Russland/Ukraine

Die seltsame Beziehung eines AfD-Mitarbeiters zum russischen militärisch-industriellen Komplex

Er machte einen Job-Deal mit einem zukünftigen AfD-Abgeordneten, dann fing er als Geschäftsentwickler bei einer Firma an, die eng mit russischen Staatsfirmen verbunden ist. Nach der Europawahl wechselte Sergej Erler als Drohnenexperte als Mitarbeiter der AfD ins Europäische Parlament. Seine Beziehungen nach Russland werfen Fragen auf.

von David Schraven

The International Forum Russian Energy Week in Moscow
Auch mit Rosatom ist das Unternehmen verbunden, für das Sergej Erler tätig war, bevor er AfD-Mitarbeiter im EU-Parlament wurde © Natalia Shatokhina/NEWS.ru

Die AfD im Europäischen Parlament stützt sich auf einen Experten aus den Reihen des russischen militärisch-industriellen Komplexes. Nach eigenen Angaben auf LinkedIn war Sergej Erler, Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Hans Neuhoff, unmittelbar vor seinem Eintritt in die Dienste der AfD im Europäischen Parlament als Director Business Development bei der Firma Hermith GmbH beschäftigt. Er war damit für die Geschäftsentwicklung des in München registrierten Unternehmens zuständig. Auf Fotos posiert Erler im Rahmen seines Jobs bei der Hermith in einem westlichen Kampfjet oder vor einem Taurus-Marschflugkörper. Er sagt, diese Fotos seien auf der Luftfahrtmesse ILA im Rahmen seiner „beruflichen Tätigkeit“ entstanden.

Die Geschäfte der Firma Hermith sind eng in den militärisch-industriellen Komplex Russlands eingebunden. Seit 2017 organisiert die Hermith nach einem Großauftrag der russischen Firma ChMZ aus Glasov den Handel mit Titanprodukten aus Russland, die in der Luftfahrt und in Atomanlagen genutzt werden können. Sie sind zudem militärisch nutzbar. Die ChMZ wurde 1946 als Teil der russischen Kriegsmaschine gegründet. Heute hat die ChMZ unter anderem eine bis Februar 2026 gültige Lizenz der russischen Regierung unter Wladimir Putin, sich an der Entwicklung von Atomwaffen zu beteiligen.

Die Münchener Hermith wird vom früheren russischen Banker Alexey Rasskazov geleitet, der laut Handelsregister auch seit 2004 Alleineigentümer des Unternehmens ist. Er gilt als Manager mit engen Beziehungen in die Welt der Oligarchen. Seit Anfang 2025 ist zudem lulia Arabagi zweite Geschäftsführerin der Hermith. Sie vertritt ansonsten ein Münchener Gesundheitszentrum, das unter anderem auf Anti-Aging-Behandlungen anbietet.

Die Firma Hermith unterhält gemeinsam mit der Tochterfirma TVEL des russischen Staatskonzerns Rosatom ein Joint Venture in Moskau, die Hermith Aerospace. Die Hermith Aerospace hat den Auftrag, Titanprodukte unter anderem für die Luftfahrtindustrie auf Märkte außerhalb Russlands zu bringen, erklärt der Staatskonzern Rosatom in einer Pressemitteilung. Solche Produkte können unter anderem für den Bau von Drohnen benutzt werden. Die TVEL selbst kümmert sich im Kerngeschäft vor allem um die Produktion von Kernbrennstäben und ist eines der wichtigsten Unternehmen im russischen Atomgeschäft.

Besonders die Zertifizierungen der Münchener Hermith könnten für die Geschäfte des russischen militärisch-industriellen Komplexes wichtig sein. Die Zertifikate verleihen der Hermith den Anschein, ein zuverlässiger und anerkannter Lieferant für Europäische und Nordamerikanische Luftfahrtunternehmen zu sein. Zu den Kunden gehörten laut Hermith renommierte Hersteller wie Leonardo oder Bombardier. Dabei dient das Unternehmen eher als ein deutsches Gesicht für den russischen militärisch-industriellen Komplex. Die gesamte Wertschöpfungskette der Hermith wird von russischen Staatskonzernen kontrolliert. Die mit Hermith verwobenen Unternehmen sind teilweise sanktioniert.

Die Rolle von Sergej Erler in der Hermith ist spannend, der Mann hat offenbar viele Interessen: Er wurde im russischen Tscheljabinsk geboren, einem anderen Zentrum der russischen Militärndustrie, wuchs aber in Deutschland auf. Er studierte an der berühmten Moskauer MGIMO-Universität, der Kaderschmiede des russischen Außenministeriums. Zu deren Absolventen gehören Direktoren des russischen Auslandsgeheimdienstes SVR. Laut Moscow Times rekrutieren russische Geheimdienste unter den Studenten aus dem Ausland immer wieder erfolgversprechende Kandidaten. Erler sagt aber: „Anwerbeversuche durch russische oder andere ausländische Geheimdienste haben zu keinem Zeitpunkt stattgefunden – weder während meines Studiums noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt meiner Karriere.“

Erler war auch in Deutschland aktiv, so diente er laut eigenem Linkedin-Profil bei der Bundeswehr als Offizier. Er gibt weiter an, dass er auch für die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, zeitweise für das sogar für das Bundesverteidigungsministerium und die OSZE gearbeitet habe. Die Bundeswehr bestätigt auf Anfrage, dass er dort „in einem aktiven Dienstverhältnis“ war, das BKA gibt keine Auskunft, die Bundespolizei dementiert eine Beschäftigung.

