Zwei Angelfreunde und die AfD
Unser Reporter Raphael Thelen reist durch MeckPomm vor der Landtagswahl: In Godendorf waren zwei Männer mal im selben Angelverein. Heute bekämpfen sie sich scharf, denn der eine ist Bürgermeister, der andere AfD-Vorsitzender, der überall roten Parteifilz sieht. Der Bürgermeister sagt. „Der Riss im Dorf verläuft zwischen jenen, die in der DDR gut gestellt waren und jenen, die unter dem System litten.“
Diese Serie erscheint parallel auf Zeit Online.
Die Schlaglöcher der Landstraße nach Godendorf zerren am Lenkrad und jeder Ruck scheint unsere MeckPomm-Vorurteile zu bestätigen. Die Alternative für Deutschland (AfD) errang hier bei den Wahlen zur Gemeindevertretung 2014 ihr bestes Ergebnis in ganz Mecklenburg-Vorpommern und wir denken: Die Dorfbewohner kämpfen bestimmt um Jobs, die Häuser verfallen, die Jugend zieht weg.
An einem solchen Ort sollten wir herausfinden können, warum die AfD bei den Landtagswahlen am in drei Wochen, am 4. September, zur stärksten Partei in Mecklenburg-Vorpommern werden könnte. Es ist der erste Stopp unserer 30-tägigen Reise durch das Bundesland #rechtsoben und wir wollen wissen: Was finden die Menschen an der AfD so anziehend? Und was bedeutet das für Deutschland? Eben las ich noch: Kurz vor Weihnachten schleuderten Unbekannte in Godendorf einen Brandsatz auf die örtliche Flüchtlingsunterkunft.
Doch sobald wir das gelbe Ortsschild passieren, gleitet unser Auto über eine frisch geteerte Dorfstraße, die zwischen zwei glitzernden Seen hindurch, vorbei an weiß gestrichenen Häuser und gemähte Wiesen, in den Ort führt.
Godendorf, warum?
Dass der Bürgermeister rechts am See wohnt und sein Widersacher auf der anderen Straßenseite, am See gegenüber, wissen wir bis jetzt genauso wenig, wie dass der Erfolg der örtlichen AfD viel mit diesen beiden Männern, den Seen und der DDR-Vergangenheit des Orts zu tun hat.
Der parteilose Bürgermeister Norbert Blaack sitzt in Polohemd und Schiebermütze im Gemeindehaus und erzählt: 236 Menschen leben in Godendorf, Straßen, Bürgersteige, LED-Laternen – alles neu, die Gemeindekasse ist trotzdem mit ungefähr 900.000 Euro im Plus, in die umliegenden Häuser ziehen junge Familien ein und alle Ferienwohnungen sind ausgebucht.
Schwäbische Verhältnisse
Solche Zustände erlebte ich in einem Jahr im schwäbischen Reutlingen, aber las davon nichts in meiner Vorbereitungslektüre über Mecklenburg-Vorpommern. Da wimmelte es von Geschichten über Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Depression. Warum also, Herr Blaack, bekam die AfD hier 34 Prozent?
„Der Riss im Dorf verläuft zwischen jenen, die in der DDR gut gestellt waren und jenen, die unter dem System litten“, sagt der 56-Jährige. „Ich kann nicht sagen, dass es mir schlecht ging.“
Blaack war zu unangepasst, um im Kontrollstaat DDR Karriere zu machen, aber im Geben und Nehmen der Mangelwirtschaft kam er gut zurecht. Als einer von zwei Aluminiumschweißern im nahegelegenen Kombinat, konnte er von jedem auf einen Gefallen hoffen, der eine schnelle Schweißnaht brauchte.
„Mein Kollege war Trinker, der wollte nur den Schnaps. Das Obst und die Broiler aus der nahegelegenen Zucht bekam ich“, sagt Blaack, der auch im Kapitalismus seinen Dreh hat, um durchzukommen: einen Zwölfstunden-Job als Flaschensortierer im Supermarkt, für die gesetzliche Krankenversicherung, freiberufliche Wasseranalysen fürs Geld und Bürgermeister für… ja, für was eigentlich? „Irgendwer muss es ja machen“, sagt Blaack.
Das Erbe der DDR wirkt nach
Aber in einem kleinen Dorf wie Godendorf, ist das Politische auch immer privat und in einem Landstrich, der von der Schönheit seiner Seen lebt, sind sie es auch. Zumindest wenn man Peter Hintze fragt. Den Mann auf der anderen Seite der Straße.
Der 60-Jährige mit Schnurrbart und grimmigem Blick verweigerte sich dem System der DDR, die Roten waren ihm zuwider. Heute ist er Chef der örtlichen AfD und der Machtkampf zwischen ihm und Blaack, der letztlich die AfD ins Dorf brachte, begann mit mehreren Propangas-Flaschen. Roten Propangas-Flaschen.
Ein Streit unter Männern
Hintze war Gründer des örtlichen Angelvereins, Blaack Mitglied. Vor ein paar Jahren wollte Hintze die Propangasflaschen als Bojen im See versenken, um Fanggebiete zu markieren. Blaack widerstrebte so viel Reglement, es kam zum Streit, Hintze setzte sich durch, Blaack – noch nicht Bürgermeister – verließ den Verein. Es war der erste Bruch.
