Mafia

Heroin im Boccia-Club

Antonio N. und Raffaele A. betrieben eine 'Ndrangheta-Zelle in der Schweiz. Nun wurden sie in Italien zu hohen Haftstrafen verurteilt.

von Margherita Bettoni

Die Stadt Frauenfeld© Odonata unter Lizenz CC BY-SA 2.5 CH

Das Gericht von Reggio Calabria hat vergangene Woche zwei ‘Ndrangheta-Mitglieder zu 14 und 12 Jahren Haft verurteilt. 

Antonio N., 66, und Raffaele A., 71, wurden schuldig gesprochen, Teil einer ‘Ndrangheta-Zelle im schweizerischen Frauenfeld gewesen zu sein. 16 weitere Mitglieder der Zelle sollen sich immer noch in der Schweiz aufhalten.

Staatsanwalt Antonio de Bernardo hatte für die zwei Angeklagten 16 und 14 Jahre Haft gefordert. Die Verteidiger hingegen hatten auf Freispruch plädiert. Begründung: Die Ermittler hätten keine einzige illegale Aktivität auflisten können, die beweisen würde, dass es in Frauenfeld eine mafiöse Zelle gegeben habe.

Die Verurteilung erfolgte tatsächlich wegen „Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung“.  Anders als in Deutschland oder der Schweiz ist in Italien allein schon die Zugehörigkeit zur Mafia eine Straftat. Auch wenn der Person keine anderen Delikte vorzuwerfen sind.

„Operation Helvetia“

Antonio N. und Raffaele A. waren im August 2014 im Rahmen der „Operation Helvetia“ bei einer Hochzeit in Kalabrien verhaftet worden. Beide hatten jahrelang unauffällig im Kanton Thurgau gelebt, gemeinsam mit ihren Frauen und Kindern. Einer der beiden arbeitete als Lastwagenfahrer, der andere war Taxichauffeur.  

Der 66-jährige Antonio N. alias „il cucchiarune“ (der Schwätzer) oder „la montagna della Svizzera“ (der Berg der Schweiz) soll der Kopf der Frauenfelder Ndrangheta-Zelle gewesen sein. Der 71-jährige Raffaele A. soll dessen rechte Hand gewesen sein.

Jahrelang wurden beide Männer überwacht und abgehört. 

Heroin im Boccia-Club

In Frauenfeld soll die ‘Ndrangheta schon seit 40 Jahren aktiv sein. Ihre Mitglieder sollen sich in einem Boccia-Club in der Stadt Wängi getroffen haben. 

2014 hatte die Polizei eines der Treffen gefilmt. Ein Dutzend Männer saß konspirativ um einem Tisch. Boss Antonio N. segnete Raum und Mitglieder, in bester ‘Ndrangheta-Tradition. Er sprach über Ehre, Würde und Tradition, bevor er die anderen Mitglieder ermutigte: „Es gibt Arbeit für alle. Erpressung, Kokain, Heroin. Zehn Kilo, 20 Kilo jeden Tag. Bring ich Euch. Persönlich» 

Das Video war für den Prozess ein wichtiges Beweisstück. Belegte es doch zum ersten Mal die Existenz einer formellen Struktur der ’Ndrangheta in der Schweiz.  

Die Verbindungen nach Deutschland

Die Mitglieder der schweizerischen ‘Ndrangheta-Zelle sollen sich regelmäßig mit einer mutmaßlichen ‘Ndragheta-Zelle im deutschen Singen (Baden-Württemberg) getroffen haben – bis es zu einem Streit kam. Dabei soll es um die Kontrolle des schweizerisch-deutschen Grenzgebietes gegangen sein. Der Streit löste im Jahr 2009 Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Reggio Calabria aus, die gemeinsam mit dem LKA Baden-Württemberg geführt wurde. Im Zuge der Ermittlungen wurde eine Taufe einer Mafiazelle in der Bar Ricardo in Singen aufgezeichnet. Das Transkript der Mafiataufe haben wir veröffentlicht. 

Nach dem Streit sollen die schweizerische und die deutsche Zelle kooperiert haben. Unter der Führung von Antonio N. soll sich die deutsche Zelle auch in Engen (Baden-Württemberg) ausgebreitet haben.   

Die „Operation Rheinbrücke“

Acht mutmaßliche ‘Ndrangheta-Mitglieder aus dem Kreis Konstanz waren im Juli im Rahmen der „Operation Rheinbrücke“  verhaftet worden. Italien hatte die Auslieferung der Festgenommenen beantragt. Auf Anfrage von CORRECTIV hatte das Oberlandesgericht Karlsruhe in September jedoch die Freilassung von sechs Mitglieder bestätigt. Ein siebtes Mitglied kam im Oktober frei. Die Begründung: Ihre möglichen Straftaten waren nach deutschem Recht verjährt waren. Eine „Verfolgungsverjährung“ tritt in Deutschland grundsätzlich nach fünf Jahren ein.

Schweiz: „Ndrangheta am stärksten present“

Die ‘Ndrangheta ist Europas stärkste kriminelle Organisation. Sie kontrolliert den Kokain-Handel zwischen Südamerika und Europa und verdient ihr Geld unter anderem mit Prostitution, Waffenhandel und illegalen Wetten. 

Laut Jahresbericht 2014 des schweizerischen Bundesamt für Polizei Fedpol ist die ‘Ndrangheta die stärkste aller italienischen Mafia-Organisationen in der Schweiz. Personen mit sehr engen familiären Bezügen zu hochrangigen Vertretern der ’Ndrangheta in Kalabrien leben laut Fedpol in der Schweiz.