Höckes Sieg
Der Parteitag der AfD in Hannover hat die „Moderaten“ desavouiert. Die neuen Parteichefs Jörg Meuthen und Alexander Gauland dürften das Verfahren gegen ihren völkischen Parteifreund Björn Höcke kaum weitertreiben. Eine Analyse.
Der heimliche Sieger des AfD-Parteitags ist Björn Höcke. Auch wenn der Chef der AfD-Thüringen nicht für ein Amt kandidierte, drückte seine Gefolgschaft dem Parteitag in Hannover den Stempel auf. Den zuvor ausgehandelten Kompromiss, den rechtsradikalen und den sogenannten „moderaten“ Flügel der Partei in einer Doppelspitze zu vereinen, versenkten die Delegierten.
Mit Jörg Meuthen und Alexander Gauland führen jetzt zwei Anhänger Höckes die Partei. Beide pilgern jährlich zum Weihetreffen des völkischen Flügels unter Höcke zum Kyffhäuser, dem wilhelminischen Denkmal in Thüringen.
Die neue Führungsspitze wird Höcke nicht aus der Partei werfen. Das Parteiausschlussverfahren wird nach der ersten Instanz vor dem Schiedsgericht in Thüringen zu Ende sein und die dortigen Richter in Höckes Heimatverband werden kaum gegen das Idol der völkischen Bewegung entscheiden.
Der Bundesvorstand der AfD müsste danach in Revision gehen. Nach dem Parteitag tendiert die Wahrscheinlichkeit dafür gegen Null. Damit akzeptiert die AfD in ihren Reihen einen Politiker, dem die AfD nach eigener Einschätzung „eine übergroße Nähe zum Nationalsozialismus“ attestiert. So steht es in dem über 60-seitigen Parteiausschlussverfahren gegen Höcke, das der Bundesvorstand der AfD unter der damaligen Parteichefin Frauke Petry in Auftrag gegeben hat.
Vergeblicher Kompromiss
Dabei hatten die verschiedenen Flügel der Partei einen Kompromiss erarbeitet. Neben Meuthen sollte der „moderate“ Parteichef aus Berlin Georg Pazderski die AfD führen. Dafür soll Pazderski sogar bereit gewesen sein, auf die Führung der Bundesgeschäftsstelle in Berlin zu verzichten. „Moderat“ – das ist relativ in der AfD. Dieser Flügel betrachtet den Zuzug von Flüchtlingen als „illegal“ und wettert gegen den Islam. Die „Moderaten“ verzichten allerdings auf die Verherrlichung der Wehrmacht und auf Bezugnahmen zur Nazizeit.
Die Wahl von Meuthen als Höcke-Anhänger auf dem Bundesparteitag entsprach noch dem vorher ausgehandelten Kompromiss.
Doch dann betrat als Gegenkandidatin gegen den „moderaten“ AfD-Mann Georg Pazderski aus Berlin Doris von Sayn-Wittgenstein die Bühne. Die Parteichefin aus Schleswig-Holstein hatte bis dahin kaum einer auf dem Zettel. Dabei hätten Beobachter gewarnt sein können. Die fragwürdige Adlige – die Anwältin ist nicht blaublütig geboren – war erst im Winter 2016 in die Partei eingetreten und machte eine steile Karriere.
Sie rückte nach wenigen Monaten in den Landesvorstand von Schleswig-Holstein auf, kam dann in den Landtag und fegte mit einer Überraschungskandidatur im Sommer den damaligen Landeschef der AfD, Jörg Nobis, aus dem Sessel. Von Sayn-Wittgenstein gilt als Höcke-Verehrerin. Sie besuchte wie Meuthen und Gauland das Treffen am Kyffhäuser.
„Nicht unsere Gesellschaft“
Die AfD-Chefin von der Waterkant begeisterte mit einer völkischen und einer prorussischen Rede den Parteitag. „Die Deutschen sind in ihrer Geschichte immer stark gewesen, wenn sie einig waren“, rief sie den Delegierten zu. Dann forderte die AfD-Politikerin ein anderes System, eine Art nationale Revolution: „Das ist nicht unsere Gesellschaft, ich möchte nicht, dass wir in der sogenannten Gesellschaft ankommen“ und wurde mystisch, „wir sind ein spirituelles Volk“. Von Sayn-Wittgenstein verharmloste die vom Verfassungsschutz beobachtete rechtsradikale Bewegung der Identitären als Menschen, die „Volkstänze“ liebten.
