Merkwürdigkeiten auf.

Die Phantom-Computer von T-Systems

Eine Abteilung der Eisenbahn stellte fest, dass sie T-Systems für die Bereitstellung von etwa 2.200 Computern bezahlte, jedoch nur die Hälfte davon tatsächlich existierten. Weitere 450 im Juli 2015 an Transnet gelieferte Computer waren spurlos verschwunden. Transnet hatte T-Systems also jahrelang für die Nutzung von Computern bezahlt, die es gar nicht gab. Obwohl ein interner Rechenschaftsbericht von Transnet dies festhielt, hatte die doppelte Abrechnung für T-Systems keinerlei Konsequenzen. Ein Sprecher der Deutschen Telekom äußerte sich zu diesen Vorwürfen nicht.

Die Zondo-Kommission konnte bei ihrer Aufarbeitung keine direkten Zahlungen von T-Systems an Mitarbeiter der südafrikanischen Eisenbahn finden. Doch wegen deren Nähe zu den Guptas auf der einen, sowie der Zahlungen von T-Systems an Gupta-nahe Firmen auf der anderen Seite erkannte die Kommission dennoch eine Form organisierter Kriminalität.

Die Deutsche Telekom befindet sich zu 30 Prozent in deutscher Staatshand. Die fragwürdigen Geschäftspraktiken in Südafrika dürften also auch die Politik interessieren. Denn auch in der Konzernzentrale der Telekom in der ehemaligen Hauptstadt Bonn war das Treiben der südafrikanischen T-Systems zunächst manchem nicht geheuer.

Zahlungen flossen trotz Bedenken weiter

Doch als die schmierigen Zahlungen an den Gupta-Strippenzieher auch dort aufgefallen waren, blieben Konsequenzen aus. 2015 führte der Konzern eine interne Untersuchung der eigenen Geschäftspraxis in Südafrika durch. Laut dem CORRECTIV vorliegenden Untersuchungsbericht vom 24. Juni 2015 war sich der Konzern darüber im Klaren, dass die Zahlungen gegen die eigenen Compliance-Regeln verstießen.

Ursprünglich hatte T-Systems demnach geplant, den Mann direkt als Vertreter im Verkauf einzustellen. Eine solche formale Rolle wurde jedoch intern abgelehnt. Doch laut dem Bericht beschloss die Führung von T-Systems Südafrika, den Strippenzieher nicht formal als Handelsvertreter zu engagieren, sondern stattdessen „informell sein Netzwerk zu nutzen“. Weiter heißt es in dem Bericht, dass der Mann „im Gegenzug“ T-Systems mitgeteilt habe, mit welchen lokalen Firmen der Konzern zusammenarbeiten solle.

Der Bericht macht deutlich, dass die Entscheidung, auf informelle Weise weiter mit ihm zu arbeiten, „nicht akzeptabel“ gewesen sei. Doch auch nach dem Bericht flossen die Gelder an das Umfeld des Gupta-Vertreters einfach weiter. Eine damalige Finanzverantwortliche der südafrikanischen T-Systems-Tochter wurde befördert und ist heute mitverantwortlich für die globalen Vertriebsaktivitäten des Konzerns. Ein Sprecher der Deutschen Telekom äußerte sich auf Anfrage dazu nicht.

Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt wegen Südafrika-Geschäft der Telekom

Die Involvierung in den Gupta-Skandal könnte für die Deutsche Telekom nun ein Nachspiel haben. Nach Recherchen von CORRECTIV und Welt am Sonntag ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt derzeit im Zusammenhang mit den Aufträgen für T-Systems in Südafrika. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt bestätigte die Ermittlungen, wollte sich jedoch nicht weiter dazu äußern.

Und die Eisenbahn Transnet ist in Südafrika nicht das einzige Opfer der schmierigen Geschäftsmethoden von T-Systems. Auch von Eskom, dem staatlichen Energieversorger Südafrikas, hatte die Telekom-Tochter einen Rahmenvertrag über die Lieferung von Ausrüstung erhalten. Sowohl der erste Vertragsabschluss 2009 sowie die Verlängerung 2014 sollen laut der Untersuchungen der Zondo-Kommission auf irreguläre Weise zustande gekommen sein.

