Landesparteitag NRW: Die „Moderaten“ in der AfD machen den Kotau vor dem rechten Flügel
Die AfD setzt ihren Weg nach Rechtsaußen weiter fort. Auf dem Landesparteitag in NRW griff ein Vertreter des sogenannten „moderaten“ Flügels zu einer rechtsradikalen Rede, um an die Vorstandsspitze gewählt zu werden.
Der Landesverband der AfD in Nordrhein-Westfalen hat auf seinem Parteitag in Kalkar je einen Vertreter des radikalen sowie einen des sogenannten „moderaten“ Flügels an die Spitze gewählt.
Bei der Besetzung des ersten Chefpostens scheiterte der Wunschkandidat von Marcus Pretzell, dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden und Landeschefs der AfD in Nordrhein-Westfalen. So verlor Jörg Schneider, Bundestagsabgeordnete aus NRW, gegen Thomas Röckemann. Röckemann sitzt im Landtag, wird vom „patriotischen Lager“ unterstützt und war langjähriger Gegner von Pretzell. Als zweites ging für die „Moderaten“ dann der Landtagsabgeordnete und frühere Pretzell-Vertraute Seifen in den Ring. „Unser zweiter Mann, wenn er auch durchfällt, dann kann der gemäßigte Flügel in NRW einpacken“, sagte ein Strippenzieher aus dem Pretzell-Lager vor dem Wahlgang. Es stand viel auf dem Spiel. Der AfD-Mann Helmut Seifen reagierte und setzte vor den Delegierten zu einer rechtsradikalen Verschwörungstheorie an.
„Schulz hat nun endlich die Katze aus dem Sack gelassen“, sagte der AfD-Mann über den SPD-Parteivorsitzenden Martin Schulz., „2025 ist Schluss mit unserem schönen Deutschland“. Der AfD-Politiker Seifen spielt damit auf die europapolitischen Pläne der Sozialdemokraten an, die europäische Integration zu vertiefen. Schulz hat vorgeschlagen, Europa in die „Vereinigten Staaten von Europa“ zu verwandeln.
AfD-Mann Seifen sagte vom Podium herab: „2025 ist dann endgültig zerstört, was zwei Kriege und ein tiefer moralischer Fall unseres Volkes nicht schaffen konnten.“ Der Satz des Landtagsabgeordneten geht im Applaus unter. Seifen fährt fort: „Sie setzen damit fort, was zwei Kriege nicht erreicht haben.“ Nämlich den Untergang Deutschlands. Nach dieser Weltsicht ist SPD-Chef Schulz schlimmer als Adolf Hitler. Seifen war wie Björn Höcke vor der politischen Karriere ebenfalls Geschichtslehrer. Gegen den AfD-Politiker aus Thüringen läuft ein Parteiauschlussverfahren wegen übergroßer „Nähe zum Nationalsozialismus“. Nach dem Rechtsruck in der Partei wird dieses im Sande verlaufen.
Seifen suggerierte mit seiner Rede, dass es eine Verschwörung gebe, Deutschland zu zerstören. Das ist das Gedankengut von Rechtsradikalen und Nazis. Und der Parteitag auf dem Gelände des ehemaligen stillen Brüters kochte. „Merkel und Schulz“ würden „das moralische und emotionale Fundament unserer Nation“ zerstören, sagte der angeblich „moderate“ Pretzellmann.
„Moderat“ ist relativ in der AfD. Dieser Flügel lehnt den Zuzug von Flüchtlingen ab, hetzt gegen den Islam. Anders als der radikalere, völkische Flügel verzichtet der so genannte „moderate“ Flügel jedoch in der Regel auf die Verherrlichung der Wehrmacht und auf Bezugnahmen zur Nazizeit.
Das „Ende der Nation“
Auf die Nachfrage von CORRECTIV, ob der frisch gewählte Co-Chef der AfD in NRW die sozialdemokratische Europapolitik schlimmer als die Terrorherrschaft der Nazis fände, besteht der frisch gewählte Helmut Seifen auf seiner Sichtweise. Die Europa-Pläne von Schulz bedeuteten die „Abgabe von Souveränitätsrechte“ und damit das „Ende der deutschen Nation“. Dies sei eben schlimmer als das Ergebnis der zwei Weltkriege.
Seifen: „Ich habe gesagt, die beiden Weltkriege haben Deutschland nicht zerstört, obwohl sie so fürchterlich waren und obwohl der zweite Weltkrieg von einem Verbrecher ausgeübt worden ist. Aber jetzt schafft Schulz das, was zwei Weltkriege nicht geschafft haben, wenn er fordert, dass Deutschland aufhören soll zu existieren und dass Deutschland hineingebracht werden soll in einen europäischen Superstaat. Das habe ich gesagt.“
Aus der Bundestagsfraktion der AfD heißt es, Seifen habe gewählt werden müssen, „egal wie“. Dessen tatsächliche Politik würde dann „eine andere“ sein, sagte ein Abgeordneter gegenüber CORRECTIV.
Nach dem Sieg von Röckemann fürchtete die ehemalige Pretzell-Mannschaft einen Durchmarsch des radikalen Flügels. Dann wäre das Tischtuch zwischen dem Landesverband und den Bundestagsabgeordneten aus NRW zerschnitten gewesen. Denn die meisten Abgeordneten in Berlin gehörten zur Seilschaft des nun in der AfD verdammten Pretzells an.
Überraschende Mehrheiten
Wäre es ihnen nicht gelungen, einen von ihnen in die Parteiführung zu drücken, hätte kaum einer der Bundestagsabgeordneten aus NRW die Chance gehabt, bei einer eventuellen Neuwahl wieder in den Bundestag zu ziehen. Es ging um die Wurst und die „Moderaten“ in der AfD griffen zur rechtsradikalen Klaviatur.
Der Parteitag in Kalkar hat die alten Pretzell-Seilschaften überrascht. Sie dachten, sie hätten die Mehrheit. Selbst das patriotische Lager hatte zuvor befürchtet, in Kalkar in der Minderheit zu sein.
Der frühere NRW-Parteichef Martin Renner gab ganz auf. Er trat nicht mehr an, angewidert von einer Partei von „politischen Abenteurern“, „Egomanen“ und „Füßescharrern“. Renner zieht sich als Bundestagsabgeordneter in die „innere Emigration“ zurück.