AfD-Spendenskandal

Schweizer Plakatgeheimnis

EXKLUSIV: Eine Schweizer PR-Agentur hat dem AfD-Landtagskandidaten in NRW Guido Reil Wahlplakate bezahlt, ohne den Geldgeber zu nennen. Der AfD-Politiker behauptet, die Parteigremien über das Angebot aus der Schweiz informiert zu haben. Das nährt den Verdacht der verdeckten Parteienfinanzierung.

von Marcus Bensmann , Justus von Daniels

AfD-Mann Guido Reil als Zugpferd im NRW Wahlkampf: Neben der AfD finanzierte auch die Schweizer Goal AG Plakate mit Wissen der Partei.

AfD-Mann Guido Reil als Zugpferd im NRW Wahlkampf: Neben der AfD finanzierte auch die Schweizer Goal AG Plakate mit Wissen der Partei.© Collage von Ivo Mayr / Correctiv

Diese Recherche erscheint auch in der Schweizer Wochenzeitung WOZ.


Update 25.06.19: Die Staatsanwaltschaft Essen durchsuchte nun die Räume der AfD-Landeszentrale in Düsseldorf. Der Anlass dafür war diese Recherche über dubiose Wahlkampfspenden an den AfD-Kandidaten Guido Reil. Die Beamten, die morgens in zivilen Einsatzwagen vorfuhren, haben laut der Sprecherin der Staatsanwaltschaft „Daten von Festplatten kopiert und schriftliche Unterlagen mitgenommen“. Die Ermittler wollen prüfen, „wie der Rechenschaftsbericht erstellt ist“ und wer daran beteiligt war. Die Bundestagsverwaltung hatte aufgrund der Recherchen von CORRECTIV und Frontal21 zu Reil und dem AfD-Chef Jörg Meuthen im März eine fünfstellige Strafzahlung gegen die AfD verhängt. Nun folgt die strafrechtliche Prüfung in Bezug auf die Spenden in NRW.

Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vor zwei Monaten rechnete die AfD mit einem zweistelligen Ergebnis. Am Ende kam sie gerade mal auf 7,4 Prozent.

In einigen Wahlkreisen im Ruhrgebiet schnitt die Partei aber erstaunlich gut ab. Das lag vor allem an Guido Reil, den Bergmann und ehemaligen Ratsherr der SPD in Essen.

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Der AfD-Politiker Guido Reil in Essen

Marcus Bensmann / Correctiv

2016 wechselte Reil von den Sozialdemokraten zur AfD, saß in Talkshows wie „Hart aber fair“ und wurde schnell zu einer prominenten Figur bei den Rechtspopulisten. Die AfD im bevölkerungsreichsten Bundesland setzte auf Reil als Werbefigur und machte ihn zum Steiger von der AfD. Ein Steiger ist eine zentrale Aufsichtsperson im Bergbau.

Das Zugpferd

Die Partei zielte damit vor allem auf unzufriedene bisherige SPD-Wähler im Ruhrgebiet. Reil kandidierte im Wahlkreis Essen I- Mühlheim II. Und er holte dort 13,1 Prozent der Stimmen, in seinem Viertel Karnap kam Reil sogar auf mehr als 20 Prozent.

Reil war vor der Wahl fast allgegenwärtig. An die hundertfünfzig Plakatwände mit seinem Gesicht hingen in Reils Wahlkreis und in den umliegenden Ruhrgebietsstädten. Mit zwei verschiedenen Motiven. Von zwei verschiedenen Auftraggebern.

Das erste zeigt ihn mit Helm, Grubenlampe und Russ-geschminktem Gesicht. Dazu der Slogan: „Im Herzen Sozi. Deshalb bei der AfD. Glück auf, mein NRW“. Unten rechts das Logo der AfD und der Hinweis auf den Landesverband. Nach internen Informationen sollen davon allein auf Flächen des Werbeunternehmens Ströer an die 100 Plakatflächen gebucht worden sein, nach Beobachtung von Reil vor allem außerhalb des Wahlkreises.

Der zweite Reil

Ein zweites Plakat zeigte Reil in Outdoor-Jacke mit dem Spruch: „Wirklich einer von uns!“ Unten rechts das Logo der AfD – und kein Hinweis auf den Landesverband. Dieses Plakat hing in Reils Wahlkreis in Essen. Drei Dutzend von diesem Motiv sollen in Essen auf Flächen der Plakatfirma Ströer gehangen haben, hinzu kamen Aufsteller anderer Anbieter.

Ströer gebe „grundsätzlich keine Auskunft zu Aufträgen oder Daten von Kunden“, sagt deren Sprecher, und für die Wahlplakate seien ausschließlich die dort angegebenen Parteien selbst verantwortlich.

Die Menge an Plakaten hat viele überrascht. Woher kam das Geld dafür?

Anonymer Auftraggeber

Es kam nach Recherchen von CORRECTIV auch aus der Schweiz von der Goal AG, einer PR-Agentur aus Zürich, die schon oft in Verbindung mit anonymen Spenden für die AfD gebracht wurde. Vieles deutet darauf hin, dass die AfD damit eine illegale Parteispende angenommen haben könnte.

