Die bewaffneten Rechtsextremen von nebenan
Rund 1.000 Rechtsextreme in Deutschland dürfen legal eine Waffe besitzen. Sie sind eine latente Gefahr für die Gesellschaft. CORRECTIV zeigt mit einer interaktiven Karte erstmals, in welchen Landkreisen sie leben.
Für Klaus P. leben wir alle in einer „Staatssimulation“. Er glaubt, dass die Bundesrepublik eine GmbH sei, ihre Ämter und die Polizei seien nicht legitimiert. All das schreibt er am 9. September 2017 in einer langen E-Mail an die Gemeinde Barsbüttel, die am nordöstlichen Rand von Hamburg liegt. Dann erklärt er, dass er im Alltag nun Waffen bei sich trage. P. schreibt dazu: „Menschen können nur auf zwei Arten von etwas überzeugt werden: Argumente oder Gewalt.“
Rund drei Wochen später stürmt das Spezialeinsatzkommando der Polizei (SEK) das Haus des damals 48-jährigen P., der eigentlich anders heißt. Die Beamten stellten laut Dokumenten, die CORRECTIV vorliegen, neben einem für den Schießsport üblichen Gewehr und einer Sportpistole auch einen Revolver der Marke „Smith & Wesson“ sicher.
Kurz vor der Durchsuchung hatte die Polizei P. seine waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen. Der Grund: Die Ausführungen in seiner E-Mail stünden in einer Linie mit der Reichsbürgerideologie und es bestehe die Gefahr der missbräuchlichen Verwendung von Waffen.
CORRECTIV zeigt erstmals, wie viele Rechtsextreme mit Waffenerlaubnis in deutschen Landkreisen leben
Im Fall von Klaus P. konnten die Sicherheitsbehörden die Gefahr abwenden. Wenn sich Reichsbürger und andere Rechtsextreme allerdings nicht bekennen und in dieser Form auf sich aufmerksam machen, ist das offensichtlich schwerer: Rund 1.000 Rechtsextreme dürfen in Deutschland aktuell Waffen besitzen – ganz legal.
Wer gilt als „rechtsextrem“?
Wie unsere Gesamtzahl zustande kommt
Bewaffnete Rechtsextreme sind eine reale Gefahr für die Gesellschaft. Das haben etwa die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke und der Anschlag in Hanau gezeigt. Fürchten müssen sich nach CORRECTIV-Recherchen nicht nur Bundespolitiker oder Menschen jüdischer oder muslimischer Abstammung: Im Fadenkreuz rechtsextremer Gruppen stehen längst auch Kommunalpolitiker und lokale Aktivistinnen aus Feminismus und Antifaschismus – oder Lehrer und Pfarrer, die sich gegen Rechts engagieren.
CORRECTIV zeigt mit einer interaktiven Karte deshalb jetzt erstmals, wo genau in Deutschland Rechtsextreme mit Waffenerlaubnis leben.
Um an die Daten zu kommen, fragten wir in allen Bundesländern die Innenministerien nach einer Aufschlüsselung der Zahlen mutmaßlicher Rechtsextremer mit Waffenerlaubnis nach Landkreisen. Für zehn Bundesländer konnten wir Zahlen zusammentragen, sechs dagegen äußerten sich dazu nach mehrfachen Nachfragen noch nicht. Teils gaben sie dafür Datenschutzgründe an, teils teilten sie mit, die Daten würden gar nicht statistisch erfasst. Wir arbeiten weiter daran, sie zu erhalten.
Finden Sie hier heraus, ob es in Ihrer Nachbarschaft Rechtsextreme gibt, die legal Waffen besitzen dürfen:
Die rund 1.000 Rechtsextremen, die auf den Listen der Behörden stehen, sind nur jene, die eine offizielle Besitzerlaubnis erteilt bekommen haben – zum Beispiel, weil sie Jäger oder Sportschützen sind. Hinzu kommt eine Dunkelziffer an Waffen, die in Schuppen oder Kellern Rechtsextremer lagern. Regelmäßig hebt die Polizei neue illegale Waffenlager aus, im ganzen Bundesgebiet.
Wie ernst es manche der bewaffneten Rechtsextremen oder „Reichsbürger“ meinen, zeigte sich zuletzt im Dezember 2022: Bei einer Razzia wurden 25 von ihnen festgenommen, die nicht weniger planten als den Regierungsumsturz.
Wer eine Schusswaffe und Munition erwerben möchte, braucht in Deutschland die sogenannte Waffenbesitzkarte (WBK). Sie berechtigt nicht zum offenen Führen dieser Schusswaffen. Das geht in Deutschland nur mit dem „großen“ Waffenschein, den nur Privatpersonen erhalten können, die eine erhebliche Gefahr für ihr Leben nachweisen können. Der sogenannte „kleine Waffenschein“ (KW) berechtigt zum verdeckten Führen von erlaubnisfreien Waffen wie Reizgas- oder Schreckschusspistolen.
