Finkenfreunde ohne Einsicht
Für die Undercover-Reportage „Die Tierdiebe“ recherchierte CORRECTIV im Milieu der deutschen Wilderer – sorgte unter anderem dafür, dass ein einschlägig bekannter Vogelhändler erneut vor Gericht landet. Die Naturschutzbehörden machten sich nach der Veröffentlichung auf die Spur der von ihm gehandelten Tiere. Deren Halter tun nun alles, um die illegal gekauften Vögel nicht abgeben zu müssen.
Im August 2015 lief unsere halbstündige Reportage „Die Tierdiebe“ in der ARD. Wir hatten für die Recherche einen fiktiven Tierpark in den USA gegründet, einen italienischen Jagdaufseher nach Deutschland einfliegen lassen, waren mit Bundesbehörden in Konflikt geraten und hatten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf einem McDonald’s Parkplatz in Hamm illegale Alpensalamander gekauft. Das alles, um zu zeigen, wie Wilderer in Deutschland jedes Jahr Millionenbeträge mit heimischen Tieren umsetzen, die sie auf eigene Faust in der Natur fangen – mit Buchfinken, Zauneidechsen und Sumpfschildkröten. Wir deckten ein europaweites Handelsnetz auf, über das gewilderte Tiere legalisiert und vertrieben werden, und überführten Horst D., einen notorischen Vogeldieb aus Bottrop, auf frischer Tat.
Unsere Berichterstattung hatte Konsequenzen: Noch im August 2015 leitete die Staatsanwaltschaft Essen ein Ermittlungsverfahren gegen den vorbestraften Horst D. ein. Das Umweltministerium NRW schickte eine Mitteilung an alle Unteren und Höheren Landschaftsbehörden, die sich auf den CORRECTIV-Bericht bezog und zur Beschlagnahme der Vögel riet, die der Händler aus Nordrhein-Westfalen vertrieben hatte. Auch der niedersächsische Landesbetrieb für Naturschutz (NLWKN) durchforstete seine Meldelisten auf verdächtige Tiere aus Bottrop.
Im Visier: die Buchfinkengilde
Am Ende fiel den dortigen Behörden vor allem die Buchfinkengilde Harz auf, die über 90 Vögel bei Horst D. gekauft hatte. Mitte September trafen Kontrollbehörden der Landkreise Goslar, Osterode und Harz den Vorstand der Buchfinkengilde zu einem Gespräch. Denn die Gesetzeslage ist in diesem Fall eindeutig: Halter einer besonders geschützten Art müssen beweisen, dass ihr Exemplar eine legale Nachzucht ist. Wildgefangene, das heißt, illegale Tiere müssen von den Behörden eingezogen werden.
Doch von den 90 gelisteten Vögeln blieben nach dem Klärungsgespräch nur noch 50 übrig – die anderen Tiere seien gestorben, entflogen oder ausgewildert worden. Die Finkenfreunde zeigten wenig Entgegenkommen bei der Verhandlung. Zu einer Einigung gelangte man nicht.
Ein typisches Verhalten
Was sich weiter abspielte, passt in die Erfahrungen, die auch wir im Laufe unserer Recherche immer wieder gemacht haben: Gesetze werden ignoriert, Weisungen von Behörden übergangen und sowas wie Unrechtsbewusstsein in der Kiste mit den ungewollten Weihnachtsgeschenken im Keller verstaut.
Fassen wir kurz zusammen:
Der Wilderer: einmal ist kein Mal
Wer erwartet schon, dass ein Wilderer nicht einmal einen Monat nach seiner Verurteilung einem Wildfremden sagt, er könne ihm illegale Vögel verkaufen? Und das nach drei Minuten am Telefon.
Im März 2015 wurde Horst D. schuldig gesprochen, Vögel illegal in der Natur gefangen und weiterverkauft zu haben. Bereits 2007 war der Rentner aus dem Ruhrgebiet mit Lebendfallen auf frischer Tat ertappt worden. Für ihn jedoch kein Grund zur Vorsicht. Ein akribisch geführtes Geschäftsbuch belegte: Er hat zwischen 2007 und 2012 einen Reingewinn von 100.000 Euro mit Waldvögeln gemacht — mit Blaumeisen, Buchfinken und Stieglitzen. Ein Großteil davon wild gefangen. Horst D. wurde verurteilt und verkaufte uns kurz nach Beginn seiner Bewährungsstrafe wieder illegale Tiere.
Jetzt muss sich der Bottroper zum zweiten Mal vor Gericht verantworten. Auf die Frage, wie er zu dem Wilderei-Vorwurf stehe, entgegnete er uns nur: „Ich? Nein, ich fange keine Vögel. Ich verkaufe auch keine Vögel.“
Der Käufer: ins Manöver um jeden Preis
Jedes Jahr zu Pfingsten treffen sich die Vogelfreunde im Harz zum Finkenmanöver. Buchfinken sitzen dann in abgedeckten Käfigen und singen im Wettstreit mit ihren Artgenossen. Ein „immaterielles Kulturerbe“, ausgezeichnet von der Kanzlerin. Doch etwas trübt die schrill zwitschernde Harmonie: Den Finkenfreunden fehlt es an frischen Vögeln. Neue sind nur schwer zu beschaffen.