Vor vier oder fünf Jahren, genau erinnert sich keiner, stand dann der See rechts der Dorfstraße zum Verkauf. Der See vor dem Haus von Blaack, der mittlerweile das Dorf regierte. Ein Privatmann wollte verkaufen, die Gemeinde genoss Vorkaufsrecht und Blaack schlug zu. „Damit wieder jeder den See nutzen kann“, sagt er.
Auch der See auf der linken Seite der Straße, der See vor Hintzes Haus, gehört der Gemeinde. Hintzes Angelverein pachtete den See 13 Jahre lang, bis Bürgermeister Blaack die Pacht ungefähr zur Zeit des Verkaufs nicht verlängerte. Hintze angelt seitdem in einem weiter entfernten See, sein Angelverein verlor ein Drittel der Mitglieder. Die Gemeinde verkauft seitdem die Angelkarten. „Um den Kaufpreis wieder reinzuholen“, wie Blaack sagt.
Jedem seine Sicht auf die Dinge
Und dann war da die Sache mit dem Parkplatz vor Hintze Restaurant, die mit dem Fischbesatz in den Seen und der Rasenpflege entlang der Straßen – alles kleine Streits in der Gemeinde, über die jeder seine Meinung kundtut, von denen keiner mehr genau weiß, wie sie anfingen und abliefen und die trotzdem die Fronten verhärten ließen.
Hintze, der sich gegen die DDR-Führung stellte, sieht sich bis heute vom System benachteiligt. Viele SED-Politiker hätten sich rüber gerettet, würden unter anderem die Kreisverwaltung beherrschen.
Ein Dorf, viele Beziehungen
Bürgermeister Blaack gehört keiner Partei an, sein Schwiegervater trat jedoch 1959 als überzeugter Antifaschist und Pazifist in die SED ein, brachte es zum Kombinatsdirektor und führte nach der Wende die Geschäfte der Links-Partei in der Nachbarstadt Neustrelitz. Die beiden wohnen im selben Haus und wenn der Schwiegervater vom Kauf des Sees spricht, sagt er: „Wir haben den See gekauft.“
Jeden Nachmittag um 15 Uhr trinkt er Kaffee mit seinem Nachbar. Auch er ist alter Genosse, der Karriere in Betrieb und Partei machte und dessen Tochter seit zwei Jahren in der Gemeindevertretung sitzt. Bürgermeister Blaack hatte sie gefragt, ob sie kandidieren will. Bevor die AfD in der Gemeindevertretung saß, wurden alle Entscheidungen einstimmig gefällt.
Blaack hat viel für das Dorf getan. Und viele, die in der DDR politisch mitmischten, leben noch im Dorf. Wenn ich einen roten Politfilz sehen wollte, könnte ich ihn sehen.
Die AfD als Werkzeug
Hintze kandidierte unter der Fahne der AfD als Bürgermeister, druckte vom eigenen Geld Plakate, schrieb ein Programm, ging von Tür zu Tür und überzeugte sieben Freunde und Bekannte, mit ihm zu kandidieren. Und wo das Politische privat ist, wählen viele ihre Freunde und Bekannte.
Neben Hintze schaffte es Brigitte Wolf für die AfD in die Gemeindevertretung. Bis vor zwei Jahren arbeitete sie bei einem Discounter, als Rentnerin sucht sie neue Aufgaben. Sie sitzt mit Hintze und anderen Freunden oft im Garten und grillt. Ihr gefiel, was Hintze über sein Programm für das Dorf erzählte und sie hält nicht viel von der Politik der Bundeskanzlerin: „Merkel hat vieles richtig gemacht, aber ich bin kein Freund von den Ausländern.“
Fakten und Glaubenssätze
Hintze sieht den roten Politfilz, will ihn auskämmen und hat in der AfD ein Werkzeug gefunden. Die Stimmung im Land hilft ihm. Die Wahlbeteiligung im Dorf stieg um 17 Prozent auf 89,9 Prozent, die AfD holte ein Drittel der Stimmen. Blaack sagt, seit dem hätte sich eigentlich nichts verändert, immer noch werde fast alles einstimmig beschlossen. Hintze pocht auf Erfolge in der Grünpflege.
Hintze krempelt die örtlichen Verhältnisse um. Ist er zufrieden? „Als die die Briefwahl ausgezählt haben, haben die Stimmen verschwinden lassen“, sagt er und steigert sich noch weiter rein: „Die Wahlbeteiligung soll 98,9 Prozent gewesen sein, wie damals unter Honecker geht das hier zu. Fragen Sie ruhig mal im Amt in Neustrelitz nach, dann werden Sie schon sehen.“
Ich habe nachgefragt. Die Wahlbeteiligung war 89,9 Prozent. Aber wenn das Politische privat wird, überdecken Glaubenssätze manchmal die nackten Zahlen.
Die Recherche in Kooperation mit „Zeitenspiegel Reportagen“ wurde von Raphael Thelen über die Plattform crowdfunding.CORRECTIV finanziert. Wir bedanken uns bei der Rudolf Augstein Stiftung und mehr als 100 Einzelspendern für die Unterstützung. Sofern die Spender einer Namensnennung zugestimmt haben, werden sie hier aufgeführt:
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