Wie die italienische Mafia den holländischen Blumenhandel nutzt, um Kokain zu schmuggeln
In Süditalien steht einer der größten europäischen Antimafia-Prozesse vor dem Abschluss. Mitglieder des Crupi-Clans sollen große Mengen Kokain aus Südamerika quer durch Europa geschmuggelt haben, versteckt in Blumenlieferungen. Ihr wichtigster Umschlagplatz waren die Niederlande. Das Land hat eine exzellente Infrastruktur – und vergleichsweise lasche Gesetze.
Diese CORRECTIV-Recherche erscheint gleichzeitig in den Zeitungen L’Espresso in Italien, im EU Observer sowie Algemeen Dagblad in den Niederlanden.
Fast 50 Mafia-Mitglieder sind angeklagt, einen schwunghaften Kokainhandel zwischen den Niederlanden und Italien betrieben zu haben. Die Großdealer kauften die Drogen in Südamerika ein und organisierten von den Niederlanden aus den Weitertransport nach Italien und in andere europäische Länder. Die Niederlande sind ein bevorzugter Umschlagplatz der italienischen ‘Ndrangheta: Das Land hat große (Flug-) Häfen und – ähnlich wie Deutschland – längst nicht so scharfe Anti-Mafia-Gesetze wie Italien.
Im Mittelpunkt des Prozesses steht Vincenzo Crupi. Zusammen mit seinem Schwager gründete er 2005 die Firma Fresh BV in Aalsmeer — dem weltgrößten Umschlagplatz für Blumen, ein Komplex groß wie 70 Fußballfelder voller Lagerhallen und Bürogebäude. 24 Stunden am Tag werden hier Blumen und Pflanzen umgeschlagen. Schnittblumen aus Ostafrika, Topfblumen aus Südamerika. Tausende Lastwagen fahren täglich in Aalsmeer ab, um die Ware an Kunden in ganz Europa zu liefern.
Italienische Staatsanwälte sind sich sicher: Für Crupi und seine Helfer war der Blumenhandel nur Tarnung. Typischerweise waren die Kokainmengen klein, die pro Lieferung verschickt wurde, oft waren es nur sechs bis elf Kilo. Um den Schaden gering zu halten, falls die Polizei die Lieferung abfing. Einige Lieferungen waren deutlich größer und enthielten bis zu 100 Kilo Kokain. Die Helfer verdienten an einer solchen rund 100.000 Euro.
Der Aufstieg der ‘Ndrangheta
In Süditalien wiederum betrieben die Schmuggler ein ausgeklügeltes System, um ihr Bargeld nach Latina zu bringen, eine Stadt vor den Toren Roms. Dort hatte der Crupi-Clan sein Hauptquartier. Vier Sekretärinnen waren hier damit beschäftigt, die Blumenlieferungen und das Einsammeln des Bargeldes zu koordinieren. In Latina wurde das Bargeld zwischen Holzpaletten versteckt und mit Lastwagen in die Niederlande gefahren – wo es erneut in den kriminellen Kreislauf eingeschleust wurde. Ein Anwalt von Crupi wollte sich auf Anfrage von CORRECTIV nicht äußern. Der Prozess ist nicht öffentlich.
Die ‘Ndrangheta stammt aus Kalabrien, der bergigen Küstenregion in der Spitze des italienischen Stiefels. Italienische Staatsanwälte schätzen, dass sie rund 40 Prozent des globalen Kokainhandels kontrolliert und der größte Importeur der Droge nach Europa ist. In den Niederlanden, in Deutschland, der Schweiz und Österreich wäscht die ‘Ndrangheta bevorzugt ihre Erlöse aus dem Kokainhandel. Dazu benötigt sie Firmen mit legaler Fassade.
Längst ist die ‘Ndrangheta mächtiger als die Camorra aus Neapel und die Cosa Nostra aus Sizilien – dank ihrer Kontrolle über den Kokainhandel, einer straffen Organisation und einer starken internationalen Präsenz. Die Kronzeugin Maria G. hat kürzlich gegenüber CORRECTIV die brutalen Herrschaftsmethoden der ‘Ndrangheta in Kalabrien beschrieben.
Schwieriger Nachweis
Vincenzo Crupi stammt aus Siderno, einer kleinen Stadt in Kalabrien. Von dort kommen derart viele Mafiosi, dass eine Untergruppe der ‘Ndrangheta nach dieser Stadt benannt wurde. Man nennt sie das Siderno-Kartell. „Es ist in ganzen Welt präsent, vor allem aber in Kanada und den Niederlanden“, sagt Antonio de Bernardo, ein Antimafia-Staatsanwalt aus der süditalienischen Stadt Reggio Calabria. Er hat gegen den Crupi-Clan ermittelt. „Diese Gruppen haben für die ‘Ndrangheta die Strategie entwickelt, den Import und Export von legalen Gütern als Tarnung für Kokainhandel zu benutzen.“
Während die ‘Ndrangheta international denkt, hat die Strafverfolgung nach wie vor Mühe, Grenzen zu überschreiten. Das zeigte sich am Beispiel von Rocco Gasperoni, einem Pionier in Sachen Drogenhandel über die Niederlande. In Italien wurde Gasperoni 2007 in Abwesenheit zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Doch wegen bürokratischer Probleme und Pannen bei der Zusammenarbeit wurde Gasperoni erst im Mai 2016 in den Den Haag verhaftet. Bis zuletzt hatte er dort eine Pizzeria betrieben. Wann genau der inzwischen 74-Jährige seine kriminellen Aktivitäten tatsächlich aufgab, ist unklar.