Zudem forderte von Sayn-Wittgenstein eine Russlandpolitik nach „Bismarckscher Maxime“, und die AfD solle nur Koalitionen eingehen, „wenn die anderen darum betteln“.
Zuvor hatte Pazderski eine moderate Rede gehalten und die AfD darauf einschwören wollen, koalitionsfähig zu werden. Wegen seiner prowestlichen Haltung wurde der ehemalige Nato-Offizier angegriffen.
Die völkische Rede der AfD-Politikerin zertrümmerte den Kompromiss. Bei zwei Wahlgängen konnte sich der moderate Offizier nicht gegen die völkische Adlige durchsetzen. Pazderski und das moderate Lager waren gedemütigt.
Gauland intervenierte und kandidierte für den zweiten Chefposten, von Sayn-Wittgenstein und Pazderski zogen zurück. Bei den Verhandlungen in der Pause soll direkt Höcke involviert gewesen sein.
Der entscheidende Unterschied
Im neuen Vorstand halten sich die völkischen und die „moderaten Kräfte“ numerisch zwar die Waage. Die sogenannten Moderaten in der AfD werden auch von Überfremdungs- und Islamisierungsängsten getrieben. Der Unterschied ist die Position zu Höcke. Ursprüngliche Befürworter des Parteiausschlussverfahren sind sieben Parteifunktionäre, darunter Beatrix von Storch, Alice Weidel, Pazderski oder Albrecht Glaser. Dagegen stehen neben den beiden Vorsitzenden noch drei Höcke-Freunde, so zum Beispiel de Flügelanhänger Andreas Kalbitz aus Brandenburg. Auch Stephan Protschka aus Bayern hat mit Höcke Wahlkampf gemacht.
Der bekannte Höcke-Freund Andre Poggenburg aus Sachsen-Anhalt scheiterte zwar, aber der Flügel hat das Rückrat der „Moderaten“ gebrochen. Deren Repräsentanten im Bundesvorstand werden nach dem Parteitag kaum das Parteiausschlussverfahren in die Revision zwingen, schon gar nicht gegen den Willen der Parteichefs Gauland und Meuthen. Der Parteitag hat gezeigt, dass die Basis das nicht will.
Aus dem NRW-Landesverband schafften es Guido Reil und Kay Gottschalk in den Vorstand. Gottschalk war mal Anhänger von Petry. Deren Ehemann Marcus Pretzell hatte den in Hamburg gescheiterten Gottschalk nach NRW geholt. Aber nach Petrys und Pretzells Austritt schwor dieser Gauland die Treue. Der Bundestagsabgeordnete wurde vor dem Parteitag in Hannover von Gegendemonstranten angegriffen. Er musste sich die Hand verbinden lassen. Als sichtbares Opfer der Antifa wurde Gottschalk mit überwiegender Mehrheit in den Vorstand gewählt.
Höcke kann sich zurücklehnen
Der ehemalige Sozialdemokrat Reil war 2016 der AfD beigetreten und hat mit der Unterstützung der Schweizer Goal AG den Landtagswahlkampf bestritten.
Im Bundestagswahlkampf war er Direktkandidat in Essen. Reil hat in den Arbeiterhochburgen zweistellige Ergebnisse für die AfD erzielt.
Reil war früher ein Anhänger der ehemaligen Parteichefin Frauke Petry und ihrem Ehemann Marcus Pretzell. Im Wahlkampf in NRW verspottete Reil Höcke noch als „Geschichtslehrer“, mit dem die AfD nichts zu tun haben sollte.
Diese Position hat sich geändert. Reil sieht Übereinstimmungen mit der völkischen Sozialpolitik von Höcke und will den Politiker „mit Nähe zum Nationalsozialismus“ in der Partei halten. Der Steiger aus dem Ruhrgebiet bezeichnet sich selbst als „nationaler Sozialdemokrat“.
Die Rechten sind mit dem AfD-Steiger nicht glücklich, mit ihm drohe „die Proletarisierung des völkischen Lagers“, sagt der rechte AfD-Aktivist Thomas Matzke aus NRW.
Höcke kann sich nach dem Parteitag zurücklehnen. Das Parteiauschlussverfahren ist faktisch vom Tisch, die „Moderaten“ sind gedemütigt, die AfD ist eine Partei, die die „Nähe zum Nationalsozialismus“ nicht mehr schreckt. Er müsse nicht in den Vorstand gewählt werden, sagte Höcke im Vorfeld. Der Parteitag zeigte, dass er Recht hatte.