Medien

ZDF und ARD: Wie ein „friedvoller Krieger“ den ÖRR lahmlegen will

Ein Internetportal orchestrierte 2024 Zehntausende Beschwerden gegen ZDF und ARD. Die Fäden laufen bei einem einzigen Unternehmer zusammen.

von Samira Frauwallner

CORRECTIV Recherche ÖRR
CORRECTIV-Recherche zeigt: Ein Internetportal orchestrierte 2024 Zehntausende Beschwerden gegen ZDF und ARD. Die Fäden laufen bei einem einzigen Unternehmer zusammen. Collage: CORRECTIV, Frauwallner / Fotos: Picture Alliance

Plötzlich explodierten die Zahlen: In der Mitte des Jahres 2024 verzeichneten ARD und ZDF eine Beschwerdeflut wie nie zuvor. CORRECTIV legt erstmalig Zahlen zu Programmbeschwerden bei den Sendeanstalten des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks (ÖRR) aus dem vergangenen Jahr offen. Das Ergebnis offenbart auffällige Trends:

Wie eine Sprecherin des ZDF mitteilte, sollen hier rund 17.000 Beschwerden eingegangen sein – innerhalb weniger Monate. Eine enorme Steigerung im Vergleich zu den Vorjahren:

Auch die ARD verzeichnete einen Rekord, teilte eine Sprecherin mit. Rund 31.000 Beschwerden seien seit Mitte 2024 bei der ARD-Zuschauerredaktion eingegangen. Dies deckt sich mit der Zahl, die CORRECTIV vonseiten eines Beschwerdeführers bekommen hat – doch dazu später mehr.

Die gezielte Flut an Beschwerden führte laut beiden Anstalten des ÖRR zu einem „extrem hohen Arbeitsaufkommen“. Die Folge: Wichtige Ressourcen würden so für diese massenhaft und häufig standardisierten Anliegen blockiert.

Dabei ist die Grundidee von Programmbeschwerden völlig legitim: Sie steht jedem Bürger und jeder Bürgerin zu, ist ein rechtsstaatlich geschütztes Mittel und kann Qualität sichern. Konkrete und differenzierte Kritik sei erwünscht, betont eine Sprecherin des ZDF: Fundierte Einwände könnten das Programm „verbessern“. 

Hinter der Flut steckt ein altbekannter Name

Doch genau das fehle bei der Mehrheit der Beschwerden aus dem Jahr 2024, so der ÖRR. Stattdessen deuten drei Merkmale auf eine gezielte Störung hin:

  1. Ein Großteil der insgesamt etwa 48.000 Beschwerden soll seit Mitte 2024 über eine einzige Plattform namens „Rundfunkalarm.de“ eingegangen sein. Entstanden ist diese im selben Jahr.
  2. Die Massenschreiben dieses Absenders ähneln einander laut beider Sprecherinnen bis ins Detail. Oft gehe es etwa um Vorwürfe mangelnder Ausgewogenheit, „Propaganda“ oder eine kritische Darstellung der Corona-Berichterstattung. (CORRECTIV hat exemplarisch eine Beschwerde eingesehen und diese vorliegen.)
  3. Viele der Eingaben würden keine Rückadresse außer einer Postanschrift enthalten – was Rückfragen oder Dialog per Mail praktisch unmöglich mache.

Es handelt sich also bei näherem Hinsehen um eine digital orchestrierte Kampagne. Und zwar aus dem Unternehmensnetzwerk eines Mannes, der in seiner Wortwahl häufig verschwörungsideologische Narrative wiedergibt: Markus Bönig. 

Schritt 1: Den ÖRR mit Beschwerden fluten

Der „friedvolle Krieger“, wie Bönig in einem Youtube-Portrait genannt wird, ist kein Unbekannter. Medien wie WELT, T-Online und Volksverpetzer berichteten in den letzten Jahren bereits über seine fragwürdigen Geschäfte:

Während der Corona-Pandemie vertrieb Bönig zum Beispiel „Impfbefreiungen“, Testzertifikate und „Hörtests“ gegen die Maskenpflicht. Heute ist er laut mehrerer Impressumsseiten Direktor von Plattformen wie „Rundfunkalarm“, „Beitragsblocker“ und „Kriegsdienstblocker“.

CORRECTIV kontaktierte Bönig. Dieser schickte unter anderem eine Excel-Tabelle mit Zahlen zu den Programmbeschwerden von „Rundfunkalarm“. Laut der Tabelle habe man im Zeitraum von Juni 2024 bis Mai 2025 beispielsweise 19.966 Beschwerden an ZDF geschickt.

An alle Redaktionen und Gemeinschaftsprogramme der ARD sollen rund 31.000 Beschwerden gegangen sein. Diese Zahl deckt sich mit jener der Sendersprecherin. Wenige Fehler machten nach Bönigs Auflistung übrigens die privaten Fernsehsender Kabel 1 (eine Beschwerde) und Sat 1 (neun Beschwerden). 

