Missbrauch in der katholischen Kirche

Missbrauchsverfahren Traunstein: Anwälte fordern Umkehr der Beweislast

Im Schmerzensgeldprozess gegen das Erzbistum München und Freising fordern die Anwälte des Klägers Andreas Perr eine „Beweislastumkehr“. Am Mittwoch wird vor dem Landgericht verhandelt, welchen Schaden der klerikale Missbrauch an Perrs Lebensweg angerichtet hat.

von Marcus Bensmann

kurzmeldung

Kommt bei klerikalen Missbrauch vor Zivilgerichten die Beweislastumkehr? Genau das fordern die Anwälte des Missbrauchsopfers Andreas Perr in einem Schreiben an das Landgericht Traunstein, das CORRECTIV, BR und Zeit vorliegt, „der Fall der Beweislastumkehr“ sei in der Schmerzensgeldklage gegen das Erzbistum München und Freising gegeben. Mit diesem Antrag betreten die Anwälte Neuland. Nicht das Missbrauchsopfer Andreas Perr sei in der Beweispflicht für den Schaden infolge des klerikalen Missbrauchs, sondern das Erzbistum müsse zur Abwehr des Schmerzensgeldforderung beweisen, dass dem Kläger kein Schaden entstanden sei.  Die Umkehr der Beweislast kommt bisher nur bei Ärzten und groben Behandlungsfehlern vor Zivilgerichten zur Anwendung.

Am Mittwoch wird das Landgericht zum zweiten Mal über die Schmerzensgeldforderung von 300.000 Euro von Perr gegen das Erzbistum München und Freising verhandeln. Perr fordert zudem von Papst  Benedikt XVI. 50.000 Euro Schmerzensgeld. Die Anwaltskanzlei des verstorbenen Papstes konnte aber bisher keine Erben finden, wie sie in einem vorliegenden Schreiben an das Landgericht Traunstein Ende Dezember mitteilte. Solange bleibt das Verfahren abgetrennt.

Im ersten Verfahren im Juni stellte das Gericht fest, dass Perr als 12-Jähriger in der oberbayerischen Gemeinde Garching an der Alz missbraucht wurde und dass das Erzbistum und der verstorbene Papst Benedikt XVI. ihre Pflichten verletzt haben. 

Das Erzbistum bestreitet jedoch, über den entstandenen Schaden durch den Missbrauch informiert zu sein. Perr muss nun den Schaden nachweisen und ein vom Gericht bestellter Gutachter wird eine Bewertung abgeben. Die Kosten dafür trägt Perr, der bisher von der Initiative Sauerteig durch Crowdfunding unterstützt wurde. Eine „Beweislastumkehr“ würde das Erzbistum unter Druck setzen, den Schaden durch den Missbrauch nachzuweisen. Mit einer Entscheidung ist am Mittwoch nicht zu rechnen.

Klerikaler Missbrauch verstößt gegen die beruflichen Pflichten des Priesters

Die Anwälte betonen in ihrem Schreiben, dass Geistliche, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die seelische Gesundheit von Kindern gefährden, gegen ihre beruflichen und organisatorischen Pflichten verstoßen, ähnlich wie Ärzte.

Der Antrag auf Beweislastumkehr könnte weitreichende Bedeutung über den aktuellen Fall hinaus haben. Der ehemalige Richter des Oberlandesgerichts Köln, Lothar Jaeger, fordert schon lange eine solche Umkehr bei klerikalem Missbrauch. Andernfalls werden Kläger, wie im Fall Traunstein, in teure Verfahren gezwungen, wenn die Beklagten den vom Kläger angeführten Schaden bestreiten.

Das Erzbistum München und Freising überrascht mit seiner Verteidigungsstrategie. Seit dem Bekanntwerden des Skandals um den Priester H. im Jahr 2010 hat das Erzbistum mehrere Untersuchungen durchgeführt. Verantwortliche des Erzbistums trafen damals den drogenabhängigen Kläger und dokumentierten das Treffen. In einer E-Mail im März 2010 an den Münchner Generalstaatsanwalt schrieb der damalige Domdekan Lorenz Wolf, dass eine Entwöhnungskur in München keinen Erfolg gebracht habe und dass Perr aufgrund seiner damaligen Erfahrungen kein Vertrauen mehr zu Menschen habe.

Der Erzbischof von Köln, Rainer Maria Woelki, ging einen anderen Weg. Er erkannte den Schaden des klerikalen Missbrauchs in einem Verfahren in Köln an. Woelkis Erzbistum wurde im letzten Jahr zu 300.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt.