The Insider x CORRECTIV

Russlands Weltraumorganisation unterstützt berüchtigte Bikergang „Nachtwölfe“ im Kriegseinsatz

Die russische Weltraumorganisation Roskosmos soll sich um Raumfahrt kümmern. Tatsächlich unterstützt sie die – auch in Deutschland – berüchtigte Bikergang „Nachtwölfe“ im Kriegseinsatz gegen die Ukraine. Das zeigt eine Recherche von „Insider“.

motorradclub-achtwoelfe-berlin
Mitglieder der russischen Bikergang „Nachtwölfe“ waren auch schon in Berlin beim Gedenken an das Ende des 2. Weltkrieges. © picture alliance/SULUPRESS.DE, Vladimir Menck

logos the inder und correctiv
In Kooperation zwischen CORRECTIV und dem russischsprachigen Investigativ-Magazin The Insider veröffentlichen wir in loser Folge Artikel vom Insider über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Situation in Russland. Damit wollen wir investigative Recherchen über die Lage in Russland und der Ukraine auf deutsch zugänglicher machen und Wissen verbreiten. The Insider und CORRECTIV sind beide gemeinnützige Medien.

Die „Nachtwölfe“ haben in Russland eine lange Geschichte: Sie waren 1989 der erste offiziell anerkannte Bikerclub in der damaligen Sowjetunion. Ihr Gründer und langjähriger Anführer war Alexander Zaldostanov, genannt „Der Chirurg“, der in der ukrainischen Stadt Kirowograd geboren wurde. 

Der für seine Ukraine-Phobie und seinen Nationalismus bekannte Zaldostanov – der Medizin studiert und früher in einer Zahnklinik Patienten mit deformierten Gesichtern operiert haben soll – prahlt gerne mit seiner Freundschaft zu Putin. 

In den ersten Jahren ihres Bestehens galten die „Nachtwölfe“ als traditionelle Biker: Sie rauschten auf großen Motorrädern ohne Schalldämpfer durch die Straßen Moskaus, machten Geschäfte und sorgten für die Sicherheit bei Rockkonzerten – damals, in den 1990er Jahren, war das Vertrauen der russischen Bevölkerung in die Polizei so gering, dass der Schriftzug „Bewacht von den Nachtwölfen“ auf einem Konzertplakat als Qualitätsmerkmal galt. 

Freunde der orthodoxen Kirche

Als Putin an die Macht kam, änderten sich jedoch die Einstellung und der Charakter des Clubs. Die Wölfe begannen, sich nicht mehr als „Biker“ im westlichen Stil, sondern als „russische Motorradfahrer“ zu bezeichnen.

Auf der offiziellen Website der Nachtwölfe wird dieser Wandel wie folgt beschrieben:

Obwohl der Club zweifellos einen rebellischen Geist in sich trug, war er immer in den orthodoxen Traditionen und der Geschichte seines Heimatlandes verwurzelt.

Für den Kreml sind die nationalistischen Macho-Werte der Wölfe und ihre Nähe zur russisch-orthodoxen Kirche von Vorteil. Seit Anfang der 2000er Jahre nimmt der Club aktiv an nationalistischen Veranstaltungen teil und knüpft Verbindungen zu selbsternannten patriotischen Politikern, Bewegungen und Künstlern (einschließlich dem Präsidenten der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Achmatowitsch Kadyrow). Sie stimmen ihre Aktionen, etwa die Eröffnung der Motorradsaison, auf den orthodoxen Kalender ab, arbeiten auch eng mit der russisch-orthodoxen Kirche zusammen.

Gründer Zaldostanov selbst behauptet, er habe Putin 2009 während einer live im Fernsehen übertragenen Veranstaltung kennengelernt. Im Juli desselben Jahres besuchte Putin die Biker vor einer Motorradshow, die sie anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung Sewastopols auf der Krim organisiert hatten. 

Die britische Zeitung The Telegraph, die 2015 ein Interview mit dem „Chirurgen“ führte, vermutet, die Beziehung des Bikers zu Putin könne sogar dessen Entschluss beeinflusst haben, die Krim zu annektieren. Zaldostanov brüstete sich im Interview zumindest damit: „Bei jedem Treffen mit Putin erzählte ich ihm Geschichten über Sewastopol. Ich überreichte ihm Briefe, Fotos aus der Region und Kalender mit russischen Marineschiffen“.