Die Bundesländer haben zur Art der Waffenerlaubnis unterschiedliche Angaben gemacht: Die meisten haben nicht zwischen WBK und KW differenziert und nur eine Gesamtzahl genannt (Hamburg, Hessen, Bayern, Schleswig-Holstein, Thüringen). Andere haben differenziert, hier haben wir der Einheitlichkeit halber aber entschieden, die Zahlen zusammenzuzählen (Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Meck-Pomm, Sachsen). Wieder andere haben nur WBK-Besitzer genannt, weshalb hier die Zahl im Vergleich zu denen, die Gesamtzahlen genannt haben, wahrscheinlich geringer ausfällt (Berlin, NRW, BW, Niedersachsen).
Die Bundesregierung hat die Entwaffnung der Rechtsextremen zu einem ihrer wichtigsten sicherheitspolitischen Ziele erklärt. Sie kündigte zu Beginn der Legislaturperiode an, dafür das Waffengesetz zu verschärfen. Denn dessen bisherige Fassung reicht als rechtliche Grundlage nicht aus.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) feilt schon seit Monaten an einer Überarbeitung des Gesetzes. Nach CORRECTIV-Recherchen wird das wohl nicht dazu führen, dass schon bald deutlich weniger Rechtsextreme Waffen zu Hause haben. Denn ein zentrales Problem wird es nicht lösen.
Warum können Rechtsextreme so schwer entwaffnet werden?
Die Mitarbeiter der Waffenbehörden in den Landkreisen erfahren in vielen Fällen gar nicht, wenn ein Waffenbesitzer eine rechtsextreme Gesinnung hat. Denn die Verfassungsschützer in den Bundesländern melden derzeit nicht jeden, den sie als rechtsextrem einstufen, an die Waffenbehörden weiter. Das liegt unter anderem daran, dass die Verfassungsschützer strengen gesetzlichen Regeln unterliegen: Sie dürfen in der Regel keine Erkenntnisse melden, die sie mit verdeckten Maßnahmen wie Abhören oder über Aussagen von V-Leuten gewonnen haben.
Doch selbst wenn die zuständigen Behörden von einer rechtsextremen Gesinnung eines Waffenerlaubnis-Inhabers erfahren, dürfen die Waffen nicht einfach einkassiert werden. Der Rechtsweg geht so: Erst muss die Waffenerlaubnis formal entzogen werden, dann kann der oder die Betroffene entwaffnet werden, dann erhält er oder sie das Recht, zu widersprechen. Viele tun das auch. Was folgt, ist häufig eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung darüber, ob der Entzug der Erlaubnis rechtmäßig war.
Bis alle gerichtlichen Instanzen entschieden haben, dauert es oft sechs oder sieben Jahre. Erst dann ist der Entzug der Waffenerlaubnis rechtskräftig. Das erklärt, warum pro Bundesland und Jahr derzeit meist nur eine einstellige Zahl an Entwaffnungen in der Jahresbilanz der Innenministerien steht.
Nur wenn konkrete Gefahr im Verzug ist, haben die Behörden die nötige Grundlage, um Rechtsextremen sofort jeglichen Waffenbesitz rechtskräftig zu verbieten. Nicht nur ihnen: Das gilt auch für Hobbyjäger, die betrunken mit dem Gewehr auf einem Volksfest erwischt werden.
Durch diese strengen Regeln für die Waffenbehörden soll das demokratische Versprechen gewahrt bleiben, die individuelle Freiheit der Bundesbürger zu schützen – zu der auch Waffenbesitz gehört, wenn man zuvor seine Eignung dafür bewiesen hat. Niemand darf laut Grundgesetz staatlicher Willkür ausgesetzt sein.
Weil diese Sorgfalt aber die Entwaffnungspläne so stark ausbremst, wollte sich Innenministerin Faeser des Themas annehmen und zeigen, dass es möglich sein muss, den Rechtsextremen die Waffen wegzunehmen. Jetzt, vor der anstehenden Landtagswahl in Hessen im Oktober, bei der Faeser als Spitzenkandidatin für die SPD antritt, spricht sie aber öffentlich kaum noch darüber.
Denn es hakt.
Zwist in der Ampel-Koalition
Schon im Januar hatte Faeser ihren ersten Entwurf für eine Überarbeitung des Gesetzes vorgelegt. Er sieht unter anderem vor, dass man bei einem Neuantrag auf eine Waffenlaubnis zunächst ein psychologisches Gutachten vorlegen muss. Und, dass die Waffenbehörden Auskünfte von Behörden wie den Gesundheitsämtern einholen dürfen sollen.