Das Geschäftsbuch von Horst D. belegt: Zu seinen treuen Kunden gehört Helmut Ehrenberg, Geschäftsführer der Vereinten Buchenfinkengilde im Harz. Seit dem Jahr 2000 hat Ehrenberg nachweislich rund hundert Vögel gekauft und an seine Buchfinkenfreunde verteilt. Ein Großteil der Tiere waren Wildfänge. Das hätte Ehrenberg auch wissen müssen, so die Staatsanwaltschaft Essen. Denn ein Fachmann erkenne manipulierte Ringe, und Ehrenberg sollte als ein solcher gelten.
Doch von Unrechtsbewusstsein keine Spur. Als wir Ehrenberg am Ende unserer Recherche mit dem Vorwurf konfrontierten, entgegnete er lapidar: „Warum soll ich mir Vorwürfe machen? Der, der den Vogel züchtet und weitergibt, der ist in der Verantwortung. Nicht ich. Genau wie wenn Sie ein Auto kaufen vom Händler, dann kaufen Sie das ja auch im guten Glauben, dass da alles in Ordnung ist.“
Die Halter: kein Einsehen in Sicht
Denken wir das Bild von Ehrenberg weiter: Wenn ich ein Auto kaufe und hinterher erfahre, dass es geklaut war, dann übergebe ich den Wagen doch schnellstmöglich der Polizei und verklage den Burschen, der mir das Ding angedreht hat, auf Schadensersatz. In der Regel nehme ich mir keinen Anwalt, um mich gegen die Polizei zur Wehr zu setzen. Und auf die Idee, die Karre im nächsten Kanal zu versenken, komme ich eigentlich nur, wenn ich bewusst Hehlerware gekauft habe. Oder? Anders bei den Finkenfreunden.
Ende Oktober wurden nach dem Klärungsgespräch 15 Gildenmitglieder aus dem Kreis Goslar von ihrer Kontrollbehörde direkt kontaktiert. Sie sollten Zuchtbelege einreichen oder ihre Tiere vorsorglich in einer Auffangstation abgeben. Keines der 20 Tiere tauchte dort in der gesetzten Frist auf. Ein Vogelhalter reagierte gar nicht, fünf schalteten einen Anwalt ein, um sich gegen die Weisung des Landkreises zu wehren, und neun Finkenfreunde griffen abermals in die altbewährte Ausredenkiste: Ihre Tiere seien plötzlich verstorben, weggeflogen oder freigelassen worden.
Die Stellungnahmen müssten nun einzeln geprüft werden, sagte eine Sprecherin des Landkreises. Als „nicht glaubhaft“ bewertete Jürgen Hintzmann von der Stabsstelle für Umweltkriminalität in NRW die Rückmeldungen. Alle Tiere müssten bei der zuständigen Behörde angemeldet werden – und es müsse auch registriert werden, wenn sie sterben oder wegfliegen. Erst nach der Aufforderung des Landkreises diese Antworten aus dem Hut zu zaubern, sei einfach unglaubwürdig.
Jens Leferink, Aufgabenbereichsleiter für den internationalen Artenschutz beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Naturschutz, sagte, bisher habe nur ein einziger Halter aus der Buchfinkengilde seine Vögel abgegeben – und das gleich nach Ausstrahlung der CORRECTIV-Reportage. Darüber hinaus habe es kein Einlenken gegeben.
Verbrecher sind immer die anderen
Wir versuchten zu den aktuellen Entwicklungen eine neue Stellungnahme von den Finkenfreunden zu einzuholen. Der zweite Vorsitzende der Gilde verwies uns ausdrücklich an Helmut Ehrenberg. Ich hatte mich noch nicht ganz bei ihm vorgestellt, da fällt mir dieser bereits ins Wort: „Ach hören Sie auf! Wir unterhalten uns überhaupt nicht weiter. Ihr seid Verbrecher und Gauner! Tschüss.“
Ich habe damals die Vögel bei Horst D. gekauft und nach der ersten Kontaktaufnahme keine drei Minuten gebraucht, um zu wissen, dass mir der Mann illegale Tiere andrehen wird. Mir kann niemand erzählen, der zwanzig Jahre lang von dem Händler Vögel bezogen hat, er hätte nichts gewusst. Wenn ich wiederum vorsätzlich illegale Tiere gekauft habe, werde ich den Teufel tun, die Beweise an die Behörden zu geben. Dann nehme ich lieber eine Geldzahlung in Kauf, weil ich den Verlust der Tiere nicht ordnungsgemäß gemeldet habe. Die Behörden können mir ja schlecht das Gegenteil beweisen.
Und das ist oft das Problem bei Umweltdelikten: Wenn derartige Verbrechen überhaupt verfolgt werden, dann häufig halbherzig oder ohne das nötige Wissen. Gerade auf Kreisebene sind die Mitarbeiter den Haltern und der Szene fachlich nicht gewachsen. Zusätzliche Nachforschungen bedeuten Arbeit und Unannehmlichkeiten. Straftäter kommen in der Regel ungeschoren oder mit milden Strafen davon.
Deswegen sind spezielle Stabsstellen, Kommissariate und Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Umweltdelikte so wichtig. Wir haben es bereits gefordert und tun es weiter. Es darf nicht sein, dass sich derartiger Starrsinn und Dreistigkeit am Ende durchsetzen!