In Italien ist bereits die Zugehörigkeit zur Mafia eine Straftat, die mit bis zu 20 Jahren Haft geahndet wird. In den Niederlanden, genau wie in Deutschland, müssen Staatsanwälte konkrete Straftaten nachweisen, ehe sie einen Mafiosi anklagen können. Auch das Vermögen der ‘Ndrangheta kann in Italien leichter konfisziert werden: wenn dort ein einfacher Angestellter plötzlich ein Vermögen in Millionenhöhe hat, muss er nachweisen, dass es aus legalen Quellen stammt. Diese Umkehr der Beweislast gibt es in Deutschland nicht: Hier müssen die Ermittler nachweisen, dass die Gelder illegal sind. Ein Nachweis, der oft schwer zu führen ist.
Keine Anklage in den Niederlanden
Auch in Sachen Strafverfolgung hinken die anderen europäischen Länder Italien hinterher. Im Zusammenhang des aktuellen Crupi-Prozesses ist in den Niederlanden kein Mafiosi vor Gericht gestellt worden. Eine Auswertung von Gerichtsakten durch CORRECTIV ergibt, dass in den Niederlanden kaum Beweise zusammengetragen wurden. Die Anklage stützt sich vor allem auf in Italien gesammelte Beweise. So gibt es keinerlei Informationen darüber, auf welchem Weg die Schmuggler das Kokain in die Niederlande brachten.
Auf Anfrage teilte das niederländische Justizministerium mit, man habe niemanden angeklagt, weil die Mafiosi in Italien wesentlich schärfer angeklagt werden können – wegen Mitgliedschaft in einer Mafia. Fast alle Verhafteten seien italienische Staatsbürger gewesen und in Italien verhaftet worden. „Deswegen wurden die Vorwürfe in den Niederlanden fallen gelassen.“
Doch die italienischen Anwälte der Angeklagten nutzten diesen Umstand, dass in den Niederlanden alle Ermittlungen eingestellt wurden als Argument in ihrer Verteidigung, wie einige von ihnen CORRECTIV sagten.
Das niederländische Justizministerium sagte in seiner Stellungnahme, die Niederlande seien dank einer stärkeren Kooperation mit italienischen Ermittlern kein Rückzugsraum mehr für die Mafia. Seit 2014 habe man zum Beispiel einen ständigen Verbindungsbeamten in Italien.
Lastwagen nach ganz Europa
Der Schlag gegen den Crupi-Clan hat offenbar nicht dazu geführt, dass der Blumengroßmarkt in Aalsmeer nun drogenfrei ist. „Die Mafia arbeitet immer noch in der Blumenauktion. Ohne Zweifel wird es neue Aktivitäten geben“, sagt Bart Weitjens, Eigentümer der Firma Agro Check. Er führt eine Liste mit den schwarzen Schafen der Blumenbranche in den Niederlanden und ist ein Kenner der italienischen Firmen. „Das Blumengeschäft ist einfach zu perfekt für sie. Sie können ihre Lastwagen nach ganz Europa schicken. Die Frage ist nur, ob die Crupis ins Geschäft zurückkommen oder jemand anderes das übernimmt.“
Bei unseren Recherchen in den Niederlanden sowie in Italien sind wir mehrfach auf Hinweise gestoßen, dass „die Familie“ aus Siderno in der Tat versucht, ihre Verbindungen in den Blumenhandel in den Niederlanden aufrechtzuerhalten: So reiste ein Bruder von Vincenzo Crupi nach Freilassung auf Kaution 2015 anschließend in die Niederlande, um in einer der dortigen Blumenfirmen der Crupis die Geschäftsunterlagen zu sichern. Das sagte einer der Angeklagten gegenüber Ermittlern aus.
Eine Wand aus Blumen
Kurz vor den Verhaftungen im Herbst 2015 verheiratete ein Bruder von Vincenzo Crupi seine Tochter an einen jungen Mann aus Siderno. Einige Monate nach der Hochzeit eröffnete der Bräutigam eine Blumenfirma in Siderno mit niederländischem Namen. Die Firma importiert laut ihrem Auftritt in sozialen Medien auch Blumen aus Aalsmeer.
Der Mann sagte CORRECTIV am Telefon, er habe keine Verbindung zum Geschäft der Crupis. Auf die Frage, ob er nach der Verhaftungswelle ins Blumengeschäft eingestiegen sei, damit die Crupis weiter eine Präsenz in der Branche habe, gab er an, schon früher in einer Blumenfirma gearbeitet zu haben.
Aus dem Handelsregistereintrag dieser Firma geht jedoch hervor, dass einer der Besitzer ein verurteilter Mafia-Boss aus der Region ist, während ihr Geschäftsführer offenbar in einer dortigen Mafiahochburg zu Hause ist. Auf seiner Facebook-Seite gibt er etwas anderes an: demnach ist er in den Niederlanden im Blumenhandel aktiv.
Diese Recherche ist eine Kooperation mit dem italienischen Zentrum für investigativen Journalismus IRPI und wurde durch den Journalisten-Fonds Flanders Connect Continents unterstützt.
Mitarbeit: Claudio Cordova in Reggio Calabria und Koen Voskuil in Rotterdam