Aktuell ist Erler bei der AfD im EU-Parlament beschäftigt und kümmert sich als Assistent des AfD-Abgeordneten Hans Neuhoff um Arbeiten im Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung (SEDE), in der Delegation EU-Ukraine und als Ersatzmitglied im Auswärtigen Ausschuss (AFET) – alles Gremien, in denen über Waffenhilfe und sicherheitspolitische Strategien beraten wird. Erler hatte seine Masterarbeit zum Thema der Anschaffung und völkerrechtlichen Bewertung bewaffneter Drohnen geschrieben. Innerhalb der AfD gilt Erler als Experte für Rüstung und Drohnentechnologie. Neuhoff sagt, er habe Sergej Erler „aufgrund seiner ausgewiesenen fachlichen Qualifikationen insbesondere in den Bereichen Außen-, Sicherheits-, Industrie- und Energiepolitik eingestellt.“ Und weiter: „Ich kenne ihn seit vielen Jahren als kompetenten und integren Fachmann.“

Nach Beginn des großangelegten russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine trat Sergey Erler nach eigenen Angaben im Juni 2023 an führender Stelle in der Hermith ein, über deren Kanäle Geld, Technologie und Gewinne zwischen dem Westen und Russland verschoben werden können.

Sergej Erler schied nach eigenen Angaben im Juli 2024 wieder aus dem Unternehmen aus und nahm noch im gleichen Monat für die AfD die Arbeit im Europäischen Parlament auf. In den genannten Ausschüssen zu Verteidigung und Sicherheit. Dort hat er nach Angaben des AfD-Abgeordneten Neuhoff nur Zugang zu Dokumenten, die für seine Arbeit als akkreditierter parlamentarischer Assistent erforderlich sind. „Also zu öffentlich zugänglichen und nicht-klassifizierten Arbeitsdokumenten“. Vertrauliche oder klassifizierte Informationen seien Erler nicht zugänglich.

Erler sagt, seine Arbeit für den AfD-Abgeordneten Neuhoff sei bereits ein Jahr zuvor – also noch vor den Wahlen zum EU-Parlament – verabredet worden. Bei dem beruflichen Wechsel in die Hermith und dann ins Parlament handele es „sich um einen regulären beruflichen Wechsel ohne kausalen Zusammenhang“.

Zudem sagt Erler, die Hermith GmbH sei ein deutsches Unternehmen, das namhafte europäische Unternehmen beliefere. Es gebe einen regelmäßigen Austausch mit deutschen Behörden auf Landes- und Bundesebene und die Importe von Titan seien durch die EU ausdrücklich von Sanktionen ausgenommen. Seine Beratungstätigkeit habe vor allem die Entwicklung von Lieferstrukturen für kritische Rohstoffe in die EU umfasst.

„Eine Verbindung zum militärischen Sektor war zu keinem Zeitpunkt Gegenstand meiner Tätigkeit“, schreibt Erler. Er weist als absurde „Suggestion“ zurück, er habe wissentlich für ein Unternehmen des „militärisch-industriellen Komplexes Russlands“ gearbeitet.

Trotz all dieser Worte: Für Roderich Kiesewetter, Obmann der CDU im Auswärtigen Ausschuss im Bundestag, ist die Personalie Erler nicht hinnehmbar. „Es ist offensichtlich, dass dieser Mitarbeiter eine gezielte Position bekleidet, durch die er als Mittelsmann Russlands im Europaparlament wirken kann.“ Es entspreche Russlands Vorgehen, Personen langfristig aufzubauen und tief in relevante Entscheidungsstrukturen einzudringen, um sie an neuralgischen politischen Positionen zu platzieren.

Russische Agenten werden teils jahrzehntelang aufgebaut und leben unentdeckt in westlichen Staaten. Der Energiekomplex und der militärisch-industriellen Komplex sind hierbei für Russland besonders relevante Branchen, in die es langfristig Einflussagenten platzierte, um damit letztlich militärische Interessen zu verfolgen“, sagt Kiesewetter. Einerseits werde Energie als Waffe verwendet, andererseits brauche Russlands Militär westliche Technologien und Know-How.

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„Durch die Beschäftigung einer Person wie Erler an zentralen sicherheitspolitischen Stellen im EU-Parlament dient die AfD beziehungsweise ihr Abgeordnete Neuhoff russischen Interessen,“ sagt Kiesewetter. Es scheine eine bewusste Entscheidung gewesen zu sein, diese Person einzustellen.

Dabei spiele es keine Rolle, ob es sich bei Erler um einen russischen Agenten handele oder nicht, so Kiesewetter. „Denn das Resultat ist das Gleiche: eine ausländische gegnerische Macht beeinflusst unsere freiheitlich-demokratische Ordnung und unterminiert unsere europäischen Strukturen. Das ist gegen die Freiheit, Souveränität und Sicherheit Deutschlands gerichtet.“

Faktencheck: Alexej Hock

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