Russland/Ukraine

Bewegung im Insolvenzverfahren – Nord Stream 2 AG will sich Zeit erkaufen

Einzelne Firmen, die für Nord Stream 2 Leistungen erbracht hatten, haben nach langer Wartezeit ihr Geld erhalten. Damit könnte das Unternehmen versuchen, eine Insolvenz vorerst abzuwenden. Für potenzielle Übernahmeverhandlungen brächte das Zeit ein.

von Alexej Hock , Sven Niederhäuser

Für die Nord Stream 2 AG läuft am 9. Mai eine wichtige Frist im Insolvenzverfahren ab. Nun ist Bewegung da. Foto: Stefan Sauer/picture alliance/dpa
Für die Nord Stream 2 AG läuft am 9. Mai eine wichtige Frist im Insolvenzverfahren ab. Nun ist Bewegung da. Foto: Stefan Sauer/picture alliance/dpa

Anfang des Jahres ließ das Schweizer Kantonsgericht in Zug noch einmal Gnade walten. Es räumte der Nord Stream 2 AG „ausnahmsweise“ noch bis zum 9. Mai Zeit für die Sanierung ein. Allerdings: Sollte der Betreiber der inzwischen brach liegenden Ostsee-Pipelines nicht binnen 60 Tagen die Forderungen seiner Kleingläubiger begleichen, werde der Konkurs eröffnet, hieß es in einem Entscheid. Später wurde diese Frist ebenfalls auf den kommenden Freitag gelegt. Es geht um offene Rechnungen von rund 150 Dienstleistern in Höhe von insgesamt 25 Millionen Euro.

Offenbar wollen die Nord Stream 2 AG und ihr Sachwalter Transliq die Insolvenz auf den letzten Metern vermeiden. Grund sind Gespräche mit einem Investor, der Interesse an dem Gasleitungs-Unternehmen hat. Zuletzt haben einzelne Dienstleister bestätigt, dass sie Geld aus der Schweiz erhalten haben.

CORRECTIV hat von zwei deutschen Firmen erfahren, dass ihre offenen Rechnungen in den letzten Tagen beglichen worden sind. Eyk-Uwe Pap, Geschäftsführer von Baltic Diver Germany mit Sitz in Rostock, bestätigte, die ausstehende Hälfte einer Rechnung aus dem Jahre 2021 am Montag erhalten zu haben. Mit hochauflösenden Unterwassser-Kameras hatte sein Unternehmen Schweinswale neben den Gasleitungen beobachtet.

Auch die Greifswalder IT-Firma Gryps, die sich unter anderem um Hardware gekümmert hatte, bestätigte, dass ihre Forderungen in den letzten Tagen beglichen wurden. Mindestens eine Firma jedoch konnte am Mittwoch noch keinen Zahlungseingang feststellen.

Gericht könnte sich erneut auf außergewöhnliche Umstände stützen

Der Sachwalter Transliq hat nicht auf die Frage geantwortet, ob geplant ist, bis Freitag alle Forderungen der Kleingläubiger zu begleichen. Das Kantonsgericht Zug hatte der Nord Stream 2 AG auferlegt, ihm entsprechende Zahlungsbelege zukommen zu lassen. Auf Anfrage wollten sich weder das Gericht noch Transliq zum laufenden Verfahren äußern.

Am Freitag soll der Entscheid des Zuger Kantonsgerichts kommuniziert werden. Eine weitere Verlängerung der sogenannten Nachlassstundung, also der Zeit zur Sanierung, ist im gesetzlichen Regelfall nicht möglich, sagt Florian Eichel vom Institut für Internationales Privatrecht und Verfahrensrecht der Universität Bern. Allerdings stütze sich das Gericht auf außergewöhnliche Umstände und wolle sicherstellen, dass besonders die kleineren Gläubiger auch ausgezahlt werden. Unter diesem Gesichtspunkt wäre eine weitere Verlängerung vorstellbar, so Eichel.

Bei der Begleichung der Forderungen hat die Nord Stream 2 AG auch mit den Auswirkungen von US-Sanktionen zu kämpfen. Eigentlich wollte das Unternehmen dafür Konten bei der ​​Sparkasse Vorpommern nutzen. Diese kündigte zunächst ein Konto von Nord Stream, dann eines von Transliq. Die Sparkasse begründete ihre Entscheidung mit der drohenden Gefahr von US-Sanktionen. Im Rechtsstreit hat Transliq vor dem Oberlandesgericht Rostock nach erstinstanzlicher Niederlage inzwischen Berufung eingelegt. Auch im zweiten Fall läuft das Berufungsverfahren.

Potentieller US-Investor will Insolvenz vermeiden

Mit dem Aus des Pipeline-Projektes infolge des russischen Angriffskriegs und der Sprengung dreier von vier Nord Stream-Röhren schien das Ende des Unternehmens unausweichlich. Das änderte sich im Herbst vergangenen Jahres. Im November hatte das Wall Street Journal berichtet, dass der US-amerikanische Investor und Trump-Unterstützer Stephen P. Lynch sich darum bemühte, bei Nord Stream 2 einzusteigen.

Im März hatten CORRECTIV und Istories über die Verhandlungen für einen Energie-Deal berichtet. Neben den Pipelines Nord Stream 1 und 2 sei auch über die Beteiligungen des russischen Mineralölkonzerns Rosneft gesprochen worden, zu denen die Mehrheitsanteile an der PCK Raffinerie in Schwedt gehören. Das Kalkül, so skizzierte es eine Quelle aus dem Verhandlerkreis: Die USA übernehmen die Energieinfrastruktur, Russland stellt die Rohstoffe, die Europäer zahlen.

Eine Insolvenz der Nord Stream 2 AG will der potentielle Investor Lynch vermeiden. In einem Schreiben an die US-Sanktionsbehörde OFAC von Februar 2024, in dem er um die Erlaubnis für die Verhandlungen um die sanktionierte Nord Stream 2 AG bat, argumentierte Lynch, dass eine Insolvenz gleich in mehreren Aspekten den Interessen der USA entgegenstünden. Eine Kontrolle der Pipeline – sollte sie betriebsbereit sein – könnte künftig als „wichtiges außenpolitisches Werkzeug dienen“.

Eine mögliche Inbetriebnahme von Nord Stream 2 unter neuer Eigentümerschaft bezeichnet Hannes Damm, energiepolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, als „gefährlichen Rückschritt“. CORRECTIV sagte er: „Eine mögliche Achse Putin-Trump zur Umgehung der Ukraine wäre geopolitisch heute genauso problematisch wie zuvor und würde die europäische Sicherheitsarchitektur erneut gefährden.“

Redaktion und Faktencheck: Justus von Daniels, Marcus Bensmann