Sicherheit und Verteidigung

Neues Marinegeschütz: Deal mit Rheinmetall im Visier?

Es ist eine der ersten Ausschreibungen nach Beschluss des neuen Rüstungspakets: Die Geschütze deutscher Marineschiffe sollen ausgetauscht werden, um wirksamer gegen Drohnen zu werden. Für den Deal infrage kommt im Grunde nur ein Unternehmen: Rheinmetall.

von Till Eckert

Manöver Baltic Operations (BALTOPS)
Die deutsche Korvette „Erfurt“ während des Manövers Baltic Operations auf der Ostsee. (Foto: Marcus Brandt / dpa)

Drohnen sind das Kriegsmittel der Zukunft. Darauf bereitet sich auch die deutsche Marine vor. Mit Salven aus sogenannter Airburst‑Munition will sie gegnerische fliegende Ziele künftig zum Zerbersten bringen: Statt einer normalen Kugel explodiert das Geschoss kurz vor dem Ziel in einer Wolke aus Metallsplittern. 

Dieses Vorgehen soll die Drohnenabwehr entscheidend verbessern. Es ist das zentrale Leistungsmerkmal für ein neues Marinegeschütz, das die Bundeswehr kürzlich ausgeschrieben hat. Es soll das in die Jahre gekommene Marineleichtgeschütz ablösen. 

Laut Ausschreibung soll das neue Gerät auf einem Großteil der Fregatten, Korvetten und Booten der Marine zum Einsatz kommen: Insgesamt sollen bis zu 175 der Waffensysteme bestellt werden, mitsamt der zugehörigen Ersatzteile und Werkzeugsätze. 75 davon seien der Ausschreibung zufolge fest eingeplant, für weitere 100 muss das Geld im Bundeshaushalt erst noch freigegeben werden. 

Das Verfahren suggeriert eine offene Suche nach geeigneten Lieferanten. Es zielt aber offensichtlich auf einen üblichen Verdächtigen ab: Rheinmetall. Die Leistungsanforderungen sind so speziell, dass nur wenige Systeme in Frage kommen. Darunter ist das Geschütz „Seasnake“ des deutschen Rüstungsunternehmens. 

Konkurrenten von Leonardo, BAE oder Elbit dürften ausscheiden: Weil das Rheinmetall-System konkret für die Integration in das sogenannte Führungsnetz der deutschen Marine entwickelt wurde – und zudem Heimvorteil genießt. Handelt es sich bei der Ausschreibung also um einen reinen Formalakt? 

Rheinmetall bei Marinegeschützen erste Wahl?

CORRECTIV verglich auf die Anforderungen in der Ausschreibung hin mehrere Systeme miteinander. Darin wird etwa die Fähigkeit zum Abschuss von der sogenannten Airburst-Munition eines Kalibers von 30 Millimetern festgeschrieben, aber auch ein sogenanntes Technology-Readiness-Level (TRL) auf der höchsten Stufe. Zudem muss das System bereits mindestens auf einem Kriegsschiff im Einsatz sein.

Der Technology Readiness Level (TRL), auf Deutsch Technologie-Reifegrad, ist eine Skala zur Bewertung des Entwicklungsstandes und der Reife einer Technologie. Die Skala reicht von 1 bis 9, wobei TRL 1 den Beginn der Forschung mit der Beobachtung und Beschreibung der Grundprinzipien einer Technologie markiert und TRL 9 eine ausgereifte Technologie beschreibt, die erfolgreich im Einsatz ist.

Infrage kommen demnach mindestens vier Systeme, die von den Unternehmen Leonardo, BAE, Elbit oder eben Rheinmetall entwickelt wurden. Im direkten Vergleich dieser Systeme werden die technischen Anforderungen zwar grundsätzlich von allen erfüllt. Aber nur Rheinmetall entwickelt seine Waffensysteme bereits in Hinblick auf eine Integration in die Netzwerke der deutschen Marine und wird dort auch teilweise schon eingesetzt.