Laut den Unterlagen der Zondo-Untersuchungskommission erhielt T-Systems von 2010 bis 2019 über 700 Millionen Euro von Transnet und Eskom. Das soll ein Fünftel aller Ausgaben südafrikanischer Staatsunternehmen sein, die unter dem Einfluss der Guptas standen. T-Systems wäre damit einer der größten Profiteure des Skandals. Nur chinesische Unternehmen langten demnach noch kräftiger zu. Eine Auswertung der Unterlagen der Zondo-Kommission zeigt, dass T-Systems den Guptas nahestehende Firmen Einnahmen in Höhe von etwa fünf Prozent der T-Systems-Aufträge erzielte. T-Systems überwies demnach direkt Gelder an diese Firmen oder ließ sie ohne erkennbare Gründe Verträge mit Transnet übernehmen.

Telekom: Haben bei Aufklärung in Südafrika mitgeholfen

Die Deutsche Telekom teilt auf Anfrage mit, dass man keine Gesetzesverstöße dulde. Das Unternehmen habe in Südafrika mit der Untersuchungskommission zusammengearbeitet. Diese habe keine strafrechtliche Verfolgung von T-Systems-Mitarbeitern enthalten. Der Konzern habe bestimmte Geschäftsbeziehungen beendet und 2020 die Tochtergesellschaft in Südafrika auch verkauft.

In Südafrika ist Korruption und Veruntreuung unter verschiedenen ANC-Präsidenten weit verbreitet gewesen. Während der Amtszeit von Zuma, der von 2009 bis 2018 Präsident war, erreichte sie auch wegen der Involvierung der Gupta-Brüder einen Höhepunkt. Und T-Systems war nicht der einzige deutsche Konzern, der in den Gupta-Skandal verstrickt ist.

Politik und Wirtschaft in Südafrika sind immer wieder von Korruption geplagt. Besonders der Gupta-Skandal machte in den letzten Jahren Schlagzeilen. Die drei Gupta-Brüder  wanderten Anfang der 1990er Jahre aus Indien nach Südafrika ein und gründeten dort eine IT-Firma. Auch dank ihrer Kontakte zu dem ANC-Politiker Jacob Zuma, von 2009 bis 2018 Präsident Südafrikas, bauten sie mafiöse Strukturen auf, welche die vielen Staatskonzerne des Landes plünderten – und besonders die Eisenbahn Transnet und den staatlichen Versorger Eskom. 

Die Staatskonzerne vergaben Aufträge an mit den Guptas verbandelte Unternehmen. Die bezahlten Güter wurden aber nur teilweise geliefert. So sollen viele Milliarden Rand aus Staatskoffern in die Taschen der Guptas geflossen sein. Viele internationale Konzerne, von Buchprüfungsgesellschaften bis hin zu chinesischen Herstellern von Lokomotiven, waren darin verwickelt. Und auch mehrere Konzerne aus Deutschland.

In Südafrika spricht man auch von „state capture“: Die Guptas mussten den südafrikanischen Staat nicht mehr betrügen oder korrumpieren. Denn nach dieser Lesart hatten sie während der korruptionsverseuchten Amtszeit von Jacob Zuma den Staat einfach übernommen. Einmal sollen sie sogar den Finanzminister des Landes bestimmt haben. 

Als die Guptas wegen ihrer Machenschaften unter Druck gerieten, siedelten sie nach Dubai über und bestimmten von dort das Schicksal Südafrikas. Beamte und Politiker, die in ihrem Sold gestanden haben sollen, pilgerten nach Dubai, eingeladen von den Guptas. Im Juni wurden zwei der Brüder schließlich dort verhaftet. Wie auch Jacob Zuma bestreiten sie die Vorwürfe. Derzeit wird über ihre Auslieferung verhandelt.



