Spendengerichte

Justizspenden in NRW: Wohin gehen 150 Millionen Euro?

Die Justiz in Nordrhein-Westfalen verteilt jedes Jahr viele Millionen Strafgelder an gemeinnützige Einrichtungen. Doch wohin genau fließen die Summen? Und ist das System gerecht? Eine ehemalige Landesjustizministerin fordert ein Umdenken.

von Dietmar Seher

© Collage von Ivo Mayr

Bei der Verteilung der Justiz-Einnahmen aus Bußgeldern und Geldauflagen kommt es offensichtlich zu erheblichen Ungleichgewichten. Gerichte und Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen weisen Organisationen der Straffälligen- und Bewährungshilfe deutlich mehr Geld zu als Vereinigungen, die den Opfern von Verbrechen helfen. Zu diesen zählen zum Beispiel Hilfsvereine für Frauen, die sexuell belästigt oder missbraucht wurden, oder auch der „Weisse Ring“. Die Daten gehen aus Unterlagen der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf hervor, die CORRECTIV ausgewertet hat.

Laut der Statistik des Generalstaatsanwalts über „Zuweisungen an anerkannte Einrichtungen“ für das Jahr 2016 haben 78 Vereinigungen der Haftentlassenen-, Straffälligen- und Bewährungshilfe 1,2 Millionen Euro an Zuwendungen erhalten. Zusammen 40 Opferschutz-Einrichtungen erhielten mit insgesamt 300.662 Euro gerade ein Viertel der Summe. Der gleiche Trend lässt sich für weiter zurückliegende Jahre nachvollziehen.

Vergabe ohne Kontrolle

Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) war Landesjustizministerin von 2005 bis 2010. Heute ist sie Bundesvorsitzende der Opferschutz-Organisation „Weisser Ring“. „Natürlich ist es sinnvoll, wenn Organisationen Geld bekommen, die in der Straffälligenhilfe engagiert sind. Das dient der Prävention“, sagte sie CORRECTIV. Eine solche Differenz sei aber zu groß. „Wir kritisieren das“.

Müller-Piepenkötter beschreibt die Spielregeln in der Justiz: Den Staatsanwaltschaften in NRW wird zudem vorgeschrieben, ihre Spenden nur an so genannte „gelistete“ Organisationen zu verteilen, die unter Kontrolle stünden. Richter dagegen entschieden und verteilten die Gelder ohne weitere Kontrollen nach eigenem Gutdünken. Müller-Piepenkötter fordert hier ein „Umdenken“. Der „Weisse Ring“ will die Fragen der Verteilung der Justiz-Einnahmen jetzt zum Thema machen.

Meist profitiert der Staat

Die Justiz in NRW verfügte 2016 mit 45 Millionen Euro Einnahmen aus Geldauflagen über etwa die Hälfte der bundesweit zur Verfügung stehenden Mittel. Einschließlich der Jahre 2014 und 2015 waren es in NRW 150 Millionen. Das Geld stammt aus Zahlungen, die Strafrichter und Staatsanwaltschaften Beschuldigten unter anderem gegen eine Einstellung der Verfahren auferlegt haben. Das ist ein normaler juristischer Vorgang. Die Beträge sollen zum einen der Staatskasse zufließen, aber auch gemeinnützigen Organisationen.

CORRECTIV hat nachgefragt: Wohin gibt die NRW-Justiz die eingesammelten Beträge? Meist profitiert der Staat selbst. Er behielt 2016 mit fast 27 Millionen Euro den Löwenanteil der Zuweisungen in NRW, also rund 58 Prozent. Weitere 19 Millionen Euro — oder 42 Prozent — flossen nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf an gemeinnützige Einrichtungen.

Das Recherchezentrum CORRECTIV hat in einer bundesweiten Datenbank die Justizspenden seit 2007 zusammengetragen. Bis zum Jahr 2013 sind darin auch die Namen der Organisationen zu finden, die in NRW gefördert wurden. Für die jüngere Zeit, also von 2014 bis 2016, gibt sich die zuständige Generalstaatsanwaltschaft in diesem entscheidenden Punkt weniger transparent.

Der Grund: Der zuständige Oberstaatsanwalt hat gewechselt. Jetzt ist es Björn Landskrone. Er nennt zwar allgemeine Zahlen und Daten, zum Beispiel, welche Gerichte und Anklagebehörden wie viel Geld an gemeinnützige Einrichtungen vergeben haben und in welchen Bereichen diese tätig sind. Doch an welche Einrichtungen das Geld in diesen drei Jahren konkret floss? Fehlanzeige.

Landskrones Begründung für die Verweigerung: „Unter Bezug auf den Grundsatz der Datensparsamkeit bin ich gehalten, die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren“. Tatsächlich findet sich im Bundesdatenschutzgesetz ein Paragraph „Datensparsamkeit“. Demnach sollen so wenig wie möglich mit personenbezogene Daten gearbeitet werden.

Ist Landskrones Begründung deswegen schlüssig?

Düsseldorf gibt sich verschwiegen

Blicken wir in die Auflistung der größten Empfänger im Jahr 2013 — in der Zeit also, als sie noch genannt wurden. Da bekamen „Ärzte ohne Grenzen“ 432.437 Euro, die Bodelschwingschen Einrichtungen in Bethel 325.300 Euro (Platz 2) und die Kinderkrebshilfe 274.255 Euro überwiesen. Regional wurden  Tierschutzvereine wie der in Bochum mit 104.300 Euro unterstützt. Nirgendwo sind bei diesen Angaben Personen genannt. Und sollten sich in den Förderlisten doch vereinzelte Personen finden, gäbe es immer noch die Möglichkeit, diese zu schwärzen. Das Datenschutzgesetz wurde also auch von Landskrones Vorgänger eingehalten, ohne dass die Empfängerorganisationen verschwiegen werden mussten.

Die Nachfrage nach den Empfängern ist aus verschiedenen Gründen wichtig. Zum einen, weil die Bürger ein Anrecht haben, zu erfahren, welche Interessen mit dem Geld unterstützt werden. Nachvollziehbar: Über vier Millionen Euro in NRW erhielten 2016 Vereinigungen, die Kinder und Jugendlichen helfen. 2,2 Millionen gingen an Organisationen, die sich der Vorsorge und Nachsorge im Gesundheitsbereich kümmern. Weitere fast 1,5 Millionen bekamen Wohlfahrtsverbände.

Genau so wichtig wäre es aber, zu erfahren, ob Richter nicht etwa Vereine oder Organisationen bedacht haben, die mit Wohltätigkeit wenig zu tun haben. Ohne Transparenz ist das nicht nachvollziehbar. In der Vergangenheit aber sind genau solche Dinge im Bundesgebiet passiert. Richter können nämlich frei entscheiden, Prüfungen ihrer Entscheidungen finden nicht statt. So flossen nicht unerhebliche Beträge auch mal an Tennis-, Jazz- oder Yachtclubs. In anderen Fällen förderten Richter jene Vereine, zu denen sie persönliche Beziehungen pflegten. Ein Interessenkonflikt.

Ob sich an der Verschwiegenheit der Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft in diesem Punkt noch etwas ändert, ist derzeit offen. CORRECTIV macht jetzt die ihm zustehenden Auskunftsrechte geltend.