Neue Rechte

Warum CORRECTIV ein „Schwarzbuch AfD“ veröffentlicht

Wir finden, es reicht langsam. Es reicht, dass viele Medien fortwährend über das Stöckchen springen, das die AfD ihnen hinhält und über deren gezielte Provokationen berichten. Wir wollen selbst bestimmen, was wir über die AfD berichten und wann. Deshalb dieses „Schwarzbuch AfD“. Es beschreibt Dinge, die die AfD lieber nicht über sich lesen will: Die Verbindungen einiger ihrer Protagonisten ins rechtsextreme Milieu, die dubiose Finanzierung der Partei, die unsozialen Punkte ihres Parteiprogramms, die Intrigen ihrer Führungsfiguren.

von Markus Grill

Donald Trump und die AfD haben zumindest eine Gemeinsamkeit: Die Lust an der gezielten Provokation. Trump hat, bevor er Präsident wurde, seinen Wahlkampf damit bestritten, Dinge zu behaupten, die die liberale Öffentlichkeit regelmäßig in Wallung brachte: Dass Mexikaner Vergewaltiger seien. Dass Folter nützlich sei. Dass der Klimawandel ein Hirngespinst und Hillary Clinton bei ihren Fernsehdebatten gedopt gewesen sei. Dank dieses Verbalradikalismus war er ständig in den Medien und musste kaum Geld für klassische Wahlwerbung ausgeben.

Hierzulande sucht die Alternative für Deutschland (AfD) auf ähnliche Weise ihren Erfolg. Das verrät beispielhaft eine interne Email, die AfD-Vorstandsmitglied Beatrix von Storch an Albrecht Glaser schreibt und die CORRECTIV vorliegt. Glaser ist jener AfD-Politiker, der im Februar 2017 für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert. Ein Jahr zuvor, am 18. Februar 2016 um 16:05 Uhr, schreibt von Storch an ihn:

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„Die Presse wird sich auf unsere Ablehnung des politischen Islam stürzen wie auf kein zweites Thema des Programms (…) Daher müssen wir das Thema Islam mit einem Knall öffentlich machen! Wenn wir das – noch dazu in unverbindlicher Fragemanier – vorweg nehmen, machen wir einen kommunikativen Fehler und berauben uns umfangreicher Berichterstattung.“

Wie Recht sie hat, zeigt sich drei Monate später. Die AfD verkündet auf ihrem Stuttgarter Parteitag im Mai 2016 ihren Anti-Islam-Kurs. Die Strategie geht auf: Zeitungen und Fernsehsender springen empört auf das Thema an und berichten ausführlich darüber, dass die AfD Minarette, den Muezzin-Ruf und jegliche Vollverschleierung verbieten will.

„Provokationsgewinne“

Nach Ansicht des Soziologen Wilhelm Heitmeyer verfolgen Rechtspopulisten im Umgang mit den Medien einen Plan. Heitmeyer sagt, Parteien wie die AfD suchen „Provokationsgewinne“. Er meint damit:  „Die populistischen Mobilisierungsexperten achten sorgsam darauf, dass nicht ,mehr vom Gleichen‘ geboten wird. Denn darauf reagieren die Medien in der Regel nicht mehr. Stattdessen wird eine zunehmende sprachliche Aggression geboten, die später – von welchen Akteuren auch immer – eingelöst werden muss, um nicht als ,Maulhelden‘ dazustehen.“

Noch zehrt die Partei vom Image ihrer Gründer: von ein paar verschrobenen, aber harmlosen Wirtschaftsprofessoren, die den Euro abschaffen und die D-Mark wieder haben wollen. Für diese Gründer steht in den Augen vieler auch noch Professor Dr. Jörg Meuthen, der im Stuttgarter Landtag sitzt und neben Frauke Petry einer der beiden Bundesvorsitzenden der AfD ist.

Verachtung der Demokratie

Aber diese Harmlosigkeit trügt. Auch Meuthen (parteiintern „Teddybär“ genannt) dreht immer schneller nach ganz rechts ab und zeigt erstaunlich viel Verständnis für den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der auch rechtsextreme Wähler anzieht.