So einigte sich der Softwarekonzern SAP erst im März 2022 mit südafrikanischen Behörden auf eine Rückzahlung von umgerechnet etwa 23 Millionen Euro. Der Konzern hatte in den Jahren 2015 und 2016 mit der südafrikanischen Wasserbehörde Verträge über Software-Lizenzen und Dienstleistungen im Wert von über einer Milliarde Rand geschlossen. Ermittler waren zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verträge irregulär waren. Auch von der Eisenbahn Transet sowie dem Stromkonzern Eskom hatte SAP lange Aufträge erhalten und Zahlungen an Firmen geleistet, die den Guptas nahestanden. In den USA laufen weiterhin Ermittlungen gegen SAP wegen Korruptionsvorwürfen in Südafrika und weiteren Ländern. Der Konzern teilte auf Anfrage mit, dass man sich auf allen Märkten an die jeweiligen Gesetze halte und mit Aufsichtsbehörden kooperiere.

Auslandsbestechung: Kaum Konsequenzen

In Mannheim geht die dortige Staatsanwaltschaft dem Verdacht nach, dass Beschäftigte des Schweizer Anlagenbauers ABB einen früheren Vorstandsvorsitzenden von Eskom bestachen, um Aufträge beim Bau des Kohlekraftwerks Kusile zu erhalten. Mannheim ist der Sitz des Deutschland-Geschäfts von ABB. Der Geschäftsmann Brian Molefe war eine Zeitlang Chef sowohl von Transnet wie von Eskom und soll gute Kontakte zu den Guptas unterhalten haben. In seiner vierjährigen Amtszeit bei Transnet soll er viele Male die Guptas in ihrem weitläufigen Compound besucht haben. Molefe soll laut CORRECTIV vorliegenden Unterlagen auch T-Systems auf unlautere Weise bevorzugt haben.

Das Frankfurter Ermittlungsverfahren hat eine Strafanzeige südafrikanischer Anti-Korruptions-Aktivisten ausgelöst. Sie wollen nicht länger hinnehmen, dass die Verstrickung deutscher Konzerne in südafrikanische Korruptionsaffären hierzulande keine Folgen hat. Die Guptas und ihr Netzwerk korrupter Beamter sei beim Plündern öffentlicher Mittel auf die Zusammenarbeit mit internationalen Firmen angewiesen gewesen, sagt der Südafrikaner Paul Holden von der auf Korruptionsuntersuchungen spezialisierten Organisation Shadow World International. „Es ist nur gerecht, dass diese internationalen Firmen, wie T-Systems, ordentlich und komplett zur Rechenschaft gezogen werden für die Art und Weise, wie sie bei der Übernahme des Staates und gewaltiger Korruption mitgemacht haben.“

Ermittlungen im Zusammenhang mit Auslandsbestechung sind in Deutschland eher eine Ausnahme. Wie CORRECTIV im März anhand einer Auswertung von Justizakten berichtete, ist Auslandsbestechung so etwas wie ein blinder Fleck der deutschen Justiz. Es gibt eine hohe Dunkelziffer und Verfahren enden nur selten mit ernsthaften Konsequenzen für Konzerne und Manager.

Das war auch der Fall, als sich Mitte der 2000er Jahre die Staatsanwaltschaft Düsseldorf mit schmierigen Zahlungen deutscher Konzerne in Südafrika beschäftigte. Ende der 1990er hatte der ANC ein milliardenschweres Rüstungspaket aufgelegt, das sich als veritables Schmiergeldfestival entpuppte. Die Firmen Thyssen Rheinstahl, heute Teil von ThyssenKrupp, und der Essener Industriedienstleister Ferrostaal zahlten viele Millionen Euro in dunkle Kanäle. Doch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf verliefen im Sande.

Makano Mosidi, die IT-Chefin der Eisenbahn Transnet, kämpfte auch nach dem Treffen im Oktober 2016 weiter für saubere Geschäfte. Auch andere Beschäftigte von Transnet gaben anonyme Hinweise auf Vetternwirtschaft und Korruption. Zunächst vergab Transnet den Auftrag zwar an T-Systems. Der südafrikanische Konkurrent der deutschen Firma legte jedoch Beschwerde ein und erhielt Ende 2018 durch einen Gerichtsbeschluss doch noch den Auftrag. Doch es waren für die Eisenbahn zwei verlorene Jahre, in denen über den deutschen Konzern weiter Gelder an Hinterleute der Korruption flossen.