Das Waffensystem „Seasnake“ von Rheinmetall. (Screenshot: rheinmetall.com)

Zudem ist Rheinmetall der einzige deutsche Anbieter mit einem entsprechenden System im Angebot. Ein erklärtes Ziel des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) ist es, Technologien deutscher Rüstungsunternehmen zu fördern

Rüstungsexperte Niklas Schörnig vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF) hält bei entsprechend günstigem Angebot zwar auch eine Integration eines Leonardo-Systems für möglich. „Rheinmetall dürfte aus industriepolitischer Perspektive aber sicher der präferierte Partner sein“, sagt er gegenüber CORRECTIV. 

Der Vorgang wirft so auch ein Schlaglicht auf ein bislang wenig beleuchtetes Spannungsfeld hinter den Kulissen deutscher Rüstungspolitik: Zum einen sollen möglichst effektive und günstige Rüstungsgüter eingekauft werden. Zum anderen soll die heimische Wirtschaft gefördert werden. Keine leichte Aufgabe.

Marine aktualisiert zentrales Waffensystem – größte Modernisierung seit rund 25 Jahren

CORRECTIV fragte beim Beschaffungsamt der Bundeswehr (BAAINBw) nach, inwiefern es vor der Ausschreibung Marktsichtungen gab. Eine Sprecherin sagt dazu: „Im Vorfeld der Bekanntmachung wurden Marktsichtungen vorgenommen. Die Ergebnisse können jedoch nicht veröffentlicht werden, da diese Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse potentieller Bieter enthalten.“ Rheinmetall wollte sich nicht auf unsere Anfrage äußern, „aus Wettbewerbsgründen“.

Die deutsche Marine erneuert zentrale Waffensysteme nur selten. Das bisherige Marineleichtgeschütz etwa wurde vor rund 25 Jahren, ab den frühen 2000er-Jahren, eingeführt und ist bis heute auf Fregatten, Korvetten und Einsatzgruppenversorgern im Einsatz. Trotz technologischer Fortschritte hat eine systematische Ablösung bislang nicht stattgefunden. Auch andere Systeme – wie das sogenannte RAM-Nahbereichsabwehrsystem – wurden über Jahrzehnte beibehalten. 

Die aktuelle Ausschreibung für ein neues 30-Millimeter-Geschütz mit Airburst-Fähigkeit wäre somit eine der grundlegenden Modernisierungen in der Nahbereichsverteidigung der deutschen Marine in den letzten zwei Jahrzehnten. Die Umrüstung soll 2027 beginnen und 2030 fertiggestellt sein.

Rosige Aussichten für die Rüstungsindustrie

Die Drohnenabwehr steht bei diesem Vorhaben, aber auch für die Bundeswehr generell, ganz oben auf der Prioritätenliste. Kein Zufall: Zum einen nutzen Armeen immer mehr Drohnen für militärische Angriffe, wie etwa in der Ukraine zu beobachten ist. Zum anderen verzeichnen Sicherheitsbehörden immer mehr Sichtungen möglicher Spionage-Drohnen, wie CORRECTIV kürzlich berichtete.  

Die umfangreiche Beschaffungsmaßnahme dürfte daher nur eine von vielen sein, die die Bundeswehr in den kommenden Jahren tätigt. Für die Rüstungsindustrie und Konzerne wie Rheinmetall sind solche Vorhaben ein lukratives Geschäft. Und eine Gelegenheit, sich dafür strategisch in Stellung zu bringen. 

Erst kürzlich warf eine Flensburger Firma dem Beschaffungsamt der Bundeswehr laut Handelsblatt Kungelei vor. Es geht um ein Vergabeverfahren für zwei neue Bergepanzer. Die Konkurrenz befürchtet: Ein Deal mit Rheinmetall sei längst eingetütet – trotz eines schlechteren Angebots.