Missbrauchsopfer verkünden Erzbischof Georg Gänswein den Streit
Nach dem Tod des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. fiel dessen Privatsekretär Georg Gänswein im Vatikan in Ungnade. Vor der möglichen Ernennung als Botschafter des Papstes im Baltikum holt Gänswein die Vertuschung im klerikalen Missbrauch zur Verantwortung Benedikts XVI. für den Wiedereinsatz eines Missbrauchspriesters ein. In zwei Verfahren wird Gänswein nun in Deutschland „der Streit verkündet”.
Zwei juristische Verfahren zum Missbrauch in der katholischen Kirche könnten die Diskussion um die mögliche Ernennung des Erzbischofs Georg Gänswein als Botschafter des Heiligen Stuhls im Baltikum belasten. Zwei Opfer haben durch ihren Rechtsanwalt dem langjährigen Vertrauten und Privatsekretär des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. in ihren Klagen auf Schmerzensgeld den Streit verkündet.
„Der Streitverkündete Gänswein“ habe fest an der Seite des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. gestanden, „insbesondere auch als dieser selbst in die Spirale der Missbrauchstaten des Priesters H. geriet“, heißt es in einem Schriftsatz des Anwalts Andreas Schulz an das Landgericht Traunstein, das CORRECTIV und der Zeit vorliegt. Darin heißt es: „Gänswein war somit in die Vertuschungs- und Einschüchterungskampagne zum Schutz des Papstes Benedikt XVI. eingebunden.“ In Traunstein klagt Missbrauchsopfer Andreas Perr seit zwei Jahren gegen das Erzbistum München und Freising und die Erben des verstorbenen Papstes auf ein Schmerzensgeld von 350.000 Euro.
Zudem reichte Rechtsanwalt Schulz am Dienstag eine Amtshaftungsklage eines weiteren Opfers des Priesters gegen das Bistum Essen vor dem Landgericht Essen ein. Wilfried Fesselmann wurde von dem Priester missbraucht, als dieser in Essen eingesetzt war. Das Opfer fordert nun „ein angemessenes Schmerzensgeld“. In beiden vorliegenden Schriftsätzen schreibt Rechtsanwalt Schulz dem Papstvertrauten Gänswein die Rolle eines „Geheimdienstkoordinators“ bei einer „Vertuschung“ zu.
Was wusste Gänswein von einem von Ratzinger unterschriebenen Brief?
In Traunstein und in Essen geht es um den ehemaligen Priester Peter H. Dieser hatte in fast 40 Jahren Dienstzeit für die Kirche in mehreren Gemeinden mindestens 23 Jungen missbraucht, darunter die Kläger Andreas Perr und Wilfried Fesselmann. Die Frage um die Verantwortung des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. für den Wiedereinsatz von H. machte diesen Fall weltbekannt und spielt für beide Verfahren eine zentrale Rolle.
In unserer Doku auf YouTube gehen wir den Hintergründen der Klage und der Verantwortung des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. nach. Auch zum Nachlesen.
Dahinter steht ein Dokument aus dem Vatikan, das bis zur Recherche von CORRECTIV im Februar 2023 unter Verschluss blieb. Mit diesem Schriftsatz konnte das Erzbistum München und Freising den Priester H. wieder in Gemeinden einsetzen, nachdem er 1986 vom Amtsgericht Ebersberg wegen Kindesmissbrauch verurteilt wurde. Weil die Taten häufig unter Alkoholeinfluss geschahen, erlaubte die Glaubenskongregation in Rom dem Priester, Messen zukünftig mit Traubensaft statt Wein zu feiern. Unterschrieben wurde diese Traubensaft-Erlaubnis persönlich vom Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, später Papst Benedikt.
Schadensvertiefung durch Vertuschung und Einschüchterung
Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung war Gänswein zwar noch nicht Ratzingers Privatsekretär. Rechtsanwalt Andreas Schulz ist jedoch davon überzeugt, dass es gezielte Strategien durch das Erzbistum München und Freising gab, um das Schriftstück und damit die Verbindung zum deutschen Papst geheimzuhalten — und Gänswein, als engster Mitarbeiter Ratzingers, vom Bistum dazu informiert wurde. Auf Anfrage von CORRECTIV will sich Gänswein dazu nicht äußern.
Der Klägeranwalt Schulz geht davon aus, dass diese Vertuschung zur „Schadensvertiefung“, also einer Verstärkung des Traumas, sowohl bei Andreas Perr als auch Wilfried Fesselmann beigetragen habe und sieht dabei auch Gänswein in Verantwortung.