Seither ist die Ministerin aber kaum weitergekommen. Das Bundesinnenministerium teilt auf Anfrage von CORRECTIV, wann die Neuregelung wohl komme, mit: „Das Gesetz befindet sich seit Januar in regierungsinternen Beratungen.“
Mit regierungsintern ist gemeint, dass die Partner aus der Ampelkoalition überzeugt werden müssen, vor allem: die FDP, die unter anderen den für das Vorhaben wichtigen Justizminister Marco Buschmann stellt. Die FDP ist gegen eine Verschärfung des Waffenrechts. Sie argumentiert damit, mehr Befugnisse für die Waffenbehörden würden nicht nur Rechtsextreme treffen, sondern auch unbescholtene Jäger und Sportschützen.
Eine weitere Herausforderung: Zwar handelt es sich um ein Bundesgesetz, doch auch die Bundesländer müssen mit ins Boot geholt und mit ihren Bedenken ernst genommen werden, weil ihnen die örtlichen Waffenbehörden unterstehen, die das Gesetz umsetzen müssen.
Auch die CSU in Bayern ist aber offenbar gegen zu strikte neue Regeln: Die Gesetzesverschärfung würde „weit über ein sinnvolles Ziel hinausschießen“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) CORRECTIV. Insbesondere werde Faeser „den Interessen des Schießsports überhaupt nicht gerecht“, findet Herrmann – und das, obwohl sie doch auch Sportministerin sei und somit für „rund drei Millionen Sportschützen in Deutschland verantwortlich“.
Er bezieht sich auf den Plan, dass man künftig seine psychologische Eignung für Waffenbesitz beweisen muss, per Gutachten vom Facharzt oder Psychologen.
Hauptproblem nicht gelöst
Das größte Problem mit dem neuen Gesetz hat aber nichts damit zu tun, wer künftig neue Waffenerlaubnisse bekommt und ob CSU und FDP damit einverstanden sind.
Das größte Problem sind jene Rechtsextreme, die schon Waffenerlaubnisse und damit Waffen haben. Denn: Auch in Zukunft werden die unteren Waffenbehörden nicht einfach allen, die als Rechtsextreme bekannt sind – etwa, weil sie einer als rechtsextremistisch eingestuften Gruppe angehören – pauschal die Waffenerlaubnis entziehen und den Waffenbesitz verbieten können.
Stattdessen werden sie weiterhin bei jedem Rechtsextremen einzeln prüfen müssen, ob ein Widerruf der Waffenbesitzerlaubnis verhältnismäßig ist. Das bestätigt das Bundesinnenministerium auf Anfrage. Und: Nur, wenn „eine Gefährdung bedeutender Rechtsgüter“ drohe, sei es laut aktuellem Gesetzentwurf in Zukunft möglich, sofort den Waffenbesitz zu verbieten. Was diese verklausulierte Formulierung bedeutet, erklärt eine Sprecherin des Ministeriums auf Nachfrage: Ein Waffenbesitzer müsse zum Beispiel zusätzlich zu seiner rechtsextremen Gesinnung auch als gewaltbereit bekannt sein. Das sei eine Verbesserung der Lage im Vergleich zu jetzt.
Pauschal allen Rechtsextremen die Waffen abzunehmen, lässt das deutsche Grundgesetz nicht zu, erklärt das Innenministerium. Selbst dem Gesetzgeber sind also weitgehend die Hände gebunden.
Mehr Rechtsextreme zu entwaffnen kann künftig also nur gelingen, wenn die Waffenbehörden vor Ort aufmerksam sind, auffällige Waffenbesitzer intensiv im Blick haben und sich aktiv bemühen, ihnen die Waffen abzunehmen.
Selbst dann wird sich die Entwaffnung jedes einzelnen Rechtsextremen wohl weiterhin über Jahre hinweg ziehen.
Zeit, die gefährdete Menschen nicht haben. Sie müssen mit der Gewissheit leben, dass Rechtsextreme, die ihr Leben bedrohen, teils unmittelbar in ihrer Nachbarschaft leben. Bewaffnet.
Mitarbeit: Lars Winkelsdorf, Pia Siber, Nina Bender (Datenaufbereitung), Mohamed Anwar (Illustration)
Update, 17. Oktober 2023, 10.25 Uhr:
Wir haben in der Karte eine konkrete Zahl für Berlin ergänzt, nachdem die Senatsverwaltung im Nachgang der Veröffentlichung auf eine Kleine Anfrage der Linken antworten musste.
Update, 6. September 2023, 11.30 Uhr:
Wir haben konkretisiert, wie der Rechtsweg zum Entzug der Waffenerlaubnis verläuft.