Diese Sender gehören zur ARD
Zur ARD gehören NDR, RBB, MDR, BR, SWR, SR, HR, WDR, Das Erste, ONE, ARD alpha und Tagesschau24. Zusätzlich gibt es sogenannte Kooperationsprogramme, die gemeinsam mit dem ZDF veranstaltet werden und von Bönigs Unternehmen ebenfalls Beschwerden bekamen: KiKA, phoenix, ARTE, 3sat.
Foto: Picture Alliance / Wolfgang Maria Weber

Bönig behauptet, der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe sich „in den vergangenen Jahren, mindestens seit der Corona-Zeit, vollständig von journalistischen Standards verabschiedet“. Der ÖRR agiere immer stärker als „einseitig ideologisch gefärbte Erziehungsanstalt im Staatsauftrag“. 

Der Unternehmer agiert übrigens aus Amsterdam heraus, mit seiner Stiftung „Stichting Rudulin“ sowie „Redcap B.V.“. Warum bekämpft er das deutsche System nicht in Deutschland? Bönig behauptet: Wer eine „von der Hauptmeinung abweichende Meinung“ vertritt, werde hierzulande unter anderem mit „Banken- und Zahlungsdienstleister-Kündigungen überzogen“. In Deutschland würden „kritisch kommunizierende“ Menschen „verfolgt und zensiert“. 

Gleichzeitig verbreitet Bönig seine Positionen über zahlreiche Videos, Interviews und Beiträge. Zuletzt neben Frauke Petry in einer Show, die auch von Verschwörungsideologen wie Ken Jebsen besucht wird.

Markus Bönig agiert gegen deutsche Systeme aus Amsterdam, mit Stiftung „Stichting Rudulin“ sowie „Redcap B.V.“ Foto: Azhar J/Unsplash

Schritt 2: Zahlung an den ÖRR einstellen – ein „Akt der christlichen Nächstenliebe“

Ein weiteres Tool aus Bönigs Unternehmensgeflecht ist der „Beitragsblocker“. Diese Plattform soll die Sendeanstalten finanziell treffen. Bürgerinnen werden animiert, ihre Zahlungen an den ÖRR einzustellen und ihn „rechtlich fundiert“ zu boykottieren. 

In einem Youtube-Interview behauptet Markus Bönig sogar ganz konkret: „[Die Zahlung] unbedingt einstellen“. „Beitragsblocker“ bedeute: „Hör auf zu zahlen“. Die Zahlung einzustellen sei dabei schon fast, behauptet Bönig weiter, ein „Akt der christlichen Nächstenliebe“ – beispielsweise zu den „Nachbarn“, die „alles glauben, was in der Tagesschau gesagt wird“. Zudem müsse man sie „aus der Angstspirale holen“. 

Wie schon zu Corona-Zeiten hat Bönig ein Geschäftsmodell erkannt. Nach einer einmaligen Gebühr von 55,08 Euro (rund dreimal so hoch wie der monatliche Rundfunkbeitrag) erhalten Nutzer den Service des „Beitragsblockers“, also unter anderem „anwaltlich erarbeitete Schreiben“. Eine fragwürdige Angelegenheit: Die Webseite suggeriert, dass die Kunden nach der Zahlung an „Beitragsblocker“ von der ÖRR-Gebühr befreit werden können.

Wir haben Bönig gefragt, wie hoch er selbst die Wahrscheinlichkeit bewertet, dass die rechtlichen Schreiben wirklich von den Gebühren befreien. Er hat keine konkrete Antwort zu Erfolgsaussichten.

Der Rundfunkbeitrag beträgt 18,36 Euro pro Monat pro Haushalt. Foto: Picture Alliance

Fest steht: Wer Bönigs Empfehlungen folgt, dem drohen Mahnbescheide, Vollstreckungen und Schulden. Davon zeugen enttäuschte Nutzer-Berichte auf Bewertungsplattformen wie „Trustpilot“: Einer schrieb dort etwa, „Beitragsblocker“ sei „Abzocke ohne Aussicht auf Erfolg.“ Er habe „alle Schritte bis zur Verwaltungsgerichtsklage“ veranlasst. Die Klage sei „in einem standardisierten Bescheid vom November 2024“ abgelehnt worden. Ein anderer Rezensent schreibt, er habe  „500 Euro berappen dürfen“.

Hilft dabei vielleicht die „Beitragsblocker“-Hotline? Der Service werde laut Bönig unter anderem mit der Gebühr finanziert und solle „ganz praktisch und individuell“ helfen. Doch bei mehrmaligen Anrufen – von frühmorgens bis 22 Uhr abends, an Werktagen sowie am Wochenende – bekam CORRECTIV keinen Menschen ans Ohr, sondern stets einen Anrufbeantworter. Und zwar von der „Freiheitskanzlei“ – dem Dachunternehmen aus Bönigs Firmenkosmos. Der ÖRR ist also nur eins von vielen Geschäftsmodellen des „friedvollen Kriegers“.

***
Redaktion: Anette Dowideit, Annika Joeres
Faktencheck: Finn Schoeneck