Als Höcke am 17. Januar 2017 in Dresden seine berüchtigte Rede zur Erinnerungskultur hielt, empörten sich alle, dass er das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnete.

Viel mehr als dieses Zitat ist aber kaum bekannt. Dabei lohnt es sich, die Dresdner Rede ganz zu hören. Denn sie zeigt, dass die Bemerkung über das „Denkmal der Schande“ keine Übertreibung war, bei der ihm der Gaul durchgegangen ist, wie Höcke später glauben machen will. Sondern die Rede zeigt das ganze demokratie-verachtende Denken des Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Landtag von Thüringen. Höcke sagte unter dem tosenden Beifall seiner überwiegend jungen Anhänger:

Das „Regime“ Merkel

„Die alten Kräfte, also die Altparteien, auch die Gewerkschaften, vor allen Dingen auch die Amtskirchen und die immer schneller wachsende Sozialindustrie, die an dieser perversen Politik auch noch prächtig verdient; diese alten Kräfte, die ich gerade genannt habe, sie lösen unser liebes deutsches Vaterland auf wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl. Aber wir, liebe Freunde, wir Patrioten werden diesen Wasserstrahl jetzt zudrehen, wir werden uns unser Deutschland Stück für Stück zurückholen.“

Höcke nannte die gewählten Politiker des Landes an diesem Abend „erbärmliche Apparatschiks“, die Regierung Merkel ein „Regime“, gestützt nur noch von angeblich „verbrauchten Alteliten“. Höckes Reden, so schreibt Historiker Götz Aly, „beinhalten Angebote an jene Rechtsradikalen, die Flüchtlingsheime anstecken und offen zur Gewalt aufrufen“.

Dabei vertritt Höcke weit mehr als nur eine kleine Minderheit innerhalb der AfD. Der brandenburgische AfD-Chef Alexander Gauland sagte über Höckes Dresdner Rede: „Er hat nichts gesagt, wofür er sich schämen müsste“, und auch AfD-Bundesvorsitzender Meuthen bezeichnete Höcke und dessen Anhänger als „integralen Bestandteil der Partei“. Seine innerparteilichen Gegner haben nach der Dresdner Rede zwar Höckes Parteiaustritt gefordert. Er aber gibt sich gelassen. In einem Interview mit dem „Spiegel“ sagte er: „Die Juristen, die mich beraten, sagen mir: Der Versuch, mich auszuschließen, ist chancenlos.“

Ausfransen in den Rechtsextremismus

Allein diese Rede und die Reaktionen darauf zeigen das wahre Gesicht der „Alternative für Deutschland“. Sie hat sich längst von einer harmlosen Professorenpartei zu einer rechtsradikalen Sammlungsbewegung verändert, die keine Scheu vor einem Ausfransen in den Rechtsextremismus hat (man lese dazu nur die Kapitel über Höcke, Poggenburg, Frohnmaier, über Pegida, die Reichsbürger und die Identitären in diesem Buch).

Das „Schwarzbuch AfD“ soll Lesern die Augen öffnen, die hinter die biedere Fassade dieser Partei blicken wollen. Es soll gerade in diesem Wahljahr 2017 auch jedem klar machen, wie gefährlich die „Alternative für Deutschland“ tatsächlich ist, gerade auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Ihre rückwärtsgewandte Politik und die Verklärung früherer Zeiten bedrohen nicht nur unseren Wohlstand, sondern markieren auch eine Abkehr von der liberalen Demokratie und den Werten des Westens, mit denen Deutschland seit 1945 so erstaunlich gut gefahren ist.

Leserinnen und Lesern dieses „Schwarzbuchs“ wird klar, in welche Richtung sich unser Land verändern wird, sollten Vertreter dieser Partei tatsächlich einmal an die Regierung kommen und ihre kaum verhüllten rassistischen, antisemitischen und rechtsradikalen Vorstellungen in die Tat umsetzen.