Maulkorb für Abgeordnete
Das Wirtschaftsministerium feiert es als Erfolg, dass Bundestagsabgeordnete künftig TTIP-Dokumente unter Aufsicht lesen dürfen. Doch ein bisher geheimes Dokument der EU-Kommission macht klar, dass diese Leseräume jederzeit geschlossen werden können, falls Abgeordnete den Inhalt der TTIP-Dokumente der Öffentlichkeit verraten.
Am Dienstag hatte das Wirtschaftsministerium die Bundestagsabgeordneten informiert, dass zum 1. Februar die TTIP-Leseräume eingerichtet werden. In diesen Leseräumen können die Parlamentarier Einsicht nehmen in die aktuellen Verhandlungsdokumente. Ein bisher geheimes Schreiben der EU-Kommission, das CORRECTIV vorliegt, zeigt jedoch, dass die Leseräume jederzeit wieder abgeschafft werden können.
USA stellen die Bedingungen
Bereits im Dezember hatte die EU-Kommission die Regierungen der Mitgliedsstaaten haarklein darüber informiert, an welche Bedingungen das Leserecht geknüpft ist:
- Die Leseerlaubnis kann jederzeit widerrufen werden. Wörtlich heißt in dem am 14. Dezember 2015 verfassten Dokument über die „Einrichtung von Leseräumen in den Mitgliedsstaaten“: „Die USA betonten, dass die Übermittlung von konsolidierten TTIP-Texten und deren Verfügbarkeit in den Leseräumen der Mitgliedsstaaten nur auf Probe (trial basis) erfolgt, und von der Integrität und Zuverlässigkeit der Vorgehensweise abhängt. Die USA haben darauf hingewiesen, dass sie die Genehmigung (…) in einem oder allen Mitgliedsländern widerrufen würden, falls eine unbefugte Veröffentlichung der Dokumente oder deren Inhalte erfolgen soll.“ In einem solchen Fall wolle man die Quelle der unbefugten Veröffentlichung ermitteln und „die entsprechenden Maßnahmen, darunter disziplinäre und/oder rechtlichen Maßnahmen“ angewenden. Mit anderen Worten: Gibt ein Abgeordneter Informationen über das, was er gelesen hat, an die Öffentlichkeit, wird der Mitgliedstaat bestraft.
- Bundestagsabgeordnete werden beim Lesen der TTIP-Dokumente von einem Sicherheitsbeamten beaufsichtigt. Er „wird während der gesamten Zeit des Besuchs anwesend sein“ und soll nicht nur die persönlichen Daten des Parlamentariers und die Zeitpunkte der Einsichtnahme erfassen, sondern auch die Dokumente registrieren, die gesichtet werden.
- Die Texte werden nicht ausgedruckt sondern können nur an Computern gelesen werden, die nicht mit dem Internet verbunden sind. Maximal acht Abgeordnete dürfen gleichzeitig an den Computer-Arbeitsplätzen TTIP-Texte lesen.
- Wörtliche Zitate dürfen nicht abgeschrieben werden. „Besucher dürfen handschriftliche Notizen mitnehmen; solche Notizen dürfen aber im Umfang oder inhaltlich keine Kopien (…) von vertraulichen Inhalten wiedergeben.“
- Es herrscht Handyverbot. „Mobiltelefone oder andere elektronische- oder Aufnahmegeräte sind im Leseraum nicht zugelassen.“
Hintergrund
Die USA haben in der Vergangenheit immer wieder durchblicken lassen, dass sie es nicht für nötig halten, die nationalen Parlamente der EU-Staaten in den TTIP-Informationsfluss einzubeziehen. Auch die EU-Kommission sieht die Parlamente der Mitgliedstaaten in der zweiten Reihe. EU-Kommissarin Cecilia Malmström hatte kürzlich bei einer Diskussion mit dem Wirtschaftsausschuss des Bundestages gesagt, dass Leserechte ein „Bonus“ für den Bundestag seien. Mitarbeitern der Abgeordneten – die oft deren fachliche Arbeit erledigen – bleibe der Zutritt zu den Räumen verwehrt.
Bei dem Treffen hatten die Parlamentarier die Kommissarin so verstanden, dass TTIP-Dokumente ins Deutsche übersetzt würden. Die EU-Kommission hat jetzt klar gestellt, dass das nicht geschehen werde. Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer (CSU), informierte den Bundestag darüber am Montag per Brief: „Übersetzungen, die nicht von Rechts- und Sachverständigen formell überprüft und freigegeben worden sind, könnten zu Missverständnissen führen“, schrieb Ramsauer, die Kommission zitierend.
Eineinhalb Jahre lang hatten das Wirtschaftsministerium und zuletzt auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dafür gekämpft, die Vertragsentwürfe zu dem Freihandelsabkommen TTIP den Parlamentariern zugänglich zu machen. Die fehlende Transparenz der Verhandlungen ist einer der Hauptkritikpunkte an dem Handelspakt.