Verbindungen nach Deutschland

In der Biker-Gemeinschaft gibt es seit langem Gerüchte über eine Zusammenarbeit Zaldostanovs mit den Sicherheitsdiensten, die bis in die Sowjet-Ära zurückreichen. Die Tatsache, dass der Chirurg in den späten 1980er Jahren den ersten Motorradclub in der damaligen Sowjetunion gründete, untermauert diese Theorie. 

Außerdem erhielt er als 20-jähriger Medizinstudent die Erlaubnis, nach Westdeutschland zu reisen, wo er als Wachmann im legendären Westberliner Bikerclub Sexton arbeitete und sogar eine deutsche Frau heiratete. 

Milizen für Moskau

Gleich zu Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine 2014 gehörten die Mitglieder des Motorradclubs zu den ersten Freiwilligen der Donbass-Miliz. Sie waren an der Einnahme von Luhansk beteiligt und kämpften in den bewaffneten Auseinandersetzungen um den Flughafen Luhansk, Chraschewate, Nowoswitliwka und Debalzew. Sie waren es, die die ersten Barrikaden in Luhansk errichteten und für „Sicherheit“ auf den Straßen von Sewastopol und Luhansk sorgten.

Schon im Jahr zuvor waren die Nachtwölfe im Dienste des Kreml unterwegs gewesen, und zwar auf der Krim. Sie begleiteten damals den Transport einer Nachbildung der Zarenglocke in die Hafenstadt Sewastopol. Im März 2014 beteiligten sich Mitglieder ihres Kiewer Zweigs zudem an der Unterdrückung von Euromaidan-Protesten. Mitglieder der russischen Ableger der „Nachtwölfe“ wiederum kämpfen bereits seit 2014 als Teil einer russisch-serbischen Freiwilligenbrigade gegen die Ukraine.

In einem vom US-Finanzministerium veröffentlichten Dokument wird behauptet, Zaldostanow persönlich habe im März 2014 Operationen zur Beschlagnahmung von Waffen der ukrainischen Armee auf der Krim koordiniert. Im März desselben Jahres waren sie demnach außerdem an der Erstürmung einer Gasverteilungsstation und der Einnahme des Hauptquartiers der ukrainischen Seestreitkräfte in Sewastopol beteiligt.

Heute sind die Nachtwölfe und Alexander Zaldostanow persönlich von der Europäischen Union, den Vereinigten Staaten, der Ukraine und der Schweiz mit Sanktionen belegt.

Was aber hat die Weltraumorganisation der Russischen Föderation, Roskosmos, mit den Nachtwölfen zu tun?

Die Weltraumforscher und die Rocker

Das staatliche Unternehmen wurde 1992 gegründet und befasst sich mit der Entwicklung und dem Betrieb von Raumfahrtsystemen und -strukturen. Seine Hauptaufgabe ist die Entwicklung der Raumfahrtindustrie der Russischen Föderation. Neben seinen Hauptaufgaben führt Roskosmos jedoch auch eine Reihe von Projekten durch, die nicht ausschließlich mit der Raumfahrt zu tun haben – unter anderem in Zusammenarbeit mit den Nachtwölfen.

Die Verbindung zwischen Roskosmos und den Bikern begann 2017, als sie gemeinsam Veranstaltungen von vermeintlicher gesellschaftlicher Bedeutung organisierten, die mit pro-russischen Propagandabemühungen in Einklang standen.

Die erste solche Veranstaltung war die Motorradrallye „Our Cosmos-60“, die dem 60. Jahrestag des Starts des ersten künstlichen Satelliten der Erde gewidmet war. Die Clubmitglieder legten damals auf ihren Motorrädern über 11.000 Kilometer zurück und transportieren eine vom legendären sowjetischen Kosmonauten Alexej Leonow signierte Fahne mit, besuchten die Städte Nowosibirsk und Orenburg.

Ein weiteres Beispiel: Im August 2021 wurde die Flagge der Nachtwölfe, die bei einer anderen gemeinsam organisierten Motorradrallye namens „Unser Kosmos““verwendet worden war, zur Internationalen Raumstation (ISS) transportiert. Von der Erdumlaufbahn aus filmten die Roskosmos-Kosmonauten Oleg Novitsky und Pyotr Dubov eine Videobotschaft speziell für die Nachtwölfe.