Einen Monat vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen – so bestätigt es Guido Reil in einem Gespräch mit CORRECTIV in Essen – erhielt er einen Anruf von einer Mitarbeiterin der Goal AG. Reil vermutet nach dem Anruf zuerst einen Scherz der Satirezeitschrift „Titanic“. Die Mitarbeiterin der Agentur erklärte, man wolle seinen Wahlkampf unterstützen und Großplakate mit seinem Konterfei im Wahlkreis aufstellen. Ohne Kosten für Reil. Wer das bezahlt hat, wer die Auftraggeber waren, wollte die Agentur Reil nicht sagen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Schweizer Goal AG der AfD unter die Arme greift. Bei mindestens fünf Landtagswahlen sponsorte ein „Verein für Recht und Freiheit“ Plakate und verteilte Gratiszeitungen, die zur Wahl der AfD aufriefen. Auch für den am Mittwoch erschienenen „Deutschland-Kurier“ zeichnet der Verein verantwortlich. Die Goal AG verwaltet diesen Verein. Die Geldgeber dieses Vereins blieben bisher im Dunkeln. Die Verantwortlichen in der AfD zuckten immer mit den Schultern. Die Werbeaktionen seien ohne ihr Wissen und Mitwirkung passiert.

Eine Strohmannspende?

Das ist auch der entscheidende Punkt bei der Frage, ob solche Aktionen gegen das Parteiengesetz verstoßen oder nicht. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder eine Partei nimmt offiziell eine Spende an, dann muss sie auch Summe und Namen des Spenders offenlegen. Will ein Spender dagegen anonym bleiben, geht das nur, wenn er komplett in eigener Verantwortung handelt. Wenn er also etwa eine Anzeige schaltet und es dabei nicht die kleinste Absprache mit der Partei gibt. Sobald es eine solche Absprache gibt – und sei es, wie ein Plakat gestaltet oder wo es aufgehängt wird – verstößt die Partei bei anonymen Spenden gegen das Parteiengesetz. Es wäre eine illegale „Strohmannspende“, die strafbar ist.

Erlaubt wäre es allenfalls, wenn ein anonymer Spender einen einzelnen Kandidaten unterstützt, ohne dass die Partei eingebunden ist. „Ein schwarzes Loch der Parteienfinanzierung“, nennt das die Juraprofessorin und Parteienexpertin Sophie Schönberger von der Universität Konstanz.

Weit über 40 Plakate von der Goal AG hingen im Wahlkreis des AfD-Politikers. Reil zeigt bei dem Gespräch mit CORRECTIV auf seinem Smartphone das Plakat von der Goal AG, das an einer Werbetafel im Essener Norden hing.

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Der AfD-Politiker Guido Reil zeigt auf dem Smartphone das Plakat von der Goal AG in seinem Wahlkreis.

Marcus Bensmann / Correctiv

Die Partei ist informiert

Reil räumt im Gespräch mit CORRECTIV ein, dass er nach dem Anruf von der Goal AG mit seinem Landesvorstand Rücksprache hielt. „Ich frag vorher, so bin ich gestrickt“, sagt der AfD-Mann auf die Frage, ob er die AfD über das Angebot der Goal AG informiert hätte. Demnach rief Reil den AfD-Wahlkampfkoordinator Andreas Keith an, der auch Mitglied des Landesvorstandes ist. Keith habe ihm gesagt, das Angebot der Goal AG sei unproblematisch. Um ganz sicher zu gehen, habe Reil auch den Vorsitzenden seines Essener Kreisverbandes angerufen, Stefan Keuter. Er habe Reil gesagt, er sei nicht der einzige, der so ein Angebot der Schweizer PR-Firma erhalten habe. Auf Nachfrage sagt Keuter dagegen: „Eine Goal AG ist mir nicht bekannt.“

Reil schickte nach den Rückfragen in die Partei ein Foto von sich zur Goal AG und unterschrieb eine „Freistellungserklärung“.

Kurze Zeit später hingen die Plakate der Goal AG in Essen. Reil schätzt, dass die Kampagne „um die 50.000 Euro“ gekostet habe.

Die Goal AG, aber auch der AfD-Politiker Keith, haben sich auf Nachfrage bis Redaktionsschluss nicht zu den Vorgängen geäußert.

„AfD macht sich Spende zu eigen“

Parteienexpertin Schönberger sieht genügend Indizien für eine Parteispende, wenn Reil mit der Partei gesprochen hat. „Wenn der Vorstand, selbst auf Bezirksebene sagt: ,Wir wissen davon und finden das in Ordnung‘, macht sich die Partei die Spende zu eigen. Vor allem, wenn es sich um ein Wahlplakat mit AfD-Logo handelt.“

Der Parteienforscher Martin Morlok von der Universität Düsseldorf ist etwa zurückhaltender: „Man könnte an eine Art Duldungsvollmacht denken: Die Partei weiß von der Aktion und unterstützt den Kandidaten passiv.“ Sollte es eine Koordinierung geben, wie die Plakate gehängt werden, damit sie sich nicht überschneiden, spräche das für eine Parteispende, sagt Morlok. Und fordert: „Wer sich finanziell an Wahlkämpfen beteiligt, sollte auch öffentlich genannt werden müssen“. Damit wären anonyme Spenden im Wahlkampf – egal an welche Partei – nicht mehr möglich.

Sollte die Bundestagsverwaltung nach diesen Informationen tätig werden und ein Verfahren einleiten, um festzustellen, ob es sich um eine illegale Strohmannspende handelt, könnte das für die AfD böse Folgen haben. Am Ende eines Verfahrens wegen verdeckter Parteienfinanzierung könnten hohe Bußgelder stehen.

Für Reil hat sich der Einsatz übrigens nicht gelohnt. Der AfD-Steiger errang zwar einen Achtungserfolg, verpasste aber den Einzug in den Landtag. Trotz seiner Prominenz stand er zu weit hinten auf der Landesliste, um bei 7,4 Prozent ein Mandat zu erringen. Nun will er sein Glück erneut versuchen. Am vergangenen Wochenende wurde er als AfD-Direktkandidat in Essen für den Bundestag aufgestellt.

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