Zu den engen Freunden des Motorradclubs und Teilnehmern an gemeinsamen Veranstaltungen gehört der russische Nationalheld Evgeny Tarelkin, der zusammen mit dem „Chirurgen“ im Rahmen einer vom Motorradclub organisierten Veranstaltung namens „Russischer Wald“ einen Eichensprössling und eine Gedenktafel in den Donbass brachte. 

Sympathisanten sind auch Kosmonaut und Nationalheld Valery Tokarev, Dmitry Shishkin, der Direktor der Abteilung für Personalentwicklung und Projektunterstützung von Roskosmos, und Vasily Marfin, der Produktionsdirektor von „Energomash“, einer Tochtergesellschaft von Roskosmos.

Dienstleistungsvertrag mit den Rockern

Seit dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine haben die Nachtwölfe und Roskosmos eine weitere gemeinsame Aufgabe gefunden.

Im Juni 2014 schloss die Raumfahrtagentur mit den Nachtwölfen Vereinbarungen über die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen „patriotische Jugenderziehung“ und „kommunale Sicherheit“ auf der Krim sowie in den prorussischen Enklaven in den Regionen Luhansk und Charkiw in der Ostukraine. 

Über ihre lokalen Niederlassungen und Social-Media-Plattformen rekrutierten die Nachtwölfe daraufhin aktiv Kämpfer als pro-russische Milizen. In dieser Zeit kreuzten sich die Wege des „Chirurgen“ und Ahroy Avidzboy, dem Anführer der 15. internationalen Brigade, allgemein bekannt als „die Fünfzehn“. 

In Zusammenarbeit mit den Bataillonen Sparta und Somali nahm „die Fünfzehn“ an den heftigen Kämpfen um den Flughafen von Donezk teil, beteiligte sich anschließend an der Einnahme von Wuhlehirsk und kämpfte in der Nähe von Marinka. Zurzeit hat die Brigade ihr Hauptquartier in Donezk. 

Die Biker-Kompanie

Im Oktober 2022 gründeten die Nachtwölfe innerhalb ihrer Brigade einen eigenen Zug, der sich aus Freiwilligen des Motorradclubs „Night Wolves Fifteen“ zusammensetzte. Dieser wuchs schnell zu einer Kompanie von etwa 50 Personen heran. Nach einer zweiwöchigen Ausbildung wurden die Mitglieder der Nachtwölfe in Kampfhandlungen einbezogen. 

Derzeit führen die „Night Wolves Fifteen“ unabhängige Aufgaben nahe der ukrainischen Kleinstadt Avdiivka durch. Zu den Ausrüstungsgegenständen, die bei den Kampfhandlungen zum Einsatz kommen, gehören auch Quad-Bikes.

Roskosmos war für die Finanzierung und Unterstützung des Zuges verantwortlich. Das staatliche Unternehmen versorgte die „Nachtwölfe“ mit autonomen Dieselgeneratoren, Militärzelten, Kettensägen, Uniformen, medizinischem Material und anderer notwendiger Ausrüstung.

Laut Social-Media-Posts der Nachtwölfe übergab Roskosmos am 14. Dezember 2022 ein Motorrad und anderthalb Tonnen humanitäre Hilfsgüter an „Night Wolves Fifteen“, rund einen Monat später ein Einsatzfahrzeug vom Typ „Buchanka“, noch einmal eine Woche später ein weiteres Fahrzeug, warme Kleidung, Lebensmittel und Zigaretten.

Roskosmos unterstützt auch andere Einheiten, die auf der Seite der Russischen Föderation am Krieg teilnehmen. In einem der Videos bedanken sich beispielsweise Kämpfer für die Bereitstellung von Zielfernrohren für Scharfschützen beim Unternehmen.

Anstatt sich also auf die bemannte Raumfahrt, die Planetenforschung, die Erforschung der Sonne, die Astrophysik und die Entwicklung künstlicher Satelliten zu konzentrieren, stellt Roskosmos Steuergelder für die Unterstützung des aggressiven Krieges in der Ukraine zur Verfügung.

Dieser Text ist die Übersetzung einer Recherche des unabhängigen russischen Rechercheportals „The Insider“. Als Teil einer Kooperation stellt CORRECTIV in loser Folge Recherchen von „Insider“ auf dieser Website für deutsche Leserinnen und Leser zur Verfügung. 

Den Originalartikel – übersetzt ins Englische – finden Sie hier.